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Die Internationale

Mein Porträt der Außen-Bundeskanzlerin Merkel aus der ZEIT von heute, Nr. 40. S. 2:

Was bleibt? Das Gruppenfoto im Strandkorb von Heiligendamm? Der Dalai Lama im Kanzleramt? Angela Merkel neben Obama in Buchenwald? Die Rede in der Knesset? Die frostige Pressekonferenz mit Medwedjew nach dem Georgienkrieg? Der Krawall-Auftritt für mehr Finanzregulierung mit Sarkozy in London? Im roten Anorak in Grönland, als Gletscherschmelztouristin? Es ist schwer, den einen symbolischen Moment für die Außenpolitik Angela Merkels zu finden – wie bei Schröder das Nein von Goslar. Außenkanzlerin Merkel hatte viele davon. Kein einziger allein erlaubt den Blick in den Kern ihrer Politik. Gibt es denn einen Kern? Und ist das überhaupt eine sinnvolle Frage in diesen Krisenzeiten?
merkelgipfel

Angela Merkel in ihrem Element Foto: Regierung Online/Kugler

Kurz vor der Bundestagswahl bekommt Angela Merkel noch einmal die Chance, als Krisenretterin und Klimakanzlerin ganz groß zu punkten. In Pittsburgh kann sie sich als Vorkämpferin für Finanzmarktregulierung und CO₂-Reduktion auf größtmöglicher Bühne profilieren, während ihr Herausforderer daheim letzte Bierzelte und Marktplätze abklappern muss. Die Götter meinen es gut mit Angela Merkel und stellen sie auch in dieser Woche wieder im bunten Blazer zwischen lauter pinguinfarben gekleidete Männer.
Und so entsteht ein Muster: Angie und die starken Männer. Wie Angela Merkel sich unter den Mächtigen behauptet hat, offenbart viel über ihren außenpolitischen Stil. Manch einer hat sich früh ein Bild von ihr gemacht und es später revidieren müssen. George W. Bush zum Beispiel.
2003 schrieb sie ihm einen offenen Brief in der Washington Post, in dem sie sich ziemlich anbiedernd von Schröders Nein zum Irakkrieg absetzte. Bush hielt das für einen Treueschwur. Doch als sie Kanzlerin wurde, hat sie ihm wenig geschenkt: Kampftruppen für Afghanistan? Bombardierung Irans? Ukraine und Georgien in die Nato? Dreimal njet aus Berlin. Er blieb Fan, lud sie gar auf seine Ranch in Texas und versuchte ihr beim G-8-Gipfel den Nacken zu massieren. Merkels Zurückzucken wurde ein YouTube-Hit. Die Kanzlerin ließ Bush am Ende nicht mal mehr in die Hauptstadt. Der »liebe George« auf Abschiedstournee musste draußen warten, ein dead man walking im goldenen Gefängnis des Barockschlosses Meseberg. Berliner Bilder mit dem multipel Gescheiterten waren nicht erwünscht.
Auch Obama hielt sie schon vor dessen Wahlsieg auf Distanz. Das Brandenburger Tor gönnte sie ihm nicht als Kulisse. Es war dann sicher nicht leicht, Hunderttausende zum Großen Stern pilgern zu sehen, wo der Global-Charismatiker ersatzweise auftrat. Merkel hat anfangs auffällig spöttisch über die »Obamania« gesprochen. Gegen Bush war es leicht, gut auszusehen. Der ambitionierte Neue drängte »Miss World« aus dem Rampenlicht. Es war mehr als Neid: Charisma in der Politik aktiviert Merkels sehr dominantes Skeptiker-Gen.
Die Krise hat ihr Verhältnis zu Obama verändert: Merkel verweigerte sich zwar dem amerikanischen Druck, die Notenpresse auf Vollgas laufen zu lassen. Und Gefangene aus Guantánamo wollte sie auch nicht aufnehmen. Aber heute treibt sie die Sorge um, der Präsident könnte im Gerangel um seine Gesundheitspolitik so geschwächt werden, dass sein Schwung für eine Weltinnenpolitik verloren ginge. Iran, Nahost, Klima, Finanzkrise – kann man da ohne ein starkes Amerika vorankommen? Vorerst nicht. Ihre Berater rühmen, sie habe die transatlantischen Beziehungen »entspannt«. Ernüchtert wäre vielleicht das bessere Wort. Das wäre die Parallele zu Merkels Umgang mit den Herrschern der anderen Großmacht, deren Abstieg bereits weiter fortgeschritten ist.
Wenn Merkel zu Putin oder Medwedjew fuhr, fanden keine trauten Vieraugengespräche statt wie zu Schröders Zeiten. Putin, stets vorneweg beim Wettbewerb um den Titel des Weltpolitmachos, gerne auch halb nackt angelnd, machte sich einen Spaß daraus, seinen schwarzen Labrador Koni an der Bundeskanzlerin schnüffeln zu lassen – wohl wissend, dass diese Angst vor Hunden hat. Das war die Rache dafür, dass sie Dissidenten traf und beharrlich den Fall der ermordeten Journalistin Politkowskaja ansprach. Aus solchen Gesten wurde Merkels Bruch mit dem Erbe der Entspannungspolitik konstruiert. Das Eigene an Merkels Russlandreisen war aber, dass sie die falsche Alternative Annäherung oder Menschenrechte mied.
Merkel pflegt die Distanz. In der Georgienkrise fand sie als Vermittlerin mit Nicolas Sarkozy einen wohltuend erwachsenen Ton. Sie ließ keine Zweifel aufkommen, dass sie Saakaschwili für einen Hasardeur hielt und dennoch den russischen Einmarsch für ein Unrecht, ja schlimmer: für Torheit.
