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Amerikanisches Krisentagebuch (1)

(Ein paar lose Beobachtungen aus Begegnungen hier in Harvard, Boston und Los Angeles – ohne Anspruch auf ein umfassendes Bild.)

Liz, Managerin eines Autoverleihs in Roslindale (Süd-Boston): „Sarah Palin ist eine sympathische Person, und ich würde sie gerne mal auf einen Kaffee treffen. Aber was sie über Klimawandel und Aussenpolitik sagt, erschreckt mich (freaks me out). Ich sollte dazu sagen, dass ich eine registrierte Demokratin bin.“

Hier stellt sich jeder sofort mit seiner Parteizugehörigkeit vor. Man bekennt sich zu seinen Präferenzen und gesteht offen ein, wenn man wählt. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber mir erscheint es letztlich als ein Zeichen demokratischer Vitalität. Auch Republikaner bekennen sich freimütig, selbst in einer Minderheitensituation wie hier in Harvard (und in Massachussets). Einer der Dozenten machte sich kürzlich den Spaß, nach dem Wahlverhalten der Studenten zu fragen. Ein einzelner meldete sich zaghaft, er habe schon einmal republiknaische gewählt. „Okay, das können wir als Diversität durchgehen lassen“, scherzte der Professor.

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Kürzlich, nach einem Dinner in der Kennedy School of Government, spricht ein älterer Herr mit eindrucksvollem grauen Haarschopf in der anschließenden Debatte über „Die Rassenfrage und die Wahl“. Er sieht Michael Dukakis verdammt ähnlich, dem Kandidaten der Demokraten von 1988, der dem älteren Bush unterlag. An den Antworten auf seine Rede („Thank you, Governor…“) erkenne ich: Es ist Michael Dukakis. Er regt sich fürchterlich über die negativen TV-Spots auf, mit denen Obama als Terroristenfreund gebrandmarkt werden soll. „Das ist schlimmer als die Willie-Horton-Geschichte“, schimpft er. Die Anwesenden sind zwar meistenteils auch entsetzt über die Angriffe, widersprechen dem gebrannten Kind Dukakis aber höflich: Niemand glaubt, dass diesmal die Strategie der Charakter-Angriffe aufgehen wird. Die Lage ist einfach zu ernst dafür.

„When your house is burning down, and everybody is running around with their hair on fire, you don’t want to see the firemen yelling at each other“, so sagt es ein republikanischer Walhkampfstratege.

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Peter ist  Anwalt in L.A., und war zu Reagans Zeiten stark bei den Republikanern engagiert. Er ist von McCain sehr überzeugt. Wir unterhalten uns angeregt über das europäische Interesse an der Wahl. Er fragt mich, wie ich mir die Riesenmenge von 200.000 Menschen erkläre, die in Berlin Obama sehen wollte: „Das sind doch antiamerikanische Reflexe, die so viele Menschen da hintreiben!“

Ich stutze, aber er meint das wirklich ernst. Ich versuche zu erklären, dass die Mehrheit dort nach meinem Dafürhalten eher von einer Sehnsucht nach einer guten amerikanischen Führung in der Welt getrieben ist. Vielleicht ist dieser Wunsch teilweise naiv, aber mit Sicherheit nicht antiamerikanisch. Nach acht Jahren Bush will man ein Amerika zurückhaben, zu dem man wieder aufsehen kann.  Peter nickt höflich – überzeugt habe ich ihn nicht.

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In einer Debatte an der Kennedy School über den Wahlkampf sagt ein Student: „Kann es nicht sein, dass viele von uns Obama als Schwarzen im Weissen Haus sehen wollen, damit wir endlich wieder stolz auf unser Land sein können?“ Er ist selbst ein Weisser. Die vielen anwesenden Schwarzen kommentieren das nicht. Aber ich meine bei einigen zu sehen, dass sie diese Perspektive überrascht. Aus Gesprächen weiss ich, dass viele schwarze Studenten sehr vorsichtig sind: Sie haben Angst, dass ihre Erwartungen, einer von ihnen könnte es schaffen, enttäuscht werden könnten. Dass es weisse Amerikaner stolz machen könnte, der Welt einen  Schwarzen als Präsidenten zu präsentieren, ist (noch) ein Schritt zuviel für sie.

