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Alice Schwarzer hat recht…

… meint Mitblogger Kojak, der mir folgende Stellungnahme zu meiner Kritik an ihrem Birma-Bericht schickt: 

„Ich finde es erfrischend, in dieser Pressewelt der vorgestanzten Meinungen zur Abwechslung mal einen eigenständigen Bericht einer Burmareisenden wie Alice Schwarzer zu lesen, der ohne die langweiligen Empörungen der professionellen Meinungsmacher auskommt. Auch wenn ich ihr nicht in allem zustimme (und auch ich Myanmar ganz gewiss eine bessere Regierung wünsche), die selbstgerechte Aufregung der Presse über ihern Artikel finde ich peinlich, zumal viele (Spiegel online, SZ) sich dabei so sehr selbst erhöhen, dass einem schlecht werden könnte. Diese Selbsterhöhung funktioniert auch nur, indem sie Frau Schwarzer einen Kopf kürzermachen und am liebsten Mundverbot erteilen würden. Keiner dieser Journalisten fand es meines Wissens nach nötig, sich über die von Frankreich und Deutschland angesichts der Naturkatastrophe erwogenen Gedanken “einer Invasion Burmas aus moralischen Gründen” zu empören, obwohl es zugleich einen deutschen Aussenminister gibt, der es mutig findet, den Dalai Lama nicht zu treffen, weil stille Diplomatie in Asien sooo viel mehr bringt als Säbelrasseln…Herr Außenminister, liebe Journalisten, auch Burma liegt in Asien, und ist noch dazu sehr viel mehr abgeschlossen als China heute, und im Gegensatz zu China werden keine Milliarden € an deutschen Steuergeldern nach Burma gepumpt, die auch dort das Leid der Bevölkerung lockern könnte und einen sanften Wandel begünstigen könnten… aber wenn schon kein Geld, so gibt es auch kein diplomatisches Verständnis für ein leidgeprüftes Land wie Burma, schließlich ist der Hauptgrund für die Misere des Landes in den Jahren der kolonialen Aubeutung zu suchen, als die Briten die vielen Volksgruppen des Landes gegeneinander ausspielten, das Land zum brutalsten Kriegsschauplatz des zweiten Weltkriegs in Südostasien machten und unter britischen Oberbefehl der Bürgerkrieg im Lande eröffnet wurde. Zum Abschied schenkten die Engländer Burma die Freiheit und ein vom Krieg zerstörtes und ausgeplündertes Land, in dem vor allem die zukünftigen Bürgerkriegsarmeen gut ausgebildet waren. Darauf einen modernen, demokratischen Staat zu begründen ist nicht einfach. Zu Recht zweifelt deshalb Frau Schwarzer die Redlichkeit der britischen Burma Campaign Gruppen an: Wer wie diese Lonely Planet Burma Bücher in London öffentlich verbrennt, scheint zumindest aus deutscher Sicht selbst ein gestörtes Demokratieverständis zu haben. Dass aber die deutsche Presse ihre Informationen von genau diesen Gruppen ungeprüft übernimmt, zeigt die Teilnahmslosigkeit dieser professionellen Schreiberlinge und macht den Unterschied zu Alice Schwarzers engagiertem Beitrag aus. Doppeltes Maß macht den Großteil der deutschen Presse und der Politik unglaubwürdig. Nach einer brutalen Katastrophe wie diesem Zyklon, bestehende und sehr strenge Sanktionen erneut zu verlängern (wie von George Bush getan), ist genauso menschenverachtend wie Lieferungen von Hilfsgütern zu stoppen, weil man sie nicht selbst verteilen darf (wie es manche Hilfsoranisationen taten) und entspricht der Menschenverachtung der zu Recht angeprangerten Generäle.“

 

Ein ungehaltener Vortrag: Islamwissenschaftlerin auf Druck von Verbandsvertreter ausgeladen

An diesem Fall kann man sehen, was ich meine, wenn ich den Begriff der Islamophobie kritisiere: In der vorletzten Woche hatte die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher einen Vortrag im österreichischen Traun halten sollen.

Nach der Intervention des SPÖ-Manns und Integrationsbeauftragten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Omar Al-Rawi, der Schirrmacher als „Islamphobikerin“ bezeichnet haben soll, wurde die Referentin wieder ausgeladen.

Die Ausladung ist ein ziemlich anrüchiger Vorgang: Entweder wußten die Veranstalter nicht, wen sie da eingeladen hatten. Es ist schon recht dämlich, eine Referentin wieder auszuladen, die nun wahrlich bei dem Thema keine Unbekannte ist. Oder man hat sich, wa swahrscheinlicher ist, von dem Schlagwort, ausgesprochen von einem Politiker und Lobbyisten – einschüchtern lasse: das wäre erbärmlich feige.

Wie bizarr das Ganze ist, zeigt die Passage des verhinderten Vortrags, die ich unten dokumentiere (ganzer Text hier). Was, bitte schön, ist an einem Text mit diesem Fazit auszusetzen? Warum muß man eine Frau, die solches ausspricht, mundtot machen und in eine Ecke stellen?

Vielleicht zeugt der ganze Vorgang von beidem: Dämlichkeit und erbärmlicher Feigheit.

Allerdings auch schrecklich: Omar Al-Rawi wurde nach Bekanntwerden dieses Geschehens zur Zielscheibe zahlreicher Schmähbriefe aus Deutschland, in denen sich offenbar unsere lieben Freunde, die Islam-Paranoiker austobten.

Eine Schande.

Eine doppelte Schande.