Aber sie hat eben keine andere Russlandpolitik gemacht als ihre Vorgänger. Im Gegenteil: Sie hat sie noch intensiviert. Dass sie etwa beim Nato-Gipfel in Bukarest den von der Bush-Regierung gewünschten Beitritt Georgiens und der Ukraine auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben half, entzückte Putin. »Das vergesse ich dir nie«, soll er der Kanzlerin gesagt haben. Und wie sie zwei Jahre später im Zeichen der Krise deutsches Steuergeld lockergemacht hat, damit Russland ein amerikanisches Unternehmen mit deutscher Ingenieurkultur kaufen kann, wird Putins gute Meinung von Merkel noch gefestigt haben. Nicht nur Opel, auch die Rostocker Wadan-Werften hat die Kanzlerin einem russischen Investor angedient. Mehr »Wandel durch Verflechtung« (Steinmeier) könnte auch ein ostpolitisch gesinnter SPD-Kanzler kaum zuwege bringen. Aber Angela Merkel ist eine bessere Verkäuferin sozialdemokratischer Politik als die Genossen. Das zeigte sich im lautesten Streit um die Außenpolitik.
Dass Merkels Einladung des Dalai Lama ins Kanzleramt zum Symbol ihrer Geradlinigkeit wurde, ist vor allem der Dummheit der anderen Seite geschuldet, sich die chinesische Empörung allzu eifrig zu eigen zu machen. Die Kanzlerin hatte gar kein großes Zeichen setzen wollen. Merkel empfing den schmunzelnden Wohlfühl-Geistlichen vor allem, weil er eben populär ist. Sie hatte dabei ihren Kredit bei den Chinesen überschätzt. Als der Schaden da war, machte Merkel aus einem diplomatischen Ungeschick eine Demonstration der Prinzipientreue. Ihr Kritiker Steinmeier sah sich gezwungen, zu betonen, auch er spreche in China Missstände an. Punktsieg Kanzlerin, gerade weil es dann der Außenminister war, der die Chinesen mühsam wieder einfangen musste.
Das Publikum sah fortan sich selbst gespiegelt im Bild einer angstfreien Kanzlerin, und wen wundert’s: Es mochte dieses Bild. Später legte Merkel sich wegen des Holocaust-Leugners Williamson sogar mit dem Papst an. Anders als beim Dalai Lama hat sie dies bei der eigenen Basis auch einiges gekostet. Katholische Stammwähler sehen den Papst nicht gerne auf der Bank der Sünder.
Die deutsche EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 war ein Erfolg mit manchmal bizarren Zügen. Merkel kämpfte für den Lissabon-Vertrag, nachdem die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war. Dann kam Polen mit der »Quadratwurzel«-Offensive. Man wollte das Stimmrecht der großen Länder gegenüber den mittelgroßen relativieren, indem nicht die absolute Bevölkerungszahl, sondern die Quadratwurzel daraus zugrunde gelegt werden sollte. Als Kaczyński Merkel vor die Wahl stellte »Quadratwurzel oder Tod«, ließ sie ihn seelenruhig implodieren wie schon so viele Parteivorsitzende, Ministerpräsidenten und Fraktionsvorsitzende in ihrem Leben. Geschafft. Ironischerweise musste sie am Ende feststellen, dass die härtesten Europagegner in der heiß geliebten bayerischen Schwesterpartei sitzen.
Ihren Ruf als Klimakanzlerin hat sie selbst ramponiert, als sie im Streit um die CO₂-Emissionen ziemlich unverhohlen das Interesse der deutschen Autobauer pushte, bei den dicken Schlitten Marktführer zu bleiben. Der fotogene Auftritt im roten Jack-Wolfskin-Jäckchen vor dem grönländischen Eqi-Gletscher wirkt im Rückblick nach Merkels Brüsseler Autolobby-Auftritten unglaubwürdig.
Zum drängendsten außenpolitischen Thema hat Merkel sich widerwillig schubsen lassen. Über den Einsatz in Afghanistan hat sie lange nur unwillig bis pflichtschuldig gesprochen. Erst nachdem die Grünen triezten, sie solle endlich mal hinfliegen, tauchte sie bei den Soldaten am Hindukusch auf. Und es bedurfte der tragischen Entscheidung des Obersts Klein und massiver Kritik der Alliierten, um Merkel zu einer Bundestagsrede zu inspirieren – immerhin im Jahr acht des deutschen Krieges.
Gibt es also einen Kern? Ein vernünftiger Pragmatismus beim Einsatz für Entspannungspolitik, europäische Integration, Klimakompromisse und Menschenrechte, allerdings verbunden mit einem schärferen Sinn für Symbolik als ihre Vorgänger – keine Nebensache in der Außenpolitik. Sehr bundesrepublikanisch eigentlich, doch mit einem diffusen Versprechen von mehr.
Angela Merkels machtvollster Moment zeugt davon. Das Gruppenfoto im Strandkorb von Heiligendamm hat ihn eingefroren: acht wichtige Männer, mittendrin die Dame im grünen Sakko. Sie ist perdu, diese G-8-Welt. Nach der Krise regieren die G 20. Wie Macht und Einfluss in dieser Welt funktionieren, weiß in Wahrheit kein Mensch. Wenn Angela Merkel eine zweite Amtszeit erlebt, beginnt eine Reise in unbekanntes Terrain.

 

Maggie Thatcher, Commie

Oder jedenfalls nützliche Idiotin. Dies hier ist ziemlich starker Tobak. Man ahnte ja, wie sehr Thatcher ein vereintes Deutschland abgelehnt hat. Aber dass sie bereit war, den ganzen Ostblock unter der russischen Fuchtel zu lassen!

