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Vergangenheitsbewältigung in Argentinien

Gestern beim Spaziergang durch Buenos Aires fand ich diesen versteckten Ort. Ich sah das Schild und dachte: Das erinnert dich doch an etwas?

Dann fiel mir die Gedenktafel gegenüber dem KaDeWe in Berlin ein, am U-Bahnhof Wittenbergplatz. Und da sah ich auch schon das Foto (links) eben dieser Tafel, das als Vorbild der argentinischen Gedenktafel hergehalten hatte: Offenbar hat man sich bewußt des deutschen Vorbilds bedient bei dieser Gedenktafel für die Opfer der Militärdiktatur.

Die Namen stehen für die Lager, in denen die Gegner der Diktatur festgehalten und oft auch ermordet wurden. (Hier eine Website, die mehr Info bietet.) Sehr merkwürdig, die deutsche Vergangenheitsbewältigung hier am anderen Ende der Welt als Modell behandelt zu sehen.

Foto: Jörg Lau

 

Taliban: Nr.2 gefasst?

Das waren noch Zeiten: Congressman Charlie Wilson in AFG

In übereinstimmenden Nachrichten der New York Times und der BBC ist die Rede davon, dass Mullah Baradar, der militärische Chef der Taliban, bereits vor einer Woche von amerikanischen Truppen und von mit ihnen kooperierenden Pakistanern (!) gefasst worden sein soll.

Die Times schreibt:

Details of the raid remain murky, but officials said that it had been carried out by Pakistan’s military spy agency, the Directorate for Inter-Services Intelligence, or ISI, and that C.I.A. operatives had accompanied the Pakistanis.

In anderen Worten: Das ISI und die CIA versuchen den Geist wieder in die Flasche zu stopfen, den sie einst herausgelassen hatten. Sehr gute Nachrichten, vor allem wegen des pakistanischen Umdenkens, das sich hier zeigt. Anders gesagt: „Charlie Wilson’s War“ wird zuende geführt.

Baradar ist die Nummer 2 hinter dem Talibachef Mullah Omar, und seine Bedeutung für die militärische Strategie der Taliban im afghanischen Süden wird sogar noch höher eingeschätzt als die des Anführers.

Sollte sich diese Nachricht bestätigen, wäre dies ein Grund zur Hoffnung. Und es würde auch erklären, warum die Großoffensive  in Helmand just in diesen Tagen stattfindet.

Ein ausführliches Porträt findet sich hier.

Paragh Kanna warnt aber davor, in den möglichen (noch unbestätigten) militärischen Erfolgen bereits die Wende sehen zu wollen, die einen politischen Prozess (und das heisst:  Verhandlungen mit den Clanführern) überfüssig machen würde:

The olden system of influential tribal elders, though battered in the Pashtun areas, has withstood the Taliban’s violent campaign to destroy and replace it with militant Islamic rule. No matter how tumultuous and intermittently brutal the situation, kinship networks and their leaders retain persuasive influence.

Regrettably, most officials and analysts fail to grasp that the Pashtun region is a potentially fruitful theater for dialogue and engagement. Its tribes have not only been fierce fighters for centuries, but also expert negotiators; they violently punish those who break promises, but honor agreements and loyalty as well. If the Obama strategy emphasizes “people-to-people ties,” these are the people who are crucial to enlist in both the short and long term. The tribal order can’t be defeated by fighting against it, but it can be gradually and incrementally modernized through thoughtful engagement. Many tribal leaders have appealed responsibly for just such an approach, including influential opinion-shapers in isolated North Waziristan. To turn away from this opportunity would be tragic.

 

Nicht in kurzen Hosen – fast 100 Tage Außenminister Westerwelle

Mein Porträt aus der ZEIT dieser Woche, Nr. 4, S. 2:

Er hat wirklich vom Beten gesprochen. Nicht »Anteilnahme«, »Solidarität«, oder wie die ohnmächtigen Phrasen des Beileids sonst heißen. Nein: »Wir beten für die Verletzten in Haiti«, erklärt Guido Westerwelle in Tokio, auf der ersten Station seiner Asienreise.

Etwas grünlich-bleich schaut er in die Kameras – kein Wunder nach dem zermürbenden Nachtflug über die endlosen Permafrost-Weiten Sibiriens. Vielleicht ist ihm das fromme Wort im Meiji-Schrein eingefallen, dem Shinto-Heiligtum im Herzen des Hauptstadt. Aus Respekt vor den Göttern musste er dort ohne Mantel im dünnen Diplomatenanzug einen heiligen Tamaguschi-Zweig auf den Altar legen. Am Ende der Zeremonie war er dann so durchgefroren, dass auch der heilige Reiswein, den man hier trinkt, keine Wärme mehr brachte. Angesichts des Grauens von Port-au-Prince, über das Westerwelle von seinen Mitarbeitern ständig informiert wird, steht der Außenminister erstmals vor einer Katastrophe »biblischen Ausmaßes«, bei der auch ein geölter Apparat von fast 7000 Mitarbeitern zunächst einfach hilflos ist.

