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Shirin Ebadi wird verleumdet, weil sie Baha’i verteidigt

Genauer gesagt, ihre Tochter, was ein besonders perfider Trick ist. Shirin Ebadi, die bekannte Anwältin und Menschenrechtlerin, die für ihr Engagement 2003 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, verteidigt derzeit die sieben verhafteten Führer der Baha’i-Religion im Iran, denen vorgeworfen wird, Kontakte zu Irans Erzfeind Israel gehabt zu haben (mein Bericht hier). Ihre Tochter ist Teil des juristischen Teams. Und weil man Ebadi als Friedensnobelpreisträgern nicht angreifen kann, versucht man sie eben kleinzukriegen, indem man ihre Tochter bedroht.

Darum hat die offizielle Nachrichtenagentur IRNA, wie dpa berichtet, die Behauptung in die Welt gesetzt, Ebadis Tochter sei zur Baha’i-Religion konvertiert. Damit würde sie im Verständnis der Scharfmacher unter den Mullahs zur Apostatin.

Die Juristin warf IRNA am Montag vor, sie habe Lügen über ihre Tochter verbreitet.  Der Übertritt zu der im 19. Jahrhundert in Persien gegründeten Religionsgruppe gilt im Iran als Kapitalverbrechen und kann schlimmstenfalls mit dem Tod bestraft werden. Derzeit wird im Parlament der Entwurf eines Gesetzes beraten, dass für Apostasie die Todesstrafe  verhängen will.
Bahai-Anhänger rechtlich zu vertreten, bedeute nicht, dass man zu deren Glauben übergetreten sei, hatte Ebadi zuvor erklärt.
Im vergangenen Januar waren in der südiranischen Stadt Schiras 54 Bahai-Anhänger wegen Propaganda gegen das islamische System verhaftet worden. Drei waren anschließend zu Haftstrafen von je vier Jahren verurteilt worden. Die anderen erhielten Haftstrafen auf Bewährung. Menschenrechtler kritisierten, seit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2005 würden die rund 350 000 Bahai-Anhänger im Iran verstärkt verfolgt. Die mystisch geprägte Religion, die Elemente asiatischer und islamischer Spiritualität verbindet, hat weltweit rund 7,5 Millionen Anhänger.

 

Die Woche, in der die Geschichte zurückkehrte

Man muß das erfreuliche Ereignis dieser letzten Wochen und den Horror, die Feier und den Schrecken, Unterhaltung und brutale Machtpolitik zusammendenken, um den historischen Moment zu erfassen, in dem wir leben.

Bill Keller, Chefredakteur der New York Times, hat es getan,  indem er den chinesischen Triumph bei der Olympiade und das russische Auftrumpfen im Kaukasus miteinander in Beziehung setzt und analysiert, wie diese beiden Ereignisse sich zu der Hoffnung von 1989 verhalten, die liberal-demokratische Neuordnung der Welt stünde bevor.

Was wir im Moment jedoch erleben, ist das Selbstbewußtsein der neuen Autokraten, die ihre Stunde gekommen sehen:

Die Chinesen feiern ihre Rückkehr auf die Weltbühne durch die Leistung ihrer Athleten und die Organisationsfähigkeit des Regimes, das hier vor aller Augen beweisen kann, dass man auch ohne (politische und kulturelle) Freiheit sehr erfolgreich sein kann.

Die Russen haben die Gunst der Stunde ergriffen, die Ära der Ostausdehnung des westlichen Staats- und Gesellschaftsmodells durch EU und Nato zu stoppen – und möglicherweise sogar zurückzudrehen. Mit dem Öl- und Gasgeld, das vor allem der energiehungrige Westen ihnen einspielt, haben auch sie eine unfreie Gesellschaft konsolidieren können und holen nun zum geopolitischen Rollback des Westens aus.

Der Westen aber hat sich in einen Kampf mit der historisch ohnehin zum Absterben verurteilten Kraft des politischen Islamismus verstricken lassen, und seine Kräfte bleiben einstweilen im Irak und in Afghanistan gebunden, während die neuen Tyrannen ihren Moment der historischen Genugtuung genießen.

Bill Keller:

The striking thing about Russia’s subjugation of uppity Georgia was not the ease or audacity but the swagger of it. This was not just about a couple of obscure border enclaves, nor even, really, about Georgia. This was existential payback.