Reagan war wirklich ein Freiheitsfreund (im Bezug auf den Kommunismus). Thatcher interessierte sich nur für britische Interessen – und denen war offenbar besser gedient mit den Eisernen Vorhang. Shocking!

Two months before the fall of the Berlin Wall, Margaret Thatcher told President Gorbachev that neither Britain nor Western Europe wanted the reunification of Germany and made clear that she wanted the Soviet leader to do what he could to stop it.

In an extraordinary frank meeting with Mr Gorbachev in Moscow in 1989 — never before fully reported — Mrs Thatcher said the destabilisation of Eastern Europe and the breakdown of the Warsaw Pact were also not in the West’s interests. She noted the huge changes happening across Eastern Europe, but she insisted that the West would not push for its decommunisation. Nor would it do anything to risk the security of the Soviet Union.

So die Londoner Times.

Thatcher sagte zu Gorbatschow in einem geheim Gespräch:

The reunification of Germany is not in the interests of Britain and Western Europe. It might look different from public pronouncements, in official communiqué at Nato meetings, but it is not worth paying ones attention to it. We do not want a united Germany. This would have led to a change to post-war borders and we can not allow that because such development would undermine the stability of the whole international situation and could endanger our security.

 

Grüne Militanz

Der ARD-Deutschlandtrend hat erstaunlicher Ergebnisse zum Afghanistan-Engagement der Bundeswehr zu Tage gefördert. Die Zustimmung wächst erstmals wieder. Und sie ist am stärksten bei —- den Grünen!

Zitat aus ZEIT online:

„Am größten ist die Unterstützung für die weitere Stationierung unter den Anhängern der Grünen (50 Prozent dafür, 47 Prozent dagegen). Bei den Anhängern der Union halten sich Befürworter und Gegner eines längeren Einsatzes mit 46 beziehungsweise 47 Prozent annähernd die Waage. Bei der FDP sind 42 Prozent für ein längeres Engagement der Bundeswehr, bei der SPD 34 Prozent. Die geringste Zustimmung ist bei Anhängern der Linkspartei zu erkennen. Hier befürworten nur 22 Prozent eine weitere Stationierung der Bundeswehr.“

Über dieser Frage wird sich Schwarz-Grün also nicht zerlegen. Aber eine „rote Ampel“ sehr wohl (Rotrotgrün).

p.s. Sorry, der Artikel enthielt  falsche Zahlen für die SPD und die FDP. Ich habe sie korrigiert. Hier die Infografik zum Deutschlandtrend:

Bild 1

 

Hat Obama die Demokratisierung aufgegeben?

Die Neocons sind endlich wieder da, wo sie hingehören: in der Opposition. Und dort können sie vielleicht wieder wertvolle Beiträge leisten, indem sie die Regierung kritisieren. Augenscheinlich sind sie darin besser als im Regieren, wie die Bilanz der Regierung Bush zeigt.

Joshua Muravchik, eines der wenigen verbliebenen (intellektuellen) Neocon-Schwergewichte nimmt sich nun die Obama-Aussenpolitik vor und durchleuchtet sie auf den Status der Demokratie hin.

Obama habe einen Pfeiler der amerikanischen Aussenpolitik seit Carter, Reagan und Clinton aufgegeben, meint Muravchik – die Demokratisierungs-Agenda.

Muravchik

Seine Belege findet er in der neuen Weise, wie die Obama-Regierung mit China, Russland, Birma und Sudan umgeht – vor allem aber in der Nahost-Politik, aus der die Demokratisierung als Ziel nahezu völlig getilgt worden sei. (Was er nicht schreibt, ist allerdings, dass dieser Wandel bereits in den späten Bush-Jahren eingesetzt hatte – spätestens nach dem Sieg der Hamas in Gaza und dem Erfolg der Muslimbrüder bei den Wahlen in Ägypten. Und es wird natürlich auch nicht bilanziert, was Bushs Politik zum Niedergang der Demokratie-Agenda beigetragen hat. Aber geschenkt…)

Muravchiks Panorma ist recht beeindruckend und verlangt nach einer Antwort.

Besonders im Bezug auf das arabische Schlüselland Ägypten macht Muravchik einen Politikwechsel dingfest:

Perhaps the clearest shift in U.S. policy has been toward Egypt. By far the largest of the Arab states, and the most influential intellectually, Egypt has also been the closest to Washington. Thus, the Bush administration’s willingness to pressure the government of Hosni Mubarak was an earnest sign of its seriousness about democracy promotion.

For their part, Egyptian reformers urged the U.S. to make its aid to Egypt conditional on reforms. The Bush administration never took this step, but the idea had support in Congress, and it hung like a sword over the head of Mubarak’s government. Obama has removed the threat.

Und in der Kairoer Rede fällt Muravchik besonders stark die merkwürdige Betonung des Kopftuchs auf:

At three different points in the speech, Obama defended a woman’s right to wear the hijab, apparently as against the restrictions in French public schools or Turkish government offices or perhaps in the U.S. military, which insists on uniform headgear. But he said not a word about the right not to wear head covering, although the number of women forced to wear religious garments must be tens of thousands of times greater than the number deprived of that opportunity. This was all the more strange since he had just arrived from Saudi Arabia, where abbayas—head-to-toe cloaks put on over regular clothes—are mandatory for women whenever they go out. During Obama’s stop in Riyadh, the balmy spring temperature was 104 degrees; in the months ahead it will be twenty or thirty degrees hotter. The abbayas must be black, while the men all go around in white which, they explain, better repels the heat.

Nor did Obama mention either directly or indirectly that all Saudi women are required to have male “guardians,” who may be a father, husband, uncle or brother or even a son, without whose written permission it is impossible to work, enroll in school or travel, or that they may be forced into marriage at the age of nine. Speaking on women’s rights in Egypt, he might—but did not—also have found something, even elliptical, to say about genital mutilation, which is practiced more in that country than almost anywhere else.

