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Erholung auf niedrigem Niveau

 

Wenn ich mir die jüngsten Daten zur deutschen Konjunktur so ansehe, komme auch ich bei aller Skepsis zu dem Schluss, dass das Schlimmste wohl hinter uns liegt. Die inländische Nachfrage hat vermutlich im jetzigen dritten Quartal zügig zugenommen, nachdem die Lagerbestände im vorigen Quartal stark abgebaut worden waren. Die Beschäftigung hält sich entgegen allen Prognosen bislang erstaunlich gut, die Realeinkommen der Haushalte haben sich deswegen – und weil sich die Terms of Trade nach wie vor kräftig verbessern – stabilisiert, und in wichtigen Abnehmerländern ist die Nachfrage angesprungen.

Terms of Trade - Deutschland (gg. Vj.)
Verfüg. Einkommen der HH und Konsumausgaben

Anders als in den USA, in Großbritannien oder Spanien sind die Haushalte in der Summe nicht überschuldet, der konservativen Vergabepolitik der kreditgebenden Banken sei Dank. Das „deleveraging“, der forcierte Abbau von Schulden nach dem Platzen einer Immobilienblase, ist hierzulande kein Thema, weil sich die Immobilienpreise weder früher noch heute viel bewegt haben. Während die amerikanischen Verbraucher finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen und sparen müssen, was das Zeug hält, nachdem sie jahrelang geglaubt hatten, dass steigende Hauspreise und Aktienkurse einen Konsumverzicht unnötig machen, was zu einer Sparquote in der Nähe von Null geführt hatte, bewegt sich die deutsche Sparquote seit fast zwei Jahren auf dem komfortablen Niveau von rund 11 Prozent. Die Haushalte haben noch Reserven.

Ob die Rezession tatsächlich schon vorbei ist, steht auf einem anderen Blatt. Im Vorjahresvergleich lagen wir beim realen BIP im zweiten Quartal noch bei -5,9 Prozent. Als ich noch beim Sachverständigenrat war, galt eine Rezession als dann beendet, wenn diese Wachstumsrate wieder positiv war. Davon kann bis auf Weiteres keine Rede sein. Wenn alles nach Plan läuft, werden wir im ersten Quartal 2010 dahin kommen. Aber auch dann wird die Outputlücke, die Differenz zwischen dem was aktuell produziert wird und dem, was bei Normalauslastung produziert werden könnte, gewaltig sein, vielleicht in der Größenordnung von 6 Prozent. In der Industrie dürfte die Lücke gegenwärtig etwa 22 Prozent betragen, eine geradezu atemberaubende Zahl.

Wachstum des Bruttoinlandsprodukts

Dass die Arbeitslosigkeit angesichts dieser Zahlen nicht geradezu explodiert ist, grenzt fast an ein Wunder. Der Puffer waren vor allem die durchschnittlichen Arbeitsstunden je Kopf, die – freiwillig oder unfreiwillig – kräftig zurückgefahren wurden. Die Beschäftigung sinkt daher erst seit November vergangenen Jahres, wobei der Rückgang im internationalen Vergleich bislang äußerst moderat war (annualisierte Rate von -0,7 Prozent). Ähnlich die Arbeitslosenquote: sie hatte sich im vorangegangenen Aufschwung von über 11 Prozent auf 7,6 Prozent im letzten November vermindert und ist seither nur auf 8,3 Prozent gestiegen. Das haben wir nur selten, wenn überhaupt, erlebt: ein tiefe Rezession ohne Arbeitslosigkeit (und jetzt könnte es schon bald wieder besser werden). Man muss das nur mal mit den amerikanischen Zahlen vergleichen! Die angeblichen Strukturprobleme am Arbeitsmarkt sind in einer Rezession offenbar eher Strukturvorteile. Oder kommt das dicke Ende noch?

Beschäftigungsentwicklung in DE und USA seit 1998

Die Kapazitätsauslastung ist die wichtigste Determinante der Inflation – ist sie hoch, lassen sich Preise und Löhne leicht erhöhen, ist sie, so wie jetzt und auf absehbare Zeit, sehr niedrig, kommt es zu Preiskämpfen und moderaten Lohnsteigerungen. Im August haben die Verbraucherpreise kräftig zugenommen und man könnte das, wie manche Analysten, als Auftakt für eine neue Inflationsrunde sehen. Ich halte das für sehr übertrieben. In der Pipeline steckt nämlich noch eine ganze Menge an Deflation: Die Einfuhrpreise lagen im Juli um 12,3 Prozent unter ihrem Vorjahreswert, die industriellen Erzeugerpreise um 7,7 Prozent. Trotz des neuerlichen Anstiegs der Rohstoffpreise in diesem Jahr, sind die beiden Preisindices Monat für Monat saisonbereinigt weiter gesunken. Der einzige Störfaktor waren bisher die sogenannten Lohnstückkosten: Zum einen waren die Löhne trotz der schwächeren Konjunktur bis zum Jahreswechsel erstaunlich stark gestiegen – weil sie als nachlaufende Indikatoren gelten, war das vielleicht doch nicht so erstaunlich -, zum anderen wurde der Input an Arbeit auch nicht annähernd so zurückgefahren wie die Produktion gesunken war. Die Unternehmen hofften offenbar auf bessere Zeiten. Inzwischen steigen die Löhne nicht mehr und die Beschäftigung sinkt, so dass auch von dieser Seite, was die Inflationsaussichten angeht, Entwarnung gegeben werden kann.

