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Die Zinswende ist da

 

Am 22. September ist es passiert. Erstmals, seit es Aufzeichnungen darüber gibt, sank die zehnjährige Rendite einer deutschen Staatsanleihe für Sekunden unter drei Prozent. Ich glaube, das war die Zinswende. Bis September hatte ich mich im Deflationistencamp aufgehalten. Und vier Jahre in Folge weiter sinkenden Zinsen das Wort geredet. Was lässt mich an die Wende glauben? Zwei Dinge.

Erstens war ich erstaunt, als ich Ende September einen Artikel über das Zinsrätsel schrieb, wie viele Banken plötzlich auf fallende Zinsen setzten. Fühlte ich mich mit meiner Position bislang in der Minderheit, war ich im Mainstream gelandet. Nicht, dass das auf jeden Fall zu einem Meinungswechsel führt. Aber Contrarian, der ich nun mal gerne bin, hat mich das auf jeden Fall stutzig gemacht. Die großen Häuser, die seit Jahren das Deflationsthema hochhalten, sind, soweit ich das übersehen kann, eindeutig die großartigen Dresdner Kleinwort Wassertsteins mit ihrem Eiszeitszenario und Lehman Brothers. Die haben das schon in den 90er Jahren als Megathema entdeckt. Steven Roach von Morgan Stanley, die größte Klappe der Wall Street, wechselte in den letzten Jahren mehrmals die Lager. Unter den deutschen Volkswirten ist mir ehrlich gesagt nur Dieter Wermuth in Diensten der japanischen Großbank UFJ aufgefallen, der verlässlich weiter fallende Zinsen über die vergangenen Jahre erwartet hat. Doch im September trug selbst der stramm monetaristisch denkende Chefvolkswirt der HypoVereinsbank, Jörg Krämer, das Banner fallender Zinsen, obwohl er in der selben Analyse von spekulativen Blasen am Rentenmarkt schrieb. Krämer hat selbst in der Rezession die Notenbankzinsen der EZB für zu niedrig gehalten und jahrelang die Entwicklung am Rentenmarkt als übertrieben erklärt. Dass ein so klar positionierter Volkswirt das Lager wechselt und viele gute Gründe für Zehnjahresrenditen weit unterhalb drei Prozent aufzählen kann, riecht nach Kapitulation. Die Herde rennt – in die falsche Richtung.

Zweitens war und bin ich überrascht von der robusten US-Wirtschaft, die nach meinen bescheidenen Analysen schon x-mal hätte kollabieren müssen. Sie tut es einfach nicht. Dazu kommt, dass die Weltkonjunktur an Breite gewinnt. Japan und Deutschland, immerhin die Nummer zwei und drei der Weltwirtschaft, haben wohl das Schlimmste hinter sich und können nun wieder ziehen, sprich in eine Art Lokomotivenfunktion vorrücken. Die BRIC`s von Jim O’Neill, einer meiner Lieblingschefvolkswirte, tun das ihrige: sie wachsen. BRIC nennt Jim, der das globale Research von Goldman Sachs leitet, die globalen Wachstumszentren Brasilien, Russland, Indien und China. Wenn meine Wette, dass Deutschland nächstes Jahr um zwei Prozent wächst, richtig sein soll, kann ich nicht mehr der Deflation das Wort reden.

Aber keine Panik. Ich erwarte keinen Ausverkauf am Rentenmarkt. Dafür müsste es Inflationsgefahren geben. Doch davon ist Euroland und speziell Deutschland, das am globalen Finanzmarkt als pars pro toto für Euroland genommen wird, nun noch wirklich weit entfernt. Erst wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland/Euroland sich der sechs Prozent Marke nähert, sollten wir uns ernsthaft über Inflation unterhalten. Bis dahin gilt die Wette: Unter drei Prozent fallen die Zehnjahreszinsen nimmer. Alles über 4 Prozent sollten Kaufkurse sein.