 

Sebastian Haffner über Afghanistan

Als ich diese Stelle in einem alten Buch las – fast dreißig Jahre alt! – hat es mir fast die Schuhe ausgezogen. Wie bitte? Damals hat der Mann das schon gesehen? Ist ja Wahnsinn.

Der Mann ist Sebastian Haffner, und das Buch heißt „Überlegungen eines Wechselwählers“. Es erschien 1980 zur Wahl – als Empfehlung für Helmut Schmidt und gegen Franz-Josef Strauss. Haffner hätte aus innepolitischen Gründen nichts gegen die Union an der Regierung gehabt, aber die Aussenpolitik hat für ihn den Ausschlag gegeben, noch einmal der SPD den Sieg zu wünschen.

Und am Ende kommt er auf einen Konflikt zu sprechen, der damals noch vor allem die USA betraf. Heute ist er auch unserer. Die Rede ist von Afghanistan. Die Russen hatten das Land besetzt, und Amerika nahm auf seiten der Mudschaheddin Partei, die es in der Folge massiv unterstützte, zum großen Teil über den Umweg des pakistanischen Geheimdienstes, der den islamistischen Widerstand mit amerikanischen Dollars förderte.

Sebastian Haffner Foto: Teuto

Haffner sieht hier schon den neuen Weltkonflikt heraufziehen, der den Kalten Krieg ablösen wird. Den Konflikt mit einem „militanten islamischen Glaubensfanatismus“. Sein Rat, dies an einen Konflikt zu begreifen, der die Blockkonfrontation transzendiert, liest sich wie ein Omen:

„Ob die Amerikaner in ihrem eigenen Interesse richtig gehandelt haben, als sie den russischen Einmarsch in Afghanistan, ein mit Amerika nicht verbündetes Land, mit wirtschaftlichen und sportlichen Sanktionen beantwortet haben, ist nicht unsere Sache zu entscheiden; wir sind nicht gefragt worden. Denkbar gewesen wäre auch eine ganz andere amerikanische Reaktion, bis hin zu einem russisch-amerikanischen Zusammenwirken. Denn schließlich haben es die Russen in Afghanistan mit demselben Gegner zu tun wie die Amerikaner im benachbarten Persien, nämlich einem wiedererwachten, ebenso antiwestlichen wie antiöstlichen, militanten islamischen Glaubensfanatismus; und ein gemeinsamer Gegner, sollte man meinen, legt eher Allianz nahe als Konflikt. Wie auch immer, dieser Konflikt ist nicht unser Konflikt. Afghanistan ist nicht unser Verbündeter, un wir sind kein Weltpolizist. Wir sind in Afghanistan nicht einmal ideologisch engagiert. In dem ideologischen Konflikt zwischen dem Kommunismus und der westlichen Demokratie sind wir Partei; aber zwischen Kommunismus und Islam sind wir neutral. Wenn Amerika glaubt, in diesem Konflikt Partei nehmen zu sollen, ist es seine Sache, nicht unsere. Unser klares Interesse – ein wirkliches Lebensinteresse – ist, zu verhindern, daß die mittelöstlichen Wirren auf Europa übergreifen; und es trifft sich gut, daß sich dieses Interesse mit dem ganz Europas deckt – ganz Europas: unserer westeuropäischer Partner sowohl wie der osteuropäischen Verbündeten Rußlands.

Aus: Sebastian Haffner, Überlegungen eines Wechselwählers, Kindler Verlag, München 1980 (2000, Neuauflage), S. 139

 

Warum Russland und China Iran stützen

Eine Analyse auf Tehranbureau arbeitet heraus, warum Russen und Chinesen das Teheraner Regime unterstützen, obwohl sie offiziell gegen das Atomprogramm sind und Sanktionen befürworten (jedoch nie, ohne sie vorher in langen Verhandlungen vewässert zu haben):

„Russia treats Iran as a winning card in its relations with the United States. The fact that anti-American hardliners are in power in Iran is to Russia’s advantage. First, because it keeps the U.S. influence in Iran, if any at all, minimal. Second, it forces the United States to focus its attention on Iran, and less elsewhere. At the same time, by not completing the Bushehr reactor and promising to sell it the S-300 system, but not actually going through with the sale, Russia keeps the hardliners in Iran in need. The Iranian public and the reformist-democratic groups in Iran in particular, also see this, which explains their anger at Russia.

China, on the other hand, has a long history of supporting despots around the world, so long as doing so protects and expands its interests. Iran is no different in that respect for it. In Africa, for example, China supports Robert Mugabe’s regime in Zimbabwe and the Omar Al-Bashir’s in Sudan, despite all the calamities there. In East Asia, China supported the bloody Khmer Rouge regime in Cambodia who murdered 2 million Cambodians; and it supports North Korea.

Iran’s natural resources, large population, and strategic position are all important to China. China imports about 700,000 barrels of oil a day from Iran.“

Aber: Nach einem Bericht der LA Times beginnt immerhin in Russland eine Debatte darüber, ob das eigentlich eine schlaue Politik ist. Vor allem im Licht der jüngsten Ereignisse im Iran. Dort sind nämlich Russland und China zu den meist verhassten Ländern aufgestiegen, weil sie das Regime auch nach dem Coup mit den gefälschten Wahlen noch stützen. Es wird, wie in dem oben erwähnten Artikel von Tehranbureau geschildert, mittlerweile auch „Marg bar Rusieh“ (Tod Russland) und „Marg bar Chin“ (Tod China) gerufen – nach den rituellen „Tod Amerika“-Rufen.

