Aussenminister Steinmeier trifft im Nahen Osten auf lauter Akteure, die es aus purer Not mit Pragmatismus versuchen wollen
Riad, 8. Mai
Wer in die Geburtskirche zu Bethlehem will, muss sich klein machen. Die winzige Pforte wurde einst von den Kreuzfahrern verkleinert, um die Basilika besser verteidigen zu können. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier passt gebückt so gerade noch durch – und schon hat seine siebte Nahost-Reise ein passendes Bild: Wer sich in die religiös aufgeladenen Konflikte dieses Teils der Welt einmischen will, übt sich besser gleich in Demut.
Steinmeier in der Geburtskirche zu Bethlehem, links Kholoud Daibes, die Tourismusministerin der palästinensischen Einheitsregierung
Auf dem Platz vor der Geburtskirche haben sich ein paar erregte Demonstranten unter einem Plakat versammelt, auf dem in Arabisch und Englisch zu lesen steht, wer die Stadtverwaltung Bethlehems boykottiere, sei in der Geburtsstadt Jesu nicht willkommen. Der Bürgermeister der Stadt hatte vergeblich auf einen Händedruck des Aussenministers vor der Kirche gehofft. Er steht der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) nahe, die der EU als Terrororganisation gilt. Der verweigerte Händedruck wird in arabischen Medien empört zum „Boykott“ aufgeblasen.
Boykott? In Wahrheit versucht Steinmeier, jenen Teilen der palästinensischen Regierung aus der Isolation herauszuhelfen, die für einen Gewaltverzicht und die Anerkennung Israels stehen. Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch vor einem Monat noch jeden Kontakt mit der nationalen Einheitsregierung aus Fatah und Hamas gemieden. Steinmeier trifft als erster Emissär der Bundesregierung mit moderaten Regierungsmitgliedern zusammen – mit dem parteilosen Finanzminister Fajad, der ebenfalls parteilosen Tourismus-Ministerin Daibes, dem Informationsminister Barghouti, dem Aussenminister Amr und schließlich mit dem Präsidenten Mahmud Abbas.
Das unfertige Arafat-Mausoleum in der Mukata (palästinenischer Regierungssitz in Ramallah)
Hinter diesem vorsichtigen Politikwechsel der Europäer – Steinmeier vertritt hier auch die Rastpräsidentschaft – steht die Einsicht, dass politische Isolation am Ende den islamistischen Radikalen in Hamas und Fatah hilft, weil sie die Handlungsmöglichkeiten von Mahmud Abbas einschränkt. Mit dem Finanzminister Fajad werde derzeit darüber verhandelt, so Steinmeier, die EU-Finanzhilfen an die Palästinenser wieder für Investitionen und öffentliche Gehälter freizugeben. Nach dem Hamas-Triumph bei den letzten Wahlen hatte Europa sich auf humanitäre Hilfe beschränkt. Steinmeier ist gekommen, um eine hilflose Politik zu beenden, die das wachsende Elend in den palästinensischen Gebieten alimentiert und gleichzeitig die Regierung politisch schwächt.
Steinmeier trifft Fajad in Bethlehem, im traumhaft schönen, aber menschenleeren Hotel Jacir Palace. Es liegt nur wenige Schritte von dem Sperrwall entfernt, der die palästinensischen Gebiete einschließt. Hier mit der gesamten Delegation zu übernachten – statt wie üblich in Jerusalem – , ist ganz ohne große Worte eine bewegende Geste für die zunehmend verelendenden Bewohner der Westbank. Die gespielte Aufregung um den Bürgermeister ist denn auch schnell vergessen. Dass der deutsche Aussenminister in dem Geister-Hotel absteigt – 6 Prozent Auslastung sind hier sonst üblich -, als wäre es schlichte Normalität, wird ihm so schnell nicht vergessen werden.
Denn Normalität ist in dieser leicht entflammbaren Region ein knappes Gut.
Steinmeier vor der Mukata mit dem palästinensischen Aussenminister Ziad Abu Amr (rechts aussen)
Doch diesmal ist untergründig eine merkwürdige neue Dynamik der Vernunft am Werk. Steinmeier trifft auf lauter Akteure, die so tief in ihren selbstgeschaffenen Krisen stecken, dass sie schon aus reiner Not dem Pragmatismus eine Chance geben müssen. Darum klingen seine mantramässig wiederholten Appelle, man dürfe „den Gesprächsfaden nicht abreissen lassen“, man müsse „das historische Momentum nutzen“, man solle „den Annäherungsprozess konstruktiv begleiten“, keineswegs hohl.
Gerade die offensichtliche Zerbrechlichkeit der beiden Regierungen in Ramallah und Jerusalem macht Fortschritte im Friedensprozess für sie unverzichtbar. Sowohl Abbas wie auch Ehud Olmert und seine Aussenministerin Zipi Livni brauchen dringend Erfolge, um den berechtigten Verdacht zu widerlegen, dass sie nicht mehr handlungsfähig sind.
Das Leitmotiv dieser Reise ist pragmatische Vernunft aus eingesehener Schwäche – von Scharm-El-Scheich in Ägypten über Palästina und Israel bis nach Riad in Saudi Arabien: Bei der Irak-Konferenz konnte Steinmeier eine bescheiden gewordene Condi Rice erleben, die sich nun auf einmal rühmte, in Scharm-El-Scheich 30 Minuten lang „produktiv“ mit dem syrischen Ausseminister Moallem über die Verbesserung der Sicherheit im Irak geredet zu haben. Seine eigene Syrienreise war vor wenigen Monaten von den Amerikanern noch als verrückte Idee abgetan worden. Steinmeier verkniff sich in Scharm-El-Scheich jedes Zeichen der Genugtuung.
Die arabischen Staaten sagen nicht nur Irak bei der Konferenz einen weitgehenden Schuldenerlass zu. Sie haben jetzt auch ihre Nahost-Friedensinitiative wiederbelebt, die fünf Jahre auf Eis lag. Beides nicht nur aus Idealismus: Sie stützen die Maliki-Regierung im Irak und den Präsidenten Abbas nicht zuletzt, weil sie sonst im Irak von den Iranern und in Palästina von der Hamas an den Rand gedrängt zu werden fürchten.
An den zwei vollgepackten Tagen, die Steinmeier in Israel verbringt, gibt es erste Zeichen dafür, dass die paradoxe Dynamik aus Schwäche tatsächlich wirkt. Die innenpolitisch angeschlagene Livni bekräftigt, sie werde noch in dieser Woche nach Ägypten fahren, um die Chancen einer Wiederbelebung des arabischen Friedensplans auszuloten. Und Abbas’ Sicherheitskräfte schliessen einen Waffenschmuggler-Tunnel an der Grenze Gaza-Ägypten. Damit erfüllen sie eine der Forderungen des neuen amerikanischen Plans zur Wiederbelebung des Friedensprozesses, der just während Steinmeiers Reise bekannt wird.
Das „Benchmarks“- Papier aus dem Aussenministerium setzt beiden Seiten einen klaren Zeitplan: Die Palästinenser müssen in Gaza gegen Waffenschmuggel und Raketenbeschuss vorgehen, die Israelis sollen dafür Blockaden und Checkpoints im Westjordanland entfernen und Reiseerleichterungen gewähren.
Zwischen den diplomatischen Kernterminen ist Steinmeier einen ganzen Tag fern der politischen Entscheidungszentren im Heiligen Land unterwegs. Eine Reporterin der katholischen Nachrichtenagentur will wissen, ob dies etwa eine getarnte Pilgerreise sei. Die Frage ist nicht unberechtigt: Steinmeier besucht nach der Geburtskirche auch noch die Brotvermehrungskirche, die Synagoge von Kapernaum und ein katholisches Pilgerheim am See Genezareth. Schließlich fährt er mit einem historischen Boot auf dem See, an dessen Ufern sich wesentliche Teile des Evangeliums zugetragen haben. Nein, gibt er dort lachend zu verstehen, er habe nicht vor, „die Pilgerreise als politisches Instrument“ zu rehabilitieren.
Pilgerprogramm zwischen Religion, Geopolitik und Ökologie: Steinmeier auf dem See Genezareth
Auf dem See Genezareth läßt er sich denn auch nicht über das Evangelium vom Gang Jesu über das Wasser aufklären, sondern über Wasserknappheit als politischen Faktor in Zeiten globaler Erwärmung. Die kommenden Konflikte werden hier nicht nur um Glauben und Land geführt werden, sondern immer mehr auch um die Ressource Wasser. Steinmeiers Pilgerprogramm ist also eine Exkursion in die untrennbare Verschlingung von Religion, Geopolitik und Ökologie im Heiligen Land.
Pathetische Reden über den Dialog der Religionen liegen dem trockenen Protestanten Steinmeier nicht. Er hat, statt Reden zu halten, lauter Orte ausgesucht, an denen die Politisierung der Religion sich als Fluch erwiesen hat – und an denen es doch auch Beispiele für die „gelebte Aussöhnung“ gibt. So etwa in der evangelischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala westlich von Bethlehem, wo Christen und Muslime, Mädchen und Jungen trotz allem zusammen lernen.
Steinmeier in der evangelischen Mädchenschule „Talitha Kumi“ („Mädchen steh auf“) in der Westbank bei Beit Jalla
In der Basilika bei Kapernaum, in der das Wunder der Brotvermehrung verehrt wird, erläutert Pater Jeremias Marseille dem Aussenminister, dies sei ein multireligiöser Ort des Durchgangs gewesen, auf dem die erschöpften Reisenden, die aus den Wüsten Mesopotamiens ans Mittelmeer kamen, Kühle, Ruhe und Erfrischung gefunden hätten. Für ihn, so der Pater, sei damit auch die Atmosphäre des Evangeliums beschrieben. Das hat Steinmeier offenbar gefallen. Im Besucherbuch ist nachher zu lesen, er sei gerne zum „Ruhen und Rasten gekommen“. Und am Ende sagt er gar, „dass ein wenig christliche Zuversicht auch für unser Geschäft notwendig ist“.
Der Aussenminister beim Ausstrahlen christlicher Zuversicht in Kapernaum. Alle Fotos: Lau
Wie wahr das ist, zeigt sich noch am gleichen Tag: Hamas läßt verlauten, man werde alles daran setzen, dass der amerikanische Benchmarks- Plan niemals implementiert werden könne. Drei Kassam-Raketen aus Gaza schlagen auf israelischem Gebiet ein.