Vier Millionen Lächeln heißen mich in der Löwenstadt willkommen. Das lese ich auf jedem zweiten Laternenpfahl. Das erlebe ich auf Schritt und Tritt. Es ist unglaublich. Der Stadtstaat fährt seine größte Marketingkampagne. Drei Jahre lang hat er seine Bevölkerung auf diese Tage vorbereitet. Lächelt, Leute, lächelt. Und die Menschen lächeln und sind wirklich unglaublich hilfsbereit und höflich. Es gibt kein Entrinnen, es gibt keine Minute Ruhe, nicht im Taxi, nicht im Bus, nicht in der Hotellobby, nicht auf der Straße. Woher ich komme, ob ich hier schon mal war, ob das Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank besser organisiert sei als in anderen Ländern, wie es mir gefällt, ob man mir sonst noch helfen könnte?
Frankfurt sage ich. Es folgt eine Hymne auf die deutsche Wertarbeit. Ja, ich war hier schon mal und zwar 1997 auf einer Bondmarket-Konferenz. Oh, zehn Jahre sei lange her, da habe hier noch vieles anders ausgesehen. Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht mehr. Anyway, ich komme nicht mal dazu ein Straßenschild zu lesen, geschweige denn hier im Kongresszentrum ein Schild. Überall stehen viele nette Menschen und fragen, ob sie mir helfen können.
Für einen Tag hatte ich Hoffnung, etwas ganz Unerhörtes würde in Singapur passieren. Die armen Länder würden aufbegehren gegen die reichen G7 (USA, Japan, Deutschland, Frankreich, UK, Italien und Kanada). Sie würden den Einstieg in die IWF-Reform blockieren. Dafür brauchen sie 15 Prozent der Stimmen. Am Freitag waren die Vertreter der G7 noch unsicher, fürchteten negative Schlagzeilen. Doch bereits Samstag Nachmittag gab es Entwarnung. Die Rebellen Brasilien, Argentinien, Indien und Ägypten veröffentlichten zwar ein gemeinsames Papier, in dem sie ihre Sorge zum Ausdruck brachten, dass die „armen Länder“ auch nach der Reform unterrepräsentiert blieben. Aber selbst Argentiniens Finanzminister sagte, dass die 85-Prozent-Mehrheit nicht in Gefahr sei. Deutsche Delegationskreise rechneten mit einer Zustimmung von rund 90 Prozent. Mal sehen wie es ausgeht, die Abstimmung läuft bis Montag Mittag.
Wie grotesk die ganze Veranstaltung ist, zeigt der Blick auf die G7, die zugleich die größten Aktionäre des IWF sind. Das ist die Welt von gestern. Das ist die Welt vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion, vor dem Aufstieg Chinas und Indiens. Oder kurz: Die Welt vor den BRICs. Dabei ist China bereits heute die viertgrößte Volkswirtschaft hinter Deutschland und spätestens 2008 vor Deutschland. Indien hat im IWF mit 1,95 Prozent ein kleineres Gewicht als Belgien (2,15 Prozent). Immerhin haben die G7 am Samstag sowohl kurz mit China konferiert als auch kurz mit Russland. Welch Entgegenkommen!
Noch grotesker: Drei Eurolandstaaten sind Mitglied der G7. Aber die Welt will nicht wissen, wie es Deutschland oder Italien geht, sondern was Euroland macht. Die Wirtschaft des Landes mit einer Währung aber ohne Regierung. Das ist der Konstruktionsfehler, der auf internationaler Eben eklatant ist. Und es ist ein ganz heißes Eisen. Finanzminister Peer Steinbrück: „Ich bin dagegen, dass die Eurozone auf eine einzelne Stimme reduziert wird.“ Bundesbankpräsident Axel Weber: „Zur Zeit ist die Debatte über eine gemeinsame Eurolandstimme vollkommen verfrüht.“ Und Luxemburgs Staatschef und heimlicher Euroland-Finanzminister, alias Chef der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker: „Es gibt innerhalb der Europäischen Union eine Debatte, wie wir unsere Außenvertretung besser organisieren können. Aber eine endgültige Antwort gibt es noch nicht. Dennoch: Damit behindern wir keine Prozesse.“ Gerade der letzte Satz ist interessant, weil die ganze Welt, ganz eigensüchtig natürlich, auf dieses Manko hinweist und daraus Profite schlagen möchte.
Ja, Euroland steht unter Druck. Das hat auch Steinbrück zugegeben. Und schon sind wir mitten in der Debatte, um die Neugestaltung der Quoten, um die neue Welt besser im IWF abzubilden. Die aktuelle Quotenformel ist ein kompliziertes Ding, in das das jeweilige Bruttoinlandsprodukt (BIP) eingeht, die Höhe der Devisenreserven und die Offenheit des Landes gemessen an Leistungsbilanzgrößen. Nach dieser Quotenformel hätte Amerika heute theoretisch knapp 17 Prozent, hat aber – weil es lange Zeit keine Anpassung gab, gut 17 Prozent. Die Eurozone (Deutschland) hat 23 (6) Prozent, hätte, richtig gerechnet, fast 28 (7)Prozent. Wie auch immer die Diskussion um die neue Formel ausgehen wird, eines ist sicher: Am Ende wird Amerika 17 Prozent der Stimmen bekommen. Damit hat es, wie bislang ein Veto (da eine 85-Prozent-Mehrheit erforderlich ist). Weniger ist für die Weltmacht inakzeptabel, mehr unerwünscht. Denn die Quoten müssen mit Kapital unterlegt werden. Und deshalb müsste der amerikanische Kongress neue Gelder für so etwas Multilaterales wie den IWF genehmigen. Das ist politisch kaum durchzusetzen, heißt es auf den Fluren in Singapur.
Doch Amerika setzt sich dafür ein, dass es rechnerisch mehr Gewicht bekommt. Es schlägt vor, nur das Bruttoinlandsprodukt als Referenz zu verwenden – und flugs hätten die USA ein Gewicht von knapp 30 Prozent. Dann könnten sie großzügig 13 Prozentpunkte an die ehemaligen Entwicklungsländer abgeben, nicht ohne Euroland aufzufordern, es ihnen gleich zu tun.
Au, das tut natürlich weh. Und deshalb fordert vor allem die deutsche Delegation eine Formel, die die Offenheit der Länder stark gewichtet und kontert den amerikanischen Vorschlag, vor allem aufs BIP zu setzen.
Wie auch immer, für Deutschland, den drittgrößten Aktionär des IWF sieht es nicht schön aus. Innerhalb Eurolands kämpfen die Deutschen gegen die einheitliche Euroland-Stimme, innerhalb des IWF kämpfen sie gegen Amerikas Quotenformel. Ihre Rache: So laut wie kein anderes Land fordert die Bundesbank den IWF auf, zunächst einmal Reformen im eigenen Laden einzuleiten, bevor er sich neue Aufgaben suche. Sozusagen ein Bottom-up-Ansatz im Gegensatz zum Top-down, den IWF-Chef Rato vorschlägt.
Interessant sind last but not least die wenigen Aspekte, die von allen Delegationen fast gleichlautend vertreten worden sind. Da ist erstens das neue Risiko für die Weltwirtschaft, genannt Protektionismus. Mit Verve haben die Finanzminister Gordon Brown (UK), Hank Paulson (USA), Peer Steinbrück (Deutschland) und Jean-Claude Juncker (Euroland) die Bedeutung des Freihandels für die Globalisierung klar gemacht und versprochen sich dafür einzusetzen, dass die Doha-Runde wieder in Schwung kommt. Zweitens die Betonung ansteigender Inflationserwartungen in einigen Ländern und die Betonung der Vigilance. Und drittens die mit Inbrunst vorgetragene Überzeugung, dass das Rebalancing der Weltwirtschaft auf gutem Weg sei. Vor allem die Rückkehr der heimischen Nachfrage in Euroland stimme froh. Das Wachstum in Amerika werde sich zwar abschwächen, dafür werde aber Asien weiter kräftig wachsen, Euroland entlang des Potenzials und Japan habe sich von der Nullzinspolitik verabschiedet.
Hoffen wir, dass die geballte Weitsicht der Finanzminister und Notenbanker nicht trügt.