Der Leitartikel der Nesavissimaja Gaseta vom 6. August fordert die russische Führung nun zu einer Revision ihrer Ahmadinedschad-Politik auf:

„It appears that recent events in Iran, when the opponents of Ahmadinejad shouted slogans of ‚Death to Russia,‘ indicate that Moscow’s defense of Ahmadinejad’s government has not been met with approval among a considerable portion of the Iranian population,“ the editorial said.

„It appears that the idea that Iran is a regional power which Russia could use as a trump card in relations with the West has turned out to be mistaken,“ the editorial says.

„As a matter of fact, it has turned out that Iran is using Russia to polarize the Group of Six,“ the five permanent members of the United Nations Security Council plus Germany, over Iran’s nuclear program.

The editorial pointed out that Russians are being singled out by the West and Iranians themselves as the primary backers of Ahmadinejad, possibly to Moscow’s disadvantage.

 

Wer gewinnt denn nun in Afghanistan?

Der gestern von mir verlinkte Artikel über General McChrystal macht Furore (auch in den deutschen Zeitungen, die heute damit aufmachen) in den USA. Hat der General wirklich gesagt, die Taliban hätten die Oberhand? Das Pentagon bestreitet dies. (In Amerika werden Interviews nicht autorisiert, daher ist die Wiedergabe des Gesagten offen für mehr Interpretationen.) Hier ein Beitrag auf NBC über die neu entfachte Afghanistan-Debatte:

 

Steinmeiers letzte Nahostreise

Von Sonntag bis Dienstag war ich mit dem Aussenminister unterwegs in Israel, Syrien und Libanon. Ich will keinen Reisebericht schreiben, sondern werde mir die Eindrücke aufheben für ein späteres Stück. Darum habe ich mich für eine Bildergeschichte entschieden, um der lieben Blog-Gemeinde meine vorläufigen Impressionen mitzuteilen. Es ist Steinmeiers 14. Nahostreise, und womöglich seine letzte.

Am Montagmorgen, gleich nach dem Besuch beim israelischen Präsidenten Peres, geht Steinmeier nach Yad Vashem, um der Opfer des Holocaust zu gedenken. Ins Kondolenzbuch schreibt er den trockenen und doch eben drum auch angemessenen Satz: Das Gedenken an die Schoah führt uns nach Israel. Die Gedenkfeier ist streng ritualisiert – Kranzablage, Entzünden der Gedenkflamme, Schweigeminute, fertig. Sie hat auch die Funktion, eine Quelle der Legitimität des Staates Israel zu bekräftigen – das „Nie wieder“.

Unmittelbar nach dem Gedenkakt läßt sich Steinmeier auf den Mount Scopus fahren, von wo aus man Siedlungsaktivitäten in den Blick nehmen kann. Sein  Nahostspezialist, Botschafter Andreas Michaelis, erklärt ihm anhand von Karten, wie die Siedlungen das Westjordanland zerschneiden. Natürlich ist das eine politische Geste vor dem folgenden Besuch bei Benjamin Netanjahu in der Knesset: Dass wir uns ohne Einschränkung zur Legitimität des Staates Israel bekennen, heisst eben nicht (mehr), dass wir die Siedlungspolitik hinnehmen. So ein Zeichen zu setzen hat sich die Bundesregierung bisher nicht getraut.

Bei Netanjahu und – später am Tag – Lieberman geht es sehr frostig zu. Steinmeier nutzt jede Gelegenheit, um die Worte „Zweistaatenlösung“ und „Siedlungspolitik“ zu sagen. Er ist gekommen, um dafür zu werben, dass man die neue Nahostpolitik Obamas als Chance begreifen möge. In Israel wird in diesen Tagen über einen Militärschlag gegen Iran spekuliert. Hat der amerikanische Vizepräsident Biden mit seinen Äusserungen vom Sonntag dafür grünes Licht gegeben? Oder hat er eigentlich sagen wollen: Wenn ihr (Israel) das macht, seid ihr auf euch allein gestellt? Über Lieberman schreiben die israelischen Zeitungen, er sei als Aussenminister irrelevant: Barak verhandelt als Verteidigungsminister mit Mitchell über die Siedlungen, Netanjahu ist fürs Verhältnis mit Amerika zuständig, und die Araber wollen mit Lieberman nicht reden, weil er einen Wahlkampf mit rassistischen Untertönen gegen sie gemacht hat. Lieberman will unbedingt eine Pressekonferenz mit Steinmeier, um endlich wieder einmal mit einem anderen Aussenminister ins Bild zu kommen. Israel, scheint mir, ist in einem Zustand äusserster Verwirrung: Unter Druck durch seine Freunde, und dies in einem Moment, in dem die iranische Gefahr die öffentliche Debatte bestimmt – und dann auch noch regiert von einer Koalition der Angst und des Kleinmuts. Schlechte Voraussetzungen für den Wandel, den Steinmeier predigt.

In der Jerusalemer Altstadt verkaufen (siehe Fotos oben und unten) arabische Händler diese T-Shirts mit zionistischen Spassbotschaften. Verrückte Stadt.

Man kann nicht direkt von Israel nach Syrien fliegen, nicht einmal mit einer Regierungsmaschine, weil zwischen beiden Ländern seit 1973 der Kriegszustand herrscht. Dabei wäre es von Jerusalem nach Damaskus nur ein paar Stunden Autofahrt. Also muss auch der deutsche Aussenminister eine Schleife über Zypern fliegen, um dann den syrischen Luftraum anzusteuern. Beim Anflug auf Damaskus erwische ich mich beim Suchen nach Bombenkratern in der syrischen Wüste (Foto unten). Aber natürlich werden die Geheimdienste dafür gesorgt haben, dass man nicht mehr sieht, wo die Israelis das syrische Atomprogramm beendet haben.

