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Warum es in Afghanistan riskanter wird

Und wie die Politik sich dazu verhalten müsste – jenseits der Entsendung von Panzerhaubitzen -, habe ich zusammen mit den Kollegen Peter Dausend und Heinrich Wefing in einer Seite 3 der aktuellen Nummer der ZEIT zu erklären versucht:

Die Gefallenen der letzten zwei Wochen können zwar nicht einem Strategiewechsel zur Last gelegt werden. Denn das Partnering wird frühestens vom Sommer an umgesetzt. Dass dieses aber mehr Gefechtssituationen mit sich bringen wird wie jene, in denen die sieben Soldaten in den letzten Wochen gestorben sind, ist zu erwarten.

Die Regierung müsste die Öffentlichkeit also jetzt darauf vorbereiten. Sie müsste erklären, welchen Gefahren sie die Soldaten aussetzen wird – und warum. Darauf zielt die kleine Anfrage des grünen Verteidigungspolitikers Omid Nouripour im Bundestag: »Wie bewertet die Bundesregierung die potenzielle Gefährdung deutscher Kräfte durch die Umsetzung ihres neuen Ansatzes des ›Partnering‹?« In der Antwort der Regierung, die der ZEIT vorliegt, heißt es im altbekannten Abwiegelungston, »der neue Ansatz des ›Partnering‹« bringe eine »vergleichbare, potenzielle Gefährdung wie bisher«. Eigene Bewegungen würden durch den Einsatz in der Fläche »unberechenbarer für den Gegner«. Deshalb sei »zu erwarten, dass sich die Bedrohung für deutsche Kräfte dadurch mittelfristig verringern wird«.

Die Botschaft ist: Es wird sicherer, jedenfalls »mittelfristig«. Dass kurzfristig das Risiko für die Soldaten enorm steigt, wird verschleiert. Das Beispiel zeigt, dass das neue Reden vom Krieg, das Minister Guttenberg eingeführt hat, durchaus keinen Bruch mit der alten Verharmlosungsrhetorik aller bisher mit dem Konflikt befassten Regierungen – von Rot-Grün über die Große Koalition zu Schwarz-Gelb – bedeuten muss. Ist das Reden vom Krieg bloß ein Placebo für eine realistische Debatte?

Hier alles lesen.

 

Israels Moment der Wahrheit über die Besatzung und Iran

…zeichnet sich ab in den erstaunlichen Äußerungen des Verteidigungsministers Ehud Barak am gestrigen Gedenktag für die gefallenen Soldaten.

Erstens sagt er klar wie kaum ein israelischer Politiker vor ihm, dass die Besatzung enden muss:

„The world isn’t willing to accept – and we won’t change that in 2010 – the expectation that Israel will rule another people for decades more,“ he said. „It’s something that doesn’t exist anywhere else in the world.“

„The alienation that is developing with the United States is not good for Israel,“ Barak said during a Memorial Day radio interview. „We have strong ties with the United States, a bond, long-term friendship and strategic partnership. We receive three billion dollars from them each year; we get the best planes in the world from them.“

„For all these reasons we must act to change things,“ Barak said, while voicing doubt that Prime Minister Benjamin Netanyahu would soon enjoy the same warm ties with the White House as his predecessors did when President George W. Bush was in office.

In anderen Worten: Obamas Haltung macht Eindruck.

Zweitens rüstet Barak demonstrativ ab in der Rhetorik gegenüber Iran:

„I prefer to refrain from speculation about the future,“ Barak added. „Right now, Iran does not pose an existential threat to Israel. If Iran becomes nuclear, it will spark an arms race in the Middle East. This region is very sensitive because of the oil flow. The region is important to the entire world. The fact that Iran is not an immediate threat, but could evolve into one, means that we can’t let ourselves fall asleep.“

Damit wäre Israel auf der gleichen Wellenlänge wie die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates und Deutschland, die sich gerade um neue Sanktionen bemühen.

 

Neue Argumente für ein Burkaverbot…

…liefern heute die pakistanischen Taliban, die über 40 Menschen – die meisten Flüchtlinge, viele Schiiten – bei zwei Selbstmordanschlägen ermordet haben:

KACHA PAKHA, Pakistan (Reuters) – Two suicide bombings at a center for people displaced by a Pakistani military offensive against militants killed at least 38 people and wounded 65 on Saturday, an official said.