Lohnstückkosten und Produktivität in der Gesamtwirtschaft

Die Unternehmen sind zuletzt immer optimistischer geworden. Das zeigen jedenfalls die verschiedenen Umfragen. Nach Ifo nähern sich die Erwartungen bereits wieder ihren Normalwerten. Nur die Lage ist nach wie vor schlecht. Das reflektiert, was sich in den Orderbüchern der Unternehmen und bei den Gewinnen tut. Die realen Auftragseingänge haben sich im Verarbeitenden Gewerbe zwar in den letzten Monaten erholt – zwischen dem ersten und zweiten Quartal mit einer Verlaufsrate von 27 Prozent, die ausländischen sogar mit einer von 40,2 Prozent -, trotzdem lagen sie (in Q2) immer noch um 28,5 Prozent unter ihrem Vorjahreswert. „Katastrophal schlecht“ wäre die angemessene Beschreibung.

Ifo Geschäftsklima - August 2009
Auftragseingang in der Industrie

Dito die Gewinne. Im zweiten Quartal waren die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um 20,4 Prozent niedriger als vor Jahresfrist; für die Gewinne im engeren Sinne gibt es keine aktuellen Zahlen, es ist aber sicher, dass sie angesichts der Explosion der Lohnstückkosten noch weit stärker gefallen sind. Erfreulich, dass sich die Unternehmer dadurch nicht abschrecken lassen.

Unternehmens- und Vermögenseinkommen - 09Q2

Die funktionale Einkommensverteilung hat sich, da wir schon mal bei diesem Thema sind, kräftig zugunsten der Arbeitnehmereinkommen verbessert. Vom dritten Quartal 2000 bis zum vierten Quartal 2007 war das Arbeitnehmereinkommen um durchschnittlich 1,0 Prozent im Jahr gestiegen, war also real, nach Abzug der Inflationsrate, gesunken, während die übrigen Komponenten des Volkseinkommens, also insbesondere die Gewinne, um jährlich 7,3 Prozent zugelegt hatten. Das hatte dazu geführt, dass die Lohnquote von 72,9 auf 63,5 Prozent abgestürzt war, auf einen Wert wie zuletzt in den fünfziger Jahren. Inzwischen ist die Lohnquote, wie das in Jahren schwacher Konjunktur üblich ist, kräftig gestiegen und hat im zweiten Quartal 69,5 Prozent erreicht. Das wird wohl nicht das letzte Wort gewesen sein.

Die zarte Pflanze Aufschwung, soweit man davon sprechen kann, wird bislang vom Konsum und den Staatsausgaben getragen. Dass die Investitionen schon bald wieder anspringen werden, ist jedenfalls nicht abzusehen. Neuerdings hat auch der Außenhandel wieder zum Wachstum beigetragen. Es ist nur zu wünschen, dass der Wechselkurs des Euro nicht zu sehr aufwertet. Dass er sich angesichts der deutlichen Verschlechterung der europäischen und der ebenso deutlichen Verbesserung der amerikanischen Leistungsbilanz so gut hält, und sogar aufwertet, ist eines der Rätsel in diesen Tagen. Vermutlich sind einfach zu viele Dollars im Umlauf, und das Gelddrucken hat in den USA ganz andere Dimensionen erreicht als im Euroraum. Billig ist, wovon es viel gibt.

Wachstumsbeiträge zum realen BIP

Insgesamt steht der Aufschwung noch auf wackligen Beinen. Es wird der EZB nichts anderes übrig bleiben, als weiter Gas zu geben. Wie die rückläufigen Zahlen der Kreditvergabe zeigen, ist der Funke trotz rekordniedriger Zinsen und großzügigster Liquiditätsbereitstellung noch nicht übergesprungen. Die Banken machen nicht mit – sie haben nach wie vor Probleme mit ihren Bilanzrelationen. Wenn die Kredite nicht anspringen, wird es keinen dauerhaften Aufschwung geben. Dann drohen japanische Verhältnisse. Die Notenbankzinsen werden zwangsläufig niedrig bleiben und es ist verfrüht, jetzt schon wieder über Ausstiegsstrategien nachzudenken.