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Wie erkenne ich einen islamistischen Extremisten?

In England ist ein neuer Kriterienkatalog in Vorbereitung, der es ermöglichen soll zu bestimmen, was ein „islamistischer Extremist“ ist. 

Der Name des durchgesickerten Dokuments ist „Contest 2“.

Extremisten, heisst es darin

– propagieren ein Kalifat, einen pan-islamischen Staat, der viele Länder umfassen solle,

– sie vertreten das Schariarecht,

– sie glauben an die Berechtigung des Dschihad, oder bewaffneten Widerstands, überall auf der Welt, inklusive des bewaffneten Widerstands gegen das israelische Militär,

– sie behaupten, dass der Islam die Homosexualität verbiete, weil sie eine Sünde gegen Gott darstelle,

– sie verurteilen nicht die Tötung britischer Soldaten in Irak oder Afghanistan.

Das ist ein problematischer Katalog. Das Scharia-Recht wird vom britischen Staat als zivilrechtliche Schlichtungsinstanz geduldet, ebenso wie das religiöse Recht der Juden in den Beth-Din-Instanzen.

Will man von Muslimen etwa die Ablehung jeglichen bewaffneten Widerstands in jedem Fall verlangen? Das wäre eine bizarre Forderung in einem Land, das selber in Anspruch nimmt, in Irak und Afghanistan sein Recht auf Selbstverteidigung gegen die Dschihadis wahrzunehmen. Kriterium sollte die aktive Unterstützung einer Terrororganisation sein, nicht die absolute Absage an „bewaffnetem Widerstand“ in jedem Fall.

Die Ablehung der Homosexualität empfinde ich persönlich als falsch und abstoßend und gegen Gottes Liebesgebot gerichtet. Aber ich möchte nicht in einem Staat leben, der religiösen Minderheiten (gleich welcher Couleur) vorschreibt, wie liberal sie zu sein haben. Bizarr.

Und auch die Verurteilung der Tötung britischer Soldaten in Irak und Afghanistan kann man nicht verlangen. Die Meinung, es sei Afghanen erlaubt, sich gegen eine Besatzungsmacht zu wehren, ist nicht zu zensieren, sondern zu widerlegen: Indem man auf das Mandat hinweist, unter dem die internationelen Truppen agieren – und indem man darauf achtet, dass die Vorgehensweise der Truppen dort ihren Auftrag nicht delegitimiert.

Grossbritannien macht beängstignde Schritte in die Unfreiheit: Erst Wilders nicht einreisen lassen, jetzt die politische Debatte unter Muslimen durch einen Islamistenkodex regulieren – das sind alles keine zielführenden Massnahmen.

Gegen die Terroristen und ihre Unterstützer brauchen unsere Gesellschaften auch die konservativen Muslime auf unserer Seite – also auch Vertreter des Schariarechts und solche, die Homosexualität ablehnen.

Es wäre falsch und kontraproduktiv zu suggerieren, dass es hier ein Kontinuum zum internationalen Terrorismus gebe. Man kann illiberale Ansichten zur Homosexualität haben und das Schariarecht befürworten und dennoch Terrorismus ablehnen.

 

Das ist das Abu Ghraib des Vatikans

So nennt der amerikanische Konservative Christopher Buckley den Skandal um die Pius-Brüder und den Antisemitismus von Bischof Williamson. Die Analogie bezieht sich auf den moralischen Bankrott der Amtszeit Benedikts (so wie Bush mit Abu Ghraib in seinem moralischen Anspruch finished war), und darin ist sie korrekt.

Man lese den Text von Buckley, um sich zu überzeugen, dass es noch anständige Konservative mit den richtigen moralischen Reflexen gibt.

Mir ist immer noch schlecht, wenn ich an den Kurs des deutschen Papstes denke. 

Er hat kein Problem damit, das Abendmahl zwischen Protestanten und Katholiken zu verwerfen, aber die Heimholung der Pius-Brüder in die Abendmahlsgemeinschaft ist ihm so wichtig, dass alle kirchenpolitischen und kirchendiplomatischen Bedenken über Bord geworfen werden. 

Welch ein Rückschritt gegenüber dem polnischen Papst, der das Verhältnis zum Judentum normalisiert hatte! 

Ich bin in der  katholischen Kirche aufgewachsen, die mit dem jungen polnischen Papst (58) einen neuen Vitalitäts-Schub bekam. Ich war 13, als er geweiht wurde, und begeisterter Messdiener. Das menschenfreundliche, offene Wesen dieses Mannes hat uns selbst noch in unserer Dorfgemeinde im Rheinland bewegt. Ich habe diesen Papst von ganz nahe gesehen, als Pilger auf dem Petersplatz  in Rom, noch vor dem Attentat, nachdem dann das „Papamobil“ angeschafft wurde. Zu Zeiten der Solidarnosc sammelten wir Hilfsgüter und schickten sie nach Polen.

