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Paul Krugmans Ratschläge – und Angela Merkels Zögern

 

Der US-Ökonom Paul Krugman hat im Frühjahr sein Buch „End This Depression Now!“ vorgelegt. Darin gibt es das Kapitel „Euro-Dämmerung“. Krugman ist bekanntlich ein ausgesprochener Euro-Skeptiker. Euro-Land ist für ihn kein optimaler Währungsraum. Aber das heißt nicht, dass er sich den Euro wegwünscht. Das wäre mit zu hohen Kosten verbunden, und zwar nicht nur für die Länder der Währungsunion. Und es wäre das Ende des europäischen Projekts, durch wirtschaftliche Integration dauerhaft Frieden und Demokratie zu sichern.

Da es den Euro aber nun einmal gibt, stellt sich die Frage: Wie kann er überleben? Krugman hat klare Vorstellungen – und spannend ist, sie mit den aktuellen Entwicklungen in der EU abzugleichen.

Den größten Handlungsbedarf sieht Krugman bei Garantien, die sicherstellen, dass es nicht zu Panikattacken auf einzelne Banken und Regierungen kommt. Das ist inzwischen weitgehend umgesetzt worden: Die Europäische Zentralbank hatte bereits am 20. Dezember vergangenen Jahres und dann erneut am 28. Februar 2012 allen Banken, die über verpfändbare Sicherheiten verfügten, unbegrenzt für drei Jahre Liquidität zu einem Zinssatz von nur einem Prozent angeboten. Damit konnten diese sich für einen sehr langen Zeitraum günstig refinanzieren. Eine Alternative wäre gewesen, auf Kundeneinlagen zurückzugreifen.

Die Banken hätten auch im großen Stil Anleihen ihrer eigenen Regierungen kaufen und so deren Schuldendienst erleichtern können. In der Praxis hatten sie allerdings Vorbehalte gegen den Kauf von Anleihen der Südstaaten: Ihnen waren die Risiken zu hoch. Und sie wollten die Aktivseiten ihrer Bilanzen verkürzen, um so ihre Eigenkapitalquoten zu erhöhen.

Also hat EZB-Chef Mario Draghi Anfang September einen radikalen Schritt gewagt. Die EZB erklärte, ohne Mengenbegrenzung direkt Staatsanleihen mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren zu kaufen. Einzige Bedingung: Sie müssen beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) einen Antrag auf verbilligte Kredite stellen. Für diese Staaten wird es daher keine Liquiditätsengpässe geben. Die EZB kann schließlich so viel Zentralbankgeld schaffen, wie sie will – the sky is the limit. Seit Draghis Ansage sind die Anleiherenditen der Krisenländer stark gesunken, ein Zeichen dafür, dass die Marktteilnehmer nicht mehr so misstrauisch sind.

Seit dem Sommer ist zudem geplant, eine gemeinsame Einlagensicherung ins Leben zu rufen, um einen Ansturm auf Banken in Krisenländern von vornherein zu verhindern. Berlin sträubt sich noch dagegen, aber die Entscheidung ist getroffen. Es wird letztlich nur darum gehen, bis zu welcher Grenze die Einlagen garantiert werden – nicht darum, ob es so etwas überhaupt geben soll.

Krugman hatte die Einlagensicherung nicht auf seiner Liste. Aber sie wäre sicher in seinem Sinne. Auch die beiden anderen Komponenten einer europäischen Bankenunion – zentrale Aufsicht und zentrale Rettungsinstrumente – hatte Krugman nicht für erforderlich gehalten. Und das, obwohl er an anderer Stelle schreibt, dass die aktuelle Krise vor allem durch einen außer Kontrolle geratenen Finanzsektor ausgelöst wurde, weniger durch unverantwortliche Fiskalpolitik. Krugman müsste daher eigentlich argumentieren, dass die Überwachung der Banken ein Kernelement jeder Euro-Rettung sein muss.

Also gehen die Pläne der Euro-Länder deutlich über die Vorschläge Krugmans hinaus. Er plädiert ebenfalls dafür, dass die Krisenkandidaten eine ehrgeizige Sparpolitik betreiben sollen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und um unabhängiger von Kapitalimporten zu werden. Genau das ist ebenfalls seit einiger Zeit der Fall.

Einen Vorschlag Krugmans haben die EU-Regierungschefs bisher noch nicht aufgegriffen: eine ergänzende Expansionspolitik in Deutschland und einigen anderen Staaten mit Leistungsbilanzüberschüssen. Denn es liegt auf der Hand: Die Problemländer können ihre gesamtwirtschaftliche Situation nur dann durch einen Exportdrive verbessern, wenn die Gegenseite auch mitmacht.

Helfen würden auch höhere Inflationsraten und Lohnsteigerungen. Krugman denkt, dass die EU eine durchschnittliche Inflationsrate von drei bis vier Prozent anstreben sollte. Inflation senkt die reale Schuldenlast. Deutschland müsste nach seinen Vorstellungen sogar eine noch höhere Rate anzustreben, vielleicht gar fünf Prozent?

Wie das konkret gehen soll, sagt Krugman nicht. Ein Mindestlohn würde vermutlich helfen, vielleicht auch mal ein „kräftigerer Schluck aus der Pulle“ für die Staatsdiener. Oder großangelegte Programme zur Verbesserung der Infrastruktur, der Umwelt und der Aus- und Weiterbildung. Der Bund konnte sich an diesem Montag für 30 Jahre Geld zu einem Festzins von 2,32 Prozent leihen! Wer sinnvoll langfristig investiert, der darf auch Schulden machen. Wann, wenn nicht jetzt?

In der deutschen Presse ist Krugmans Buch übrigens recht kühl besprochen worden. Der Vorschlag, die Krise durch Inflationierung und eine massiv expansive Finanzpolitik zu überwinden, ist den meisten Wirtschaftsjournalisten offenbar zu radikal. Zumal Deutschland mit seiner Politik à la schwäbischer Hausfrau bisher ganz gut gefahren ist: Die anderen sollen sparen – und wir tun es auch! Dass sich die Krise auf diese Weise nicht beenden lässt, leuchtet ihnen nicht ein. Es ist nicht leicht, sich von eingefahrenen Denkmustern zu lösen.

Immerhin denkt Frau Merkel inzwischen offenbar über Steuersenkungen nach, also eine expansivere Finanzpolitik. Vermutlich wird es in diesem Jahr nämlich einen kleinen Überschuss im staatlichen Gesamthaushalt geben. Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass dies angesichts des unausgelasteten Produktionspotenzials gleichbedeutend ist mit einem großen strukturellen Haushaltsüberschuss. In Deutschland wird de facto derzeit eine restriktive Finanzpolitik betrieben. Das ist vollkommen verfehlt.

Mit anderen Worten: Der Spielraum für eine inflationsneutrale, expansivere Finanzpolitik ist da. So wie es aussieht, nutzt die Politik ihn allerdings nur sehr zaghaft – zu zaghaft.

Möglicherweise tut sich hier jedoch noch etwas, denn schließlich sind im Herbst kommenden Jahres Bundestagswahlen. Eine Wachstumsrate von einem Prozent, wie sie jetzt für das nächste Jahr vorhergesagt wird, wäre alles andere als ein Erfolgsausweis für die Regierung. Normalerweise bedeutet das einen neuerlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen.

Krugman würde sich über eine deutlich expansivere Finanzpolitik freuen. Ich würde es ebenfalls tun, und natürlich auch die Spanier und die anderen Defizitländer, sowie nicht zuletzt die Gläubiger in Deutschland. Wachstum löst nicht alle Schuldenprobleme – es vermindert sie aber.