The first of two male attackers, disguised as a woman in an all-enveloping burqa dress, was followed seconds later by a teenager who blew himself up, said local commissioner Khalid Khan Omarzai.

„It was huge and caused most of the deaths,“ he said of the second explosion.

They struck as about 300 people displaced by fighting were registering at an office in the village of Kacha Pakha in the northwest of the country, hoping to get food items, officials said.

Pakistan’s military has carried out a series of crackdowns against homegrown al Qaeda-backed Taliban fighters seeking to topple the government, destroying some of their bases.

But the measures have failed to weaken the resolve of the Taliban, whose violent suicide bombings have raised questions over the stability of U.S. ally Pakistan.

„The blasts were so powerful that the limbs of people scattered throughout the area. People are searching limbs of their dear ones in nearby crop fields,“ said resident Mohammad Qasim. Shoes and bloodstained clothes lay strewn on the ground.

A group affiliated with Pakistan’s Taliban claimed responsibility for the attacks.

The military says its latest operations, in the Orakzai and Khyber and Kurram regions, have killed hundreds of militants, tolls that were not possible to confirm independently. The Taliban usually disputes casualty figures released by the military.

Suicide bombings and the Taliban’s version of Islamic rule, which can involve public beheadings and floggings, have angered many Pakistanis.

„How can anyone call them human beings? They are beasts who are killing innocent people. The government should finish them off once and for all,“ said Jabbar Ali, whose leg was wounded in Saturday’s bombings.

 

Soldaten: Wir sind keine bloßen Opfer!

Erfreulicher Weise ist der Weblog Sicherheitspolitik wieder online – das Forum für die verteidigungspolitische Debatte jenseits von Berliner Aufgeregtheiten. Hier schreiben kühle Beobachter und Kenner – oft auch aus der Perspektive der Soldaten, die in Auslandseinsätzen dienen.

Angesichts der bedauerlichen Tode deutscher Soldaten im Gefolge von Kämpfen in Nordafghanistan mahnen die Blogger dort zu einem anderen Ton beim Gedenken und in der politischen Debatte. Sie stören sich daran, dass auch Soldaten, die im Kampf gefallen sind, als bloße Opfer eines tragischen Geschehens dargestellt werden – ganz so als wären sie einem Unfall oder einer Naturkatastrophe zum Opfer geworden.

Ich finde das sehr verständlich und glaube, dass sich hinter dem Problem des richtigen Gedenkens ein tiefer liegendes Problem mit dem Einsatz in Afghanistan verbindet. Immer noch zögert die Politik und die weitere Öffentlichkeit, ehrlich und realistisch mit dem Konflikt umzugehen – „Kriegs“-Terminologie hin oder her.

Gestern wurde folgender Kommentar auf dem Blog gepostet:

Mit der offenbar wachsenden Präsenz möglicherweise professionellerer internationaler Kämpfer im Norden Afghanistans, der stärkeren Präsenz von Aufständischen im Kunduz-Baghlan-Korridor und der angekündigten stärkeren Präsenz der Bundeswehr dort wird möglicherweise auch ein Anstieg der deutschen Verluste verbunden sein. Die Politik könnte spätestens jetzt damit beginnen, die Öffentlichkeit besser darauf vorzubereiten.  Die Betroffenheitswellen, die nach jedem Vorfall durch Deutschland gehen, mögen gut gemeint sein, sind aber letztlich Ausdruck einer Einstellung, auf deren Grundlage möglicherweise noch höhere Opferzahlen kaum bewältigt werden können.

Wiederholt haben wir die deutsche Afghanistan-Diskussion kritisiert, weil sie aus unserer Sicht durch die Demonstration von Schwäche die Motivation der Aufständischen stärkt. Leider wird den Aufständischen von Politik, Bundeswehr und Gesellschaft weiterhin vermittelt, dass Deutschland auch relativ niedrige Verluste in Afghanistan kaum erträgt und sowohl Bundeswehr als auch Politik dabei sind, den Willen zur Fortsetzung des Einsatzes zu verlieren. Einen stärkeren Anreiz für weitere Anschläge könnte es kaum geben.

Über die Ursache dafür können wir nur spekulieren: Passen Profis nicht in das bei den Medien beliebte Klischee des Soldaten als Opfer?