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Der Pastor  meiner Gemeinde, bei der ich für die Zeit meines Stipendiums kirchlichen Unterschlupf gefunden habe – Donald Larsen von der University Lutheran Church -, hat mich zum Bier eingeladen. Natürlich geht es irgendwann auch um den Wahlkampf. Pastor Larsen macht sich Sorgen wegen Sarah Palin, deren Auftritte er als rufschädigend für das evangelische Christentum empfindet. (Sie wird nun einmal damit indentifiziert, auch wenn sie eine Evangelikale vom äußersten Rand ist.) Er kann ihren Relativismus im Bezug auf Evolutionslehre und Schöpfungsgeschichte nicht gutheißen. (Sie meint ja, man könne in Schulen beides gleichbehandeln, als seien es zwei konkurrierende wissenschaftliche Theorien.) Gläubige Christen werden so öffentlich als Hinterwäldler repräsentiert, die den Wahrheitsanspruch der  Naturwissenschaft nicht von dem der Bibel unterscheiden können. Palins Aussagen zum Klimawandel entsetzen ihn, weil er die Bewahrung der Schöpfung als christliche Pflicht empfindet. „Es gibt eine Form des amerikanischen Christentums“, sagt er, „die auftrumpfende Selbstgewißheit (certitude) als christliche Tugend empfindet. Wir hatten das schon bei George W. Bush., und nun erleben wir es wieder. Das ist aber mit meinem Christentum nicht vereinbar. Mir ist als Mensch aufgegeben, die Wahrheit  zu suchen. Und mir ist durch Jesus zugesprochen, dass ich der Wahrheit teilhaftig werden kann. Über sie hier und jetzt in absoluter Gewißheit verfügen kann ich nicht.“ (Was Obama in der Kirche des schrillen Pastors Wright gefunden hat – und wie er es dort lange ausgehalten hat, wüßte man allerdings auch gern. Wer in UniLU den klugen Pastoren Larsen und Engquist zuhört, der muss sich über manche Ausprägungen der amerikanischen Religion noch mehr wundern.)

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Eine Debatte über den Kandidaten Obama – wieder an der Kennedy School – als „das Ende schwarzer Politik“: Es gibt eine Reihe von engagierten Schwarzen, viele aus der Bürgerrechtsbewegung der Sechziger, die eine Obama-Präsidentschaft mit gemischten Gefühlen sehen. Obama hat keine (oder kaum) Diskriminierungserfahrung. Er stammt nicht aus einer Familie, die Sklaverei gekannt hat. Er ist eigentlich nur von Weißen geprägt worden in seinem Familienkreis. Er lehnt schwarze „Identitätspolitik“ ab, weil er sie für eine Sackgasse hält. Vor allem ältere Beteiligte finden das problematisch. (Jüngere sehen eben darin die Chance auf wirklichen Wandel.)

Und dann sagt einer: „Wenn er es nicht schafft, wird das ein Riesen-Rückschlag für uns. Und wenn er es schafft, wird es heißen: Die Rassenfrage ist erledigt, jetzt lasst uns endlich in Ruhe. Und dann wird uns niemand mehr zuhören, wenn wir auf die Gegenwart von Diskriminierung verweisen! Amerika wird sich auf die Schultern klopfen und in Selbstzufriedenheit versinken.“

Dafür gibt es derzeit allerdings wegen der Finanzkrise, die längst eine allgemeine Gesellschafts- und Selbstvertrauenskrise des amerikanischen Modells ist, keine Anzeichen. Eher im Gegenteil: Amerikas Optimismus, Amerikas Dynamik scheinen schwer angeschlagen. Es mag unvermeidlich sein, schön ist das nicht.

(Wird fortgesetzt.)

 

Indianischer Sommer in Neuengland

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Harvard Yard letzte Woche

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Wellfleet, Cape Cod, am letzten Sonntag

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Boston Skyline, von der Longfellow Bridge gesehen  (Fotos J. Lau)

 

Obama is a decent person

(Mein Post von vorgestern ist von Ron Argentati ins Englische übersetzt worden. Thanks, Ron.)

11 October 2008

John McCain played this disastrous game for too long a time and now he’s forced to confront his own supporters. That’s the honorable thing to do and it befits his maverick image.