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Im Meiji-Schrein, Tokio Foto: JL

Nicht einmal hundert Tage ist der Ex-Oppositionsführer nun mit seiner Transformation in den Außenpolitiker Westerwelle beschäftigt. Und doch zeichnen sich schon erste Linien seiner Amtsführung ab. Überraschende Lockerungsübungen zum Türkeibeitritt, die Aufwertung des Nachbarn Polen auch auf Kosten der Vertriebenenfunktionärin Steinbach, ein mahnender Blitzbesuch im zerfallenden Staat Jemen, und schließlich der Versuch, unverklemmt die Interessen der deutschen Industrie und die Menschenrechte in China zu vertreten – das ist nicht nichts.
Jeder Asientrip ist dieser Tage eine Reise an die Grenze der Macht. Denn wie man mit dem jungen Riesen China umgehen soll, der selbst noch kein rechtes Gefühl für seine wachsende Kraft hat, weiß in Wahrheit niemand. Schmeicheln hilft derzeit so wenig wie drohen, locken so wenig wie mahnen – wie zuletzt selbst Obama und Google erfahren mussten, beides größere Gewichte im Ring als ein deutscher Außenminister (siehe auch Seite 9). Aber es hilft ja nichts, im Umgang mit China muss man sich kenntlich machen, nicht zuletzt fürs Publikum daheim. Es ist ein Klischee der Diplomatie, dass Asiaten so viel Wert darauf legen, »das Gesicht nicht zu verlieren«. Ein Peking-Besuch ist heute mehr ein Test der Würde des Gastes.
Westerwelle macht es so: Er fliegt demonstrativ über Japan dorthin und nimmt sich in Tokio mehr Zeit als nötig. Er isst ausführlich mit dem japanischen Amtskollegen zu abend und übernachtet in Tokio, obwohl es unpraktisch ist. Er preist die »Wertepartnerschaft« mit Japan, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es eine solche mit China eben (noch) nicht gibt. Und in Peking, bei seiner Begegnung mit dem chinesischen Außenminister Yang Jiechi, der extra eine Afrikareise unterbrochen hat, um den Deutschen kennenzulernen, spricht er dann drei Mal vor der Presse von den »Meinungsunterschieden«, die man nicht unter den Teppich kehren wolle. Das ist – zumal bei einem Antrittsbesuch – hart an der Grenze zum Unfreundlichen.
China in Menschenrechtsfragen zu kritisieren und doch offensiv die Interessen der zahlreich mitreisenden deutschen Industrie zu vertreten, sei kein Widerspruch, meint Westerwelle. Er glaube an »Wandel durch Handel«. Der chinesische Kollege lächelt fein dazu. Mag sein, dass auch der nette Herr Yang daran glaubt. Nur wer hier am Ende wen wandelt, das ist für ihn womöglich noch nicht ausgemacht.
Mit dem Besuch in Peking ist Westerwelles weltweite Vorstellungsrunde abgeschlossen. Er wirkt noch ein wenig überrascht davon, dass er das ohne Fehltritt hinbekommen hat. Gerne streicht er heraus, er sei schließlich »nicht in einem Schloss aufgewachsen«, sondern in einem Bonner Altbau-Reihenhaus. Wenn er eifrig hinterherschiebt, zwischen dem Schlossbesitzer Guttenberg und Guido, dem Reihenhauskind, gebe es keine Konkurrenz in der Regierung, dementiert sich das von selbst. Am Ende des Monats müssen Guttenberg und Westerwelle in der wichtigsten außenpolitischen Frage dieses Landes eine gemeinsame Linie vertreten – bei der Londoner Afghanistankonferenz. Nachdem sich Liberale und Christlichsoziale seit Beginn der Regierung lustvoll beharkt haben, wäre das mal etwas Neues.
Westerwelle verdankt als Außenminister ironischer Weise nicht zuletzt der CSU sein frisches Profil. Es war seine Idee, sich bei seinem ersten Besuch in Warschau darauf festzulegen, Erika Steinbach dürfe nicht in den Beirat der Vertriebenenstiftung einrücken, weil sie der Versöhnung mit Polen im Wege stehe. Und wenige Wochen später preschte er auf eigene Rechnung in Istanbul vor, indem er Deutschlands Interesse an einem Beitritt der Türkei zur EU betonte. Verblüffte türkische Journalisten hakten nach, ob denn nun Westerwelles Wort oder das der Union von der »privilegierten Partnerschaft« gelte. Dieser konterte mit dem Bonmot, er sei nicht »als Tourist in kurzen Hosen« am Bosporus unterwegs: »Das, was ich sage, zählt.«
CSU-Generalsekretär Dobrindt adelte dann Westerwelles Nein zu Steinbach und sein Ja zur Türkei zu einem veritablen Politikwechsel: Der Außenminister solle in Istanbul keine »Geheimdiplomatie« mit den Türken betreiben, wie er es schon in Warschau mit den Polen getan habe, grummelte es aus Wildbad Kreuth. Der Gescholtene empörte sich, doch in Wahrheit kam ihm die Gelegenheit sehr zupass, in der Regierung kenntlich zu werden. Die Kanzlerin ließ ihn gewähren. Es kommt ihr gar nicht ungelegen, dass der Vize ihr den Grund liefert, Erika Steinbach aus dem deutsch-polnischen Spiel zu nehmen. Und auch als Gegengewicht zu den Populisten in der CSU, die den Türken gerne laut die Tür zur EU vor der Nase zuschlagen würden, ist Westerwelle für Merkel von Wert. Eine Art stille Arbeitsteilung.
Bei der Afghanistan-Konferenz kommende Woche in London sieht es anders aus. Wie Westerwelle bisher agiert hat, zeigt seine Schwäche: Mag sein, dass ihm als Außenminister hier ein innenpolitischer Reflex zum Verhängnis wird. Er ist der Versuchung erlegen, sich ganz die zivile Seite des Einsatzes zueigen zu machen – und den anderen die unpopuläre Frage der Truppenstärke zuzuschieben. Zum Jahreswechsel ließ Westerwelle sich aus dem Weihnachtsurlaub vernehmen, er werde nicht nach London anreisen, wenn es sich um eine »reine Truppenstellerkonferenz« handele. Man brauche vielmehr einen »breiten politischen Ansatz« und eine »Gesamtstrategie«.
Er tat, als stünde er wie ein einsamer Rufer für den zivilen Aufbau gegen eine Phalanx von militaristischen Ledernacken. Will Westerwelle als Vizekanzler selbst noch die Opposition friedensrhetorisch überholen? Er redet viel von Abrüstung und möchte gerne ein neuer Genscher werden. Vielleicht ist Westerwelles Genscherismus aber eine selbst gestellte Falle. Was Friedenspolitik in einer Welt der asymmetrischen Bedrohungen heißt, muss neu definiert werden. Nun aber liegt der Verdacht in der Luft, dass da einer Deutschland auf Kosten der Verbündeten als Friedensmacht profilieren will.
Dass der deutsche Außenminister eine Konferenz boykottieren könnte, die seine Kabinettschefin initiiert hat, war eine absurde Vorstellung, und darum korrigierte sich Westerwelle auch noch vor Silvester. Es war sein bisher einziger großer Fehler. In London sollte doch von Beginn an eben jener »breite Ansatz« verfolgt werden, den Westerwelle lauthals fordert: Korruptionsbekämpfung, gute Regierungsführung, Kampf dem Drogenhandel, Polizei- und Militäraufbau und die Förderung der Landwirtschaft. Angela Merkel ist schließlich auf die Idee mit der Konferenz nicht zuletzt verfallen, um sich aus der Debatte um den deutschen Angriff in Kundus und die »kriegsähnlichen Zustände« dort zu befreien.
Ob das gelingen kann, hängt nun vor allem an Westerwelle. Die Kanzlerin wird kommende Woche in einer Regierungserklärung noch einmal vor heimischem Publikum für das deutsche Engagement in Afghanistan werben. Aber in London steht dann Westerwelle für Deutschland – am Tag 92 seiner Amtszeit, der sein schwerster werden wird.
Es ist eine paradoxe Botschaft, die er dort vertreten muss. Wir müssen stärker reingehen, damit wir früher rausgehen können! Wir müssen mehr helfen, damit die Afghanen selbstständiger werden! Schafft er das – die Ernüchterung über das in Afghanistan Erreichbare darzustellen und doch zu einer (letzten) großen Anstrengung zu motivieren? Auf seiner Arabienreise zeigte er Geistesgegenwart, als er kurzfristig in den Jemen abzweigte und dort sehr herzhaft den Präsidenten aufforderte, den Kampf gegen den Terror nicht nur mit Bomben, sondern auch durch Entwicklung und Korruptionsbekämpfung zu führen.
Ach ja, noch etwas: Das Thema »erster schwuler Außenminister der Welt« ist durch. In der Türkei: Kein Kommentar. Saudi-Arabien: Nobles Schweigen des Königs. Auf der Asienreise war Westerwelles Lebenspartner Michael Mronz dann mit dabei. Die beiden kamen gemeinsam die Gangway herunter. Alle taten so, als sei das die normalste Sache der Welt. Und so war es dann auch, wenigstens für diesen einen Moment.