Dieser Mann war unmißverständlich konservativ in seiner Theologie, er war ein glühender Antikommunist, und doch war er ein einnehmender, großzügiger Mensch mit einem klaren politisch-moralischen Kompass. Das hatte sicher damit zu tun, dass er ein Mann des Widerstands gegen den Totalitarismus war (erst gegen den der Nazis im besetzten Polen, dann der Kommunisten). Er war ein Zeuge des Jahrhunderts, ein wahrer Fels.

Obwohl ich nun lange schon nicht mehr der katholischen Kirche angehöre, sondern der evangelischen „Religionsgemeinschaft“ (die wir in den Augen von Prof. Ratzinger bloss sein dürfen), schmerzt mich die Verengung der kirchlichen Lehre unter dem Amtsverständnis des deutschen Papstes. 

Leichtfertig wird die moralische Autorität der Kirche verpulvert für die kleinsten Dinge (jedenfalls dann, wenn man die Einheit der Kirche mit den Pius-Brüdern nicht so erstrebenswert findet). 1982 hatte ein Lefebvre-Anhänger versucht, Johannes Paul II zu ermorden, um die Kirche vor den Folgen des Vaticanums II zu „retten“. Und die Einheit mit diesen Leuten ist nun wichtiger als der Dialog mit den Juden? Oder mit den deutschen Protestanten?

Nun wird die Öffnung der Kirche zur Welt und zu den anderen Religionsgemeinschaften, die mit dem Vaticanum erreicht worden war, vom Papst selbst in Frage gestellt. Der deutsche Papst ist zu ängstlich, zu kleinlich, zu engherzig  um zu verstehen, dass der Schub aus dem Vaticanum II massgeblich zum Appeal des Westens in der modernen Welt beigetragen hat: Kennedy, Wohlfahrtsstaat, die Beatles, die Mondfahrt, und dazu eine Kirche, die ihren fanatischen Kampf gegen Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte (jawohl!) aufgegeben hatte, und sich nun sogar ganz auf deren Seite schlug und zu entdecken begann, wie ihr eigenes Erbe die Entwicklung dieser westlichen Werte sogar befördert hatte. Eine Kirche, die nicht mehr Angst hatte und Angst predigte, sondern Versöhnung, Respekt und Menschenrecht und Liebe. 

Der deutsche Papst aber kann in dieser Wende offenbar nur Dekadenz und Verfall sehen, und das macht ihn anfällig für die Extremisten in den eigenen Reihen.

Es tut mir leid um die Kirche, der ich vieles verdanke.

 

Begeisterung über den Holocaustleugner-Bischof in der Nazi-Szene

Der Papst hat gestern verspätete Schadensbegrenzung versucht, indem er sich deutlich an die Seite des jüdischen Volkes stellte. Too little, too late.

Denn in den Nazi-Zirkeln des Internet wird Bischof Williamson seit Tagen gefeiert. Man sieht dessen Wiederaufnahme in den katholischen Mainstream als Sieg der eigenen Sache. 

Man schäumt gegen die „Systempresse“, die vom Zentralrat der Juden gesteuert sei und daran arbeite, Deutschland den „Muselmanen“ zu überantworten. (Tja, das ist so die Logik.) Interessant die fließenden Übergänge zur PI-und Moscheeverhinderer-Szene, mag man sich dort noch so sehr pro-israelisch gebärden.

Im Ton ist da erstaunliche Ähnlichkeit zu finden.

Kostprobe:

„Und die Katholische Bischofskonferenz, die nach den Klerikalbolschewiken von den Protestanten wohl der armseligste Haufen deutscher Pfaffen ist, der je existiert hat und unser Vaterland widerstandslos an den Islam ausliefern möchte sollte ebenfalls die SCHNAUZE halten. Ein “holocaustleugnender” Erzkatholik ist mir zehnmal lieber als ein sch…liberaler, katholischer Pfaffe der sich über die “nette” Moschee freut und den “Dialog” mit den landnehmenden Muselmanen sucht, die sich hinter vorgehaltener Hand kaputtlachen über die Dummheit der deutschen Massenmenschen.“

 

Warum die Linken den Rechten jetzt Antiamerikanismus vorwerfen

Mein Kommentar zum innenpolitischen Guantánamo-Streit aus der ZEIT (Nr. 6, 2009) von morgen:

Der Wandel, den Barack Obama versprochen hat, kommt nicht nur nach Washington, sondern auch nach Berlin. 