Der Präsident grüßt allenthalben in Damaskus, so auch hier auf dem Hausberg der Stadt, dem 1200 Meter hohen Kassioun. Aber es heißt, ihm gefalle der Personenkult nicht, und darum habe er die meisten Plakate in der Stadt abmontieren lassen.

Hier residiert nicht Dr. No, sondern Präsident Assad. In dem monumentalen Palast empfängt er seine (wenigen, aber es werden mehr) Gäste. Seine Wohnung liegt allerdings mitten in der Stadt, in einem besseren Viertel.

Das syrische Aussenministerium ist von erstaunlicher Schäbigkeit. Nicht mehr als ein umgebautes Apartmenthaus im Diplomatenviertel der Stadt. Seit den siebziger Jahren ist hier nicht mehr renoviert worden. Auf dem Foto ist das Foyer zu sehen, in dem Steinmeier seine Pressekonferenz mit dem Aussenminister Muallim abhalten wird. In dem Warteraum, in dem wir Journalisten auf die Minister warten, steht die „Great Soviet Encyclopedia“ in den Regalen, staubbeladen.

Schärfer könnte der Kontrast nicht ausfallen als zu dem Palast der Familie Hariri in Beirut, wo Steinmeier den designierten Ministerpräsidenten trifft, Saad Hariri, Sohn des (vermutlich von syrischer Hand) ermordeten Rafik Hariri. Ein wunderschöner Stadtpalast, mitten im mediterranen Gewimmel Beiruts, bewacht von Dutzenden schwer bewaffneter Männer. Der junge Hariri will einen nationalen Versöhnungsprozess beginnen. Seine Wahl ist erst möglich geworden durch die Nichteinmischung der Syrer, die den Libanon offenbar langsam aufzugeben bereit sind. Die Belohnung dafür ist das Nachlassen der diplomatischen Isolation. Steinmeier hat diese Politik schon früh forciert, als sie noch sehr unpopulär war. Jetzt erweist sie sich auch als klug, weil Syrien damit aus der iranischen Umklammerung geholt werden kann – und der Iran somit weiter isoliert.

Allerdings hat das Setting im Hariri-Palast etwas von „Der Pate 2“. Überall hängen die Bilder des ermordeten Vaters, und der Sohn füllt nun seine Fußstapfen aus. Wird er sich mit dem Oberhaupt der anderen großen Familie vertragen, die seinen Vater hat ermorden lassen (siehen oben)? Der junge Hariri macht den Eindruck, die Dinge anders angehen zu wollen. Aber kann er der Clanpolitik entkommen?

Alle Fotos: Jörg Lau

 

Warum Deutschland in Afghanistan mehr tun muss

(Langfassung eines Stücks, das in veränderter Form morgen in der ZEIT erscheint:) 

Der freundliche Herr mit Silbermähne und randloser Brille brauchte neun Worte, um das politische Berlin in helle Aufregung zu versetzen. Ivo Daalder, als neuer Nato-Botschafter Obamas Mann in Brüssel, erläuterte Fachleuten und Politikern, wie es weitergehen soll mit der ISAF in Afghanistan, bei ihrem „größten und gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Nato“. Die Schlüsselworte standen etwas versteckt auf Seite 7 seines Redemanuskripts vom vergangenen Mittwoch: „Dennoch können und sollten Europa und Deutschland mehr tun.“ Daalder hatte an diesem Tag nur eine Botschaft, verpackt in viele freundliche Worte der Anerkennung: Es brennt in Afghanistan, und Deutschland muß helfen.

Auch das noch. Eine Woche zuvor erst waren drei deutsche Soldaten bei einem Einsatz in Nordafghanistan umgekommen, als sie sich unter heftigem Beschuss mit ihrem Panzerfahrzeug zu retten versuchten. Dem Verteidigungsminister stand ein schwerer Gang ins thüringische Bad Salzungen bevor, zur Beerdigung der drei Gefallenen. Und prompt kamen dann auch schon die neuesten Meinungsumfragen heraus: Kaum noch ein Drittel der Deutschen unterstützt jenen Einsatz, den die Regierung partout nicht unseren „Krieg“ in Afghanistan nennen will.

Der Verteidigungsminister betätigt sich in diesen Tagen hauptsächlich als Semantiker. In jeder seiner öffentlichen Äusserungen stellt er klart, Deutschland befinde sich nicht im Krieg, sondern im Kampfeinsatz. Warum ihm diese Unterscheidung so wichtig sei, die dem Volk offenbar nicht einleuchtet? Es gehe darum, so Jung, den Taliban nicht den Rang einer Kriegspartei mit Kombattantenstatus zuzugestehen. Sie müßten weiter als Terroristen und Verbrecher behandelt werden.

Die sprachliche Entschärfung macht den Einsatz aber offenbar nicht populärer. Im Gegenteil: Je öfter Franz-Josef Jung bestreitet, dass Deutschland Krieg führt, um so mehr setzt sich beim Publikum der fatale Eindruck von Überforderung und Verleugnung fest. Zumal wenn die Bundeswehr sich gleichzeitig gezwungen sieht, die Einsatzregeln für die Soldaten zu lockern, wie just am Wochenende publik wurde. Die Soldaten werden eine überarbeitete „Taschenkarte“ bekommen. Diese kurze Anweisung – eine Übersetzung der deutschen Einsatzregeln in simple Worte – gibt ihnen Orientierung über ihre Befugnisse in Gefahrensituationen. Die neue Taschenkarte wird den Gebrauch der Waffe leichter machen – eine Reaktion auf zunehmenden Beschuss und häufigere Hinterhalte im Einsatzgebiet. Die Deutschen werden also künftig offensiver vorgehen dürfen, wie von der Truppe lange schon gewünscht. Das heißt womöglich: Mehr Gefechte, mehr Verletzte, mehr Tote.

Da hat es gerade noch gefehlt, dass Obamas Nato-Mann ausgerechnet jetzt den Druck erhöht. Nicht dass man nicht schon geahnt hätte, dass es eines Tages so kommen würde. Obama war ja nicht zuletzt aufgrund des aussenpolitischen Versprechens gewählt worden, den „falschen Krieg“ im Irak zu beenden, und den „richtigen Krieg“ in Afghanistan zu gewinnen – und zwar mit Hilfe eben jener europäischen Freunde, die ein Bush nicht mehr erreichen konnten.

Aber warum jetzt mehr Druck? Die maßgeblichen Aussenpolitiker der Koalition sind mehr als „ein Stück weit irritiert über Herrn Daalder“, wie ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses formuliert. Bei Union und SPD trifft man vor allem auf zwei Reaktionen: Haben die Amerikaner vergessen, dass wir bald schon mitten im Wahlkampf stehen? Die wissen doch genau, dass wir unsere Mandatsobergrenze auf 4.500 Mann erhöht haben und ständig mehr Soldaten schicken!

Natürlich wissen „die“ das: Barack Obama hat darum beim Besuch der Kanzlerin am vorletzten Wochenende peinlich vermieden, von den Deutschen öffentlich mehr zu verlangen. Das Thema Afghanistan wurde mit Rücksicht auf den 27. September gemieden. Obama weiss sehr wohl, dass die Kanzlerin das toxische Thema bis dahin lieber nicht anfassen möchte. Vielleicht schickt er eben darum seinen Nato-Mann schon einmal nach Berlin, um deutlich zu machen, dass man sich an die Ausklammerung des Themas besser nicht gewöhnen möge. Jene 600 Soldaten, die soeben von Deutschland zur Absicherung der afghanischen Wahl im August zusätzlich ins Land beordert wurden, müssten auch danach auf jeden Fall bleiben, sagte Daalder in Berlin: „Die Sicherheitslage wird sich nach der Wahl nicht wie von Zauberhand verbessern. Da finden wir für ihre Soldaten schon etwas zu tun.“

Auch wenn Merkel und Obama in Washington das Thema Afghanistan mieden – es ist schwer vorstellbar, dass der amerikanische Präsident seiner wichtigsten europäischen Partnerin nichts von der geplanten Groß-Offensive in der südafghanischen Provinz Helmand gesagt haben sollte. Dieser Vorstoß hat nun am letzten Donnerstag begonnen. Im Lichte dieses militärischen Angriffs, des größten seit der Invasion von 2001, bekommt die neue diplomatische Offensive des Nato-Botschafters eine enorme Dringlichkeit. Die Amerikaner suchen jetzt die Wende um jeden Preis in dem bald achtjährigen Krieg.

4000 Marines sind seit letztem Donnerstag dabei, die Provinz Helmand unter Kontrolle zu bringen – eine Hochburg der Taliban und zugleich das wichtigste Drogenanbaugebiet des Landes. Durch Diplomatie und militärische Stärke zugleich will Obama beweisen, dass er sich diesen Krieg wirklich zu eigen gemacht hat. Was am Hindukusch passiert, ist nun auf Gedeih und Verderb „Obama’s war“ (Washington Post). Und ein Präsident, der sein Schicksal derart mit diesem Konflikt verbindet, kann und muss auch gegenüber seinen Verbündeten bestimmter auftreten.

Der Strategiewechsel der Amerikaner unter Obama wurde in Berlin mit Genugtuung aufgenommen. Nun aber beginnt die Zufriedenheit der Nervösität zu weichen. Jahrelang hatte man die amerikanische Überbetonung des Militärischen kritisiert und das deutsche Konzept der „vernetzten Sicherheit“ dagegengehalten, in dem die Betonung auf dem zivilen Aufbau liegt. Das wird nun unterlaufen, indem die Kritisierten sich reuig zeigen: Jawohl, ihr hattet recht. Wir haben erstens (im Irak) einen falschen Krieg geführt, und zweitens den richtigen Krieg (in Afghanistan) auf die falsche Weise. Wir nehmen uns eure Kritik zu Herzen. Botschafter Daalder sagte in Berlin: „Wir haben so viele Jahre lang die falsche Strategie in Afghanistan verfolgt, dass es uns kaum gelingen kann, diesen Krieg binnen einen Jahres zu drehen.“ Das ist ein bemerkenswert offenherziges Geständnis. Es schafft zugleich eine ziemliche unwiderstehliche Verpflichtung. Denn: Wenn wir mit der Reue durch sind – so die neue amerikanische Logik -, würden wir uns gerne mit euch zusammensetzen und überlegen, wie wir den richtigen Krieg doch noch gewinnen können. Wir haben übrigens nicht viel Zeit. Nicht mehr als zwölf bis achtzehn Monate. Dann nämlich drohen auch in den USA die nächsten Wahlen: Bei der Abstimmung zum Kongress Ende 2010 wird Obamas Politik ihrem ersten Stresstest beim Wähler unterzogen werden. Ist dann keine Wende zu sehen, wird es eng.