 

Ein Gedanke zur Tragödie von Haiti

Arme Länder, die weder nennenswerte Bodenschätze noch gefährliche Islamisten aufzubieten haben, sind die Angeschmierten der Globalisierung.

p.s.: Der beste Kommentar zu den „kulturellen Gründen“ der Armut Haitis, die aus einer Katastrophe erst die Tragödie gemacht haben, findet sich bei David Brooks:

Third, it is time to put the thorny issue of culture at the center of efforts to tackle global poverty. Why is Haiti so poor? Well, it has a history of oppression, slavery and colonialism. But so does Barbados, and Barbados is doing pretty well. Haiti has endured ruthless dictators, corruption and foreign invasions. But so has the Dominican Republic, and the D.R. is in much better shape. Haiti and the Dominican Republic share the same island and the same basic environment, yet the border between the two societies offers one of the starkest contrasts on earth — with trees and progress on one side, and deforestation and poverty and early death on the other.

 

Drei Tage in Tokio und Peking

Eine Erklärung für meine Blog-Abstinenz in sechs Bildern:

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Der Fujijama aus der „Konrad Adenauer“ gesehen, dem Luftwaffe-Airbus der Bundesregierung

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Außenminister Westerwelle in Begleitung seines Lebenspartners Michael Mronz (links) im Tokioter Meiji-Schrein

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Im inneren Bereich des shintoistischen  Meiji-Schreins

lamatempel

Ein buddhistischer Lama-Tempel in Peking

buddhas

Im Innern des Lama-Tempels

verbotene stadt

Verfrorener Korrespondent vor verbotener Stadt

Alle Fotos: J. Lau

 

Werte und Interessen – Westerwelle zu Besuch in Japan und China

Wenn der deutsche Außenminister in Tokio betont, mit Japan verbinde Deutschland eine „Wertepartnerschaft“, so ist das nichts Außergewöhnliches. Wenn er derartiges aber gezielt äußert, bevor er zu seinem Antrittsbesuch in Peking eintrifft, dann liegt darin schon ein gewisses Provokationspotential. Denn im Umkehrschluss heißt dies für China, dass Deutschland sich offenbar nicht in einer Wertegemeinschaft mit dem aufstrebenden jungen Riesen auf der Weltbühne sieht. Wie denn auch? Nach der Verurteilung des Dissidenten Liu Xiaobo, nach der Hinrichtung eines britischen Bürgers trotz Protesten Gordon Browns, nach dem programmierten Scheitern von Kopenhagen, und jüngst erst nach dem Streit um Google!