Kaum eine Woche ist der neue Präsident im Amt, und schon steht die deutsche Innenpolitik kopf: Jürgen Trittin von den Grünen wirft Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) »blanken Antiamerikanismus« vor. Und seine Kollegin Renate Künast sekundiert, indem sie die »Undankbarkeit« von CDU und CSU gegenüber den Amerikanern anprangert: »Ich erinnere nur an den Marshallplan, die Carepakete, die Berliner Luftbrücke. Wie kann man da heute sagen, die USA sollen das Problem selber lösen?« 

Das »Problem« ist die Unterbringung der etwa 60 Gefangenen in Guantánamo, die als unschuldig oder ungefährlich gelten und nach Schließung des Lagers dennoch nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil ihnen Verfolgung und Folter drohen. Führende Unionspolitiker hatten gefordert, die Amerikaner sollten die Gefangenen gefälligst selber unterbringen.

Muss, wer Carepakete genommen hat, auch entlassene Gefangene nehmen? Ist Guantánamo ein rein amerikanisches Problem, das uns nichts angeht? Weder noch. Wie Deutschland sich am Ende verhalten wird, ist denn auch ziemlich klar: Es kann weder eine prinzipielle Absage noch eine pauschale Zusage geben. Man wird auf eine eventuelle Anfrage der Amerikaner mit dem Angebot einer europäischen Lösung antworten: Nennt uns 20 oder 30 Gefangene, wir werden jeden Einzelfall prüfen und die Unbedenklichen dann auf die willigen Länder verteilen. Und das leuchtet auch ein: Nachdem wir jahrelang Bush für die Demontage des Rechtsstaates kritisiert haben, werden wir seinem Nachfolger bei dessen Wiederherstellung zur Hand gehen. Klare Sache.

Wirklich? Die Debatte der letzten Woche nährt Zweifel. Es hat sich ein bitterer Streit entzündet, der mit einem erstaunlichen Rollenwechsel einhergeht. Rot-Grün stimmt nun das alte transatlantische Tremolo von Deutschlands historischer Bringschuld gegenüber der amerikanischen Schutzmacht an. Carepakete! Luftbrücke! War man nicht unter Bush noch stolz, endlich erwachsen geworden zu sein? Und nun doch zurück in die Zukunft des Kalten Krieges? 

Die Union wird im Gegenzug – gemeinsam mit dem schwarz-gelben Schatten-Außenminister Westerwelle – derart patzig gegenüber den Amerikanern, dass fast ein Hauch von Schröders Goslarer Nein in der Luft liegt. Räumt euren Mist selber auf! Verkehrte Welt: Hat die Union Steinmeier nicht seinerzeit im Untersuchungsausschuss für seine Hartleibigkeit im Fall Murat Kurnaz kritisiert? Jetzt unterstellt Schäuble dem SPD-Kollegen, er untertreibe die Gefahr, die von den Entlassenen ausgehen könnte, weil er sich bei Obama lieb Kind machen wolle.

Dass die deutschen Parteien mit einem nervösen Rollenspiel auf die Neuausrichtung der amerikanischen Außenpolitik reagieren, ist ein Krisensymptom. Durch den neuen Präsidenten ist ungeahnte Verunsicherung ins einst so festgezurrte transatlantische Verhältnis gekommen. Obama erzeugt ganz offenbar erheblichen Stress auch auf unserer Seite des Atlantiks. Paradoxerweise besonders dann, wenn er alte Lieblings-Forderungen der Europäer erfüllt.

Man sollte die Debatte darum nicht als bloßes Wahlkampfgetöse abtun. Sicher wollen die einen gerne im Kielwasser von Obamas change segeln, und die anderen möchten sich als knallharte Sicherheitspolitiker profilieren. Aber insgeheim ahnen beide Seiten schon, dass Obamas Weg auch von Deutschland eine Neuausrichtung jenseits von Rechts und Links verlangt. 

Die Guantánamo-Debatte ist bloß der Anfang eines Gesprächs über die neue Lastenverteilung im Westen. Das Lager zu schließen ist nämlich die Voraussetzung für eine neue Politik gegenüber dem Nahen Osten, die wir lange gefordert haben. Gerade diese wird Deutschland noch vor härtere Fragen stellen. Der neue diplomatische Ansatz gegenüber Iran: Was darf er die deutsche Industrie kosten? Denn ohne schärfere Wirtschaftssanktionen wird Obamas Bereitschaft, mit den Mullahs zu sprechen, nichts bringen. Und falls Obama uns anbietet, über eine neue Strategie in Afghanistan zu reden – was könnte von uns zusätzlich kommen? Geld? Truppen? Andere Mandate? Sollte Amerika wie angekündigt eine ausgeglichenere Politik gegenüber Israel und den Palästinensern verfolgen, würden wir unseren israelischen Freunden bittere Wahrheiten über den Siedlungsbau und die Checkpoints sagen?

Wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen, wird zeigen, ob Deutschland wirklich ein freies, erwachsenes Verhältnis zu Amerika gefunden hat. Bush hat es uns sehr einfach gemacht. Er hat nicht nur in Amerika das »kindische« Wesen befördert, das Obama überwinden will. Zu Obama Nein zu sagen wird eine schwierigere Sache. Und Ja zu sagen auch.

 

Obama, der konservative Revolutionär

George Bush war eigentlich ein Radikaler mit reaktionärem Temperament, und der neue Präsident ist – wie seine ersten Schritte zeigen, ein im Kern Konservativer mit radikalem Temperament.

So sieht’s der Guardian und beklagt es.

Ich habe das hier schon vor Monaten geschrieben (einen Tag vor der Wahl!) – und finde es weiterhin einen Grund zur Freude.

Zitat:

„George Bush was not a conservative, but rather a curious hybrid of reactionary and progressive. He was a reactionary by temperament and conviction whose methods were borrowed from the most radical progressives. He besmirched the conservatismthat he had forsaken and led it from the corridors of power into the political wilderness.

Because progressive commentators depict Bush as an arch-conservative instead of the curious amalgam of reactionary and radical revolutionary that he actually was, they remain blind to Obama’s conservatism. His senior appointments, the tenor of his inaugural address and his agenda during his first days in office bear the imprimatur of conservatism. …

Such conservative themes were sounded in Obama’s inaugural address, in which he brushed aside debates about the optimal size of government and whether „the market is a force for good or ill“. Instead, he substituted a simple criterion for judging government action: „whether it works.“ Such an emphasis on utility and efficiency is almost textbook conservatism. It is the negation of ideology in politics.

The Obama presidency is not a revolution, but instead a restoration. The „values upon which our success depends“, Obama reassures America, „these things are old. These things are true. They have been the quiet force of progress throughout history“. He asks for a „return to these truths“. Nothing new is needed, neither fresh ideas about the human condition’s betterment nor utopias; merely a return to and vindication of the past.

The return to core tried-and-true values as the only reliable basis for political action, the consignment of ideology – whether concerning the virtues of unregulated markets or government’s scope – to irrelevance in developing policy, the celebration of responsibilities and duties instead of rights, and commitment to America’s unchallenged global leadership. It is hard to imagine an inaugural address more steeped in the classical conservative tradition than the one delivered by Obama last week.“

 

Holocaustleugner im Bischofsgewand

Der Papst hat diesen Holocaustleugner im Bischofsgewand zurück in die Abendmahlsgemeinschaft geholt. Die Exkommunikation von Richard Williamson, einem Anhänger des katholischen Fundamentalisten Lefevre, wurde von Papst Benedikt aufgehoben.
Wie ist das zu rechtfertigen angesichts der Aussagen dieses Mannes, die eindeutig den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen? Eine Schande für die Christenheit.

 

Raus aus Guantánamo – zurück zu Al-Kaida?

Um noch einmal das Dilemma zu unterstreichen, auf das ich in dem vorhergegangenen Post hingewiesen habe, hier ein Fall:

Der saudische Gefangene Said Ali al Shihri wurde Ende 2007 aus dem Lager Guantánamo entlassen. Er hat danach ein saudisches Antiterror-Umerziehungslager durchlaufen. 

Heute ist er Anführer der Al-Kaida im Jemen. Er wird für den Anschlag auf die amerikanische Botschaft in  Sanaa verantwortlich gemacht, bei dem im letzten Jahr 19 Menschen starben.

Hier ist seine Akte nachzulesen.

 

Wohin mit den Guantánamo-Häftlingen?

Ich habe eine etwas unbequeme Haltung zur Frage der Häftlinge, die durch die Auflösung Guantánamos zum Problem für das amerikanische (und unser) Rechtssystem werden.

Ich verstehe die politische Geste unseres Aussenministers, der mit seinem Angebot zur Aufnahme für unschuldig Befundener in Deutschland der neuen amerikanischen Regierung signalisieren will, dass wir nicht nur rummäkeln, sondern auch an der Lösung des Problems mithelfen wollen.

