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Immer noch 5,15 Millionen Unterbeschäftigte in Deutschland

 

Kürzlich war im Figaro unter der Überschrift „La France, ce beau pays aux 6 millions de chomeurs officiels“ ein Kommentar zur Lage am französischen Arbeitsmarkt zu lesen. Nicht 3,424 Millionen Menschen, wie gerade offiziell verlautbart, sondern sechs Millionen seien in Wirklichkeit im „schönen Frankreich“ ohne Arbeit. Bei den Arbeitsämtern, den pôles d’emploi, waren Ende Juli nämlich tatsächlich 6,0802 Millionen Menschen gemeldet, von denen aber 2,6 Millionen aus unterschiedlichen Gründen nicht bei der Berechnung der offiziellen Arbeitslosenquote berücksichtigt werden, obwohl sie de facto arbeitssuchend seien. Die wahre Arbeitslosenquote in Frankreich läge daher nicht bei 10,2 Prozent, sondern bei 18,1. Wie sieht es in Deutschland aus? Hier wurden im August offiziell 2,9 Millionen Arbeitslose gezählt, was einer Arbeitslosenquote von 6,7 Prozent entspricht – so niedrig wie nie zuvor seit der Wiedervereinigung. Zusammen mit dem stetigen Anstieg der Beschäftigung könnte man zum Schluss kommen, es sei alles bestens am deutschen Arbeitsmarkt. Aber auch in der größten Volkswirtschaft der Währungsunion trügt der Schein der offiziellen Zahlen. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass mindestens 5,15 Millionen Menschen in Deutschland unterbeschäftigt sind, was einer Quote von 11,9 Prozent entspricht.

Grafik: Unterbeschäftigung in Deutschland

Wie komme ich auf die Zahl von 5,15 Millionen? Die öffentliche Diskussion wird von der Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen beherrscht, die die Bundesagentur für Arbeit jeden Monat veröffentlicht. Zuletzt waren das, wie gesagt, 2,9 Millionen. Hier wird häufig, wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht kritisiert, dass diese Zahl geschönt oder politisch manipuliert sei, weil nach bestimmten Kriterien eigentlich Arbeitssuchende aus der Statistik heraus gerechnet werden und die Zahl der Herausgerechneten durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen beeinflusst werden kann. Erstaunlich ist es dann allerdings, dass eine andere statistische Größe, die ebenfalls von der Bundesagentur veröffentlicht wird, nicht mehr Aufmerksamkeit erlangt – nämlich die sogenannte „Unterbeschäftigung„. Nach der Definition der BA zählen zur Unterbeschäftigung die „offiziellen“ Arbeitslosen plus eben all jene dort nicht berücksichtigten Arbeitslosen, die grob gesprochen in irgendwelchen Fördermaßnahmen stecken oder vorübergehend nicht arbeitsfähig sind. Das waren zuletzt rund 0,9 Millionen Menschen.

„Offiziell“ unterbeschäftigt sind damit schon 3,8 Millionen Menschen. Allerdings muss man nicht unbedingt arbeitslos sein, um auch unterbeschäftigt zu sein. Eine potentielle Gruppe Unterbeschäftigter sind die sogenannten 450-Euro-Jobber, genauer diejenigen, die ausschließlich einer Beschäftigung nachgehen, bei der sie im Monat nicht mehr als 450 Euro verdienen. Im offiziellen Sprachgebrauch werden sie als ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte bezeichnet. Sie machen rund 97 Prozent der ausschließlich geringfügig Beschäftigten aus und arbeiten im Durchschnitt weniger als 10 Stunden pro Woche. Nach einer Studie des Statistischen Bundesamtes, die sich auf eine statistische Erhebung aus dem Jahr 2010 bezieht, wollen davon jedoch rund 27 Prozent mehr arbeiten und stehen dem Arbeitsmarkt auch zur Verfügung. Wenn man unterstellt, dass sich an diesem Prozentsatz nichts geändert hat, sind von den rund fünf Millionen Menschen, die zurzeit nur einen Minijob haben, 1,35 Millionen unterbeschäftigt. Zusammen mit den offiziell Unterbeschäftigten macht das 5,15 Millionen Menschen, die mehr arbeiten wollen, aber die entsprechende Nachfrage fehlt. Hierbei handelt es sich allerdings nur um eine Untergrenze, denn nicht erfasst sind diejenigen, die sich ganz vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben, also weder Arbeitslos gemeldet sind, noch einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, aber dennoch einen Job annehmen würden, wenn sich eine passende Gelegenheit böte.

Grafik: Beschäftigung in Deutschland

Dabei ist von 1993 bis heute die Anzahl der Beschäftigten jährlich um durchschnittlich 0,6 Prozent gestiegen. Kaum ein anderes reiches Land war in dieser Hinsicht erfolgreicher. Wie die obige Grafik zeigt, wurde das aber teilweise „erkauft“ durch den ständigen Rückgang der Arbeitszeit pro Kopf: mehr Jobs, aber immer kürzere Arbeitszeit. Das muss nicht schlecht sein, weil es in einer wohlhabenden Gesellschaft viele Menschen gibt, die statt mehr zu verdienen lieber etwas mehr Freizeit haben möchten. Für die Wenigsten ist Arbeit etwas, von dem sie gar nicht genug haben können. Aber es reflektiert eben auch, und wohl vor allem, dass die Anzahl regulärer Vollzeitjobs zurückgeht und es Millionen von Menschen gibt, denen es finanziell sehr schlecht geht und die daher keineswegs freiwillig zu Hause bleiben oder sich mit Kurzzeitjobs zufrieden geben.

Die Hauptprobleme bestehen darin, dass der Staat eine massiv pro-zyklische Finanzpolitik betreibt – Budgetüberschüsse von ein Prozent des BIP in einer Zeit, in der die Kapazitäten dramatisch unterausgelastet sind –, und dass sich die weniger gut qualifizierten Arbeitnehmer in Firmen, die internationalem Wettbewerb ausgesetzt sind, in einer prekären Situation befinden: Die Arbeitgeber können immer damit drohen, dass sie die Produktion ins billigere Ausland verlagern werden, vor allem die arbeitsintensive. Das eine ist ein konjunkturelles Problem, das andere ein strukturelles. Beide müssen dringend gelöst werden.