Besuchsrouten und Protokollfragen sind die Mittel der Diplomatie, um klarzumachen, wo man steht. Und hier in Asien, unter den sich ultrakritisch beäugenden Nachbarn, wird so etwas durchaus registriert: Wo fährt der Neue zuerst hin, wieviel Zeit verbringt er mit wie hochrangigen Gesprächspartnern.

Guido Westerwelle hat seinen Antrittsbesuch in Japan und China genutzt, um ungewöhnlich deutlich auf die Differenzen mit dem zweiten, größeren Partner hinzuweisen. Nach seinem Gespräch mit dem Aussenminister Jang sprach er in seinem Statement gleich drei Mal von den „Meinungsunterschieden“, die er nicht verhehlen wolle. Das ist hart an der Grenze zur Unfreundlichkeit bei einem ersten Besuch – zumal der nette Herr Jang allgemein als einer der zugänglichsten unter den Machthabern in Peking gilt. Jang schien das geduldig zu ertragen – wohl wissend, dass der Deutsche vor allem von den mitgereisten Medien sehr genau daraufhin beobachtet wird, ob er sich nun etwa als blosser Handelsvertreter deutscher Industrie-Interessen gibt.

Natürlich weiß Westerwelle auch, dass er unter solchem Verdacht steht. Er reagiert geschickt darauf: Es gebe keinen Grund zu verstecken, dass man als deutscher Außenminister hier auch die Interessen der prominent mitreisenden Wirtschaftsvertreter befördern wolle. Aber das stehe eben nicht im Gegensatz zu einem klaren Vertreten der deutschen Werte, was die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Rechte kultureller Minderheiten und die allgemeinen Menschenrechte angehe.

Die bittere Wahrheit der derzeitigen Lage in China ist, dass das Regime eben doch einen solchen Widerspruch sieht. Zum vermeintlichen Wohl der Nation werden die Rechte der Menschen – vor allem was die Meinungs- und Pressefreiheit angeht – momentan heftig beschnitten. Um so besser, wenn westliche Politiker deutlich machen, dass sie dieser Logik keineswegs folgen wollen – und doch am Dialog mit China interessiert bleiben, ja ihn – wo es geht – noch vertiefen wollen. Westerwelle hat den Balanceakt zwischen Interessen und Werten gut hinbekommen.

Man kann sich allerdings fragen, ob’s die chinesische Regierung noch interessiert. Sie ist seit den Olympischen Spielen zusehends im Bulldozer-Modus, wenn es um ihre Interessen geht. Sie nimmt in Kauf, dass der Deutsche sich vor dem eigenen Publikum als Menschenrechtler profiliert, und hat doch die Gewissheit, dass in China kaum jemand davon Notiz nehmen wird, wenn sie das nicht möchte. Manchmal kann man gar den Eindruck haben, dass den Chinesen die deutsche Vorstellung, zwischen Interessen und Werten balancieren zu müssen, regelrecht komisch vorkommt: Denn die KP kennt diesen Gegensatz nicht. Chinas Interessen und seine Werte sind nach der offiziellen Ideologie nämlich identisch. Es ist der höchste Wert, Chinas Interessen zu befördern.

Wie sich dies in der Außenpolitik niederschlägt, war bei der Pressekonferenz von Westerwelle und Jang zu erleben, bei der – was nicht üblich ist – auf Drängen der Deutschen auch Fragen der Journalisten zugelassen wurden. Auf die Frage der ZEIT, ob China bereit sei, bei einem eventuellen Scheitern der Atomdiplomatie auch über eine neue Runde von Saktionen gegen Iran nachzudenken, antwortete der chinesische Außenminister mit einem Bekenntnis zur Diplomatie und zum Recht eines jeden Staates, im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages und unter Aufsicht der IAEO die Kernenergie friedlich zu nutzen. Das war die höfliche Version eines ziemlich eindeutigen Nein. Um so entschiedener nannte Westerwelle eine atomare Aufrüstung des Iran „völlig inakzeptabel“ für die Bundesregierung. Herr Jang schien nicht sehr beeindruckt.

 

Was steckt hinter der Bombardierung in Kundus?

Aus meiner Recherche für die aktuelle Nummer der ZEIT (Nr. 52, S. 3) über die Bombennacht von Kundus:

Über Monate hinweg hatte die Bundesregierung den Eindruck erweckt, es sei dem verantwortlichen Offizier mit der Bombardierung allein darum gegangen, Gefahr vom deutschen Lager Kundus abzuwenden. Doch das war von Anfang an wenig plausibel, weil die gekaperten Tanklaster in großer Entfernung vom Lager feststeckten und dauernd im Visier der Aufklärer waren. Nun aber erscheint Oberst Klein als Kommandeur, der von vornherein »die Menschen als Ziel hatte, nicht die Fahrzeuge«. So steht es im bislang geheim gehaltenen Untersuchungsbericht der Nato. Dass die Bundeswehr in Afghanistan gezielt Taliban tötet, ist ein unerhörter Verdacht.