Germany – Die Zeit – Original Article (German)

After almost daily attacks on Barack Obama, mainly by Sarah Palin, John McCain has slammed on the brakes. On Friday, he said in a townhall meeting with supporters that Barack Obama was “a decent person and a person that you do not have to be scared of as president of the United States.”

With that, John McCain gave proof of his own decency. After the attacks of recent days when Obama was accused of “palling around” with terrorists, people were beginning to wonder about McCain.

This nasty attack style, introduced by McCain’s new campaign manager, Steve Schmidt, didn’t exactly arrive at an opportune moment. Weiter„Obama is a decent person“

 

Dreckswahlkampf funktioniert nicht (mehr)

An diesem Wahlkampf ist vieles ungewöhnlich – von den beiden Kandidaten angefangen bis zu den besonderen Umständen. Darum scheint sich hier auch ein ehernes Gesetz der US-Wahlen zu brechen: Dass der Oktober dreckig wird, und dass der Ruchloseste dabei gewinnt – so wie etwa George H. W. Bush gegen Michael Dukakis, oder auch George W. Bush erst gegen McCain und dann gegen Gore und Kerry.
Wir stehen nun am Ende einer Woche voller Charakter-Attacken auf Obama – und was hat es gebracht? Obama liegt erstmals landesweit über 50 Prozent:

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Und daraus folgt dann McCains Wende. Sie könnte auch etwas damit zu tun haben, dass er selber schon einmal – vom jetzigen Präsidenten Bush – auf das Fieseste ausgetrickst worden ist (siehe Link oben).
Weil seine Adoptivtochter Bridget (ein Waisenkind aus Mutter Theresas Einrichtung) aus Bangladesch stammt und dunkler Hautfarbe ist, dachte seinerzeit die Bush-Kampagne, man könne im Süden den Wählern suggerieren, McCain habe ein uneheliches schwarzes Kind. Es wurden tatsächlich Umfragen durchgeführt, ob der Senator mehr oder weniger Chancen haben würde, wenn bekannt würde, dass er ein „illegitimes“ Kind mit einer Schwarzen hat. Diese Umfragen dienten dazu, das Gerücht erst in die Welt zu setzen. Jeman, der solches erlebt hat – von den eigenen Parteifreunden – kann vielleicht nicht damit leben, dass die eigene Kampagne in die gleiche Richtung entgleitet.

 

McCain: Obama ist ein anständiger Mann

Nach tagelangen Attacken vor allem von seiten Sarah Palins auf Barack Obama zieht John McCain die Notbremse: Am Freitag sagte er bei einem Townhall-Meeting mit Anhängern: „Obama ist ein anständiger Mann, vor dem Sie als Präsident keine Angst haben müssen.“

Damit hat John McCain seine eigene Anständigkeit unter Beweis gestellt. Nach den Angriffen der letzten Tage, bei denen Obama in die Nähe von Terroristen gerückt wurde, hatte man daran langsam zweifeln können.

Dass dieser fiese Wahlkampfstil, geprägt von McCains neuem Wahlkampfmanager Steve Schmidt, hatte John McCain eigentlich nicht gelegen. Seine Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin hatte von Anfang an keine Hemmungen, einen dreckigen Wahlkampf zu führen. Von ihr waren die Terrorismus-Angriffe ausgegangen.

Jetzt hat John McCain wieder die Kontrolle über seine Kampagne übernommen. Er will mit Konzepten und mit seinem Charakter gewinnen (oder lieber verlieren), und das ehrt ihn.

Bei den republikanischen Versammlungen der letzten Tage waren immer mehr verhetzte Anhänger laut geworden: Manche hatten bei der Erwähnung von Obamas Namen „Terrorist“ gerufen und „kill him“.  

Bei der Versammlung, die McCain zur Wende veranlaßte, hatte eine Frau gesagt: „Ich habe über ihn gelesen. Er ist ein Araber.“ Wieder stellte sich McCain gegen die Menge: 

„I don’t trust Obama,“ a woman said. „I have read about him. He’s an Arab.“

„No, ma’am,“ McCain said several times, shaking his head in disagreement. „He’s a decent, family man, [a] citizen that I just happen to have disagreements with on fundamental issues and that’s what this campaign is all about.“ (Mehr hier.)