Und so schließt Christine Schirrmachers ungehaltener Vortrag:

Erkennbar ist auch, dass der Islam als Religion eher an Anziehungskraft gewonnen denn verloren hat. Von einem vielbeschworenen „Abschleifen“ der Religion in der zweiten und dritten Generation kann heute keine Rede mehr sein. Sicher gibt es den Bereich des „säkularisierten“ Islam; Muslime, die den gleichen Freizeitvergnügungen nachgehen wie europäische oder deutsche Jugendliche, aber aufs Ganze betrachtet, ist der Islam unter Immigranten eine lebendige Religion geblieben. Nicht indem vielleicht jede einzelne islamische Glaubensvorschrift in jeder Familie detailgenau beachtet wird, aber doch so, dass der Islam Rückhalt und Identität bietet. Z. T. wenden sich gerade junge Leute – nachdem ihre Eltern einen verhältnismäßig aufgeklärten Islam gelebt haben – ihrerseits wieder einer strikteren Befolgung der islamischen Vorschriften zu. Bedenklich stimmt, dass manche islamischen Organisationen schon heute in Europa darauf drängen, dass nichts „Negatives“ mehr über den Islam veröffentlicht werden dürfe, da dies Diskriminierung bedeute – mit anderen Worten, alles, was nicht aus muslimischer Sicht geschrieben wurde, ist zu unterbinden (eine Entwicklung, die z. B. in Großbritannien durch islamische Lobbyarbeit weitaus mehr fortgeschritten ist). Hier wird es ganz wesentlich daran liegen, wie „wach“ die westliche Gesellschaft diese Entwicklung verfolgt und in welchem Maß sie bereit ist, ihre mühsam erkämpfte Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen.


Fazit


Die gegenwärtige Debatte über die Fundamente dieser Gesellschaft und die Auseinandersetzung mit einer ganz anders gearteten Werteordnung und Religion hat sich uns mit aller Macht geradezu aufgedrängt. Das erschreckt nachhaltig und eröffnet doch gleichzeitig Wege zu einer fundierten Diskussion, sofern denn die westliche Gesellschaft in der Lage sein wird, nicht in Panik und Abwehr zu verfallen, sondern nüchtern über die Verhältnisse im eigenen Land und bei den Zuwanderern Bilanz zu ziehen und nach konstruktiven Lösungsansätzen zu suchen. Vielleicht verläuft die Debatte um die „Integration“ auch deshalb so aufgeregt, weil die kulturell-gesellschaftlichen oder religiösen Besonderheiten Europas, die hierzulande verteidigt werden sollen, bisher selten klar definiert wurden. Führt der Islam der westlichen Gesellschaft vielleicht besonders deutlich ihre Ziel- und Wertelosigkeit vor Augen?

Die Mehrzahl der Muslime, die in Europa unpoltisch denkt und lebt und sich große Sorgen macht um die Rechte, die islamistische Gruppen Stück für Stück mit Erfolg einfordern, erwarten eine Antwort vom Staat, dessen Aufgabe es ist – aus einer vertieften Kenntnis des Islam – zu einer vernünftigen Grenzziehung gegenüber politischen Kräften zu kommen. Es darf keinen doppelten Rechtsstandard geben – bei der Stellung der Frau oder der Ankerkennung der Vielehe etwa – denn nur eine Verständigung auf eine gemeinsame Rechts- und Werteordnung wird den Erhalt unseres Staates auf Dauer garantieren können. Es lohnt sich, für ein echtes Miteinander einzustehen, das uns in Europa aber bei teilweise divergierenden Werteordnungen nicht in den Schoß fallen wird.

Gleichzeitig muss alles dafür getan werden, dass die Migranten in Europa dauerhaft Heimat finden. Viel zu viele fühlen sich entwurzelt, weder in dem Herkunftsland ihrer Eltern und Großeltern noch in ihrer neuen „Heimat“ zu Hause – die zu oft eben noch keine Heimat geworden ist. Migranten fühlen sich ausgegrenzt und benachteiligt, diskriminiert und verachtet – teilweise beruht dieses Empfinden auf eigenen Erfahrungen mit Benachteiligungen, teilweise auf einer stellvertretend für die weltweite muslimische Gemeinschaft empfundenen Zurücksetzung, teilweise liegt die berufliche Perspektivlosigkeit aufgrund von geringer Schulbildung sehr nahe. Politische und wirtschaftliche Programme sind wichtig, damit mehr Migranten in Europa auch wirtschaftlich Fuß fassen können – aber auch abgesehen von dieser gesellschaftspolitischen Ebene müssen Muslime und Nichtmuslime stärker aufeinander zugehen, um im Europa des 21. Jahrhunderts nicht mehr nur nebeneinander, sondern miteinander zu leben.“

p.s. Hier eine exzellente Analyse des (Ex)-Kollegen Florian Klenk (heute beim Wiener Magazin Falter) über die Vorgänge.

 

Alice im Wunderland

Ein Kommentar aus der ZEIT Nr. 24 von morgen, Donnerstag, 5. Juni:

Wenn eine Freiheitskämpferin wie Alice Schwarzer plötzlich Verständnis für eine Militärjunta aufbringt, wird man stutzig. Die Generäle in Birma, schreibt Schwarzer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, misstrauten »zu Recht der Großmut und dem Pflichtgefühl der internationalen Gemeinschaft«.
Denn in dem Druck auf das Regime, Helfer ins Land zu lassen, damit nicht weitere Hunderttausende an den Folgen des Zyklons sterben, sieht Schwarzer finstere Motive am Werk. Unter dem Vorwand der Hilfe gehe es um einen neuen Kolonialismus: »Versteht sich, dass das kleine Myanmar schon längst vom mächtigen Westen im Namen der Menschenrechte und Demokratie ›befreit‹ worden wäre, würde das mächtige China nicht die Faust darüber halten.« Sicher, auch China verfolge eigene Interessen, gesteht Schwarzer zu. Aber im Vergleich zum westlichen Neoimperialismus, der »einst ehrenwerte Begriffe wie Menschenrechte oder Demokratie« vorschiebt, sei Chinas brüderliche Hilfe das kleinere Übel.
Das Technische Hilfswerk und die GTZ mit ihren Wasseraufbereitungsanlagen als Vorboten eines neuen Kolonialismus? So stellt es gern die Regierungspropaganda der Generäle dar. Deutschlands bekannteste Frauen- und Menschenrechtlerin sekundiert. Wie bitte?
Sie sei viel gereist in dem Land und habe »nie Hunger oder wirkliches Elend gesehen«. Erst in den letzten Jahren, mit der Öffnung für westliche Reisende, »tauchten erste bettelnde Kinder auf: angefixt von Kugelschreiber und Kyats verteilenden Touristen«. Nicht die korrupten Generäle mit ihrem absurden Unterdrückerregime, nein, der Westen ruiniere das »versunkenschöne Land«.
Alice Schwarzers Zwischenruf erinnert an Peter Handkes Reiseberichte aus Jugoslawien – schillernd zwischen Eingeborenenkitsch (»goldhäutig und heiter«) und westlichem Selbsthass, voller Hohn auf Menschenrechte und Demokratie als Alibi der Machtpolitik.
Aus dem Text spricht eine tiefe Verzagtheit, eine Verunsicherung im Herzen des Westens. Was taugen unsere Werte, wenn unsere Politik sie oft genug selbst unterminiert? Sind sie überhaupt für alle Welt geeignet? Und wie können wir für sie eintreten, ohne sie zu beschädigen? Nach einem Jahrzehnt des Interventionismus von Bosnien über Afghanistan bis Irak wachsen die Zweifel. Und sie sind weiß Gott berechtigt.
Doch das hehre Prinzip der Nichteinmischung, zu dem sich Alice Schwarzer bekennt, ist den modernen Autokraten und Tyrannen nicht ohne Grund heilig. In Russland dient es dazu, unbehelligt von der Weltöffentlichkeit Morde an Journalisten zu vertuschen. China benutzt es zur Rechtfertigung der Abriegelung Tibets. Und in Iran findet eine beispiellose Repression der Opposition in seinem Schatten statt. Viele der Opfer des Teheraner Re­gimes sind übrigens Feministinnen. In Iran sind die Gefängnisse voll mit Frauen, denen man vorwirft, unter dem Vorwand der Menschenrechte einen samtenen Umsturz zu planen. Dass sie mit westlichen Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen zusammenarbeiten, reicht schon für die Verhaftung. Ist Alice Schwarzer, die nicht müde wird, die Geschlechter-Apartheid in der islamischen Welt anzuprangern und den Westen zu mehr Druck aufzufordern, auch hier »strikt gegen jegliche westliche Intervention«? Den Feminismus lehnen die Islamisten übrigens mit den gleichen Argumenten ab, die Schwarzer im Fall Birmas geltend macht: Eine (unmoralische) westliche Lebensweise solle den Muslimen unter dem Deckmantel der Menschenrechte aufgedrückt werden.
Es ist aber gar nicht (mehr) der Westen, der die zivile Unruhe in die Autokratien trägt, wie etwa der Mönchsprotest in Birma letzten Herbst gezeigt hat. Das Regime möchte es zwar so erscheinen lassen. In Wahrheit stehen die Machthaber vor dem Problem, dass kein Mensch gern Stiefel im Gesicht hat.
Die Politik des Demokratieexports durch verdeckte Operationen und gewaltsam herbeigeführte Regimewechsel ist gescheitert. Was nun? Raushalten? Zurückziehen und schuldstolze Selbstanklage? Ist das nicht in Wahrheit nur die depressive Kehrseite des kolonialen Auftrumpfens von einst? Genauso narzisstisch-selbstbezogen wie in den Zeiten imperialer Träume. Wieder sind die anderen nur Objekte. Wenn der Westen schon nicht mehr bestimmen kann, wo es lang geht, dann will man wenigstens schuld an allem sein.
Selbsthass kann genauso blind machen wie Sendungsbewusstsein. Die wahre Frage lautet: Wie kann der Westen nach dem Ende seiner Dominanz noch für seine Werte eintreten, ohne in Überheblichkeit oder Appeasement zu verfallen – prinzipienfest, aber nicht auftrumpfend, lernbereit, doch ohne Kotau?

 

Pakistanische Imame verurteilen Angriff auf dänische Botschaft

Namhafte islamische Geistliche in Pakistan haben den Bombenangriff am Montag auf die dänische Botschaft in Islamabad verurteilt. Der Vorfall habe „nichts mit dem Islam zu tun und wir alle verurteilen ihn“, sagte Mufti Mohammed Naeem von der Jamia Binoria Madrassah aus Karatschi.

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Mufti Naeem

(Ich glaube zwar nicht, dass er nichts mit dem Islam zu tun hat. Aber dass es einen Streit darum gibt, ob solche Akte islamische gerechtfertigt werden können, ist ein Fortschritt.) Hier der Artikel auf IslamOnline.

Ein anderer Gelehrter sagte:

„According to Shari`ah, foreigners are under the legal protection of any Islamic government,“ insisted Rahman, also the president of the Tanzeem-ul-Madaris in Pakistan. „Their protection is legal and religious binding and they should not be harmed by any means.“

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Mufti Munib Ur-Rahman, Vorsitzender des pakistanischen Mondsichtungs-Kommitees Fotos: IOL

Fremde, die in einem islamischen Land leben, stünden unter dem Schutz einer islamischen Regierung: Hier wird eine Auslagung der Scharia gegen die Dschihadis in Stellung gebracht. Gut so. Mehr davon. Das ist zwar eine partikularistische Argumentation, die nicht auf den Menschenrechten beruht – aber innerhalb Pakistans mag sie sich eben darum als wirksamer erweisen denn abstrakt-universalistische Argumente. Der Kampf gegen den Dschihadismus kommt immer mehr innerhalb der islamischen Orthodoxie an. Das ist eine gute Nachricht.

Nicht so gut: Die genannten Gelehrten wünschen zugleich eine stärkere Positionierung der pakistanischen Regierung gegen den Westen und in diesem Fall Dänemark. Man hätte sich stärker abgrenzen sollen, wird argumentiert, etwa durch die Ausweisung des dänischen Botschafters wegen der Karikaturen. in den Freirazum, den die Regierung mit ihrer laschen Reaktion gelassen habe, seien die Radikalen vorgestossen. Und dann folgt ein bizarres Argument, das wieder einmal nur so von Ressentiment strotzt: In vielen Ländern Europas

„one cannot speak or write a single word about Holocaust“. Dagegen sei es ein leichtes, Gottes Gesandten zu beleidigen.

Was, bitte, hat das eine mit dem anderen zu tun? Und ausserdem ist dies, gerade mit Bezug auf die Meinungsfreiheit in Dänemark, haarsträubender Quatsch. In Dänemark dürfen auch Neonazis ungeschoren den Holocaust leugnen.

Welch eine moralische Verwahrlosung zeigt sich, wenn diese beiden Themen – die Leugnung eines Völkermordes und die Veröffentlichung polemischer Karikaturen – auf eine Ebene gestellt werden!

Trotzdem: Die Verurteilung des Gewalt ist ein Anfang.

 

Die demokratische Frage ist wichtiger als die religiöse

Claudia Dantschke, eine der führenden Islamismus-Expertinnen in Deutschland, schickt mir folgenden Beitrag als Reaktion auf die Wiedereröffnung dieses Blogs – und auf die ersten Diskussionen:

„Hallo Jörg,
glaube nicht, dass du dir damit einen Gefallen getan hast, den Blog doch wieder zu öffnen – habe jetzt mal die Kommentare gelesen – sehe da so gut wie keine Änderung zu vorher.

Deinen Frust und deine Begründung, zu schließen, konnte ich sehr gut nachvollziehen – denn man dreht sich nur noch im Kreis.

Zu dem hervorgehobenen Beitrag „Mitblogger Rafael stellt die entscheidende Frage:“, der ja recht nett gemeint ist, fällt mir aber doch sehr vieles auf: die ganze Debatte von wir, uns und eben die anderen – abstrakt mit „der Islam“ – auch wenn von Vermischung usw. gesprochen wird, und der Beitrag produktiv formuliert ist.

Die Spaltung der Menschen verläuft doch nicht entlang von Religionsgrenzen, auch nicht entlang kultureller Grenzen – das ist doch alles viel zu einfach und oberflächlich.

Das nur, weil du den Beitrag des Mitbloggers charakterisiert hast als „die entscheidende Frage“ – die entscheidende Frage sehe ich eher tiefergehend:

Das „wir“ ist ein wir der Demokraten (seien sie nun zusätzlich zu ihren komplexen Identitäten auch noch gläubige Christen, Muslime, Juden, Atheisten usw.) und das ihr – das sind die Antidemokraten, zu denen auch die Islamophobiker gehören, ebenso wie die Islamisten. 🙂

Krieg der kulturen und Dialog der kulturen sind zwei seiten der gleichen Medallie, was die Definition menschlicher Identitäten betrifft.

Insofern bringt auch ein abstrakter Diskurs über „Islam“ herzlich wenig, wenn er eben nicht auch auf die konkreten Menschen und ihre komplexen historischen, sozialen, politischen usw. Realitäten heruntergebrochen wird.

Das nur mal so unter uns 🙂

Tschüß Claudia

 

Reform des Islam?

Mitblogger Rafael stellt die entscheidende Frage:

„Die Zeit wird zeigen, ob es die Reform des Islam geben wird. Und es ist wichtig, dass wir Nicht-Muslime die Stimmen der Reformer beachten, denn wer würde es sonst tun?

Auf eine Frage habe ich immer noch keine Antwort gefunden. Und deshalb lese ich nach wie vor mit großem Interesse diesen Blog, in der Hoffnung, irgendwann einmal eine Antwort oder eine Idee zu bekommen. Die Frage ist:

Wenn der Islam, so wie er ist, gelinde gesagt reformbedürftig ist, uns im Allgemeinen also eher nicht so gefällt, wie er sich real existierend darstellt, wie können wir, die Nicht-Muslime des Westens, dazu beitragen, dass die Reform des Islam vorankommt?

Geht uns das eigentlich etwas an? Ich denke, ja. Schließlich ist der Islam ein immer wichtiger werdender Aspekt unserer Gesellschaft. Er mischt sich in unseren gesellschaftlichen Diskurs ein und gestaltet unsere Gesellschaft in zunehmendem Maße mit. Er gewinnt an Bedeutung durch Globalisierung, durch Immigration, durch Demografie und durch Mission. Daher sollte die Gesellschaft auch das Recht haben, sich in die Angelegenheiten des Islam, der ja Teil dieser Gesellschaft sein will, einzumischen.

Also, was sollen, was können wir tun, damit der Islam besser wird?“

Wir haben da nur begrenzte Wirksamkeit, scheint mir. Aber folgenlos bleibt auch nicht, wenn und wie wir uns einmischen. Vielleicht hat es noch nie (oder jedenfalls seit Jahrhunderten nicht mehr) soviel Kontakt, Einmischung und Vermischung gegeben wie heute (durch die Kriege des Westens von Bosnien über den Kosovo bis zu Afghanistan und Irak und durch die globale Migration). Eine Entmischung wird es jedenfalls nicht geben, auch wenn mancher davon träumen mag.

 

Warum der Begriff Islamophobie nichts taugt, obwohl es eine arge Islamfeindlichkeit gibt (und warum es in diesem Blog doch weitergeht)

Ein Vortrag vor dem „3. Zukunftsforum Islam“ der Bundeszentrale für Politische Bildung in Brühl vom 17. Mai 2008, der vielleicht erklärt, warum dieses Blog abgeschaltet wurde und nun doch weitergeht:

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe ein Problem: Der Begriff, unter dem ich mich hier bereit erklärt habe anzutreten, taugt nämlich eigentlich nichts.
Islamophobie – mit diesem Konzept werden ohne Unterschied irrationale und rationale Ängste im Bezug auf den Islam zu Symptomen einer Art psychischen Krankheit erklärt.
Eine Phobie ist schließlich etwas anderes als ideologische Voreingenommenheit – wie sie uns etwa in Form einer rassistischen Einstellung, eines religiösen Fanatismus oder politischer Parteilichkeit begegnen. Eine Phobie hat man, unter einer Phobie leidet man, merh noch, sie hat einen, sie nimmt einen in Beschlag. Die Phobie muss behandelt werden wie andere bedrohlich psychische Erkrankungen. Der Phobiker verhält sich zwanghaft. Er kann anderen zur Gefahr werden und wird zugleich als Opfer einer Krankheit betrachtet, statt als Subjekt mit Überzeugungen und Meinungen, wie fragwürdig auch immer.
Wollen wir wirklich in solchen Begriffen von der öffentlichen Debatte um den Islam reden, wie sie sich bei uns in den letzten Jahren entfaltet hat? Ich halte das nicht für sinnvoll. Trotzdem will ich über das Thema „Islamophobie – die Rolle der Medien“ sprechen. Denn ich kann sehr wohl verstehen, warum sich bei manchen Muslimen der Eindruck einer generellen Islamfeindlichkeit festgesetzt hat. Dies auf eine sich immer weiter verbreitende „Islamophobie“ zurückzuführen, hielte ich dennoch für falsch.
Denn dadurch werden bestimmte Redeweisen und Einstellungen von vornherein in den Bereich der Angst gerückt und somit psychologisiert. Man rückt sie damit aus dem Bereich des Verstehbaren und Widerlegbaren heraus und hat sie somit zum Schein neutralisiert. Mit einem Phobiker kann man nicht debattieren. So enifach geht es aber nicht.
Schauen wir uns kurz ein paar prominente Versuche an, Islamophobie zu definieren. Dann wird das Problematische dieses Begriffs deutlich werden.
Der Begriff wurde durch eine Studie des britischen Runnymede Trust 1997 in die Debatte eingeführt. Runnymede Trust ist eine unabhängige Lobbygruppe für eine multi-ethnische, multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft.
Eine islamophobe Einstellung kommt nach einer Definition des Trust in folgenden Meinungen zum Ausdruck:

* Der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.

* Der Islam sei gesondert und fremd, er habe keine gemeinsamen Ziele und Werte mit anderen Kulturen; weder sei er von ihnen beeinflusst noch beeinflusse er sie.

* Der Islam sei dem Westen unterlegen, barbarisch, irrational, primitiv und sexistisch.

* Der Islam sei gewalttätig, aggressiv, bedrohlich, den Terrorismus unterstützend und in einen Kulturkampf verstrickt.

* Der Islam sei eine politische Ideologie, die für politische oder militärische Vorteile genutzt werde.

So weit die Definition des Forum Against Islamophobia and Racism (FAIR). Islamophobie und Rassismus stehen hier nahe beieinander, was auch problematisch ist: Denn ich kann sehr wolh feindliche Gefühle gegenüber dem Islam als Religion hegen, ohne Muslime dabei rassistisch abzulehnen. Sonst wäre Islamkritik und Islamfeindlichkeit vonseiten geborener Muslime ja nicht möglich. Auch dies ist ein Versuch, jede Kritik am Islam von vornherein als rassistisch zu diskreditieren.
Ausserdem bin ich der Meinung, dass alle die „islamophoben“ Ideen, die der Runnymede Trust hier auf den Index gesetzt hat, prinzipiell unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehen.
Der Islam wird von manchen Muslimen als politische Ideologie verstanden. Das bestreiten am allerwenigsten jene Muslime, die sich dagegen verwehren. Ja, der Islam hat ein gewalttäiges, aggressives und bedrohliches Gesicht. Terrorismus und Kulturkampf sind ihm nicht fremd. Ist der Islam dem Westen unterlegen? Ist er sexistisch? Ist er barbarisch? Letzteres würde ich nicht sagen, aber Barbaren im Namen eines bestimmten Islam gibt es zweifelsohne. Sie bringen mit Vorliebe andere Muslime um, wie wir mit Schrecken jeden Tag im Irak sehen können. Sexismus? Wer hier möchte aufstehen und sagen, dies sei ein völlig absurder Vorwurf? Dass der Islam dem Westen „unterlegen“ sei, ist die große Angst und der ANTRIEB aller muslimischen Reformdenker der letzten 200 Jahre. Warum sollten wir diese Aussage also tabuisieren? Nur weil es nicht in Ordnung ist, wenn Nichtmuslime sagen, was Muslime seit 200 Jahren sagen? Genauso verhält es sich mit der Aussage, der Islam sei ein allein stehender monolithischer Block, statisch und für Veränderung unempfänglich.
Es ist einfach Unsinn, diese Aussage als Indiz für „Islamophobie“ anzusehen. Manche Muslime sehen des Islam genau so, manche Muslime kämpfen wiederum gegen jene, weil sie Veränderungen wollen. Eine Aussage, die Gegenstand eines innermuslimischen Streits ist, zum Symptom für „Islamophobie“ zu erklären, wenn sie aus dem Mund von Nichtmuslimen zu hören ist, das geht einfach nicht. Das ist eine Gefahr für die freie Debatte, für die freie Forschung. Das ist eine Attacke auf dem wissenschaftlichen Fortschritt. Und wie verhält es sich mit der letzten Aussage, die Runnymede als signifikant erklärt: Der Islam sei gesondert und fremd, er habe keine gemeinsamen Ziele und Werte mit anderen Kulturen; weder sei er von ihnen beeinflusst noch beeinflusse er sie. Der letzte Teil dieses Satzes ist historischer Unfug. Natürlich ist der Islam beeinflusst von anderen Kulturen, und natürlich beeinflusst er auch sie. Ob der Islam „gesondert und fremd“ sei, ob er „gemeinsame Ziele und Werte“ mit anderen Kulturen habe, das ist genau der Kern des Streits, um den sich alles dreht in unserer Debatte. Noch einmal zur Erinnerung: Auf allen Seiten gibt es Vertreter der einen oder anderen Richtung: Muslime, die das Fremde betonen, Muslime, die ökumenisch denken. Nichtmuslime, die das Gemeinsame sehen, Nichtmuslime, die sich keinen Konsens vorstellen können. Es ist dumm, diese Debatte zensieren und regulieren zu wollen. Sie muss ausgetragen werden. Wir müssen alle zusammen da durch.
Noch ein Beispiel für einen unglücklichen Definitionsversuch:
In seiner sozialwissenschaftlichen Studie „Deutsche Zustände. Folge 4“ macht Wilhelm Heitmeyer Islamophobie im Rahmen einer Befragung u.a. an der Zustimmung zu folgenden Aussagen fest:

* „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.“
* „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“
* „Es sollte besser gar keine Muslime in Deutschland geben.“
* „Muslimen sollte jede Form der Religionsausübung in Deutschland untersagt werden.“
* „Für mich sind die verschiedenen islamischen Glaubensrichtungen kaum zu unterscheiden.“
* „Die Mehrheit der Muslime hält große Distanz zur restlichen Bevölkerung.“
* „Viele Muslime in Deutschland wollen lieber unter sich bleiben.“
* „Die islamistischen Terroristen finden starken Rückhalt bei den Muslimen.“
* „Ich hätte Probleme in eine Gegend zu ziehen, in der viele Moslems leben.“
* „Ich werde nur solche Parteien wählen, die gegen den weiteren Zuzug von Moslems sind.“

Umgekehrt gilt ihm auch die Ablehnung der folgenden Aussagen als Indiz für eine islamophobe Einstellung:

* „Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht.“
* „Die muslimische Kultur passt durchaus in unsere westliche Welt.“
* „Ich würde mein Kind auch in einer Schule anmelden, in der eine moslemische Frau mit Kopftuch unterrichtet.“
* „Es ist allein Sache der Muslime, wenn sie über Lautsprecher zum Gebet aufrufen.“
Auch mit dieser Art der Erfassung habe ich Probleme: Was, wenn ich den Gebetsruf ablehne, wie ich auch das Glockenläuten ablehne, weil ich am Sonntag (oder Freitag) nicht gestört werden will, oder weil ich überzeugter Säkularist oder Atheist bin, der Religion nur im Stillen für akzeptabel hält?
Muss ich den Islam nicht nur hinnehmen, sondern sogar bewundern, um nicht als islamophob zu gelten? Ist die Ablehung einer bekopftuchten Lehrerin – gerade unter Türken weit verbreitet – schon islamophob? Und was ist mit den Türken, die Kreuzberg verlassen, weil sie für ihre Kinder bessere Schulen wollen? zu sagen, die islamistischen Parteien fänden „starken Rückhalt bei Muslimen“ ist, global gesehen, ein Irrtum, wie wir aus vielen Umfragen wissen. In Ägypten ist es die reine Wahrheit.
Und so weiter, und so fort: Sie sehen schon, was mir an dem Begriff Islamophobie nicht gefällt, ist die Tatsache, dass er – in meist bester Absicht – die notwendigen, peinigenden Debatten einfach abschneidet, statt sie führbar zu machen. Der Islamophobie-Begriff, wenn er sich durchsetzen sollte in der Breite, in der ich ihn hier skizziert habe, hätte fürchterliche Folge für unsere liberale Öffentlichkeit. Er wäre ein Instrument, um jede mißliebige Debatte zu ersticken. Diejenigen muslimischen Gruppen, die ihn in Großbritannien propagieren, sind durch die Salman-Rushdie-Affäre entstanden. Ich halte das nicht für einen Zufall. Die Verwendung des Islamophobie-Begriffs seitens dieser Gruppen ist ein Versuch, den in der Rushdie-Affäre gewonnenen Boden zu verteidigen und zu vergrößern.

Wer aber die Wahrnehmung der Menschen verändern will, ist schlecht berufen, mit Verboten, Tabus und Sprachregelungen zu arbeiten. Besser wäre es, der Öffentlichkeit ein anderes Image des Islam zu präsentieren. Allerdings darf das nicht bloß eine Art beschönigende Gegenpropaganda sein. Es muß ein authentisches Gegenbild sein, dass die problematischen Dinge nicht ausblendet und von echter Auseinandersetzung mit ihnen zeugt. Dazu später.
Nachdem ich jetzt so viel Zeit damit verbracht habe, den Begriff, auf dem mein Vortrag fußt, kaputtzumachen, muß ich endlich zum zweiten Teil meiner Überschrift kommen: die Rolle der Medien.

Im letzten Jahr habe ich an vier Debatten zu diesem Thema teilgenommen: in Berlin, 2xFrankfurt und München. Jedesmal saß ich gewissermassen stellvertretend auf der Anklagebank für meine Zunft. Die Unterstellung war: Es gibt immer mehr Islamophobie. Sie (die Medien) sind schuld daran. Was, werter Herr Lau, gedenken Sie also zu ändern? Was ist der „Beitrag“, wurde ich einmal gefragt, den die Medien zum gesellschaftlichen Frieden leisten können?
Ein bißchen trotzig – aber auch aus tiefster Überzeugung – habe ich dazu gesagt: Nichts. Keinen Beitrag. Dafür sind wir nicht zuständig. Ich verbitte mir solche Fragen. Stellen Sie sich einfach vor, unserem Wirtschaftskorrespondenten würde vom Bund der deutschen Industrie vorgehalten, in Deutschland werde das Klima immer wirtschaftsfeindlicher. Immer mehr Geschichten über Korruption bei Siemens und VW, immer mehr Kommentare über Managergehälter, viel zu viel Verständnis für Gewerkschaftsforderungen. Was können wir tun, was können die Medien tun, damit das Klima in Deutschland wieder wirtschaftsfreundlicher wird? Das wäre ein Skandal.
Oder stellen Sie sich vor, der Vorsitzende einer Partei würde sich beschweren, wir würden nur Negativberichte über ihn und seine Truppe bringen. (Ach, es gibt diesen Fall in der Wirklichkeit: Denken Sie an Kurt Beck und die SPD und ihr unglückliches Verhältnis zur „Berliner Hauptstadtpresse“.) Was kann die Presse tun, um das Klima wieder freundlicher für die Sozialdemokratie zu gestalten? Absurd! Werden Sie zu Recht sagen.
Oder nehmen Sie die Chinesen – sie wünschen sich eine andere Tibet-Berichterstattuntg. Wir sollen die Probleme mit diesen paar Mönchlein nicht so hoch spielen, hören wir da. Wir sollen die Tugenden des chinesischen Wirtschaftswunders mehr in den Vordergrund stellen. Wir sollen die Bedeutung Chinas für den Weltfrieden und die Weltökonomie im Blick behalten und nicht so sehr auf einzelnen Menschenrechtsverletzungen herumreiten. Eine Presse, die sich darauf einließe, wäre erledigt.
Warum findet niemand etwas dabei, im Bezug auf den Islam mit den gleichen absurden Zumutungen zu kommen?

Und hier muss meine eigene Erfahrung ins Spiel kommen. Ich habe in den letzten 2 Jahren ein Blog gefuehrt, in dem ich mich im Wesentlichen mit den Themen Islam in Europa, Integration, islamische Reform, interreligioeser Dialog und so weiter beschaeftigt habe. Die wichtigste Kategorie in diesem Blog heisst: Die Freunde und die Feinde des Islam.
Alles hat damit angefangen, dass ein iranischer Freund – der Philosoph Ramin Jahanbegloo – in Teheran verhaftet wurde. Ich wollte täglich ueber seinen Fall berichten, und da schien mir das Internet das richtige Medium. Um Ihnen eine Idee von der Weite des Themenfeldes zu geben: Ich habe über den Dialog des Papstes mit den zunächst 38, dann 138 islamischen Gelehrten geschrieben. Ich habe über eine britische Debatte zur Zulässigkeit des “Burkini” beim Schulsport geschrieben. Die Islamkonferenz, die neueren Repressionen in Iran gegen “unislamische Kleidung”, ein neues Magazin für muslimische Maedchen, die Verhaftung eines Bloggers in Kairo, der Aufstand muslimischer Gelehrter in Nordwestpakistan gegen eine Pflicht zum Barttragen – all dies war Thema bei mir im Blog.
Im 2 Jahren habe ich 660 Posts geschrieben, es wurden ueber 30.000 Kommentare hinterlassen. Ich nähere mich der halben Million bei den Besuchern.
Und doch habe ich vor 2 Wochen fürs erste aufgehoert. Ich hatte keine Lust mehr, und daran waren vor allem die Reaktionen einiger besonders meinungsstarker Kommentatoren Schuld. Es hatte sich ein festes Ritual eingespielt, in dem einige so genannte “Islamkritiker” entweder mir oder anderen Kommentatoren vorwarfen, wir seien naiv im Bezug auf die Reformfaehigkeit des Islams. Wir wurden dargestellt als nützliche Idioten einer schleichenden Islamisierung Europas und unserer Gesellschaft. Ich habe mich bemüht, hoeflich aber entschieden dagegen zu halten, doch die Debatte began sich irgendwann im Kreis zu drehen. Wenn man auch nur darauf verwies, dass es selbstkritische Stimmen aus der islamischen Community gibt, dass es Theologen mit abweichender Meinung zu Frauenrechten, Menschenrechten, zum Wirkungsbereich der Scharia gibt, dann wurde man gescholten, man wolle nur vom “wirklichen Islam” ablenken, in dem es nun einmal keine Reform geben könne. Von anderer Seite wurde ich angegriffen, weil ich diesen so genannten “Islamkritikern” nicht auf meiner Website den Mund verbieten wollte. Ich fand es aber wichtig, dass es ein Forum gab, auf dem sich fromme Muslime (auch einige Konvertiten), interessierte Laien und Islamkritiker argumentativ auseinandersetzen mussten. Ich betrachtete mich als Moderator, der jeweils von den besten (und den schlechtesten) Argumenten lernen konnte.

Da verteidigte ein säkularer tuerkischer Intellektueller die Hamas, in der er eine legitime Freiheitskämpfer-Armee sieht. Er sah sich dafür (auch von mir) angegriffen, er rede die völkermörderischen Passagen in der Hamas-Charta schön. Ein ostdeutscher Konvertit verteidigte einen konservativen Islam gegen meine Versuche, liberalen Auslegungen ein Forum zu geben. Ein Atheist versuchte zu zeigen, dass alle Religionen schädlich seien, und der Islam gewissermassen nur der Inbegriff des monotheistischen Irrsinns. Eine katholische Debattantin begründete immer wieder, dass die einzig sinnvolle Reform des Islam in der Konversion aller Muslime bestehen muesse. Ein iranischer Arzt aus Süddeutschland unterstützte meine Kritik des Teheraner Regimes und wandte sich zugleich gegen die Dämonisierung des Islams per se.
Das alles war sehr interessant und oft temperamentvoll vorgetragen. Aber am Ende frustrierte mich die Unlust der haeufigsten Kommentatoren, irgendetwas dazulernen zu wollen.
Also habe ich mit diesen Worten das Blog geschlossen:
„Das Thema Islam/Integration/Migration läßt sich einfach nicht mehr verhandeln, ohne zu den immer gleichen Abschweifungen über die muslimische Gefahr, den allzu weichen Westen, die Illusionen des Mulitkulturalismus (dem ich nie gehuldigt habe) etc. anzuregen.
Ich habe keine Lust, die Kommentare abzuschalten.
Ich habe immer weniger Lust, auf die Kommentare der meisten hier zu antworten.
Ich gebe mich vorerst geschlagen und bitte eventuelle unbekannte Mitleser um Nachsicht.“

Jetzt mache ich doch wieder weiter, weil ich es falsch finde, die Web-Öffentlichkeit nur Islamisten und Anti-Islam-Paranoikern zu überlassen. Ich danke allen, die mich darin mit freudlichen Mails oder direktem Zuspruch bestätigt haben.

 

Zwei Modelle neuer islamischer Weiblichkeit

Emanzipation in der islamischen Welt findet zwischen diesen beiden Polen statt: Sheika Mozah, die Frau des Emirs von Qatar, äußert sich gegenüber Time Magazine in sehr klaren Worten über Rückständigkeit und Refrom. Sie steht für eine Emanzipation der Oberschicht, die nicht um den Preis der Distanzierung vom Islam erkauft werden soll (wie es bei früheren Oberschichten-Modernisierungen (Schah, Atatürk) der Fall war).
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Sheikha Mozah
Und am anderen Ende der Skala eines „islamischen Feminismus“ steht Malika El-Aroud, eine Belgierin marokkanischer Abstammmung, die sich zu einer der Hauptprotagonistinnen des Internet-Dschihad entwickelt hat. Ihr erster Mann war an dem Mord an dem Taliban-Gegner Achmed Schah Massud beteiligt. Sie macht im Web Propaganda für Al-Kaida. Sie tritt selbstbewußt für das Recht der Frau ein, gleichberechtigt am Dschihad teilzunehmen. Wie eine islamistische Calamity Jane treibt sie die Männer mit ihrem Radikalismus und ihrem Blutdurst vor sich her.

Sie wurde von den Belgiern aus Afghanistan herausgeholt, nachdem ihr Mann den Mord an Massud begangen hatte. Erst spielte sie den Behörden vor, sie würde mit ihnen kooperieren, doch nun setzt sie als belgische Bürgerin ihre Hetze fort. Offenbar sehen die Belgier keine Möglichkeit, sie zu stoppen. Unfaßbar.

Dies sagt Sheika Mozah:
Frage: Do you agree with critics who blame Islam for holding women back?
The gender gap is not due to Islam. In the golden age of Islam, women were participating in every aspect of their societies. Look at the men. They are also oppressed. This is the problem: politics, the political agendas that some people are using to suppress their citizens, and traditions that existed even before Islam. Those traditions can play to the interests of some politicians.

Frage: How serious is the gender gap?
It is serious as part of the huge scale of human violation that is taking place today in this part of the world. People will burst someday. People can see what’s going on in the world. They want the same quality of life that other people are enjoying when it comes to freedom and enjoying rights and expressing opinions.

Frage: In talking about political oppression you’re using unusually tough language.
We have to be serious about our problems and shortfalls. It’s time to have self-reflection and self-criticism if we are really genuine about our reforms and if we want to make a historical change.“

Und dies ist die Geschichte von Malika El-Aroud, wie sie in der Herald Tribune erzählt wird:

Born in Morocco, raised from a young age in Belgium, El Aroud did not seem destined for the jihad.

Growing up, she rebelled against her Muslim upbringing, she wrote in a memoir. Her first marriage, at 18, was unhappy and brief; she later bore a daughter out of wedlock.

She was unable to read Arabic, but her discovery of the Koran in French led her to embrace a strict version of Islam and eventually to marry Abdessatar Dahmane, a Tunisian loyal to Osama bin Laden.

Eager to be a battlefield warrior, she hoped to fight alongside her husband in Chechnya. But the Chechens „wanted experienced men, super-well trained,“ she said. „They wanted women even less.“ In 2001, she followed her husband to Afghanistan. As he trained at a Qaeda camp, she was installed in a camp for foreign women in Jalalabad.

For her, the Taliban were a model Islamic government; reports of their mistreatment of women were untrue. „Women didn’t have problems under the Taliban,“ she insisted. „They had security.“

Her only rebellion was against the burka, the restrictive garment the Taliban forced on women, which she called „a plastic bag.“ As a foreigner, she was allowed to wear a long black veil instead.

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Malika El-Aroud

Die neue Rolle solcher junger Frauen in der islamistischen Terror-Szene, schreibt Souad Mekhennet in ihrem packenden Artikel, habe sehr viel mit der westlichen Idee von Emanzipation zu tun: „The changing role of women in the movement is particularly apparent in Western countries, where Muslim women have been educated to demand their rights and Muslim men are more accustomed to treating them as equals.“

Hier El-Arouds Website, auf der sie als Oum Obeyda auftritt.

 

Ein Kuss als Denkmal

Noch etwas Kleines aus der ZEIT von morgen:

In Berlin, am Rand des Tiergartens, erinnert jetzt ein Denkmal an die Verfolgung der Homosexuellen im Nationalsozialismus. Es ist ein eher dezentes Monument, das sich die äußere Form einer Stele vom gegenüberliegenden Holocaust-Mahnmal borgt. Die Skulptur der beiden Künstler Elmgreen und Dragset hat jedoch ein Innenleben: Wer durch das Loch an der Stirnseite schaut, sieht zwei sich küssende Männer.
Wie das Ensemble so zurückgenommen unter Bäumen daliegt, spricht es beredt von der lange verweigerten Empathie mit den verfolgten Schwulen und Lesben. Noch im Moment der Anerkennung steht man abseits des Weges und abgesondert vom viel besuchten Hauptgedenk-Ort.
Als der Kulturstaatsminister Neumann diese Woche das Mahnmal einweihte, waren keine Überlebenden der Verfolgung dabei. Sie sind alle gestorben, bevor die überfällige Kenntnisnahme ihres Martyriums geschah. Sie kam so spät, weil mit dem NS-Staat zwar das Morden aufhörte, die Verfolgung aber weiterging. Völlig zu Recht nannte darum ein Redner die Schwulenverfolgung der Nachkriegszeit unter dem bis 1969 gültigen Paragrafen 175 einen »monströsen Schandfleck unserer Demokratie« und eine »schlimme Menschenrechtsverletzung«. Ihre Aufarbeitung steht aus, wie die bis heute grassierende Homophobie beweist. Auch dafür steht das Denkmal.
Wer den CDU-Staatsminister einfühlsam klagen hörte über das sinnlos zerstörte Lebensglück und die »zerschlagenen Lebenswelten« von Lesben und Schwulen, der konnte kaum fassen, dass die Bundesrepublik­ sich so lange schwergetan hat mit dem Homo-Mahnmal. Was wurden nicht alles für Bedenken geltend gemacht, um es zu verhindern! Vor der Zersplitterung des Gedenkens, vor einer fatalen Konkurrenz und Hierarchisierung der Opfergruppen wurde gewarnt. Nichts davon trat ein.
Die abstrakte Toleranz gegenüber Schwulen, die vielerorts heute zum guten Ton gehört, ist mit echter Empathie nicht zu verwechseln. Aber etwas ändert sich: An einem Sommerdienstag in Berlin konnte man Generäle in Uniform, Abgeordnete und ein buntes Gemisch von A- und B-Promis erleben, die sich zu dem traurigen und doch lebenslustigen Denkmal mit dem küssenden Paar im Zentrum bekannten.