Worauf aber zielt eigentlich der neue amerikanische Druck? Geht es um die Beteiligung an gefährlichen Kampfeinsätzen im paschtunisch dominierten Süden des Landes, wie in der deutschen Debatte oft suggeriert wird? Eher nicht: Die Amerikaner warten dabei nicht auf die Deutschen, wie die jetzige Offensive in Helmand zeigt. Und sie können auch nicht erwarten, dass im Dezember, wenn der Bundeswehr im Parlament ein neues Mandat erteilt werden muss, wesentlich mehr als die jetzt schon möglichen 4.500 Truppen bewilligt werden. Selbst eine schwarz-gelbe Regierung hätte da nicht mehr Spielraum, wie sich schon dieser Tage andeutet: Der Versuchung, aus der Anti-Stimmung im Wahlkampf Honig zu saugen, erliegen jetzt schon namhafte Unions-Abgeordnete. Der CSU- Landesgruppenchef Ramsauer fordert lauthals eine „Exit-Strategie“. Und auch der Sicherheitsexperte der CSU, Hans-Peter Uhl, wünscht öffentlich einen „baldigen Abzug“ der Bundeswehr. Er halte es darum für „an der Zeit, die Priorität des Afghanistan-Einsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern.“

Die bittere Wahrheit ist allerdings, wie andere einflussreiche Aussenpolitiker der Koalition hinter vorgehaltener Hand bereitwillig eingestehen, dass Deutschland und Europa bei eben dieser Aufgabe „schmählich versagt“ haben. Deutschlands etwa 40 permanente Ausbilder und 100 zusätzliche Trainer haben seit 2002 circa 25.0000 Polizisten gecoacht. Nicht schlecht, aber viel zu wenig. Der Versuch, seit 2007 die Polizeiausbildung zu europäisieren, wurde vollends ein Fiasko. Von den versprochenen 400 Trainern kamen nur rund die Häfte. Man zerstritt sich über die Finanzierung und die Richtlinien. Währenddessen hat Obama nun 1.500 zusätzliche Trainer in Marsch gesetzt. Deutschland gibt schlanke 35,7 Millionen € im Jahr für die Polizei-Ausbildung aus – deutlich weniger, als der Regierung die Rettung des Quelle-Katalogs (50 Millionen €) per Massekredit wert ist.

Vielleicht hat die berechtigte Kritik an der früheren amerikanischen Kriegsführung – mit ihren vielen zivilen Opfern durch Luftangriffe – die deutsche Seite verleitet, die eigenen Anstrengungen nicht mehr selbstkritisch zu durchleuchten, weil sie ja ohnehin den moralisch höherwertigen Ansatz zu repräsentieren schienen. Doch das ist nun vorbei, auch wenn die Amerikaner jetzt in Helmand massiv vorgehen und dabei zwangsweise neue Opfer produzieren werden. Denn ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, dass Amerika in der zivilen Aufbauarbeit viel mehr tut als die Europäer. Die Bundesregierung stellte 2008 140 Millionen € für den Aufbau bereit. Die USA kamen im gleichen Jahr bereits auf 5,6 Milliarden Dollar. Darin sind auch die Mittel für die afghanischen Sicherheitskräfte enthalten. Aber selbst wenn man sie abzieht, bleibt die beschämende Tatsache, dass Amerika fast 15 mal so viel in den zivilen Aufbau Afghanistans investiert wie Deutschland. Und für 2009 hat Obama den Beitrag kurzerhand abermals verdoppelt auf geplanten 10,3 Milliarden. Zum Vergleich: Die Europäische Union ist stolz darauf, für die Zeit zwischen 2007 bis 2010 insgesamt 700 Millionen € bereitzustellen.

Dieses wachsende Ungleichgewicht führt dazu, dass das deutsche Mantra langsam unglaubwürdig wirkt, man stehe zur „vernetzten Sicherheit“ und werde – nun aber wirklich! – die „zivile Komponente“ stärken. Dazu war schon viele Jahre Zeit. Mit der mangelnden Kampfbereitschaft der Deutschen haben sich die Alliierten zwar abgefunden. Das ungenügende zivile Engagement aber ist das eigentliche Problem: Wenn Deutschland sich in einem glaubwürdigen Umfang am Staatsaufbau, an der Förderung der Landwirtschaft sowie an der Ausbildung von Polizei und Armee beteiligen würde, gäbe es keinen Druck, mehr zu tun. Doch stattdessen hat die Regierung sich darauf verlegt, immer wieder symbolische Kontingenterhöhungen vorzunehmen, um den Druck abzufangen: Die Tornados und neuerdings die Awacs-Überwachungsflugzeuge, die Deutschland bereitstellt, sind vor allem Placebos für die Alliierten. Sie werden nicht aus militärischer Notwendigkeit nach Afghanistan geschickt, sondern um dem befürchteten Ruf nach mehr Soldaten etwas entgegensetzen zu können.

Die deutschen Abgeordneten, die jetzt in die Ferien und dann in den Wahlkampf gehen, ist schmerzlich klar, wie schwer die deutsche Afghanistan-Politik bei ihren Wählern zu vertreten ist. Nur die todesmutigen unter ihnen werden das Thema von sich aus ansprechen bei ihren Wahlkreisveranstaltungen. Wenn es aber doch aufkommt, sagt ein Sozialdemokrat mit von Vergeblichkeit gezeichneter Stimme, „braucht man dann schon ein paar Minuten“: „Viele Wähler haben ihre Meinung gebildet und hören schlicht nicht mehr zu.“ Wer diese dennoch erreichen wolle, müsse „die große moralische Erzählung“ über Afghanistan fallen lassen und eine realistische Perspektive bieten können.

In Wahrheit aber werden seit geraumer Zeit schon die Ziele für den Einsatz heruntergedimmt. Von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten als Ziel der westlichen Mission ist auffällig selten noch die Rede. Die Afghanen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt und ihre Sicherheit selbst zu garantieren, lautet die neue, bescheidene Maxime. Dass die Taliban nie wieder die Kontrolle über das Land haben dürfen, ist der Minimalkonsens.

Vielleicht liegt in dieser Ernüchterung eine Chance. Doch einfacher wird es damit eben nicht. Denn der neue Realismus am Hindukusch bringt auch ein neues afghanisches Paradox mit sich: In Zukunft müssen für deutliche bescheidenere Ziele erheblich größere Mittel mobilisiert werden.