Ansonsten zeigt der aktuelle Vorfall, dass die Gegenüberstellung von Kampfeinsatz einerseits und Ausbildungseinsatz andererseits in der Praxis nicht funktioniert. Die Politik erweckt gerne den Eindruck, als sei die vorgesehene Verstärkung der Ausbildung der ANA eine Fortsetzung jener Politik, die eigene Risiken durch Passivität minimieren will und dies hinter Euphemismen wie “Vorrang vor zivilen Mitteln” etc. versteckt. Die Begleitung der afghanischen Soldaten im Einsatz durch deutsche Mentoren bringt jedoch fast selbstverständlich auch Situationen mit sich wie jene, bei der gestern mindestens vier deutsche Soldaten fielen.

Es hat Jahre gedauert, bis die Politik minimale Kompromisse an die Realität in Afghanistan eingegangen ist und z.B. den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt dort als solchen (und auch erst nach gerichtlicher Entscheidung) anerkannt hat oder die Verlegung von Panzerhaubitzen ermöglichte. Immer noch leugnet man eine zentrale Realität: In Afghanistan gibt es neben anderen Herausforderungen auch einen militärischen Gegner, der auch deutsche Soldaten in möglichst großer Zahl töten will und dessen zu dessen Überwindung deutsche Soldaten nicht nur in Selbstverteidigung kämpfen müssten.

Wer eine andere Art der Thematisierung kennenlernen will, lese die Aussage von Haupftfeldwebel Daniel Seibert, die hier auf dem Weblog zitiert wird.

 

Warum Iran sich aus dem Nahostkonflikt heraushalten sollte

Begründet von einem Iraner auf Iranian.com:

If these people cannot find in their hearts to forgive each other after 60 years, then I say: the hell with them; they are cursed to hatred for the rest of their lives. Let them burn in that hatred!

We and the Iraqi’s forgave each other, although we killed a million of our youths and destroyed half of our countries. I was in the Iraq war, and saw their brutality first hand. Why can’t these Arab and Israeli’s forgive each other and get on with their lives. Their dead and wounded is not even a fraction of what we lost in Iraq-Iran war.

Ist was dran.

 

Deutschland-Türken trauern um deutsche Soldaten

Gute Geste! Ich zitiere eine Pressemitteilung der „Türkischen Gemeinde“:
Zu der heute in Selsingen stattfindenden Trauerfeier für die drei am Karfreitag getöteten Soldaten, erklärt Kenan Kolat, Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD): „Die Deutschland-Türken trauern an dem heutigen Tag mit den Angehörigen und Freunden der getöteten Soldaten. Es ist ein trauriger Tag für uns alle.“

An diesem Tag fühlen viele Menschen, unabhängig der ethnischen Herkunft, in der Bundesrepublik mit den Angehörigen und den Freunden mit.

Die Teilnahme der Bundeskanzlerin Frau Merkel an der Trauerfeier begrüßt die TGD.

Ich finde es sehr begrüßenswert, wenn sich die TGD zu solchen allgemeinen politischen Anlässen äußert, die mit Migration, Integration, Islam etc. nichts zu tun haben.

Die Botschaft ist klar: Türkeistämmige Deutsche sind – zu Hunderttausenden – Staatsbürger wie alle anderen und haben sich darum auch für solche das ganze Land bewegenden Ereignisse zu interessieren.


 

Let my people go: Die Türkei muss aufhören, ihre Auswanderer zu vereinnahmen

Dem deutsch-türkischen Mediendienst EUROPRESS entnehme ich folgende Meldung:

«Wir werden die europäischen Imame in der Türkei ausbilden», heißt es in der national-islamischen TÜRKIYE. Damit zitiert die Zeitung den Präsidenten des Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet), Ali Bardakoglu. Bei einem Besuch in Holland habe Bardakoglu angekündigt, dass in Zukunft «Jugendliche aus Europa an theologischen Fakultäten in der Türkei zu Imamen ausgebildet werden und dann nach Europa entsendet werden sollen».

Soso, die Türkei schickt Europa in alle Ewigkeit Imame? Sie will aus Einwanderern, die die Türkei nur als Urlaubsland kennen, Botschafter eines türkischen Islams formen, wie er bei Dyanet gehütet wird? Das fügt sich leider nahtlos ein in den Anspruch des türkischen Staates – wie jüngst wieder von Ministerpräsident Erdogan im Interview mit der ZEIT geäußert, die türkeistämmigen Europäer bis zum Sankt-Nimmerleinstag zu betreuen, zu betüddeln und letztlich für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Wie heißt es doch so schön in dem alten Gospel-Lied: „Tell ol‘ Pharao, Let my people go!“

Die Türken in Europa müssen sich dagegen verwehren. Ein europäischer Islam, wenn er denn etwas anderes als ein Schreckbild sein soll, muss sich in weitgehender Unabhängigkeit von der alten Heimat bilden.