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Bill Keller     Foto: Hunter Kahn

It turns out that if 1989 was an end — the end of the Wall, the beginning of the end of the Soviet empire, if not in fact the end of history — it was also a beginning.

It gave birth to a bitter resentment in the humiliated soul of Russia, and no one nursed the grudge so fiercely as Vladimir V. Putin. He watched the empire he had spied for disbanded. He endured the belittling lectures of a rich and self-righteous West. He watched the United States charm away his neighbors, invade his allies in Iraq, and, in his view, play God with the political map of Europe.

Mr. Putin is, in this sense of grievance, a man of his people, as visitors to the New York Times Web site can see in the sampling of breast-beating commentary from Russian bloggers. It is safe to assume that Mr. Putin’s already stratospheric popularity at home has grown to Phelpsian proportions, not least among the long-suffering military.

In China, 1989 was the year that a spark of liberal aspiration flickered on Tiananmen Square, and was decisively extinguished. That was another beginning, or at least a renewal: of Chinese resolve. In May of that year, in the midst of the Tiananmen euphoria, Mikhail S. Gorbachev visited Beijing, and two visions of a new communism stared each other in the face.

The protesters on the Chinese pavilion held banners welcoming Mr. Gorbachev as a champion of the greater freedom they sought. Meanwhile, the visiting Russian delegation marveled at the abundance in Chinese stores, the bounty of a policy that chose economic liberalization without political dissent.

The Chinese and Russians scorned each other’s neo-Communist models, but in some ways they have evolved toward one another. Both countries now tolerate a measure of entrepreneurship and social license, as long as neither threatens the dominion of the state. Both countries have calculated that you can buy a measure of domestic stability if you combine a little opportunity with an appeal to national pride. (The Chinese “street” felt no more sympathy for restive Tibetans than the Russian blogosphere felt for Georgia.) And both have discovered that if you are rich the world is less likely to get in your way.

Mehr hier.

 

Die Selbstzensur des westlichen Kulturbetriebs aus Angst vor radikalen Muslimen geht weiter

Die Verlagsgruppe Random House (i.e. Bertelsmann) hat die Publikation eines Romans über Mohammed und seine Lieblingsfrau Aischa gestoppt, nachdem eine Islamwissenschaftlerin vor den Reaktionen von Muslimen gewarnt hatte, deren religiöse Gefühle verletzt werden könnten.

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Das Buch, das nicht erscheinen wird

Den ganzen Fall kann man hier im Wall Street Journal lesen. Oder auch hier.

Es ist einfach nur noch deprimierend. Man weiß nicht mehr, ob man mehr über die Inkompetenz oder die Feigheit dieser Verlagsleute schimpfen soll.

Wer braucht überhaupt eine Expertin, um zu wissen, dass eine Mohammed-Aischa-Geschichte heisser Stoff ist? Nach Rushdie, den Karikaturen, Idomeneo?

Also: entweder nimmt man so etwas in Angriff, steht dazu und zieht es durch. Wenn denn das Buch gut ist. Und da es vor der Publikation stand und schon eine Werbereise für den August geplant war, muss man doch annehmen, dass die verlagsinterne Meinungsbildung zu einem positiven Schluss gekommen war.

Oder: Man läßt es lieber.

Aber jetzt auf diese dämliche Art den Kulturdschihadisten eine Plattform gegeben  zu haben, das ist einfach unglaublich! Eine Khomeini-treue Organsation „Husaini-Youth“ rühmt sich nun, den Propheten vor erneuerter Schändung bewahrt zu haben.

Dabei hatte die Autorin Sherry Jones offenbar nichts dergleichen im Sinn.

Hier die feige Erklärung von Random House.

Deprimierend. Wo sind die anständigen Muslime, die gegen diesen Kulturdschihadismus aufstehen?

Hier ist eine, aber sie hat auch nicht viel ermutigende Neuigkeiten.

Der Geist der vorauseilenden Selbstzensur, der sich in den westlichen Köpfen festzusetzen droht, ist beängstigend. Die Muslime müssen dagegen arbeiten, wenn sie nicht eines Tages einen fürchterlichen Backlash erleben wollen, weil in ihrem Namen Freiheiten beschnitten werden, die über Jahrhunderte unter vielen Opfern erstritten wurden.

 

Krauthammer: Bestraft Russland!