Soweit richtig. Wir sind Teil des Kampfes gegen den Terrorismus, also müssen wir auch die Lasten mittragen. Wir haben Bush kritisiert, also müssen wir seinem Nachfolger auch helfen, das skandalöse Kapitel zu schliessen. Wer könnte etwas dagegen haben, erwiesener Maßen Unschuldige bei uns aufzunehmen, denen zuhause Folter oder Todesstrafe drohen? So könnte man auch die schändlichen Versäumnisse im Fall Kurnaz ein wenig kompensieren.

Aber das ist der leichte Part: Es ist entscheidend, dass sich das amerikanische Rechtssystem die Frage wieder vorlegt, wie man mit denjenigen Häftlingen umgeht, die man wegen der Beweislage nicht vor normalen Gerichten verurteilen kann – und von denen dennoch eine klare Gefahr ausgeht, die nicht erlaubt, sie freizulassen. Das ist eine Frage, die natürlich nicht nur Amerika betrifft, aber Amerika zunächst einmal im Besonderen, weil unter der Regierung Bush ein Weg des Umgangs beschritten wurde, der lauter rechtliche Sondertatbestände geschaffen hat, die zur Erosion des Rechtsstaates führen können. Diese müssen zurückgenommen werden (was ja auch schon geschieht), ohne in naiver Weise Gefahren in Kauf zu nehmen.

Es wird innerhalb des Rechtssystems eine umstrittene Zone geben müssen, in der man mit den Herausforderungen umgeht, die durch Top-Gefährder entstehen. Innerhalb des normalen Rechts- und Gefängnissystems wohlgemerkt, nicht auf einer juristischen Sondermüllhalde auf einer abgeriegelten Insel.

Und warum sollte das unmöglich sein? Der riesige amerikanische Gefängnis-Archipel beherbergt Hunterttausende, darunter viele höchst gefährliche Individuen. Es ist nicht abzusehen, dass geschätzte 245 Insassen von  Guantánamo dieses System überfordern sollten. (Hier zum Beispiel sitz Ramzi Youssef ein, der am ersten Attentat auf das World Trade Center  beteiligt war, der Neffe von Khalid Shaikh Mohammed, der den 11. September vorbereitete.)

Ebensowenig ist das amerikanische Asylsrecht überfordert damit, an den unschuldig Inhaftierten wieder gut zu machen, was man ihnen an Lebenszeit und Würde genommen hat. Ich weiß eigentlich nicht, warum Deutschland da in Vorleistung gehen sollte – wenn man die oben erwähnte Motivlage einmal abzieht.

Es ist ein Gebot der politischen Selbstreinigung Amerikas, das Problem der inhaftierten Dschihad-Terroristen wieder in sein Rechtssystem zu inkorporieren. 

Welche Lektionen Amerika daraus zieht – etwa über Fragen der Sicherheitsverwahrung – , das ist auch für uns relevant, denn wir können schon bald vor ähnlichen Problemen stehen. 

Die Debatte, ob wir unschuldig Entlassene aufnehmen sollen, ist bei Licht besehen eine Pseudo-Debatte angesichts der Dilemmata, die hier lauern. 

Im übrigen hat die Schliessung Guantánamos und die Behandlung der Terroristen als gewöhnliche Verbrecher einen wichtigen Stellenwert im Kampf gegen den Terrorismus: Es nimmt ihnen die Aura des Übermenschlichen (und damit eine Propagandawaffe), es reduziert ihr Bravado auf das Schäbige und Kleine ganz normaler Massenmörder.

 

 

Gegen den Antisemitismus der Linken

Ein exzellenter Text des Kollegen Thomas Assheuer aus der heutigen ZEIT, der sich gegen Naomi Kleins Aufruf zum Boykott Israels richtet:

„Naomi Kleins Aufruf ist so empörend wie aufklärend. Empörend ist die historische Assoziation, nämlich die NS-Parole aus dem April 1933: »Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!« Aufklärend jedoch ist, welches Erbe zwischen den Zeilen zum Vorschein kommt: jener antisemitische Reflex, der sich bei Globalisierungskritikern zuverlässig immer dann einstellt, wenn sie die israelische Regierung im Besonderen oder den Kapitalismus im Allgemeinen ins Visier nehmen.

Die mal offene, mal verdeckte Allianz von Antikapitalismus und Antisemitismus ist kein Zufall und fällt nicht vom Himmel. Dahinter steckt der alte Aberglaube, das »abstrakte Kapital«, das heute die »Weltherrschaft« ausübe, sei jüdischen Ursprungs. Weiter„Gegen den Antisemitismus der Linken“