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Hemmt TTIP Innovationen?

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Die EU-Kommission und die Bundesregierung prognostizieren der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) nur einen bescheidenen Wachstumseffekt. Dabei ist ein Treiber des wirtschaftlichen Wachstums noch gar nicht hinreichend in die Betrachtung einbezogen worden: der technische Fortschritt oder die Innovationsfähigkeit einer Ökonomie. In der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsdienst beleuchten Carsten Dreher und Carsten Schwäbe von der FU Berlin (Lst für Innovationsmanagement) diesen Aspekt aus der Perspektive der evolutorischen Innovationsökonomik.

Hierbei wird die wirtschaftliche Entwicklung als eine Vielzahl dynamischer Prozesse verstanden, die aus sich heraus unter sich ebenfalls ändernden Bedingungen für einen ständigen Wandel sorgen, ohne dabei einem optimalen Gleichgewicht zuzustreben. Dabei spielen Unsicherheit, Heterogenität, Institutionen, Innovationen, Pfadabhängigkeiten und Netzwerkeffekte, aber auch das politische System eine entscheidende Rolle.

Der die regulatorischen Rahmenbedingungen setzende Staat kann aus dieser Perspektive nicht der neutrale Akteur sein, der lediglich ordnungspolitisch für einen funktionierten Wettbewerb sorgt, über den dann der optimale Pfad bestimmt wird, den die ökonomische Entwicklung einschlägt, sondern alleine schon durch das Setzen von Normen, Institutionen und Standards nimmt der Staat Einfluss darauf, welche möglichen Pfade eher beschritten werden, oder nicht beschritten werden, oder welche Technologien sich eher am Markt durchsetzen oder nicht. „Regulatorische Maßnahmen haben auf diese Weise nicht nur eine wettbewerbspolitische, sondern auch eine innovationspolitische Funktion“, so Dreher und Schwäbe. Das Augenmerk liegt dabei auf der dynamischen Effizienz der Wirtschaft, dass heißt der Fähigkeit innovativ zu sein und die Fähigkeit Effizienzgewinne durch das Wechseln in neue Pfade auch zu realisieren. „Regulatorische Maßnahmen stellen aus Sicht der evolutorischen Innovationsökonomik somit eine wichtige Voraussetzung dafür dar, dass alternative technologische Trajektorien sich etablieren können.“

Die Verhandlungspartner von TTIP haben sich zum Ziel gesetzt, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Dafür ist es erforderlich, dass sich EU und USA auf gemeinsame Standards einigen. Gleichzeitig sichert die EU Kommission zu, dass die nationalen Gesetzgeber weiterhin neue regulatorische Gesetze erlassen können. Dreher und Schwäbe sehen darin einen Widerspruch, den sie wie folgt kommentieren: „Entweder TTIP hält nicht, was es verspricht und wird als Abkommen nur die Bereiche umfassen, bei denen eine Angleichung oder gegenseitige Anerkennung von Standards unproblematisch ist. Oder TTIP wirkt als völkerrechtlicher Vertrag tatsächlich auf die Regulierung ein, indem nationalstaatliche Parlamente nun nicht mehr in einzelnen Bereichen von dem in TTIP gemeinsam beschlossenen Verhandlungsergebnis abweichen können.“

Als umfassendes Abkommen würde mit TTIP das Setzen von Standards als innovationspolitisches Instrument mehr oder weniger aus der Hand gegeben, da, wie schon jetzt der schwierige Verhandlungsprozess deutlich macht, spätere substanzielle Änderungen eher unwahrscheinlich sind und die Partner sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen werden. Innovationspolitik, die neue Wachstumszyklen ermöglicht, ist dann wohl nicht umsetzbar.

Werden aber Standards nicht verändert und nur einfach gegenseitig anerkannt, würde deren Lenkungsfunktion gleichfalls ausgehebelt, denn „[w]enn sich Unternehmen […] tatsächlich aussuchen können, welche regulatorischen Standards sie auf sich anwenden lassen wollen, so werden stets jene gewählt werden, die weniger strikt und mit weniger Kosten verbunden sind.“

Ebenso problematisch wie die Wirkung auf das Setzen von Standards wäre aus innovationspolitischer Sicht, dass im Rahmen von TTIP bisher keine effektiven Kontrollmechanismen zur Durchsetzung gemeinsamer Standards diskutiert werden. Auch das geplante Investitionsschutzabkommen Investor-State Dispute Settlement (ISDS) sei kritisch zu sehen, da es die Gefahr birgt, „dass staatliche Regulierung nicht nur statisch und schwierig veränderbar bleibt, sondern sogar nationale Regulierung für Innovationen durch Urteile im Rahmen des Investitionsschutzes faktisch unwirksam gemacht wird.“

Auch wenn ein fundiertes Urteil erst möglich ist, wenn die finale Fassung von TTIP vorliegt, besteht nach Auffassung der Autoren „die reale Gefahr, dass das innovationspolitische Instrument der Regulierung zur Generierung innovationsbasierten Wirtschaftswachstums nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zur Verfügung steht.“ Was fehle sei eine demokratisch legitimierte institutionelle Struktur, „die politische Entscheidungen wie die Setzung neuer Standards für die gesamte Zone weiterhin ermöglicht.“ Von daher kommen die Autoren zum Schluss, dass „[i]n solchen Bereichen, in denen unterschiedliche regulatorische Präferenzen oder Innovationsstrategien vorliegen und keine Einigung möglich erscheint, TTIP keine Harmonisierung oder Angleichung der Standards erzwingen [sollte], da sonst innovationspolitischer Handlungsspielraum […] verlorengeht.“

Lesen Sie ausführlich dazu den Beitrag aus der Mai-Ausgabe des Wirtschaftsdienst:

Carsten Dreher, Carsten Schwäbe: Gefährdet TTIP die ökonomische Zukunftsfähigkeit? – Eine Analyse aus Sicht der evolutorischen Innovationsökonomik, in: Wirtschaftsdienst 05/2016