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Steinbrücks Traktat des Grauens

 

Ernüchterung nach der Zeitungslektüre zum Haushaltsbudget für dieses und nächstes Jahr. Alles, was man über die Kabinettssitzung vergangenen Mittwoch und die Staatsfinanzen lesen konnte, lässt nur einen Schluss zu: Auch Peer Steinbrück hat nichts von Makroökonomie und der kapitalistischen Dynamik verstanden. Ich habe bislang Münchaus Ritt in der Financial Times Deutschland gegen Steinbrücks ökonomischen Unverstand für übertrieben gehalten. Ich hatte mir nach den ersten Reden und Interviews einen pragmatischen und etwas listigen Finanzminister vorgestellt. Aber das war falsch, wie ich jetzt zähneknirschend einräume.

Wenn ich die Haushaltsplanung richtig verstanden habe, stimmt noch nicht mal das Bild, das der Finanzminister gerne verwendet, im laufenden Jahr etwas Wind machen, damit die Konjunktur Fahrt aufnimmt und so die brutale Mehrwertsteuererhöhung im nächsten Jahr verkraftet werden kann. Steinbrück rechtfertigt mit diesem Bild vom Windmachen immer sein bewusstes Brechen des Stabilitätspaktes in diesem Jahr. In Wirklichkeit aber nimmt er kein Geld in die Hand, um damit öffentliche Investitionen zu finanzieren, sondern verschiebt nur Privatisierungserlöse in die nächsten Jahre. Deshalb bleibt das „Loch“ etwas größer, die Neuverschuldung etwas höher. Mit irgendwie gearteter Konjunktursteuerung hat das nichts zu tun. Seine Vorstellung, dieses Jahr werde die Konjunktur angeschoben und nächstes Jahr gespart, passt nicht zusammen.

Das Problem liegt im zweiten Teil: Nächstes Jahr wird brutal gespart. Drei Prozentpunkte Mehrwertsteuererhöhung, Versicherungssteuer hoch und wohl Rentenbeitragssätze hoch. Daneben wurde die Eigenheimzulage abgeschafft, der Sparerfreibetrag gekürzt und noch viele andere kleine Kürzungen vorgenommen. Auf der Habenseite stehen lediglich höhere Kinderfreibeträge und die leichtere Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen. Toll.

So setzt Steinbrück die Tradition seiner Vorgänger seit der deutschen Wiedervereinigung fort: Oberstes Ziel Haushaltskonsolidierung (komisch nur, dass es bislang noch keiner der deutschen Finanzminister seither geschafft hat via Sparen zu konsolidieren). Geplante Zielerreichung: Die mittleren und unteren Einkommen stärker belasten als die hohen. Und: Sich an der öffentlichen Infrastruktur vergehen, an den Investitionen.

Kaum ein OECD-Land, das so wenig für Straßen, Unis und Schulen ausgibt wie Deutschland. Dabei sind es vor allem die öffentlichen Investitionen, die die Dynamik einer Wirtschaft kurz- und langfristig erhöhen. Das haben selbst so konservative Ökonomen wie die des Sachverständigenrates in ihrem Jahresgutachten 2002/03 gesagt.

Wir werden schon dieses Jahr beobachten können, wie die kräftige Dynamik, die zur Zeit vorhanden ist, Steinbrück ein Budgetdefizit unter drei Prozent bescheren wird. Grob fahrlässig, die Dynamik nächstes Jahr wieder abzuwürgen.

Ganz wichtig: Mir geht es nicht in erster Linie um eine höhere Kaufkraft der Massen, weil dann mehr Geld ausgegeben werden kann, der Konsum endlich anspringt. Das ist zwar ein wichtiger Effekt, viel wichtiger aber ist es, dass sich die Erwartungen der Menschen in diesem Land wieder ändern, dass sie wieder glauben, dass es Morgen besser wird. Dass sie wieder optimistisch werden, sich in Zukunft mehr leisten zu können. Nur so kommt Bewegung ins System, werden wieder Moneten für den Italiener um die Ecke locker gemacht, gönnt man sich auch mal wieder eine Taxifahrt, glaubt der Friseur, Fensterputzer oder Schreiner auch wieder an Expansion.

Das Fatale der vergangenen, verlorenen 15 Jahre, ist doch, dass die Menschen versucht haben, sich mit dem Weniger abzufinden. So aber funktioniert kein kapitalistisches System. So funktionieren Tauschwirtschaften, wie der Sozialismus eine war. Wo der Mangel verwaltet wird.

PS: Hier noch ein Link zu einer sehr guten Analyse des Steinbrück-Wahnsinn von Ullrich Heilemann, einem von mir sehr geschätzten Konjunkturexperten. Erschienen in der taz.