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Tschüss, Heinrich Kaspar

 

Lieber Heinrich Kaspar,

Sie haben in Ihrem letzten Kommentar mit HERDENTRIEB abgerechnet und sich verabschiedet (Kommentar 40 bei „Streiks – ökonomisch sinnvoll“). Das ist für uns, Uwe Richter und mich, Grund genug, Ihnen ein paar Worte des Bedauerns, des Danks und der Kritik hinterher zurufen. Immerhin waren Sie bislang einer der schärfsten und besten Kritiker dieses Blogs und haben mit Ihren Kommentaren nicht nur die Debatte befruchtet, sondern auch gezeigt, dass Sie ein intimer Kenner der Materie sind. Deshalb: ein großes TANT PIS. Und ein ebenso großes MERCI für Ihre Beiträge.

Nun aber zu Ihren Gründen des Abschieds, die wir so nicht stehen lassen können.

1. Sie regen sich auf, dass wir Ihre Anmerkungen, Hinweise, ja schlussendlich Ihre Meinung noch immer nicht übernommen haben. Haben Sie das erwartet? Wenn ja, dann haben Sie das ganze Konzept von HERDENTRIEB nicht verstanden. Wir wollen diskutieren und ergründen, um der Wahrheit des Kapitalismus näher zu kommen, aber die Wahrheit werden wir nicht aufschreiben, weil es sie nicht gibt. Das System ist viel zu komplex, als dass eine Theorie oder auch eine ganze Theorienschule es erklären könnte. Wenn wir Volkswirte ehrlich sind, müssten wir zugeben, dass wir eine hoch bezahlte Profession sind, die bloße Ahnungen statt Wissen verkauft. Das Rätsel Geld und das Rätsel Wachstum sind noch immer nicht gelöst, obwohl sich seit über 200 Jahren kluge Köpfe, ebenjene darüber zerbrechen.

2. Sie werfen uns vor: „Herdentrieb verbreitet leider KEINE interessanten alternativen Gedanken zur Wirtschaftspolitik, sondern oberflaechlichen und undurchdachten Voodoo – gekoppelt mit dem Anspruch, die Welt neu zu erfinden. Das ist leider nicht interessant.“ Das Wort Voodoo finde ich sehr spannend, weil so auch Ihr Held Hans-Werner Sinn, jeden Angriff auf seine Weisheiten abtut. Wir akzeptieren Ihre Meinung, teilen sie natürlich nicht. Wir sind angetreten mit Alternativen zum Mainstream und damit, einen anderen Blick auf den Kapitalismus werfen zu wollen, nämlich von der Finanzierungsseite aus, von den Stimmungen an den Finanzmärkten und den Kreditabteilungen der Banken ausgehend.

3. Sie werfen uns vor, nicht „state-of-the-art“ zu sein. Genau das wollen wir. Auch wenn Sie sich nicht als klassischen deutschen Ökonomen definiert sehen wollen, weil sie dem angelsächsischem Mainstream näher stehen als dem deutschen, so habe ich mit „state-of-the-art“ immer so meine Probleme. Denn er ist Moden unterworfen, oder genauer: die Mode schlechthin. Wir sind bewusst unmodisch. In diesem Zusammenhang hat mich letzten noch einmal das Buch von Richard Koo „Balance Sheet Recession“ sehr gefreut. Koo, Chefvolkswirt von Nomura, wirft darin den vornehmlich amerikanischen „state-of-the-art-Ökonomen“ vor, die Krise in Japan durch die falsche Brille analysiert zu haben. Es gebe Situationen, in denen die Geldpolitik vollkommen versage und nur expansive Fiskalpolitik noch helfe. Sehr lesenswertes Buch! Auch Koo ein Voodoo-Ökonom?

4. Ihre Aufregung um mein Greenspan-Stück kann ich nachvollziehen. Es war wie vieles im Blog eine Provokation. Aber seien Sie gewiss: Auch HERDENTRIEB fürchtet nichts so sehr wie den Kollaps der Gläubiger-Schuldnerbeziehungen. Diese brechen aber nicht nur in einer Hyperinflation zusammen, sondern auch in einer Deflation! Mit ähnlich verheerenden Folgen. Und ich muss gestehen: Uwe Richter war gegen die Passage, die Sie in Ihrer Abrechnung vernichten. Ich aber hatte bei einem Plausch mit Llewellyn, dem Chefvolkswirten von Lehman, diesen Gedanken aufgeschnappt und fand ihn ganz passend. Wir in Euroland tun alles, um ja keine Dynamik aufkommen zu lassen, aus Angst vor dem Tod begehen wir Selbstmord. Die Amis unter Greenspan haben mehr der Dynamik gehuldigt als der Stabilität und waren zumindest in der 18-Jahresperiode deutlich erfolgreicher. Den ganzen Jubel über den flexiblen amerikanischen Arbeitsmarkt hätte es nie gegeben, wenn Amerika nicht mit vier Prozent gewachsen wäre. Was aber war der Grund für den Erfolg? Die Greenspansche Politik, oder der flexible Arbeitsmarkt? Wir in Euroland sollen den Arbeitsmarkt nachahmen, nicht aber die Geldpolitik. Ist für mich ein Widerspruch in der Argumentation vieler „Neoklassiker“.

5. Und damit wären wir bei einem anderen wichtigen Vorwurf. HERDENTRIEB würde nonchalant darüber hinweg gehen, dass die Neoklassik seit 1930 ausgestorben sei. Interessant. Hierzu eine Anmerkung von Uwe Richter: „Eine Theorie, die die Höhe der Beschäftigung alleine über den Arbeitsmarkt bestimmt sieht, ist Neoklassik. Was immer Neoklassik auch sein mag. Wie soll man sie denn sonst nennen. Im Blog werden ja keine Modelldiskurse geführt. Wenn Lohnsenkungen gefordert werden, dann wird ja nicht gleichzeitig auf ein Working Paper rekurriert, so dass man dann sagen kann, ah ja, da wird mit einem neuklassischen Gleichgewichtsmodell à la soundso argumentiert oder mit einem New Keynesian Modell in der Variante von soundso oder einem real-business-cycle model. Wenn das, was wir angreifen also keine Neoklassik sein kann, weil die ja um 1930 ausgestorben, dann frage ich mich, was es ist?“ HERDENTRIEB hat mehr Sympathien für die Vorstellungen einiger Post-Keynesianer, die den Vermögensmarkt ins Zentrum der Märkte stellen, anstelle des Arbeitsmarktes wie in der Neowasheinrichkaspardarunterversteht.

So, lieber Heinrich Kaspar, das war’s in aller gebotenen Kürze. Ihr Vorwurf, dass wir nur auf Lohnstückkosten seit 1998 rekurrieren wird durch die Tabelle des letzten Eintrags widerlegt. Ob Deutschlands Nachfrageproblem am Konsum oder an den Investitionen hängt, wäre eine Debatte wert. Ich glaube, an beidem. Aber die Investitionen erholen sich ja gerade wieder. Der Konsum dagegen tritt in realen Größen seit fast zehn Jahren auf der Stelle.

Uwe Richter und ich setzen darauf, dass Sie ihre Abschiedsworte wörtlich nehmen. „Dies war auf absehbare Zeit mein letzter Eintrag hier.“ Auf absehbare Zeit!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr Uwe Richter und Robert Heusinger