Nach Robert Kagan macht nun auch Charles Krauthammer mobil zum neuen Kalten Krieg. Die Russen müssen isoliert und bestraft werden. Aber wie?

„1. Suspend the NATO-Russia Council established in 2002 to help bring Russia closer to the West. Make clear that dissolution will follow suspension. The council gives Russia a seat at the NATO table. Message: Invading neighboring democracies forfeits the seat.

2. Bar Russian entry to the World Trade Organization.

3. Dissolve the G-8. Putin’s dictatorial presence long made it a farce but no one wanted to upset the bear by expelling it. No need to. The seven democracies simply withdraw. Then immediately announce the reconstitution of the original G-7.

4. Announce a U.S.-European boycott of the 2014 Winter Olympics at Sochi. To do otherwise would be obscene. Sochi is 15 miles from Abkhazia, the other Georgian province just invaded by Russia. The Games will become a riveting contest between the Russian, Belarusian and Jamaican bobsled teams.“

Vor allem aber solle Washington sich unmissverständlich hinter die Saakaschwili-Regierung stellen, zur Not sogar noch als Exilregierung, falls die Russen sie von der Macht vertreiben sollten. Das würde eine Legitimation für die Unterstützung und Bewaffnung des „georgischen Widerstands“ bringen, meint Krauthammer.

Und fügt hinzu, George Bush sollte  Vladimir Putin eine Kopie des Films „Der Krieg des Charlie Wilson“ schicken, um ihn an die Möglichkeiten zu erinnern, „die Russen bluten zu lassen“. (Was Krauthammer dabei ignoriert: Der Film beschreibt die Vorgeschichte des Desasters in Afghanistan, das nach der amerikanischen Unterstützung des Widerstandes (und durch sie!) entstand.)

Crazy. Das ist alles präpotentes Gedröhne, das die amerikanische Ohnmacht übertönen soll und sie doch nur spürbar macht.

Die Strategie, mit der Unterstützung Georgiens die amerikanische Einflußsphäre bis in den Kaukasus auszudehnen, ist vorerst gescheitert. Das kann man bedauern. Aber es hilft nichts, über Phantasien vom „georgischen Widerstand“ die Anerkennung dieser Tatsache zu  verweigern.

 

McCain: „Man marschiert nicht in andere Länder ein“

In Reaktion auf den russischen Einmarsch sagte der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, John McCain:

„I’m interested in good relations between the United States and Russia,“ he said. „But in the 21st century, nations don’t invade other nations.“

Echt jetzt?

McCains aussenpolitischer Berater Randy Scheunemann war übrigens dreieinhalb Jahre lang  Lobbyist für die georgische Regierung in Washington. Er hat den Senator  in 49 Fällen für die georgische Sache zu mobilisieren versucht und hunderttausende Dollars dafür bekommen. Dass der Senator einen Berater einstellt, der von der Regierung eines anderen Landes engagiert war, ist schon recht merkwürdig.

 

Saudischer Gelehrter: Muslime dürfen Geburtstag feiern

Habt ihr sonst keine Probleme, Leute?

Der bekannte Scheich al-Oadah hat in Saudi-Arabien eine Kontroverse ausgelöst, weil er Geburtstagsfeiern für erlaubt erklärt habe, berichtet IslamOnline.

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Salman al-Oadah

Ihm widerspricht Scheich Maneia, Mitglied der höchsten Rats der Schriftgelehrten, der diese Praxis verurteilt, weil sie eine „Imitation des Westens“ sei.

Einen Kompromiss versucht der frühere Rektor der Scharia-Fakultät der Imam-Mohammed-Universität, Dr. Saud el-Fanissan: So lange keine Geburtstagskerzen verwendet werden, geht es in Ordnung:

Dr. Saud el-Fanissan, former rector of the Shari`ah Faculty, Imam Mohammad Islamic University, accepts the celebration as long as its not an imitation of another culture.

He noted that in the West they celebrate birthday, for example, by lighting a number of candles equal to the age of the person.

„Celebrations like this are unacceptable for imitating others. But if the celebration does not include such rituals – the candles and the alike –  then it would be permissible,“ el-Fanissan explained.

Wie wäre es – statt sich mit solchen Banalitäten ängstlich vom Westen abzugrenzen, den man sonst gerne in Anspruch nimmt, wenn es um Luxuskonsum oder ein neues Hüftgelenk geht – mal mit einer Debatte über die theologisch problematischen Verse des Koran?

 

Robert Kagan: Kaukasus-Krieg ist eine Zeitenwende

Robert Kagan, der führende politische Kopf der Neocons und John McCains aussenpolitischer Berater, erkennt in der russischen Aggression gegen Georgien einen historischen Einschnitt von der Dimension der Wende von ’89.

Rußland – genauer gesagt Putin – vetrete mit unverhohlener Brutalität seine geopolitischen Interessen, und darin zeige sich die „offizielle Wiederkehr der Geschichte im Stil des 19. Jahrhunderts“:

„Diplomats in Europe and Washington believe Saakashvili made a mistake by sending troops to South Ossetia last week. Perhaps. But his truly monumental mistake was to be president of a small, mostly democratic and adamantly pro-Western nation on the border of Putin’s Russia.

Historians will come to view Aug. 8, 2008, as a turning point no less significant than Nov. 9, 1989, when the Berlin Wall fell. Russia’s attack on sovereign Georgian territory marked the official return of history, indeed to an almost 19th-century style of great-power competition, complete with virulent nationalisms, battles for resources, struggles over spheres of influence and territory, and even — though it shocks our 21st-century sensibilities — the use of military power to obtain geopolitical objectives. Yes, we will continue to have globalization, economic interdependence, the European Union and other efforts to build a more perfect international order. But these will compete with and at times be overwhelmed by the harsh realities of international life that have endured since time immemorial. The next president had better be ready.“

Hier der ganze Text in der Washington Post von heute.

Praktischer Weise hat Robert Kagan soeben ein Buch veröffentlicht, das diese These vom „Return of History“ untermauert.

 

Mutloses Kabarett

Der Kabarettist Bruno Jonas im Gespräch mit dieser Zeitung:

ZEIT: Warum genau machen Sie keine Witze über den Islam – um die religiösen Gefühle der Gläubigen nicht zu verletzen oder um keinen Ärger zu kriegen?

Jonas: Religiöse Gefühle muss man immer respektieren, aber ich bin zutiefst überzeugt: Einen tiefgläubigen Menschen kann ein Witz nicht verletzen! Wie sollte er? Nein, ich finde die Erfahrungen mit dem Karikaturenstreit so extrem, dass ich mich hüten werde, auf der Bühne das Falsche zu sagen.

ZEIT: Zensieren Sie sich damit nicht selbst?

Jonas: Ja, täglich, immer wieder. Wo kommen wir hin, wenn jeder sagt, was er denkt. Ich bin doch auch unsicher! Henryk M. Broder hat uns allen sehr polemisch vorgehalten, dass wir vor den islamischen Fundamentalisten in die Knie gehen. Er hat recht, es ist so. Und das betrifft uns alle. Ich glaube nicht, dass die ZEIT sich da ausnehmen kann, und ebenso wenig glaube ich, dass das Kabarett hier verpflichtet ist, als Speerspitze zu agieren.

Das ist schon bitter, aber immerhin ehrlich.

Und doch fatal. Denn damit überläßt man den Fundamentalisten die Definition des Erlaubten. Sie haben gewonnen. Sie haben die Bedingungen des Möglichen diktiert.

Wie kann man, wenn man sich auf dieses Spiel eingelassen hat, erhobenen Hauptes  Witze über die deutsche Politik oder die Kirche oder werweißwen machen und sich dabei nicht sehr mickerig vorkommen?

Diejenigen Muslime, die auch gegen ihre eigenen Glaubensgenossen für das Recht auf Kunst- und Meinungsfreiheit eintreten, sind damit  im übrigen auch gekniffen und allein gelassen. Kabarett also nur, wenn garantiert nichts passiert und keiner sich verletzt fühl? Rätselhaft, wie Bruno Jonas sich mit dieser Einstellung auf Karl Kraus berufen zu können glaubt.

p.s. Im übrigen begrüße ich alle, die aus den Ferien zurück sind. Zu meiner Freude konnte ich feststellen, dass in meiner Abwesenheit die halbe Million bei den Besuchern voll geworden ist.

 

One for the road

Jon Stewart macht in der Daily Show den ultimativen Kommentar zu der Aufragung über das Obama-Cover des New Yorker:
It’s just a f***ing cartoon!
(Herrlich die Wolf Blitzer-Stelle!)
Und damit Tschüss!