In diesem Licht wirft vor allem ein anderer Bericht, die früheste deutsche Quelle zu dem Luftangriff, neue Fragen auf. Die Rede ist von dem geheimen Feldjägerbericht, der am 9. September in Masar-i-Scharif verfasst wurde, von dem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg nach eigener Aussage jedoch erst am 26. November erfahren hat und der den Vermerk trägt: »Nur Deutschen zur Kenntnis«.

Der Autor des Berichts, Oberstleutnant Brenner, war als erster deutscher Soldat am Tatort – noch am Tag des Bombardements. Der Militärpolizist hatte den Auftrag, Oberst Klein bei der Aufklärung des Bombenabwurfs zu unterstützen. Brenners Bericht liest sich wie ein Krimi. Denn Brenner kann nicht nachvollziehen, wie Oberst Klein zur Gewissheit gekommen sein will, »dass bei einem Bombenabwurf keine zivilen Verluste zu erwarten seien«. Er wundert sich darüber, dass weder das Hauptquartier des Regionalkommandos Nord der Bundeswehr in die so gravierende Entscheidungsfindung einbezogen wurde noch die nächsthöhere Ebene, der Isaf-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal. Brenner meldet auch, dass Klein seinen Rechtsberater nicht hinzugezogen habe. Und er legt nahe, dass der Oberst in jener Nacht womöglich nicht alleine entschieden habe: »Aus den Unterlagen geht nicht hervor, welcher Personenkreis (…) zur nächtlichen Entscheidung des Kdr PRT KDZ (i.e. Oberst Klein) beigetragen hat.«

Nimmt man hinzu, dass Klein seine Entscheidung aus dem Gefechtsstand der Spezialeinheit »Task Force 47« heraus getroffen hat, verändert sich der Fokus – weg von dem diensthabenden Oberst. Denn hinter dem Begriff »Task Force 47« verbirgt sich eine Sondertruppe, die sich aus Elitekräften des »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) und militärischen Aufklärern der Bundeswehr zusammensetzt. Diese geheim operierenden Kräfte werden eng von Deutschland aus mitgeführt, vom Einsatzführungskommando in Potsdam. Kann es sein, dass Oberst Klein, als man ihn um Mitternacht vom 3. auf den 4. September wegen der entführten Laster weckte, zum Trittbrettfahrer einer längst schon laufenden Operation des KSK gegen die Taliban wurde?

Das würde einige Merkwürdigkeiten, die der Feldjäger-Bericht erwähnt, erklären: das Ignorieren der Meldewege, den Verzicht auf Rechtsbeistand und die Zögerlichkeit bei der Aufklärung des Tatorts nach dem Bombenabwurf. Klein hätte nach den Regeln der Internationalen Schutztruppe Isaf spätestens zwei Stunden nach dem Bombardement eine Bestandsaufnahme am Tatort durchführen lassen müssen. Dies geschah nicht. Schlamperei?

Als die Feldjäger am Mittag nach der Bombennacht am Kundus-Fluss eintreffen, stellen sie das Gegenteil fest. In ihrem Bericht heißt es: »Ereignisort ist nicht unverändert. Augenscheinlich keine Leichen/Verletzten mehr vor Ort. ›Bombing-Area‹ ist in Anbetracht des vermeintlichen Personenschadens nahezu ›klinisch‹ gereinigt.« Den Feldjägern bietet sich »ein offensichtlich deutlich veränderter Ereignisort, der einen geradezu stark gereinigten Eindruck hinterlässt. Es sind nur noch minimalste Spuren von Humanmaterial zu finden.« Nur einige tote Esel und Hunde zeugen zehn Stunden danach noch von dem Inferno. Jemand hat gründlich aufgeräumt, den Ermittlern bleibt nichts zu tun…

Mehr lesen.

Die Bild-Zeitung geht heute meinem Verdacht nach – der sich auf Gespräche mit Verteidigungsexperten gründet, die Einsicht in die geheimen Dokumente haben – dass es mehr direkte Kanäle von Kundus nach Potsdam gegeben hat, als bisher bekannt. Siehe diesen Artikel.

 

Obama ist ein Konservativer

Und zwar einer im besten Sinn: Realistisch im Bezug auf die menschliche Natur und die Geschichte. (Anders als sein revolutionärer Vorgänger, der mit lauter großen Projekten viel Unheil angerichtet hat, wie alle Revolutionäre natürlich immer in bester Absicht.)

Die Nobelpreis-Rede ist das Zeugnis dieses guten, vernünftigen, pragmatischen Konservatismus. Sie hat den Kritikern, die in Obama den Traumtänzer sehen wollten, denn auch eindrucksvoll das Maul gestopft. Thomas Schmid, Chefredaktuer der WELT, der zuletzt noch zu Bush pilgerte, um ein Abschiedsinterview mit dem Unglückspräsidenten zu führen, kriegt sich nun gar nicht mehr ein. Und auch in der FAZ nimmt man befriedigt die „Ernüchterung“ des amerikanischen Präsidenten zur Kenntnis.

Ich habe ihn schon von Anfang an so gesehen und eben darum Hoffnung in ihn gesetzt. Unter der „Yes, we can“-Rhetorik hat sich der vernünftige, unideologische Konservatismus von Obama verborgen. In Oslo ist er offenbar geworden.

Auszug:

„I face the world as it is, and cannot stand idle in the face of threats to the American people.  For make no mistake:  Evil does exist in the world.  A non-violent movement could not have halted Hitler’s armies.  Negotiations cannot convince al Qaeda’s leaders to lay down their arms.  To say that force may sometimes be necessary is not a call to cynicism — it is a recognition of history; the imperfections of man and the limits of reason.

I raise this point, I begin with this point because in many countries there is a deep ambivalence about military action today, no matter what the cause.  And at times, this is joined by a reflexive suspicion of America, the world’s sole military superpower.

But the world must remember that it was not simply international institutions — not just treaties and declarations — that brought stability to a post-World War II world.  Whatever mistakes we have made, the plain fact is this:  The United States of America has helped underwrite global security for more than six decades with the blood of our citizens and the strength of our arms.  The service and sacrifice of our men and women in uniform has promoted peace and prosperity from Germany to Korea, and enabled democracy to take hold in places like the Balkans.  We have borne this burden not because we seek to impose our will.  We have done so out of enlightened self-interest — because we seek a better future for our children and grandchildren, and we believe that their lives will be better if others‘ children and grandchildren can live in freedom and prosperity.“

Man kann es auch so sagen: Dies ist ein Präsident für Erwachsene. Hat er den Nobelpreis vielleicht doch zu Recht bekommen, so früh in seiner Laufbahn?

 

Guttenberg korrigiert sich – fast

Erst einmal denkt man: Respekt. Der Verteidigungsminister hat gestern vor dem Parlament seine Einschätzung revidiert, der Luftangriff vom 4. September  nahe Kundus in Afghanistan sei „militärisch angemessen“ gewesen.

Das hat schon eine gewissen Souveränität, dies so offen, schnell und in aller Öffentlichkeit (vor dem Parlament, nicht in einem Interview) zu tun.

Ich zitiere:

„Und jeder, der jetzt aus der Distanz, leise oder laut, Kritik übt, sollte sich selbst prüfen, wie man in dieser Situation gehandelt hätte. Und wie viel leichter erscheint es jetzt, sich ein Urteil über die Frage dieser Angemessenheit zu bilden, aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten, mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte. Und diese weisen im Gesamtbild gegenüber dem gerade genannten Komm-ISAF-Bericht deutlicher auf die Erheblichkeit von Fehlern und insbesondere von Alternativen hin. Zu dem Gesamtbild zählt auch, ein durch das Vorenthalten der Dokumente leider mangelndes Vertrauen gegenüber damaligen Bewertungen.

Und ich wiederhole noch mal: Obgleich Oberst Klein – und ich rufe das auch den Offizieren zu, die heute hier sind – zweifellos nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz aller Soldaten gehandelt hat, war es aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller, auch mir damals vorenthaltener Dokumente, militärisch nicht angemessen.“

Allerdings ist die Sache damit noch nicht erledigt. Denn erstens versichern Kenner des geheimen ISAF-Berichts, auch dieser gebe keine Grundlage für Guttenbergs erste Bewertung. Womit sich weiterhin die Frage stellt: Wie kam der neue Minister ohne Not dazu, einen Angriff, der den Isaf-Oberkommandierenden McChrystal in Rage versetzt hat, als militärisch notwendig hinzustellen? Wollte er sich bloss bei der Truppe beliebt machen?

Zweitens hat Guttenberg hier wieder nicht selbst Verantwortung für seine offenbare Fehleinschätzung übernommen, sondern schiebt die Sache auf ihm „vorenthaltene“ Dokumente. Mit anderen Worten: auf seine Mitarbeiter. Wäre es aber nicht die Pflicht eines neuen Ministers gewesen, in seinem Amt erst einmal aufzuräumen und eine Untersuchung (zumal eines so gravierenden Vorgangs) anzuordnen, bevor er sich so eindeutig einlässt wie in seiner Erklärung vom 6. November geschehen?

Drittens: Hat Guttenberg sich wirklich vor Oberst Klein gestellt? Er sagt ja, auch aufgrund der Bundeswehr eigenen Dokumente hätte man (hätte er sie denn gekannt) schon zu dem Urteil kommen müssen, der Angriff sei nicht angemessen gewesen. Der habe allerdings unter Druck gestanden. Dazu sagen mir Kenner der Lage vor Ort, es habe allerdings Druck auf Oberst Klein von verschiedenen Seiten gegeben (von den Alliierten, von den Afghanen, von der Öffentlichkeit), endlich mal draufzuhauen. Klein (oder die betreffenden Männer unter seinem Kommando) hätten in der Tanklasterentführung eine willkommene Gelegenheit gesehen, dies nun endlich mal zu tun. Wie dem auch sei: Kaum zu glauben, dass die Einlassung des Ministers keine juristischen Folgen für den Oberst haben wird.

Viertens hat Guttenberg, indem er die Verantwortung auf diejenigen umleitet, die ihm Dokumente „vorenthalten“ haben, das Kanzleramt ins Visier gerückt. Denn dort war jemand die ganze Zeit im Amt und (hoffentlich) mit Informationen gut versorgt. Die Kanzlerin hatte sich ja im Bundestag am 8. September in schneidendem Ton Vorverurteilungen „verbeten“. Und sie hatte lückenlose Aufklärung versprochen. Angeblich gab es in ihrem Umfeld (in dem Spiegelressort zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Kanzleramt) lange schon die Einschätzung, die sich Guttenberg jetzt zu eigen gemacht hat. Warum hat sie diese nicht kommuniziert? Weil Wahlen anstanden? Merkel wird sich bei Guttenberg bedanken, dass er ihr dieses Problem eingebrockt hat.

Karl-Theodor zu Guttenberg hat versucht, sich durch seine Erklärung wieder zum Herrn des Verfahrens zu machen. Ich glaube, das ist ihm nicht gelungen.

 

Verteidigungsminister zu Guttenberg: Die Transall ist kein Laufsteg

Mit meiner Kollegin Tina Hildebrandt habe ich ein Porträt des neuen Verteidigunsgministers in seiner ersten Bewähungsprobe geschrieben. Aus der ZEIT von morgen:

Ein Wortspiel in einer Fremdsprache kannleicht danebengehen. Doch
Karl-Theodor zu Guttenberg fühlt sich hier, in der gediegenen Welt der Washingtoner Thinktankswie zu Hause. Viele Anwesende kennt er aus seinem früheren Leben als Außenpolitiker. »It¹s great to be back!«, ruft er amcDonnerstag vorletzter Woche einem Saal voller Diplomaten und Militärs an der K Street zu, dem Sitz zahlreicher Lobby-Büros: »Ich war etwas abgelenkt in den letzten Monaten durch die Witschaftspolitik. Doch jetzt bin ich von General Motors wieder zu Generälen und echten Motoren zurückgekehrt.«
Alle lachen, Guttenberg wackelt ein wenig kokett mit den Schultern, wie er das immer tut bei seinen provozierend angstfreien Auftritten. Er fühlt sich wohl in seiner Haut als Verteidigungsminister.
Eine Woche und drei Rücktritte später findet sich der Star der Kabinetts im Zentrum der bisher größten Krise der noch frischen Regierung Merkel.

Zunächst hat es andere getroffen. Doch ob er unversehrt aus der Sache hervorgeht, ist offen. Er hat selber keine Gefangenen gemacht: Für nur vier Wochen im Amt eine beachtliche Bilanz, einen General, einen Staatssekretär, und in der Folge einen Ministerkollegen ins politische Jenseits befördert zu haben. Treffer, versenkt.

Guttenbergs Rückkehr zu echten »Generälen und Motoren« bedeutete zuerst für Deutschlands höchstrangigen Soldaten, den Generalinspekteur, das jähe Ende. Der Minister zwang Wolfgang Schneiderhan letzten Donnerstag zum Rücktritt.

Auch den mächtigen Staatssekretär Peter Wichert schickte er in den
vorzeitigen Ruhestand. Die beiden sollen ihrem neuen Dienstherrn interne Berichte über das Bombardement zweier Tanklaster bei Kundus am 4. September in Afghanistan vorenthalten haben. Erst durch Zeitungsberichte, heißt es, habe Guttenberg von den belastenden Dokumenten Wind bekommen. Deutsche Feldjäger aber hatten bereits zwölf Stunden nach dem Bombenangriff auf die von Taliban entführten Tanker den Tatort besucht. In ihrem Bericht finden sich klare Hinweise auf zivile Opfer unter den 142 Tote.
Einen Tag später kostete die Affäre auch Guttenbergs Vorgänger Franz Josef Jung seinen Posten als Arbeitsminister. Jung hatte behauptet, ausschließlich terroristische Taliban« seien getroffen worden.
Kurze Zeit sah es so aus, als hätte Guttenberg durch sein entschlossenes Handeln eine Brandmauer zwischen sich und der Affäre Kundus ziehen können. Er versprach Aufklärung und Konsequenzen und leitete eine Untersuchung ein.

Doch durch Jungs, Schneiderhans und Wicherts Abgang rückt er selbst in die Schusslinie. Es geht darum, ob Guttenberg mit einer kapitalen Fehleinschätzung in das Amt gestartet ist, in dem er sich so heimisch fühlt.
Denn auf seiner ersten Pressekonferenz hatte Guttenberg den Luftschlag demonstrativ verteidigt. Am 6. November sagte der 37-jährige, Oberst Klein, der den Angriff angeordnet hatte, habe »militärisch angemessen« gehandelt.
Mehr noch: »Selbst wenn es keine Verfahrensfehler gegeben hätte, hätte es zum Luftschlag kommen müssen.«
Müssen? Das lässig ausgesprochene Wort hat durch die Woche voller Rücktritte einen gefährlichen Nachhall bekommen. Warum hat Guttenberg sich so exponiert? Er kannte doch den Nato-Bericht, in dem von 30 bis 40 zivilen Opfern die Rede ist. Und von mehr als »Verfahrensfehlern«. Aus dem Isaf-Bericht geht nach Aussagen derer, die ihn gelesen haben, hervor, dass Oberst Klein fälschlicherweise eine unmittelbare Bedrohung und Feindberührung behauptet hatte, um Luftunterstützung zu bekommen.

Guttenberg, heißt es nun im Ministerium, habe den Bericht zwar aufmerksam gelesen. Er habe aber keinen Anlass gesehen, sich von der Linie des Generalinspekteurs abzusetzen. Er wollte sich wie jener rückhaltlos vor die Soldaten stellen.
Nun steckt Guttenberg selbst in der Bredouille: Er behauptet, er müsse eine Neueinschätzung vornehmen, weil ihm neue Dokumente vorenthalten worden seien. Kenner dieser Dokumente aber sagen, sie enthielten gar keine neuen Infromationen gegenüber dem Isaf-Bericht. Revidiert Guttenberg seine Position, setzt er selbst sein Vorpreschen ins Zwielicht. Schlimmer noch: Er würde Oberst Klein belasten, den er schützen wollte. Gegen den Oberst läuft ein Ermittlungsverfahren. Einen Rückzieher würde die Truppe dem Minister als Illoyalität auslegen. Bleibt er bei seiner Position, sieht er selbst dumm aus von wegen Klartext-Minister.

