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Die große Hartz-Illusion

 

Seit einigen Tagen sorgt dieses Papier zu den Ursachen der Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren für Aufmerksamkeit. Die Antwort der Autoren – linker Umtriebe unverdächtige Ökonomen des University College London, der Humboldt-Universität und der Universität Freiburg – ist eindeutig: Gerhard Schröder war es nicht.

However, we (…) argue that these factors did not play a decisive role for the transformation of the German economy, namely the restructuring of its labor market and the increase in competitiveness that has helped German exports

Vielmehr sei die nach der Wiedervereinigung gesunkene Wettbewerbsfähigkeit im Prinzip schon wiederhergestellt gewesen, als Gerhard Schröder seine Hartz-Reformen verkündet hatte.

The Hartz reforms were implemented starting in 2003, hence nearly a decade after the process of (…) the improvement of competitiveness

Grafik: LohnStückkosten in Deutschland, 1991-2013Q3

Ich erinnere mich sehr gut an diese Jahre. Es war die Zeit, in der Hans-Werner Sinn fragte, ob Deutschland noch zu retten sei und Gabor Steingart den Abstieg eines Superstars beschrieb. Die FTD, deren Redaktion ich damals angehörte, fuhr einen vollständig anderen Kurs und titelte „Deutschland ist Exportweltmeister“ (hier eine gute Zusammenfassung der Diskussion von Sebastian Dullien).

Folgt man der Argumentation der Autoren, dann lagen wir damit genau richtig und praktisch das gesamte deutsche wirtschaftspolitische Establishment – inklusive der rot-grünen Regierung – lag falsch. Das zeigt vielleicht, dass man sich nie auf die Herde verlassen sollte. Aber darum geht es mir hier nicht. Der Punkt ist, dass die nötige Anpassung also zu Beginn der Jahrtausendwende bereits im Wesentlichen erreicht war.

Wenn das stimmt, dann waren die Hartz-Reformen nicht nur nicht die Hauptursache des wirtschaftlichen Aufstiegs in Deutschland, wie die Ökonomen aus Freiburg, London und Berlin meinen. Diese Reformen waren dann vielleicht sogar schädlich – sie brachten (etwa über eine Absenkung des Reservationslohns) genau das Quäntchen an Lohnmoderation zu viel auf den Weg, dass uns jetzt einen exzessiven Leistungsbilanzüberschuss beschert und Südeuropa in die Deflation stürzt.

Das bedeutet: Im Jahr 2003 hätte die Lohn- und Fiskalpolitik schon wieder expansiver werden müssen, statt noch mehr zu kürzen. Dann wäre den Deutschen und den Europäern viel Leid erspart worden.

Grafik: Deutsche Lohnstückkosten im Vergleich, 1991-2012

Mit anderen Worten: Statt den Gürtel noch enger zu schnallen, wäre ein Schluck aus der Pulle angebracht gewesen. Aber der Standortwahn und die Wettbewerbsobsession hatten das Land so im Griff, dass sich niemand die Daten anschaute. Ein ziemliches Trauerspiel.

Update: Damit das nicht falsch verstanden wird. Ich sage nicht, dass Lohnzurückhaltung per se schlecht ist. Es kommt auf die Umstände an. Nach der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch des EWS musste sich Deutschland anpassen. Es geht um die richtige Dosis. Und da scheinen wir es übertrieben zu haben.