Für den deutschen Staat heißt das: Imamausbildung, Theologie, Religionslehrerausbildung endlich unter hiesiger Aufsicht an hiesigen Universitäten. Bardakoglu macht ja deutlich, dass die Türkei sich da nicht so sehr als Partner, sondern als Konkurrent zu verhalten gedenkt. Also machen wir ihr endlich Konkurrenz!

Warum das nötig ist, liegt auf der Hand:

– wenn Imame nicht nur Vorbeter, sondern auch Gemeinde-Seelsorger sein sollen, was dringend nötig wäre, dann brauchen sie eine Ausbildung hier, wo man etwas von den Problemen der Menschen weiß, mit denen sie zu tun haben werden

– ein europäischer Islam muss das Religiöse und das Nationale trennen, das im Diyanet-Staatsislam – genauso wie auch im Konkurrenzprodukt der Milli Görüs („nationale Sicht“) – verschmolzen ist; die religiöse Identität als Muslim und die ethnische Herkunft (Türke, Bosnier, Syrer)  werden natürlich immer auf der Ebene des kulturellen Gedächtnisses verflochten bleiben – aber sie dürfen nicht mehr als quasi-identisch gehandhabt werden, wie das in der Dyanet-Ditib-Praxis der Fall ist; wie bizarr das sich auswirkt, zeigt der Fall der angeblich laizistischen „Türkischen Gemeinde in Deutschland“ (TGD), die nun in der Islamkonferenz mitredet; also: Entflechtung, Baby!

– auch für die Seite des deutschen Staates und der allgemeinen Öffentlichkeit ist es nicht zielführend, mit Imamen zusammenzuarbeiten, die in der Türkei ausgebildet wurden – als würde man erst dort zum wahren Muslim werden können

Der türkische Staat muss die Auslandstürken endlich in Ruhe lassen. Der deutsche Staat muss im Gegenzug mehr dafür tun, dass diejenigen, die das wollen, auf eine mit hiesigen Verhältnissen kompatible religiöse Infrastruktur zurückgreifen können.

 

Die doppelte Empathielücke

Michael Thumann, unser Mann in Istanbul hat Recht mit seinem Kommentar:

In Deutschland klafft eine Empathielücke, sogar eine doppelte: gegenüber den Türken und gegenüber der Türkei. Bei allen Bemühungen und Konferenzen fehlt es an einer vorbehaltlosen Umarmung der Deutschtürken durch die Regierung. An dem feierlichen „Ihr gehört zu uns, ohne wenn und aber.“ An dem „Wir“ von Deutschdeutschen und Deutschtürken.

Allerdings ist das ein Versäumnis beider Seiten. Es gibt auch zu wenig öffentliche Identifikation der Deutschtürken mit diesem Land hier. „Germany’s been good to me“ – das möchte man eben auch einmal hören. Und da gibt es eine merkwürdige innere Schwelle bei vielen Türken. Der türkische Ministerpräsident versucht diese Identifikationslücke auszunutzen, indem er sich als zuständig für die Auslandstürken erklärt, egal in wievielter Generation sie bereits hier leben. Immer mehr von ihren Sprechern wehren sich dagegen und spielen nicht mehr mit. Das ist gut so.

Die Identifikationslücke kann nur von beiden Seiten geschlossen werden.

Dass sich massenhafter Widerstand gegen die Türkei als EU-Mitglied erhebt, nachdem wir lauter halbreformierte und korrupte Balkanstaaten aufgenommen haben, ist eine historische Dummheit und Ungerechtigkeit. Die Türken wäre ein viel besseres Mitglied als die christlichen Brüder aus Griechenland, die unseren Euro fast vor die Wand gefahren haben.

Die Türkei könnte, wie die WELT schreibt, die Maastricht-Kriterien erfüllen, die Griechen konnten das nur mit „kreativer“ Buchführung“. Solche Absurditäten der europäischen Politik führen zu einer Verbitterung auf der türkischen Seite, die völlig unnötig ist.


 

Die Ratio der Anschläge von Moskau

Einem Bericht des renommierten amerikanischen Instituts für Sicherheitspolitik CSIS entnehme ich eine verblüffende Statistik:

Die Zahl von Selbstmordanschlägen im Nordkaukasus (der vermutlichen Herkunftsgegend der Moskauer Attentäterinnen) hat sich im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr vervierfacht:

An der linken Seite kann man die Zahl der Toten bei gewalttätigen Vorfällen ablesen.

In anderen Worten: Der Krieg, über den in unseren Medien kaum mehr berichtet wird, ist nicht etwa zuende, sondern geht mit größter Rücksichtlosigkeit weiter.

Im folgenden Bild sieht man die gewalttätigen Vorfälle – das heißt Aktionen des Militärs und der Aufständischen – nach Distrikten aufgeschlüsselt, alles im Jahr 2009:

Bemerkenswert, wieviel Aufmerksamkeit jedem Vorfall in Nahost zuteil wird – und wie wenig dem Krieg im Kaukasus. Das liegt natürlich erstens an der extrem restriktiven und repressiven Nachrichtenpolitik der Russen, der gegenüber die israelische geradezu transparent anmutet. Wo ist der Goldstone-Bericht über die Vorfälle aus der oben abgebildeten Statistik?

Aber zweitens liegt es auch an unserer Gleichgültigkeit. Und die dürfte durch das Moskauer Attentat weiter befördert worden sein. Wer Frauen in die U-Bahn schickt, damit sie dort Dutzende in den Tod reißen, kann mit keiner Empathie rechnen.

Ein Teufelskreis:

Da die ungeheure Zahl von Attentaten in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan nicht mehr wahrgenommen wird, trägt man den Kampf nun in die Hauptstadt. Darin liegt, bei aller Perfidie und Monstrosität der Moskauer Attacken, eine nicht von der Hand zu weisende Rationalität der Kriegsführung seitens der Aufständischen.

Es wird ihnen freilich nichts nützen. Sie liefern dem unvermeidlichen Rückschlag der russischen Regierung die Legitimation zu äußerster Härte: Wer so agiert, hat sich außerhalb der menschlichen Gesellschaft gestellt.

Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Mudschahedin in Afghanistan in den Achtzigern, die sich als Bauern mit Stinger-raketen einer überlegenen Armee mit Panzern und Hubschraubern als ungleiche Kombattanten entgegenstellten.

 

Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten

Diesen Artikel habe ich mit dem Kollegen Peter Dausend zusammen verfaßt. Aus der ZEIT Nr. 12 vom 18.3.2010, S. 4:

Er wirkt eigenartig erleichtert, endlich den edlen dunkelblauen Diplomatenpass gegen den gewöhnlichen roten eintauschen zu dürfen. Nach sieben Tagen Lateinamerika, nach sieben Tagen in Samthandschuhen, schaltet Guido Westerwelle auf Attacke um. Kaum auf dem Rollfeld in Berlin-Tegel angekommen, diktiert er sturmzerzaust in die Mikrofone: »So, jetzt bin ich wieder in Deutschland. Und mit Verlaub: Wer glaubt, er bekäme mit einer Verleumdungskampagne eine linke Mehrheit in Nordrhein-Westfalen zustande, unterschätzt die Wähler in Deutschland.« Der Chefdiplomat hat Feierabend, der Einpeitscher betritt die Bühne.
Knapp fünf Monate lang hat das Land Guido Westerwelle nun in dieser Doppelrolle erlebt. Kein Außenminister war je so unbeliebt. Seit Franz Josef Strauß hat kein Politiker mehr so polarisiert. Seine Dienstreisen in Begleitung von Freunden und Gönnern haben der FDP den Vorwurf eingebracht, ausgerechnet jene Partei, die in der Opposition den Staat noch abwickeln wollte, mache ihn sich, kaum in der Regierung, zur Beute. Und nun droht Schwarz-Gelb im wichtigsten Bundesland auch noch der Machtverlust. Westerwelle, der Triumphator vom 27. September 2009, hat Großes angekündigt – und dann Großes angerichtet. Zeit für eine Besichtigung des Flurschadens. In seiner Partei, im Außenamt, bei der deutschen Wirtschaft, in der Koalition – und bei ihm selbst. Weiter„Westerwelle – ein Schadensbericht nach 5 Monaten“