Guttenberg hat sich in dem klassischen Zielkonflikt jedes Wehrministers verheddert: Loyalität zur Truppe oder Offenheit gegenüber Parlament und Öffentlichkeit. Er wollte ihn eigentlich auflösen und damit mehr Verständnis für die Truppe und ihre Einsätze erzeugen, die sich von einer Öffentlichkeit im Stich gelassen fühlt, die den Selbstmord eines Torwarts Tage lang betrauert, aber von gefallenen Soldaten nichts wissen will.

Guttenbergs Aufstieg ist einmalig: Von der unbekannten Nachwuchskraft zum beliebtesten Politiker der Republik. Vom CSU-Generalsekretär zum Wirtschafts- und Verteidigungsminister, und das alles in weniger als einem Jahr. Beobachter und Kollegen rätseln über das Phänomen Guttenberg. Was nur hat der Baron, was die anderen nicht haben?
Eine ganze Menge: Neben einem Adelstitel, einem Schloss, einer schönen Frau nebst zwei Töchtern, respektablen Englischkenntnissen und perfekten Manieren hat er auch ein beachtliches Talent zur Selbstvermarktung. Keine Rede seit Mai, in der Guttenberg nicht an sein Nein zur Opelrettung erinnert und dieses zum Beleg für seine besondere Standfestigkeit überhöht hätte. Seine Profilierung als letzter Ordnungspolitiker fand auf Kosten der
Kabinettskollegen und der Kanzlerin statt. Wenn einer sich als der
Letzte mit klaren Grundsätzen darstellt, haben die anderen im Umkehrschluss wohl keine mehr. Damit kommt man aber nur einmal durch.
Im neuen Amt liegt nun die Messlatte höher. Guttenberg muss nicht nur eine Strategie für das weitere Vorgehen in Afghanistan formulieren, einen Einsatz, dem sowohl die Bevölkerung als auch große Teile der CSU skeptisch gegenüberstehen. Die Schonfrist ist vorbei.
Er hat sich auch im neuen Amt wieder von Beginn als Klarsprecher zu inszenieren versucht. Dass er unumwunden einräumte, in Afghanistan herrschten »kriegsähnliche Zustände«, kam in der Öffentlichkeit und bei den Soldaten gut an. Guttenberg sprach aus, was jeder sehen konnte, was aber
nicht gesagt werden durfte, teils aus rechtlichen Gründen, teilweise, weil
man in der Regierung fürchtete, die Zustimmung zu dem Einsatz werde weiter bröckeln.
In Washington sagte er, Auslandseinsätze müssten künftig »zur Selbstverständlichkeit werden.« Doch davon ist die Debatte nach dieser Woche weiter entfernt denn je. Nun findet sich ausgerechnet Guttenberg, der doch mit der verschleiernden Rhetorik seines Vorgängers aufräumen wollte, vor einem Untersuchungsausschuss wieder. Da werden zwar die Verfehlungen Jungs im Mittelpunkt stehen. Doch auch Guttenberg wird sich fragen lassen müssen, wie er zu seiner Einschätzung kam, der Luftangriff sei angemessen gewesen.

Eine Einschätzung, die dem verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, Rainer Arnold, nach Lektüre des NATO-Berichts »schleierhaft« ist. Die Opposition hat die Fährte aufgenommen: »Er präsentiert sich gerne als Herr der Sache. Auch wenn er längst Getriebener ist«, sagt der grüne Afghanistan-Kenner Tom Koenigs über zu Guttenberg. Der ist bislang auf einer Welle des Wohlwollens durch seine Ämter gesegelt. An Opposition wird er sich gewöhnen müssen.
Guttenberg hat der Kanzlerin nicht nur eine Kabinettsumbildung aufgezwungen: Nun will die Opposition Merkel nachweisen, dass sie sich um den schwersten Zwischenfall in der Geschichte der Bundeswehr nicht gekümmert hat. »Sollte sich herausstellen, dass die Bundesregierung Informationen wegen des Wahlkampfs unterdrückt hat, wäre das ein Skandal«, so Arnold.
So wie bisher, als smarter Glamourboy des Kabinetts, wird Guttenberg seine
Rolle nicht weiter spielen können. Nahezu jede Woche seit seinem Amstantritt war der Minister auf Hochglanzfotos in bunten Gazetten zu sehen, wie er gerade irgendeinen Bambi entgegennahm oder im feinen Zwirn vor Soldaten posierte. Doch wer Soldaten in kriegsähnliche Zustände schickt, für den gelten andere Grenzen des guten Geschmacks als für »zivile« Minister. »Eine Transall ist kein Laufsteg«, ätzt Koenigs.
Am vergangenen Dienstag musste Guttenberg dem Auswärtigen Ausschuss Rede und Antwort stehen. Der Minister gelobte volle Kooperation und Aufklärung.
»Angespannt wie noch nie« haben die Parlamentarier den smarten Franken
erlebt. Wann genau denn das Kanzleramt über den Feldjägerbericht informiert gewesen sei, wollten mehrere Abgeordnete wissen. Das, so Guttenberg kleinlaut, interessiere ihn auch.