John McCain hat das unselige Spiel lange mitgespielt. Jetzt stellt er sich gegen seine eigene Kampagne. Das ist ehrenhaft und geziemt einem „Maverick“.

Es zeigt allerdings: Die Republikaner sind am Ende.

 

Die USA – eine Bananenrepublik

Christopher Hitchens glaubt, es sei schon so weit:

I hope you read the findings of the Department of Transportation and the Federal Highway Administration that followed the plunge of Interstate 35W in Minneapolis into the Mississippi River last August. Sixteen states, after inspecting their own bridges, were compelled to close some, lower the weight limits of others, and make emergency repairs. Of the nation’s 600,000 bridges, 12 percent were found to be structurally deficient. This is an almost perfect metaphor for Third World conditions: a money class fleeces the banking system while the very trunk of the national tree is permitted to rot and crash.

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Wählt „den da“!

Gestern hat John McCain seinen Gegner in einem verbitterten Moment als „den da“ bezeichnet (that one). Dabei sah er Obama nicht einmal an, sondern zeigte nur wegwerfend mit dem Finger auf ihn. Solche Momente sind bei Debatten oft entscheidend – sie verraten etwas über die innere Dynamik der Konkurrenz, über die Haltung der Kandidaten. (So wie etwa Reagans „There you go again“ gegenüber Jimmy Carter oder Dan Quayles beleidigtes Gesicht gegenüber Lloyd Bentsen.)

John McCains „That one“-Moment wird bleiben. Im Internet entsteht schon eine kleine Bewegung, die aus einer Beleidigung ein fröhliches Markenzeichen macht: That One 08!

Hier das Video mit McCains Äusserung:

Und hier das Logo:

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Liveblogging: Die zweite Debatte Obama-McCain

(23:30h) Obama hat das Wichtigste geschafft: Er hat einfühlsamer als sein Opponent die Sorgen der Mittelschicht angesprochen – unbezahlbare Gesundheitskosten, Energiekosten, Arbeitslosigkeit und das generelle Gefühl, dass es ungerecht zugehe in der amerikanischen Gesellschaft der Bailouts und Foreclosures.
John McCain versuchte, auch auf diesem Feld zu punkten. Aber sein Vorschlag, er werde den Finanzminister anweisen, alle faulen Hypotheken aufzukaufen, damit Hausbesitzer entlastet werden, wird ihm vielleicht noch auf die Füße fallen. Mit anderen Worten: John McCain wird jedem Amerikaner in Nöten ein Häuschen kaufen, um nicht als böser gefühlloser Bush-Republikaner dazustehen. Das wirkt ein bißchen verzweifelt.

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McCain versuchte, Obama zugleich links (im Sozialen) und rechts (in der Aussenpolitk) zu überholen. Eben noch kritisiert er Obama für seine angeblichen Steuerpläne und dafür, dass er die Regierung immer mehr ermächtigen wolle – und dann kommt er selbst mit dem größten Häuslekaufprogramm der Weltgeschichte?
Hätter er nicht eher als wahrer Konservativer sprechen sollen: Leute, es tut mir leid, wir können uns bestimmte Dinge nicht mehr leisten, wir müssen zurück zu amerikanischen Tugenden, für die ich stehe? Er hat es nicht mal versucht. Sein einziges ernsthaftes Ziel war, Obama als Führunsgperson zu diskreditieren. Es ist ihm nicht gelungen.
Obama führt in ersten Umfragen deutlicher als zuvor.

(22:37h) Obama endet mit einem Plädoyer für einen erneuerten amerikanischen Traum, der unter Bush (und Senator McCain) vor die Hunde gekommen sei. Bisschen kitschig, aber schön, wie er seine einfache Herkunft ins Spiel bringt und Amerika dafür dankt, dass er eine Chance bekommen hat.
McCain variiert noch einmal den Wert seiner Erfahrung in unsicheren Zeiten. Er hat seine Intonierung deutlich geändert: Hier spricht jemand, der verstanden hat, dass ernste Zeiten kommen. Und er empfiehlt sich als alten Fahrensmann.
Auch dies ist eine klare Alternative: Obama appeliert an eine alte Hoffnung, die betrogen worden sei. McCain bringt sich als Steuermann in schwerer See an.

(22:31h) Würden die Kandidaten Israel verteidigen, falls Iran es angreift? McCain nimmt den Ball auf und spricht von einem „zweiten Holocaust“, den es zu verhindern gelte. Obama läßt sich die Butter hier nicht vom Brot nehmen: Keine Nuklearwaffen für Iran, auch die militärisch Option wird nie vom Tisch genommen – aber zuvor gehe es um effektivere Diplomatie. Und um wirtschaftlichen Druck, für den es noch unausgeschöpfte Mittel gebe. Will er immer noch mit Iran reden? Ja, er gesteht aber ein, dass es vielleicht nicht funktionieren werde. Dann sei man aber in einer sehr starken Position, eben weil man die diplomatischen Mittel ausgeschöpft habe.

(22:26h) Gibt es einen neuen Kalten Krieg mit Rußland? McCain sieht das nicht kommen, warnt aber eindringlich vor Putin und plädiert für einen Natobeitritt Georgiens und der Ukraine. Es gehe darum, einig Härte gegenüber Rußland zu zeigen. Obama stimmt McCain zu, und er will sogar noch moralische und finanzielle Untertsützung für die ehemaligen Trabantenstaaten der Sowjetunion. Obama macht es klug: Wo auch immer es geht, stimmt er McCain zu, und zeigt sich damit präsidentiell. Er muss in der Aussenpolitik nur zeigen, dass er gleichermassen kompetent ist, McCain aber muss ihn völlig aus der Bahn werfen, weil die Aussenpolitik sein Pfund ist. Das schafft er heute nicht.

(22:18h) McCain fängt fast jeden Beitrag mit einer Attacke an: Jetzt geht es um Obamas Idee, in Pakistan militärisch gegen Osama bin Laden vorzugehen. Das stellt McCain als unvorsichtige und unerfahrene Äusserung hin. Der Punkt, den er schon letztes Mal ausgewalzt hat, ist so wichtig, weil alles davon abhängt, dass McCain es schafft, seinen Opponenten als gefährliche Wahl hinzustellen. Darum bricht Obama nun auch die Regeln und stellt seine Position klar, obwohl das nicht vorgesehen ist. Und schickt hinterher, McCain habe zur Vernichtung Nordkoreas und zur Bombardierung Irans aufgerufen. So viel zur Ruhe, die aus Erfahrung kommt.

(22:08h) Obama nimmt McCains Satz auf, er „verstehe nicht“, was die Sicherheitsbedürfnisse Amerikas seien: In der Tat verstehe er nicht, warum Amerika in Irak einmarschiert sei, während Osama Bin Laden weiter in Afghanistan sei. McCain habe damals falsch gelegen. Amerikas Platz in der Welt sei heute prekärer als vor acht Jahren wegen der falschen Politik George Bushs und John McCains. Obama plädiert für ein Handeln im Einklang mit der internationalen Gemeinschaft, etwa in Darfur. McCain legt den Finger in Obamas Wunde: Er sei für den frühen Abzug aus dem Irak gewesen, und damit wäre Petraeus‘ Erfolg nie möglich gewesen.
Richtig, aber wiegt das schwerer als die mangelnde Urteilskraft bei der Entscheidung über den Beginn des Krieges?

(22:03h) Obama macht einen Punkt, indem er seine an Krebs gestorbene Mutter anführt: Sie habe noch auf dem Totenbett mit den Versicherungsfirmen streiten müssen. In so einem System sei etwas grundsätzlich falsch. Er werde die Verbraucher schützen, während John McCain weitere Deregulierung für die Versicherungsfirmen durchsetzen wolle.

(21:58 h) Wenn Obama einfühlsam über die Sorgen der Menschen spricht, die sich die Gesundheitskosten nicht mehr leisten können, macht er gute Punkte. Wenn er McCains Plan angreift, zeigen die Zustimmungslinien nach unten. Bei McCain ist es genauso. Die Leute wollen Lösungen hören, und sie wollen merken, dass jemand ihre Sorgen ernst nimmt.

(21: 52h) McCain sagt, er werde die Frage nach der Reform der sozialen Sicherungssysteme beantworten, aber er tut es nicht: Er lobt Reagan (zum zweiten Mal), was ein bisserl sentimental wirkt. Und dann schweift er lange über nukleare Energie ab (Ich war auf Kriegsschiffen mit Nuklearantrieb, die sind sicher!).
Obama plädiert für eine Regierungsinvestititon in grüne Energie. Wie beim Internet wird eine erste Anstrengung gebraucht, damit dann eine blühende Industrie darauf aufgebaut werden könne.
McCain distanziert sich von Bush und Cheney, dessen Energiegesetz er wegen der Bevorteilung der Ölindustrie nicht zugestimmt habe, während „der da“ sehr wohl dafür gestimmt habe. er triumphiert, aber das Publikum bei CNN zieht nicht mit. McCains Grundproblem: Wie sich von Bush distanzieren, ohne opportunistisch zu wirken?

(21:38h) McCain schlägt eine Ausgabensperre für alle Bereiche ausser Verteidigung vor. Und dann verteidigt er seine These, man müsse alle Bereiche zugleich reformieren: „Ich werde einem Kranken nicht sagen, er müsse warten, bis wir die Energie im Griff haben. Wir sind Amerikaner, wir können mit mehrern Dingen zugleich fertig werden.“ Guter Punkt.
Obama kommt immer wieder mir den Steuervorteilen, die McCain den großen Unternehmen gewähren wolle. (McCain will aber allen Steuererleichterungen bringen – wie auch immer man das finanzieren will.) Eine Ausgabensperre in allen Bereichen sei ungerecht, sagt er, man müsse Prioritäten setzen. McCain wiederum greift Obama wegen seiner geplanten Steuererhöhungen an: Das würde die Wirtschaftr abwürgen in dieser eh schon prekären Lage. Wir wollen, sagt er, niemandes Steuern erhöhen. Die beiden Profile werden so immerhin recht klar. Es gibt eine klare Alternative zwischen einer Steuerpolitik, die ausgleicht (Obama) und einer Steuersenkungspolitik, die vor allem auf Ankurbelung der Wirtschaft setzt. Dass beide unter den jetzigen Umständen kaum finanzierbar wären, steht auf einem anderen Blatt. Wegen des Formats kann der Moderator keine klärenden Nachfragen stellen.

(21:26h) Eine Fragerin möchte wissen, warum man den Politikern noch trauen soll. Obama verweist darauf, dass George Bush mit einem ausgeglichenen Haushalt angefangen hat, den er von Clinton übernahm. Wieder identifiziert er McCain mit dieser Politik der großen Ausgaben bei gleichzeitiger Bevorteilung der Reichen. McCain wiederum geht frontal gegen Obama vor, den er als den am weitesten links stehenden Sentor aller Zeiten hinstellt, der immer für weitere Ausgaben gestimmt hat. McCain scheint sich deutlich besser zu fühlen als beim letzten Mal, deutlich lockerer schlendert er zwischen den Menschen herum. Befragt, welche Prioritäten er zwischen Energie, Gesundheitsreform und Sozialreformen setzen würde, schweift er weit ab und sagt schlichtweg, man könne alles gleichzeitig machen.
Obama setzt Energieunabhängigkeit als erste Priorität. Gesundheit kommt als zweites. Als drittes setzt er Bildungspolungspolitik auf die Tagesordnung. Er klingt hier deutlich fokussierter als sei Gegner.

(21:18 h) McCain greift sehr aggressiv an: Obama und seine „Genossen“ hätten dafür gesorgt, dass die Kreditistitutionen wie Fannie Mae und Freddie Mac sich mit schlechten Krediten übernommen haben.
Obama spricht zunächst zu dem Frager, dem er das Bailout-Paket erläutert. Dann wendet er sich seinem Kontrahenten zu, den er als bekennenden Deregulierer brandmarkt. Dann kriegt er sich wieder ein und sagt: „Sie sind aber nicht daran interessiert zu hören, wie Politiker hier mit dem Finger aufeinander zeigen.“ Gut erkannt, die Leute haben genug Sorgen.

(21:14 h) McCain, befragt darüber, wen er als Finazminister einsetzen würde, sagt ominös: es müsse jemand sein, mit dem die Menschen sich instinktiv identifizeren können (das Thema seiner Anti-Obama-Taktik).
Obama kontert mit seiner bewährten Taktik – „Senator McCain is right“ -, sehr präsidentiell und ruhig zu antworten und seinen Opponenten zu vereinnahmen, statt sich auf den Kampf einzulassen.

(21:09) Obama geht sofort auf die Bush-Regierung und ihre Deregulierungspolitik los, mit der er McCain identifiziert. Er plädiert für Regullierung der Finanzmärkte. Und schon fällt das Zauberwort: Middleclass! Ihr braucht jemanden, der für Euch da ist, einen Anwalt der kleinen Leute.
McCain beginnt merkwürdiger Weise mit der Energiepolitik, dann findet er zum Thema zurück: er wird versuchen, die Immobilienpreise zu stabilisieren. Der Finanzminister wird die schlechten Hypotheken aufkaufen.

(18:54h) So viel vorweg zur Vorbereitung: Die heutige Debatte ist eigentlich keine. Es gibt ein 31seitiges Memorandum, in dem beide Parteien die genauen Regeln festgelegt haben.
Die Debatte findet demnach im „Town-Hall“-Format statt. Das heißt, die Kandidaten müssen auf Fragen aus dem Publikum reagieren. Die Publikumsfragen wurden natürlich vorher gesiebt – nicht von den jeweiligen Kampagnen, sondern von der Gallup-Organisation. So soll klargestellt werden, dass die Fragesteller in etwa repräsentativ für das ganze Land sind.
Auch aus dem Internet kommt etwa ein Drittel der Fragen. Es sind leider keine Nachfragen erlaubt, weder für den Moderator Tom Brokaw, noch für die Fragesteller.
Die Kandidaten dürfen sich auch nicht direkt angehen. Es ist sogar festgelegt, welchen Raum in der Arena sie betreten dürfen.
So kann das Ganze zu einem sterilen Verfahren werden. Ich denke allerdings, dass die aggressiven Vorgeplänkel, über die ich hier berichtet habe, für einige Spannung sorgen werden. Die beiden werden sich hart angehen, und sei es auch um die Ecke.
Das Gute an diesem Format: Die beiden Kontrahenten dürfen keine vorbereiteten Notizzettel mitbringen. Sie dürfen lediglich während der Debatte Notizen aufschreiben.
Zwei Stunden noch!

(11:22h) Heute Nacht um 3h MEZ werde ich hier wieder live die Präsidentschaftsdebatte begleiten.
Es ist einiges an Dramatik zu erwarten, nachdem beide Kandidaten einen deutlich aggressiveren Wahlkampf führen: McCain setzt darauf, Obama durch Angriffe auf seinen Charakter zu unterminieren (daher die Veröffentlichungen über radikale Bekannte des demokratischen Kandidaten). Und Obama versucht McCain im Gegenzug mit der Ideologie der Deregulierung um jeden Preis zu identifizieren, die an der gegenwärtigen Krise schuld sei.
McCain sieht sich der Schwierigkeit gegenüber, dass ein negativer Charakterwahlkampf in einer Zeit großer ökonomischer Sorgen wie eine Ablenkung vom Eigentlichen aussehen kann.
Und Obama steht vor dem Problem, dass er einerseits angreifen muss, andererseits damit riskiert, als „wütender schwarzer Mann“ dazustehen und vor allem ältere weiße Wähler zu verschrecken, die er dringend braucht.
Beste Vorrausetzungen für einen spannenden Abend (Morgen).

 

Obama schlägt zurück

Der Wahlkampf wird hart: Am Vorabend der zweiten Präsidentschafts-Debatte, die morgen nacht (3h MEZ) stattfindet, schaltet Obama auf Angriff um.
Nachdem die McCain-Kampagne Obama wegen seiner Bekanntschaft mit früheren Radikalen an den Pranger zu stellen versucht, schlagen Obamas Leute nun mit diesem Video zurück.

Es zeigt John McCains Verwicklung in den „Keating-Skandal“ und zieht Parallelen von der damaligen Politik der Deregulierung des Finanzsektors zur heutigen Krise.
McCain war immer für Deregulierung, so die Botschaft, und schon in den 80er Jahren hat er dafür Geld von interessierter Seite angenommen. Und auch heute zeigt er sein schlechtes Urteilsvermögen in Gestalt seiner ökonomischen Berater, die ideologische Deregulierer sind.
John McCain möchte gerne das Thema wechseln, sagt die Obama-Kampagne. Wir zwingen ihn zurück zur Sache: