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Warum Guido Westerwelle Erika Steinbach stoppen muss

Mein Kommentar aus der ZEIT (Nr. 47, S. 12) von morgen:

In der deutschen Geschichtspolitik bahnt sich ein Durchbruch an. Und der unwahrscheinliche Initiator ist Guido Westerwelle, der neue Außenminister.
In seiner ersten Woche im Amt hat er nicht nur runde 20 000 Flugkilometer absolviert, ohne in einem einzigen Fettnäpfchen zu landen. Er hat auch gleich etwas richtig gemacht: Sein erster Besuch führte ihn nach Warschau  –  gemäß dem Wahlversprechen, er werde das Verhältnis zu unserem östlichen Nachbarn so vertrauensvoll gestalten wie das deutsch-französische längst schon ist. Die umstrittene Bundesstiftung zum Gedenken an die Vertreibungen sei ein Beitrag dazu, sagte der Minister in Warschau. »Wir werden alles unterlassen, was diesem Gedanken entgegensteht.»
Das heißt: Westerwelle ist dagegen, dass die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, die CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, Mitglied im Beirat der Bundesstiftung werden kann. Wie recht der neue Außenminister damit hat, zeigte sich an Steinbachs unverschämter Reaktion. Sie warf ihm vor, »Vertrauen zu anderen Ländern durch Opfergaben zu Lasten eigener Bürger oder Organisationen erkaufen« zu wollen. Im Klartext: Frau Steinbach sieht den Außenminister ihrer eigenen Koalition als eine Art Landesverräter, weil der ihr nicht zutraut, den Posten satzungsgemäß auszufüllen.
Guido Westerwelle hat offenbar erkannt, dass es höchste Zeit ist, die deutsche Erinnerungskultur endlich aus der Geiselhaft dieser Frau zu befreien. Es sieht so aus, als würde er standhaft bleiben: Es sei verständlich, dass Steinbach in Polen auf Ablehnung stoße, weil sie 1990 gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze gestimmt habe, konterte Westerwelle Steinbachs Attacke trocken.
In Wahrheit ist Frau Steinbach längst nicht nur den Polen, sondern auch vielen hierzulande schwer als Versöhnerin vermittelbar. Beim diesjährigen Pfingsttreffen ihres Vereins hat sie wieder einmal erklärt, die Vertriebenen seien für Hitler in »Kollektivhaftung« genommen worden. Sie wüssten darum »elementarer als andere«, dass Hitler »die Büchse der Pandora« geöffnet habe. »Elementarer« als die Polen, deren Land ausgelöscht werden sollte?
Dass Frau Steinbach ihre Klientel immer wieder in eine Konkurrenz um den Opfer­status rückt, ist auch vielen Vertriebenen und deren Nachkommen unerträglich. Denn es gibt zum Glück länger schon eine große Bereitschaft, sich mit den deutschen Opfern vorbehaltlos zu beschäftigen – auch in Polen, Tschechien und Ungarn. Die Europäisierung der Erinnerung an Flucht und Vertreibung hat begonnen, nicht zuletzt durch den persönlichen Einsatz vieler Vertriebener. Doch Erika Steinbach tut immer noch so, als müsse sie eine gefühlstaube Welt darüber belehren, dass auch Deutsche gelitten haben. Dass es ein innerer Widerspruch ist, selbstherrlich und schneidend aufzutreten, wenn man als Opfer anerkannt werden will, hat sie nie verstanden.
Anfang des Jahre sah es anders aus: Als die BdV-Präsidentin im März vorerst darauf zu verzichten schien, einen Sitz in der Stiftung anzustreben, ist ihr viel Respekt zuteil geworden. Endlich schien eine Deeskalation möglich: Man dachte, sie stelle die Verwirklichung des »sichtbaren Zeichens« zum Andenken an das Leid der Vertriebenen über ihr persönliches Interesse. Jetzt zeigt sich, dass dies nur Taktik war. Steinbach wusste, dass die Sozialdemokraten im Kabinett ihre Berufung verhindern würden. Sie hoffte, der kleinere Partner in der neuen schwarz-gelben Regierung werde sich fügen und ihr ins Amt helfen.
Da war es allerdings eine Torheit, dass sie beim Pfingststreffen Verständnis dafür zeigte, dass die Ostpolitik von den Vertriebenen als »Verrat« denunziert wurde. Neben Willy Brandt waren dafür nämlich auch Walter Scheel und sein Nachfolger Hans-Dietrich Genscher verantwortlich. Nun muss Frau Steinbach zur Kenntnis nehmen, dass der neue liberale Außenminister das Bekenntnis zur Entspannungspolitik ernst meint.
Wie ernst, wird sich an seiner Standfestigkeit in der Causa Steinbach zeigen. Von der Bundeskanzlerin kann er stille Unterstützung erwarten. Angela Merkel hat in ihrer Danziger Rede zum deutschen Überfall auf Polen klargestellt: »Kein Land hat so lange unter deutscher Besatzung gelitten wie Polen.« Sie stellte deutsches Leid in den Zusammenhang der »Verantwortung Deutschlands, die am Anfang von allem stand«. Solche Worte machen es den Polen leichter, des an Deutschen begangenen Unrechts zu gedenken.
In den kommenden Tagen wird der Bund der Vertriebenen entscheiden, ob man Steinbach nominiert. Der BdV steht am Scheideweg: Was ist wichtiger – die Profilierung Erika Steinbachs oder die wachsende Empathie unserer Nachbarn auch für deutsche Opfer?

p.s.: Eine persönliche Note. Dies hier ist das Haus meiner Familie väterlicherseits. Es steht in Gorna Grupa (Obergruppe) bei Grudziaz (Graudenz) an der Weichsel. Es war einmal ein Dorfgasthof. Heute sind darin ein Kulturzentrum und ein Kaufladen untergebracht. Niemand kann sich an meine Oma oder meinen Vater und seine Geschwister erinnern. Oder niemand möchte es zugeben. Es war gut, das zu sehen bei unserem Polen-Urlaub in diesem Jahr. Erstaunlich, wie ähnlich die Gegend derjenigen ist, in der mein Vater, der Vertriebene, heimisch wurde (im äußersten Westen Westdeutschlands). Einen kleinen Stich hat’s mir schon versetzt. Aber dann war es auch gut. Ich bin auf der glücklichen Seite des Kalten Krieges aufgewachsen. Ich liebe Westpreussen und werde sicher wiederkommen. Heimat ist woanders.

gornagrupa

 

Westerwelle in Washington

Ich bin für anderthalb Tage mit dem neuen Außenminister in Washington. (Ein größerer Bericht wird folgen.) Westerwelle stellt sich nur zwei Tage nach dem großen Auftritt der Kanzlerin der amerikanischen Führung vor. Obama trifft er nicht – was protokollarisch auch sehr merkwürdig wäre. Aber Hillary Clinton hat immerhin eine dreiviertel Stunde Zeit für ihn.

Der Neue tastet sich noch sehr vorsichtig durch die Themen – Afghanistan, Iran, Klimagipfel von Kopenhagen, Weltwirtschaftskrise  – und natürlich Opel/GM. Merkwürdige Ironie: Westerwelle, der immer gegen die Opelretterei war, muss nun hier in Washington den Anwalt des deutschen Steuerzahlers geben, der von GM das Geld zurückfordert, das die Vorgängerregierung ohne seine Zustimmung zur Verfügung gestellt hat.

So richtig Spaß macht das Regieren da erst mal nicht, auch wenn Westerwelle sehr freundlich aufgenommen wird und der Himmel über dem Capitol, wo er wichtige Senatoren trifft, in schönstem Blau strahlt.

Merkels Besuch hier und ihre große Rede vor beiden Häusern des Kongresses wirkt jetzt im Licht des erneuten Opel-Debakels ziemlich neben der Spur. Da redet die Kanzlerin von Dankbarkeit und dem Geschenk der Freiheit, von ihren Sehnsüchten als DDR-Bürgerin nach Jeans und Reisen – und dabei platzt gerade der Deal zwischen GM und Magna, für den sie ihr ganzes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen hat. Sie darf sich schon ein wenig verschaukelt vorkommen.

Allerdings beharren amerikanische Regierungskreise hier darauf, dass die Obama-Administration nicht über das Platzen des Deals informiert war, als sie Merkel am Dienstag empfing. Und wenn man davon gewußt hätte, so heißt es in Washingtoner Kreisen, dann hätte man das sicher nicht an eben jenem Tag publik gemacht, als Merkel ihre Rede hielt.

Wie dem auch sei: Merkels großer Auftritt ist vollkommen ramponiert.

Allerdings muss sich die Regierung auch fragen, ob sie nicht einen Riesenfehler gemacht hat, als sie sich derart auf den Magna-Deal und das Retten von Arbeitsplätzen bei Opel festgelegt hat.

Jetzt ist sie extrem verwundbar: Die Nordrhein-Westfalen-Wahl darf nicht verloren gehen, also wird man alles tun, um das Bochumer Opel-Werk zu retten. Das wissen die GM-Manager natürlich auch, und sie werden den Preis rauftreiben. Wie das vor allem die FDP mit ihrem Vizekanzler Westerwelle und dem Wirtschaftsminister Brüderle vertreten wird, die doch beide immer die Ordnungspolitik hochgehalten haben, wird interessant zu beobachten sein.

Über Guido Westerwelles Aussenpolitik ist einstweilen nur zu sagen, dass sie sehr von der deutschen Innenpolitik überformt wird.

 

Wie das Amt sich auf Westerwelle vorbereitet

Mein Stück aus der ZEIT von morgen, Nr. 45, S. 5:

Am Werderschen Markt in der Mitte der Hauptstadt haben sie für den Neuen schon seit Wochen großräumig Platz geschaffen. Steinmeiers Sprecher Jens Plötner ist nun Botschafter in Colombo, sein Politischer Direktor Volker Stanzel vertritt Deutschland ab sofort in Tokyo, sein Staatssekretär Reinhard Silberberg in Madrid. Die Regale sind leer, die Familienfotos entfernt: Raum für neue Gedanken, Gelegenheit für überraschende Karrieren!
Kaum jemand hier hatte nämlich Zweifel, dass Guido Westerwelle als vierter FDP-Mann in der Geschichte der Bundesrepublik das Auswärtige Amt in Beschlag nehmen würde. Und selbst jene Berliner Diplomaten, die nicht so recht an Westerwelles außenpolitische Sendung glauben, wären wohl ein bisschen beleidigt gewesen, wenn er doch lieber Finanz- oder Superminister geworden wäre, statt sich in die Ahnenreihe der Scheel, Genscher und Kinkel zu stellen. Unterdessen arbeiten die Fachabteilungen seit Wochen daran, für den Neuen Dossiers zu erstellen, die ihm die Welt erklären – eine Art Gebrauchsanweisung für den Globus. »Wir sind jederzeit in der Lage«, sagt ein führender Diplomat, »Herrn Westerwelle von null auf hundert zu bringen.«
Bei null müssen sie zwar nicht anfangen. Westerwelle hat sich als Oppositionsführer im Bundestag immer wieder in außenpolitische Debatten eingeschaltet – zu Afghanistan (für den Einsatz), zum amerikanischen Raketenschild (dagegen), zu Iran (für harte Sanktionen), zum Nahen Osten (gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon). Und er hat das ganze letzte Jahr damit verbracht, vorauseilend dem Verdacht entgegenzuwirken, es fehle ihm das staatsmännische Stresemann-Gen. Er hat kluge außenpolitische Interviews gegeben und eine ausgefeilte Rede vor Berliner Diplomaten gehalten. Hans-Dietrich Genscher hielt währenddessen seine segnende Hand über ihn, damit auch der Letzte merkte, dass dieser Guido sein geliebter Sohn sei, an dem er Wohlgefallen habe. Weiter„Wie das Amt sich auf Westerwelle vorbereitet“

 

Ist ein schwuler Außenminister ein Problem (in der Türkei zum Beispiel)?

Wohl eher nicht, wie gestern die Milliyet berichtete:

„Der homosexuelle Freund und das diplomatische Protokoll. Was passiert, wenn der schwule Minister in die Türkei kommt?“, fragt sich die liberale Tageszeitung angesichts der Tatsache, dass der mögliche zukünftige deutsche Außenminister, Guido Westerwelle, seinen Lebensgefährten zu Staatsbesuchen mitnehmen werde. Ein Zuständiger aus dem türkischen Außenministerium habe dazu folgendes erklärt: „Wir haben noch nie eine derartige Erfahrung gemacht. Wir haben keine vorgefertigten Pläne, wie wir handeln würden. Weltweit gibt es keinen einheitlichen Umgang damit. Wenn Herr Westerwelle mit seinem Lebensgefährten kommt, werden wir einen Mittelweg finden und eine angemessene Behandlung dieses Umstands vornehmen“.

In anderen Worten: Das Protokoll wird stillschweigend so angepaßt, dass dann eben Michael Mronz ins Begleitprogramm des Staatsbesuchs integriert wird.

Es wird also überhaupt kein Problem sein. Westerwelle wird auch kein großes Thema daraus machen, möchte ich wetten. Warum sollte er auch?

Schwulsein ist nicht abendfüllend, wie der göttliche Max Goldt einmal gesagt hat. Es wird also auch keine „schwule Aussenpolitik“ geben, ebenso wie es unter Fischer keine grün-alternative gab. Es gibt nur eine deutsche Aussenpolitik.

Sollte irgendein Land signalisieren, dass es Probleme mit der sexuellen Orientierung des wahrscheinlichen deutschen Aussenministers hat, kann ihm das hierzulande nur nützen: Guido Westerwelle als Opfer von Diskriminierung – er würde endlich als Mensch wahrgenommen werden, nicht mehr nur als neoliberale Terminatormaschine, die sich bloss menschelnd umprogrammieren hat lassen.

Die bloße Tatsache allerdings, dass mit Westerwelle ein geouteter Schwuler unterwegs ist, der kein Aufhebens von seiner Orientierung macht, ohne sie aber zu verstecken, wird in vielen Ländern, besonders in den islamischen (aber auch z. B. in Schwarzafrika), eine kulturrevolutionäre Wirkung haben.

Es hat weltweit noch keinen offen schwulen Vizekanzler gegeben. Mich macht das ein bisschen stolz auf Deutschland, bei aller Skepsis gegenüber der Person. Das wird nolens volens eine stumme Menschenrechtspolitik werden.

(Und ich weiß genau, welche Mitblogger mir das nun wieder als „Obsession“ auslegen werden…)

 

Die befreite Angela

Und noch was aus der aktuellen Nummer der ZEIT von Yours truly (Nr. 42, S. 6) – über die Projektionen des befreundeten Auslands auf Schwarz-Gelb:

Wer liest, was die internationale Presse zum hiesigen Wahlergebnis schreibt, wird Zeuge der Entstehung eines politischen Mythos: der Befreiung von Angela Merkel.
Während die Koalitionäre in Berlin gerade erst begonnen haben, eine Formel für das schwarz-gelbe Bündnis zu suchen, projiziert die Welt schon munter Wünsche, Hoffnungen und Ängste auf die neue Regierung. Das einflussreiche britische Magazin Economist hat den Ton vorgegeben: »Angela Merkel ist befreit worden, um auf Veränderung zu drängen.« Schon vor der Wahl behauptete das ehrwürdige Kampfblatt des Wirtschaftsliberalismus, nicht Merkels »eigene Natur« habe sie gehindert, schärfere Reformen durchzupeitschen, sondern »die Gefangenschaft bei ihren Partnern von der SPD: Es ist Zeit, Angela zu befreien, damit wir sehen, was sie vermag.« Die Titelseite zeigte Merkel denn auch als Prinzessin im goldenen Käfig, bekleidet mit ihrer bekannten großkoalitionären Häftlingstracht – roter Blazer, schwarze Hose.
Als Befreier Angela Merkels feiert man nun den international weitgehend unbekannten »Mr. Westerwelle«. Durch ihn, so die Lesart, könne Merkel nun endlich wieder ihr altes Leipziger Reform-Selbst sein: »Und die neue schwarz-gelbe Regierung könnte genau das sein, was Deutschland braucht.« Fragt sich bloß, warum die aus der babylonischen Gefangenschaft unter Frank Nebukadnezar Steinmeier Befreite die ganze Woche nach der Wahl damit verbringt, ihren vermeintlichen Retter zu entzaubern. Angela Merkel hatte nichts Dringenderes zu tun, als die Liberalen in die Schranken zu weisen und Westerwelle klarzumachen, dass es in den Koalitionsverhandlungen eigentlich nichts zu verhandeln gebe. Eine komische Befreiung. Nach dem ersten Treffen der Delegationen haben beide Seiten immerhin Freude darüber bekundet, künftig miteinander regieren zu dürfen.
Auch über Westerwelles Außenpolitik weiß der Economist schon Genaueres als der wahrscheinliche Minister: Er sei viel »proamerikanischer« als sein Vorgänger und werde darum die deutschen Truppen länger in Afghanistan lassen. Und: »Weil er härter zu den Russen ist, wird er in einem Streich die deutschen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa verbessern.« Dass die Russen sich schon fürchten, ist aber unwahrscheinlich. Denn Westerwelle hat Scheel und Genscher – die personifizierte Entspannungspolitik – als Maskottchen der bundesrepublikanischen Kontinuität erkoren. Niemand würde sich wundern, wenn er im gelben Pullunder in sein neues Amt einzöge.
Während die einen Westerwelle als Putins neuen Zuchtmeister begrüßen, ergehen sich andere in traditionelleren britischen Fantasien über die deutsche Rolle in Europa. Beim Londoner Independent löste Westerwelles Weigerung, die Frage eines BBC-Reporters bei seiner ersten Pressekonferenz auf Englisch zu beantworten, altbewährte antideutsche Reflexe aus: »Wenn so etwas von dem Mann kommt, der wahrscheinlich deutscher Außenminister wird, dann ist das ein erhellender Vorgeschmack auf neuen teutonischen Geltungsdrang in internationalen Angelegenheiten.« Die Zeitung schrieb aber auch, Westerwelle sei »dauergebräunt« – was eigentlich wieder ziemlich unteutonisch ist.
Seit dem Wahlabend hat Angela Merkel immer wieder ihre Entschlossenheit zu Kontinuität demonstriert. Die Londoner Times hingegen hat hocherfreut einen »klaren Rechtsruck« in der deutschen Politik erkannt: Jetzt könne Merkel – »von der Leine gelassen« – endlich beweisen, dass sie keine »verkleidete Sozialdemokratin« sei. Auch die New York Times glaubt, Merkel werde jetzt »endlich die Chance haben, die Pläne für Liberalisierung durchzusetzen, die sie schon vorgeschlagen hatte, als sie zum ersten Mal kandidierte«. Und selbst der eher linksliberale Guardian hängt der Theorie von der »entfesselten Kanzlerin« an und sieht kommen – halb bangend, halb hoffend –, dass »Angela Merkel sich noch als Deutschlands Maggie Thatcher entpuppen« könnte. Ob man Le Monde (»Deutschland rückt nach rechts«), den Figaro (»Die konservative Revolution geht ihren Weg«) oder das Wall Street Journal (»klares Mandat für eine ideologische Lagerpolitik«) liest – überall wird das deutsche Wahlergebnis befreiungstheologisch gedeutet: Angie – free at last!
Wie mag das alles wohl die Kanzlerin erleben, von der es heißt, sie lese sehr viel Zeitung in diesen Tagen des Übergangs? Kaum vorstellbar, dass Merkels nahezu britisch stark ausgeprägtes Ironie-Gen nicht anspringt auf die Suggestion, dass sie sich nun befreit fühlen soll – während sie doch schon voll und ganz mit der Zähmung ihres selbstbewussten neuen Partners beschäftigt ist. Aber etwas Schmeichelhaftes hat der Mythos der befreiten Kanzlerin natürlich auch: Solange über die neue Regierung wenigstens im Ausland noch lebhaft getagträumt wird, kann es so schlecht um Deutschlands Platz in der Welt nicht stehen.

 

Iran: Eindämmung, nicht Sanktionen!

Fareed Zakaria hat einen klugen Grundsatzartikel über die Frage geschrieben, wie wir Iran behandeln sollen: Sanktionen, Diplomatie, Bomben? Nein: Abschreckung und Containment sind der Weg.

I do not believe the Iranian regime, at its core, wants normalized relations with America. Isolation from the West and hostility toward the United States are fundamental pillars that prop up the current regime—the reason that this system of government came into being and what sustains it every day. This is not simply a matter of ideology— though that is important—but economics. Those who rule in Tehran have created a closed, oligarchic economy that channels the country’s oil revenues into the coffers of its religious foundations (for compliant clerics) and the increasingly powerful Revolutionary Guard. They benefit from a closed economy that they can manipulate. An opening to the world, which would mean more trade, commerce, and contact with the United States, would strengthen Iran’s civil society, its trading class, its students, its bourgeoisie, and thus strengthen opposition to the regime.

The rulers of Iran do not want to open up to the world, except on their terms and in targeted ways that increase their own wealth and power. People sometimes speak about a „China option“ for Iran, in which Tehran would engage the world economically but remain politically repressive. But China genuinely opened up its economy and society to the outside world and brought market forces to bear, empowering new groups and creating a large economy outside the purview of the government. What Iran probably seeks out of this engagement is a „Russia option,“ in which the regime gains greater wealth and power by trading with the West, but retains a viselike control over Iran’s economy and society.

The United States has apologized for its role in the 1953 coup; it has reached out to Iran; it has offered wide-open talks. Each time, Iran has rebuffed the outstretched hand, claiming that the timing was bad, or the words used were wrong, or the offer wasn’t big enough. If it is true that Washington has been wary of simply getting into talks with Tehran, the reverse is more evidently true. And until the government of Iran makes a decision that it is interested in a rapprochement, no set of words or gestures, however clever, is going to break the logjam. If Mao had not wanted to break with the Soviet Union and make peace with the United States, Ping-Pong diplomacy and even Henry Kissinger’s negotiating prowess would not have produced the breakthrough of 1972.

So what does that leave? In fact, we are already moving toward a robust, workable response to the dangers of an Iranian nuclear program—one that involves sustained containment and deterrence. Iran’s rise has aroused suspicion in the Arab world. Many countries in the region are developing closer ties with the United States, including military ones. In the West, European nations worry about nuclear proliferation and are irritated with Iran’s deception and obstructionism. They have gotten tougher over the years in combating Iran and its proxies, and they are getting tougher at implementing some of the financial sanctions that target Iran’s elites. Even Russia and China, which have tried to maintain their ties with Iran, are conscious that they cannot be seen to be utterly unconcerned about proliferation and the defiance of U.N. resolutions. So they’ve allowed for some actions against the Iranian regime (and according to some reports were critical to the outcome of last week’s talks in Geneva).

All this means that Iran has become something of an international pariah, unable to operate with great latitude around the world. The country is in a box and, if well handled, can be kept there until the regime becomes much more transparent and cooperative on the nuclear issue.

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Was Außenminister Westerwelle will

Die Internationale Politik, das Organ der DGAP, hat das erste Interview mit dem Schatten-Außenminister:

Westerwelle: Für viele Menschen in der Welt sind die USA immer ein Orientierungspunkt für Freiheit, Wohlstand und Gerechtigkeit gewesen. So haben auch viele Deutsche die USA über die schwierige Zeit des Kalten Krieges hinweg zu Recht gesehen – und übrigens auch jenseits des Eisernen Vorhangs, wo die USA immer eine enorme Anziehungskraft auf die Menschen ausgeübt haben. Dieses Bild hat in den vergangenen acht Jahren durch viele außen- wie innenpolitische Fehler der US-Administration Risse bekommen. Mit der Wahl von Barack Obama zum Präsidenten haben die Amerikaner ihre Fähigkeit zum Politikwechsel beeindruckend unter Beweis gestellt. Dabei sind es weniger die Ziele als die Wege, die Barack Obama von seinem Vorgänger unterscheiden – Dialog statt Isolation, Einbindung statt Eindämmung, Kooperation statt Unilateralismus, Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren.

… Wir wollen und brauchen den engen Schulterschluss mit den USA.

(…)  Meine Partei hat es deshalb als schweres Versäumnis wahrgenommen, dass die Bundesregierung die Möglichkeit, den Prozess der Neuausrichtung amerikanischer Außenpolitik nach den Präsidentschaftswahlen zu beeinflussen, ungenutzt hat verstreichen lassen. Die Bundesregierung hat die Chance vertan, sich mit eigenen Ideen und Vorschlägen einzubringen und damit die Neuausrichtung amerikanischer Geostrategie mit zu beeinflussen. Einer der Gründe hierfür liegt darin, dass die Begeisterung für Barack Obama in Deutschland nirgends so wenig geteilt wurde wie in der Bundesregierung.

(Das letztere ist schon mal ein ziemlicher Schienbeintritt für Merkel. JL)

IP: Was sagen Sie zu Afghanistan: Exit-Strategie oder Bekenntnis zum Engagement?

Westerwelle: Jeden Bundeswehreinsatz wollen wir so schnell wie möglich wieder beenden. Man sollte aber nicht den Eindruck erwecken, als wären Exit-Strategie oder Bekenntnis zum Engagement Alternativen, die zum gleichen Ziel führten. Jetzt aus Afghanistan abzuziehen hieße, das Land wieder radikalen Islamisten zu überlassen, die erst die eigene Bevölkerung terrorisieren und dann den Terror in die Welt tragen. Die Bilder von öffentlichen Hinrichtungen und die Zerstörung religiöser Stätten durch die Taliban sind mir noch ebenso gut im Gedächtnis wie der 11. September 2001. Beides darf es in Zukunft nicht mehr geben. Dass man dies nicht dauerhaft von außen garantieren kann, ist vollkommen klar. Deshalb müssen die Afghanen so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden, selbst für die Sicherheit in ihrem Land zu sorgen, damit die Entwicklung in anderen Bereichen weiter voranschreiten kann.

Dann wird auch der Zeitpunkt gekommen sein, einen schrittweisen Abzug der internationalen Truppenpräsenz in Afghanistan einzuleiten. Bei der Polizeiausbildung ist die Bundesregierung zu lange ihren selbst eingegangenen Verpflichtungen nicht ausreichend nachgekommen. Wer aber heute überstürzt abziehen will, der macht Kabul wieder zur Hauptstadt der Terroristen in der Welt. Wir sind nicht aus Altruismus in Afghanistan, sondern zum Schutz unserer eigenen Sicherheitsinteressen.

(Das sagen alle, aber wikrlich alle, außer der LINKEN. JL)
IP: Wie ist eine atomare Aufrüstung des Iran zu verhindern? Wie müsste der Umgang mit einer Atommacht Iran gestaltet werden? Und weiter: Wie wollen, wie können sich Deutschland und Europa für eine Friedenslösung in Nahost einsetzen?

Westerwelle: (…)

Eine Lösung im Streit um das iranische Atomprogramm fällt den Beteiligten auch deshalb so schwer, weil ihr Verhältnis durch viele Traumata belastet ist. Einer der Schlüssel zur Lösung liegt ohne Zweifel im iranisch-amerikanischen Verhältnis. Präsident Obama hat in seiner Kairoer Rede einen Kurswechsel vollzogen und einen ersten mutigen Schritt gemacht. Mit seiner Würdigung der iranischen Kultur und seinem Angebot zu direkten Verhandlungen hat er sich deutlich von der Eindämmungs- und Eskalationspolitik seines Vorgängers abgegrenzt. Er hat seine Fähigkeit zur Deeskalation unter Beweis gestellt, ohne dabei naiv zu sein. Das ist auch deshalb richtig und wichtig, weil es den Hardlinern in Teheran die Möglichkeit nimmt, den Westen als Provokateur darzustellen, was gerade angesichts des innenpolitischen Drucks im Iran wieder versucht wird.

Ein weiterer Schlüssel zur Entschärfung des Atomstreits liegt in der Umsetzung des Nichtverbreitungsvertrags (NPT), also einer konsequenten Politik der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Zwei wesentliche Elemente des NPT-Vertrags sind das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt sowie das garantierte Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie. Je ernster die existierenden Atommächte ihre Verpflichtung für eine nuklearwaffenfreie Welt nehmen, desto glaubwürdiger werden sie auch gegenüber Staaten wie dem Iran, denen eine nukleare Bewaffnung verlockend erscheint.

Hinsichtlich des Rechts auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie sind kreative Ansätze gefragt, die den Energieinteressen der einen ebenso gerecht werden wie den berechtigten Sicherheitsinteressen aller anderen. Die Idee der Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs ist eine Möglichkeit, die uns dabei vielleicht weiterhelfen könnte. Wie bei nahezu allen Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle kommt es auch hier auf eine lückenlose Kontrolle an. (…)

(Interessant ist die starke Festlegung auf Abrüstung. Volle Kontinuität zu Steinmeier. Ob Guido mehr bewegen kann? JL)

(…)

IP: Welche außenpolitischen Prioritäten setzen Sie?

Westerwelle: Wir Liberale wollen, dass sich Deutschland wieder an die Spitze jener Staaten stellt, die für eine konsequente Politik der Abrüstung und Rüstungskontrolle eintreten. Konsequente Abrüstung und Rüstungskontrolle bedeuten mehr Sicherheit und mehr Vertrauen. Den Trend der vergangenen Jahre – wachsendes Misstrauen und daraus folgend die Gefahr einer neuen Aufrüstungsspirale – gilt es durch eigene Abrüstungsinitiativen umzukehren. Wir haben es für einen großen Fehler gehalten, dass sich Deutschland zuletzt bei den Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle so passiv gezeigt hat, obwohl unser Land bei diesem wichtigen Thema große Glaubwürdigkeit genießt.

(…)

Deutsche Außen- und Europapolitik war auch deshalb in den achtziger und neunziger Jahren so erfolgreich, weil wir die Interessen der kleineren Staaten ernst genommen und bei der Formulierung unserer eigenen Politikansätze berücksichtigt haben. Hierzu müssen wir wieder zurückfinden. Es ist ein Skandal, dass die Regierung in ihrer Politik gegenüber kleineren europäischen Ländern vor allen Dingen durch abfällige Worte aus dem Munde des Finanzministers aufgefallen ist.

(„Nimm dies, Steinbrück, Du böser Feind aller Steuerflüchtigen!“ Also das hätte er sich sparen können! JL)

 

Westerwelles Erfolg: Gay Pride

Noch ist Guido Westwerwelle gar nicht Vizekanzler und Außenminister – da beneidet uns die Welt schon um ihn:

Mein Lieblingsblogger Andrew Sullivan, der konservativ-katholische, offen schwule Obama-Freund, hat aus nahe liegenden Gründen Freude am deutschen Wahlergebnis – und fragt sich, warum so etwas in Amerika nicht denkbar ist, dem Ursprungsland der Gay-Rights-Bewegung:

„Westerwelle is now the world’s leading non-leftist gay leader. His politics are eclectic: for example, he favors removing the last American nuclear weapons from Germany. He came out formally five years ago. The Germans paid no mind.

Meanwhile, in America, there are almost no openly gay politicians, and one major party seeks to marginalize and disenfranchise gay people, stripping them of all relationship rights, and running ad campaigns focused on the „threat“ that openly gay couples pose to schoolkids.“

Ich hatte letzte Woche eine Gruppe von amerikanischen Deutschlandkennern zu Gast, die mich auch neidisch fragten.

He’s openly gay, right? And this is a total non-issue?

Ja, isses, und das ist auch gut so.

 

Erkennen Sie den Genossen…

…, der hier spricht? (Wer warnt in folgendem Zitat so eindringlich vor der drohenden Ökonomisiserung unserer Außenpolitik und macht dabei Heinrich Böll zum Zeugen?) Wer’s richtig rät, wird gegruschelt.

„Regime, die Bürger steinigen oder ihren Mädchen Bildung verweigern, die Gefangene foltern oder unliebsame Nachbarn erpressen, die Glaubens- und Gewissensfreiheit mit Füßen treten oder Terror exportieren, müssen unseren Druck spüren. Die universell anerkannten Werte – wie der Respekt vor der Würde des Menschen – sind jene Grenze, ab der aus dem Prinzip der  Nichteinmischung gemeinsame Verantwortung wird. Wer hier ehrlich auftritt, gewinnt mehr Glaubwürdigkeit als jener, der leisetritt und Deutschland im Ausland nur als oberster Handelsvertreter repräsentiert. Heinrich Böll hat uns ins Stammbuch geschrieben: Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte.