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Warum Deutschland in Afghanistan mehr tun muss

(Langfassung eines Stücks, das in veränderter Form morgen in der ZEIT erscheint:) 

Der freundliche Herr mit Silbermähne und randloser Brille brauchte neun Worte, um das politische Berlin in helle Aufregung zu versetzen. Ivo Daalder, als neuer Nato-Botschafter Obamas Mann in Brüssel, erläuterte Fachleuten und Politikern, wie es weitergehen soll mit der ISAF in Afghanistan, bei ihrem „größten und gefährlichsten Einsatz in der Geschichte der Nato“. Die Schlüsselworte standen etwas versteckt auf Seite 7 seines Redemanuskripts vom vergangenen Mittwoch: „Dennoch können und sollten Europa und Deutschland mehr tun.“ Daalder hatte an diesem Tag nur eine Botschaft, verpackt in viele freundliche Worte der Anerkennung: Es brennt in Afghanistan, und Deutschland muß helfen.

Auch das noch. Eine Woche zuvor erst waren drei deutsche Soldaten bei einem Einsatz in Nordafghanistan umgekommen, als sie sich unter heftigem Beschuss mit ihrem Panzerfahrzeug zu retten versuchten. Dem Verteidigungsminister stand ein schwerer Gang ins thüringische Bad Salzungen bevor, zur Beerdigung der drei Gefallenen. Und prompt kamen dann auch schon die neuesten Meinungsumfragen heraus: Kaum noch ein Drittel der Deutschen unterstützt jenen Einsatz, den die Regierung partout nicht unseren „Krieg“ in Afghanistan nennen will.

Der Verteidigungsminister betätigt sich in diesen Tagen hauptsächlich als Semantiker. In jeder seiner öffentlichen Äusserungen stellt er klart, Deutschland befinde sich nicht im Krieg, sondern im Kampfeinsatz. Warum ihm diese Unterscheidung so wichtig sei, die dem Volk offenbar nicht einleuchtet? Es gehe darum, so Jung, den Taliban nicht den Rang einer Kriegspartei mit Kombattantenstatus zuzugestehen. Sie müßten weiter als Terroristen und Verbrecher behandelt werden.

Die sprachliche Entschärfung macht den Einsatz aber offenbar nicht populärer. Im Gegenteil: Je öfter Franz-Josef Jung bestreitet, dass Deutschland Krieg führt, um so mehr setzt sich beim Publikum der fatale Eindruck von Überforderung und Verleugnung fest. Zumal wenn die Bundeswehr sich gleichzeitig gezwungen sieht, die Einsatzregeln für die Soldaten zu lockern, wie just am Wochenende publik wurde. Die Soldaten werden eine überarbeitete „Taschenkarte“ bekommen. Diese kurze Anweisung – eine Übersetzung der deutschen Einsatzregeln in simple Worte – gibt ihnen Orientierung über ihre Befugnisse in Gefahrensituationen. Die neue Taschenkarte wird den Gebrauch der Waffe leichter machen – eine Reaktion auf zunehmenden Beschuss und häufigere Hinterhalte im Einsatzgebiet. Die Deutschen werden also künftig offensiver vorgehen dürfen, wie von der Truppe lange schon gewünscht. Das heißt womöglich: Mehr Gefechte, mehr Verletzte, mehr Tote.

Da hat es gerade noch gefehlt, dass Obamas Nato-Mann ausgerechnet jetzt den Druck erhöht. Nicht dass man nicht schon geahnt hätte, dass es eines Tages so kommen würde. Obama war ja nicht zuletzt aufgrund des aussenpolitischen Versprechens gewählt worden, den „falschen Krieg“ im Irak zu beenden, und den „richtigen Krieg“ in Afghanistan zu gewinnen – und zwar mit Hilfe eben jener europäischen Freunde, die ein Bush nicht mehr erreichen konnten.

Aber warum jetzt mehr Druck? Die maßgeblichen Aussenpolitiker der Koalition sind mehr als „ein Stück weit irritiert über Herrn Daalder“, wie ein Mitglied des Auswärtigen Ausschusses formuliert. Bei Union und SPD trifft man vor allem auf zwei Reaktionen: Haben die Amerikaner vergessen, dass wir bald schon mitten im Wahlkampf stehen? Die wissen doch genau, dass wir unsere Mandatsobergrenze auf 4.500 Mann erhöht haben und ständig mehr Soldaten schicken!

Natürlich wissen „die“ das: Barack Obama hat darum beim Besuch der Kanzlerin am vorletzten Wochenende peinlich vermieden, von den Deutschen öffentlich mehr zu verlangen. Das Thema Afghanistan wurde mit Rücksicht auf den 27. September gemieden. Obama weiss sehr wohl, dass die Kanzlerin das toxische Thema bis dahin lieber nicht anfassen möchte. Vielleicht schickt er eben darum seinen Nato-Mann schon einmal nach Berlin, um deutlich zu machen, dass man sich an die Ausklammerung des Themas besser nicht gewöhnen möge. Jene 600 Soldaten, die soeben von Deutschland zur Absicherung der afghanischen Wahl im August zusätzlich ins Land beordert wurden, müssten auch danach auf jeden Fall bleiben, sagte Daalder in Berlin: „Die Sicherheitslage wird sich nach der Wahl nicht wie von Zauberhand verbessern. Da finden wir für ihre Soldaten schon etwas zu tun.“

Auch wenn Merkel und Obama in Washington das Thema Afghanistan mieden – es ist schwer vorstellbar, dass der amerikanische Präsident seiner wichtigsten europäischen Partnerin nichts von der geplanten Groß-Offensive in der südafghanischen Provinz Helmand gesagt haben sollte. Dieser Vorstoß hat nun am letzten Donnerstag begonnen. Im Lichte dieses militärischen Angriffs, des größten seit der Invasion von 2001, bekommt die neue diplomatische Offensive des Nato-Botschafters eine enorme Dringlichkeit. Die Amerikaner suchen jetzt die Wende um jeden Preis in dem bald achtjährigen Krieg.

4000 Marines sind seit letztem Donnerstag dabei, die Provinz Helmand unter Kontrolle zu bringen – eine Hochburg der Taliban und zugleich das wichtigste Drogenanbaugebiet des Landes. Durch Diplomatie und militärische Stärke zugleich will Obama beweisen, dass er sich diesen Krieg wirklich zu eigen gemacht hat. Was am Hindukusch passiert, ist nun auf Gedeih und Verderb „Obama’s war“ (Washington Post). Und ein Präsident, der sein Schicksal derart mit diesem Konflikt verbindet, kann und muss auch gegenüber seinen Verbündeten bestimmter auftreten.

Der Strategiewechsel der Amerikaner unter Obama wurde in Berlin mit Genugtuung aufgenommen. Nun aber beginnt die Zufriedenheit der Nervösität zu weichen. Jahrelang hatte man die amerikanische Überbetonung des Militärischen kritisiert und das deutsche Konzept der „vernetzten Sicherheit“ dagegengehalten, in dem die Betonung auf dem zivilen Aufbau liegt. Das wird nun unterlaufen, indem die Kritisierten sich reuig zeigen: Jawohl, ihr hattet recht. Wir haben erstens (im Irak) einen falschen Krieg geführt, und zweitens den richtigen Krieg (in Afghanistan) auf die falsche Weise. Wir nehmen uns eure Kritik zu Herzen. Botschafter Daalder sagte in Berlin: „Wir haben so viele Jahre lang die falsche Strategie in Afghanistan verfolgt, dass es uns kaum gelingen kann, diesen Krieg binnen einen Jahres zu drehen.“ Das ist ein bemerkenswert offenherziges Geständnis. Es schafft zugleich eine ziemliche unwiderstehliche Verpflichtung. Denn: Wenn wir mit der Reue durch sind – so die neue amerikanische Logik -, würden wir uns gerne mit euch zusammensetzen und überlegen, wie wir den richtigen Krieg doch noch gewinnen können. Wir haben übrigens nicht viel Zeit. Nicht mehr als zwölf bis achtzehn Monate. Dann nämlich drohen auch in den USA die nächsten Wahlen: Bei der Abstimmung zum Kongress Ende 2010 wird Obamas Politik ihrem ersten Stresstest beim Wähler unterzogen werden. Ist dann keine Wende zu sehen, wird es eng.

Worauf aber zielt eigentlich der neue amerikanische Druck? Geht es um die Beteiligung an gefährlichen Kampfeinsätzen im paschtunisch dominierten Süden des Landes, wie in der deutschen Debatte oft suggeriert wird? Eher nicht: Die Amerikaner warten dabei nicht auf die Deutschen, wie die jetzige Offensive in Helmand zeigt. Und sie können auch nicht erwarten, dass im Dezember, wenn der Bundeswehr im Parlament ein neues Mandat erteilt werden muss, wesentlich mehr als die jetzt schon möglichen 4.500 Truppen bewilligt werden. Selbst eine schwarz-gelbe Regierung hätte da nicht mehr Spielraum, wie sich schon dieser Tage andeutet: Der Versuchung, aus der Anti-Stimmung im Wahlkampf Honig zu saugen, erliegen jetzt schon namhafte Unions-Abgeordnete. Der CSU- Landesgruppenchef Ramsauer fordert lauthals eine „Exit-Strategie“. Und auch der Sicherheitsexperte der CSU, Hans-Peter Uhl, wünscht öffentlich einen „baldigen Abzug“ der Bundeswehr. Er halte es darum für „an der Zeit, die Priorität des Afghanistan-Einsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern.“

Die bittere Wahrheit ist allerdings, wie andere einflussreiche Aussenpolitiker der Koalition hinter vorgehaltener Hand bereitwillig eingestehen, dass Deutschland und Europa bei eben dieser Aufgabe „schmählich versagt“ haben. Deutschlands etwa 40 permanente Ausbilder und 100 zusätzliche Trainer haben seit 2002 circa 25.0000 Polizisten gecoacht. Nicht schlecht, aber viel zu wenig. Der Versuch, seit 2007 die Polizeiausbildung zu europäisieren, wurde vollends ein Fiasko. Von den versprochenen 400 Trainern kamen nur rund die Häfte. Man zerstritt sich über die Finanzierung und die Richtlinien. Währenddessen hat Obama nun 1.500 zusätzliche Trainer in Marsch gesetzt. Deutschland gibt schlanke 35,7 Millionen € im Jahr für die Polizei-Ausbildung aus – deutlich weniger, als der Regierung die Rettung des Quelle-Katalogs (50 Millionen €) per Massekredit wert ist.

Vielleicht hat die berechtigte Kritik an der früheren amerikanischen Kriegsführung – mit ihren vielen zivilen Opfern durch Luftangriffe – die deutsche Seite verleitet, die eigenen Anstrengungen nicht mehr selbstkritisch zu durchleuchten, weil sie ja ohnehin den moralisch höherwertigen Ansatz zu repräsentieren schienen. Doch das ist nun vorbei, auch wenn die Amerikaner jetzt in Helmand massiv vorgehen und dabei zwangsweise neue Opfer produzieren werden. Denn ein nüchterner Blick auf die Zahlen zeigt, dass Amerika in der zivilen Aufbauarbeit viel mehr tut als die Europäer. Die Bundesregierung stellte 2008 140 Millionen € für den Aufbau bereit. Die USA kamen im gleichen Jahr bereits auf 5,6 Milliarden Dollar. Darin sind auch die Mittel für die afghanischen Sicherheitskräfte enthalten. Aber selbst wenn man sie abzieht, bleibt die beschämende Tatsache, dass Amerika fast 15 mal so viel in den zivilen Aufbau Afghanistans investiert wie Deutschland. Und für 2009 hat Obama den Beitrag kurzerhand abermals verdoppelt auf geplanten 10,3 Milliarden. Zum Vergleich: Die Europäische Union ist stolz darauf, für die Zeit zwischen 2007 bis 2010 insgesamt 700 Millionen € bereitzustellen.

Dieses wachsende Ungleichgewicht führt dazu, dass das deutsche Mantra langsam unglaubwürdig wirkt, man stehe zur „vernetzten Sicherheit“ und werde – nun aber wirklich! – die „zivile Komponente“ stärken. Dazu war schon viele Jahre Zeit. Mit der mangelnden Kampfbereitschaft der Deutschen haben sich die Alliierten zwar abgefunden. Das ungenügende zivile Engagement aber ist das eigentliche Problem: Wenn Deutschland sich in einem glaubwürdigen Umfang am Staatsaufbau, an der Förderung der Landwirtschaft sowie an der Ausbildung von Polizei und Armee beteiligen würde, gäbe es keinen Druck, mehr zu tun. Doch stattdessen hat die Regierung sich darauf verlegt, immer wieder symbolische Kontingenterhöhungen vorzunehmen, um den Druck abzufangen: Die Tornados und neuerdings die Awacs-Überwachungsflugzeuge, die Deutschland bereitstellt, sind vor allem Placebos für die Alliierten. Sie werden nicht aus militärischer Notwendigkeit nach Afghanistan geschickt, sondern um dem befürchteten Ruf nach mehr Soldaten etwas entgegensetzen zu können.

Die deutschen Abgeordneten, die jetzt in die Ferien und dann in den Wahlkampf gehen, ist schmerzlich klar, wie schwer die deutsche Afghanistan-Politik bei ihren Wählern zu vertreten ist. Nur die todesmutigen unter ihnen werden das Thema von sich aus ansprechen bei ihren Wahlkreisveranstaltungen. Wenn es aber doch aufkommt, sagt ein Sozialdemokrat mit von Vergeblichkeit gezeichneter Stimme, „braucht man dann schon ein paar Minuten“: „Viele Wähler haben ihre Meinung gebildet und hören schlicht nicht mehr zu.“ Wer diese dennoch erreichen wolle, müsse „die große moralische Erzählung“ über Afghanistan fallen lassen und eine realistische Perspektive bieten können.

In Wahrheit aber werden seit geraumer Zeit schon die Ziele für den Einsatz heruntergedimmt. Von Demokratie, Menschen- und Frauenrechten als Ziel der westlichen Mission ist auffällig selten noch die Rede. Die Afghanen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt und ihre Sicherheit selbst zu garantieren, lautet die neue, bescheidene Maxime. Dass die Taliban nie wieder die Kontrolle über das Land haben dürfen, ist der Minimalkonsens.

Vielleicht liegt in dieser Ernüchterung eine Chance. Doch einfacher wird es damit eben nicht. Denn der neue Realismus am Hindukusch bringt auch ein neues afghanisches Paradox mit sich: In Zukunft müssen für deutliche bescheidenere Ziele erheblich größere Mittel mobilisiert werden.

 

Zur Kritik der arabischen Vernunft

Herzliche Einladung zu einer Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, am Mittwochabend dieser Woche:

Der bedeutendste arabische Vernunft- und Gesellschaftstheoretiker, Mohammed Abed al-Jabri (geb. 1935) ist in Deutschland nahezu unbekannt. Warum wurde das Werk al-Jabris bisher in Deutschland ignoriert? Eine Übersetzung auch nur eines seiner über 30 Werke und Aufsätze ins Deutsche, gab es bis vor kurzem nicht. 1995 machte die Islamwissenschaftlerin Sonja Hegasy den Verleger Reginald Grünenberg mit dem Werk von Mohammed Abed al-Jabri bekannt. Seitdem verfolgt Grünenberg das Projekt al-Jabris Hauptwerk auf Deutsch zu verlegen.
Aber erst Anfang 2009 konnte eine Einführung auf Deutsch herausgegeben werden. Dieses Buch ist Grundlage für die Veranstaltung des Zentrums Moderner Orient, Haus der Kulturen der Welt und des Perlen Verlags.

Mohammed Abed Al-Jabri Foto: Verlag
Seit über vierzig Jahren arbeitet der marokkanische Philosoph Mohammed Abed Al-Jabri an einer umfassenden und kritischen Reflexion des Niedergangs der arabischen Kultur. Sein Hauptwerk Naqd al-‚aql al-‚arabî, zu Deutsch: Kritik der arabischen Vernunft, erschien von 1984 bis 2001 in vier Bänden und löste von Marokko über Ägypten bis in die Golfstaaten kontroverse Diskussionen aus. Al-Jabri ist im besten Sinne ein ‚public intellectual’. Er will die rationale intellektuelle Tradition im islamischen Denken, die er insbesondere im arabischen Westen tradiert sieht, stärken. Hierzu greift er auf die Werke des andalusischen Aristoteleskommentators Averroes/Ibn Rushd zurück.
Mohammed Abed Al-Jabri absolvierte nach der Koranschule eine Schneiderlehre, wurde   anschließend Volksschullehrer sowie Übersetzer und begann 1958 ein Philosophiestudium in Damaskus. 1970 promovierte er mit einer Dissertation über Ibn Khaldun. Sein Wirken ist  besonders einflussreich, da Al-Jabri Inspektor und Bildungsplaner für die Ausbildung von Philosophielehrern in Marokko war. 1973 gab er das Buch „Einblick in die Probleme der  Schulausbildung“ mit einer Sammlung seiner Artikel heraus. Bis 1981 war er politisch in der oppositionellen ‚Union Nationale des Forces Populaires’ engagiert. Heute ist Al-Jabri Professor emeritus für Philosophie und islamisches Denken an der Universität Mohammed V. in Rabat, wo er bis 2002 unterrichtete. Im Dezember 2008 erhielt al-Jabri den Preis für freies Denken der Ibn Rushd Stiftung in Karlsruhe. Viele andere Preise hat er abgelehnt, etwa 1989 den Saddam-Hussein-Preis oder 2002 den Gaddafi-Preis für Menschenrechte.

Einführung: Stefan Weidner (Journalist, Autor), Moderation: Jörg Lau (DIE ZEIT). Mit Sonja Hegasy (Zentrum Moderner Orient, Berlin), Gudrun Krämer (Islamwissenschaftlerin, FU Berlin), Vincent von Wroblewsky (Philosoph und Übersetzer)

 

Demokraten verweigern Obama Geld für Guantanamo-Schliessung

Die Demokraten im Senat haben der Regierung die Bewilligung von 80 Mio $ verweigert, die für die Abwicklung der Schliessung von Guantanamo vorgesehen waren.

Im Klartext: Obamas eigene Partei blockiert jetzt die Schliessung des Gefangenenlagers, die Obama für sein erstes Amtsjahr versprochen hat – ein symbolisch wichtiger Trennstrich zur Bush-Regierung. Die NYTimes berichtet:

In recent days, Mr. Obama has faced growing demands from both parties, but particularly Republicans, to lay out a more detailed road map for closing the Guantánamo prison and to provide assurances that detainees would not end up on American soil, even in maximum security prisons.

The move by Senate Democrats to strip the $80 million from a war-spending bill and the decision to bar, for now, transfer of detainees to the United States, raised the possibility that Mr. Obama’s order to close the camp by Jan. 22, 2010, might have to be changed or delayed.

Das wirft ein fahles Licht auf die Anfrage der US-Regierung an Deutschland, man möge doch bitte neun uigurische Häftlinge aufnehmen – selbst wenn diese Häftlinge unschuldig sind und ihnen nach Jahren grausamer Verhöre nichts nachgewiesen werden konnte.

Wie kann man mit der Bitte um Entlastung bei diesen Gefangenen an eine befreundete Regierung herantreten, wenn im eigenen Land – und von Führern der Regierungspartei! – gefordert wird, die anderen Gefangenen dürften „nicht auf amerikanischem Boden bleiben, nicht einmal in Hochsicherheitsgefängnissen“?

Da entsteht doch der Eindruck, die Gefangenen sollten wie eine Art juristischer Sondermüll irgendwo in der Welt verklappt werden – um zu Hause die nötigen Debatten über die rechtspoltische Sackgasse zu vermeiden, in die die Bush-Regierung sich manövriert hat.

Der Mehrheitsführer im Senat, Harry Reid, wird folgendermaßen zitiert:

Mr. Reid in his comments, however, was unequivocal in insisting that the terrorism suspects never reach American shores.

“You can’t put them in prison unless you release them,” he said. “We will never allow terrorists to be released in the United States.”

“In looking at the position of the House, that was more logical,” Mr. Reid said. “We have clearly said all along that we wanted a plan. We don’t have a plan. And based on that, this is not the bill to deal with this.”

Es ist richtig zu fordern, dass sich Deutschland an der Verbesserung der Situation von unschuldigen Gefangenen beteiligt. Aber diese Pflicht ist hierzulande politisch schwer plausibel zu machen, wenn Amerika die Gefangenen vom eigenen Festland fernhält, um die gesellschaftlichen und sonstigen Kosten zu minimieren.

Nur wenn die Amerikaner selber das juristische und humanitäre Desaster von Guantanamo aufarbeiten, kann auch die Welt in die Pflicht genommen werden.

 

Was kommt nach dem Pumpkapitalismus?

Ein großartiger Essay von Ralf Dahrendorf im Merkur über die Welt nach der Krise. Auszüge:

Die hier verfochtene These ist, dass wir einen tiefgehenden Mentalitätswandel erlebt haben und dass jetzt, in Reaktion auf die Krise, wohl ein neuerlicher Wandel bevorsteht. Man kann dem hinter uns liegenden Wandel einen simplen Namen geben: Es war ein Weg vom Sparkapitalismus zum Pumpkapitalismus. (Ich habe diesen Weg vor einem Vierteljahrhundert beschrieben.(1)) Es geht also um vorherrschende Einstellungen zu Wirtschaft und Gesellschaft. Das sind nicht etwa nur Einstellungen der Unternehmer und Manager aller Art, sondern auch der Verbraucher, also der meisten Bürger. Das ist wichtig, auch wenn viele es nicht gerne hören, weil sie lieber ein paar Schuldige an den Pranger stellen wollen, als Selbstkritik zu üben.

Die Mentalitäten, von denen hier die Rede ist, haben etwas zu tun mit Max Webers Analyse Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Die brillante Schrift hat ihre Schwächen, Richard Henry Tawney hat schon früh gezeigt, dass es auch in katholisch geprägten Gegenden Kapitalismus gab.(2) Plausibel bleibt jedoch Webers These, dass der Anfang des kapitalistischen Wirtschaftens eine verbreitete Bereitschaft verlangt, unmittelbare Befriedigung aufzuschieben. Die kapitalistische Wirtschaft kommt nur in Gang, wenn Menschen zunächst nicht erwarten, die Früchte ihres Tuns genießen zu können. In jüngerer Zeit ist diese Wirkung häufig eher durch staatlichen Zwang erzielt worden. Russland, auch China haben diesen »sowjetischen« Weg genommen. Es lässt sich aber argumentieren, dass es in Teilen Europas eine Zeit gab, in der religiöser Glaube Menschen zum Verzicht und zum Sparen trotz harter Arbeit anhielt. Im calvinistischen Protestantis mus zumal galt das Jenseits als der Ort der Belohnung für den Schweiß der Arbeit im Diesseits.

Max Weber hatte England und Amerika im Sinn, als er derlei schrieb, wobei er für die luthersche Variante Raum fand. Auch gibt es in Europa noch sehr alte Leute, die sich an eine Zeit erinnern können, als Arbeit und Sparen die prägenden Lebensmaximen waren. (In den Vereinigten Staaten haben Veränderungen schon früher, gleich nach dem Ersten Weltkrieg, begonnen.) Seitdem aber hat überall ein Mentalitätswandel stattgefunden, den Daniel Bell in seinem Buch Cultural Contradictions of Capitalism in mehreren Aufsätzen beschrieben hat. Sein Thema dort ist »die Entwicklung neuer Kaufgewohnheiten in einer stark auf Konsum angelegten Gesellschaft und die daraus resultierende Erosion der protestantischen Ethik und der puritanischen Haltung«.

Das Buch erschien 1976. Schon damals sah Bell ein explosives Paradox im Kapitalismus. Auf der Seite der Produktion werden weiter die alten Werte von Fleiß und Ordnung verlangt; aber der Antrieb der Produktion ist in zunehmendem Maße »materialistischer Hedonismus und psychologischer Eudaimonismus«. Mit anderen Worten, der entwickelte Kapitalismus verlangt von den Menschen Elemente der protestantischen Ethik am Arbeitsplatz, aber das genaue Gegenteil jenseits der Arbeit, in der Welt des Konsums. Das Wirtschaftssystem zerstört gleichsam seine eigenen Mentalitätsvoraussetzungen.

Als Bell das schrieb, war der nächste Schritt der Wirtschaftsmentalität noch nicht getan, nämlich der vom Konsumwahn zum fröhlichen Schuldenmachen. Wann begann dieser Weg? In den achtziger Jahren gab es jedenfalls schon Menschen, die für ein paar hundert Mark auf eine sechswöchige Weltreise gingen und deren tatsächliche Kosten noch abzahlten, als schon niemand von ihren Freunden und Bekannten die Dias mehr sehen wollte, die sie in Bangkok und Rio gemacht hatten. Daniel Bell spricht zu Recht vom Ratenzahlen als dem Sündenfall. Nun begann der Kapitalismus, der schon vom Sparkapitalismus zum Konsumkapitalismus mutiert hatte, den fatalen Schritt zum Pumpkapitalismus.

Ein Zurück zur protestantischen Ethik wird es also nicht geben. Wohl aber ist eine Wiederbelebung alter Tugenden möglich und wünschenswert. Ganz wird man Daniel Bells Paradox des Kapitalismus nicht auflösen: Der Antrieb des modernen Kapitalismus liegt in Präferenzen, die die Methode des modernen Kapitalismus nicht gerade stärken. Weniger abstrakt formuliert: Arbeit, Ordnung, Dienst, Pflicht bleiben Erfordernisse der Voraussetzungen des Wohlstandes; der Wohlstand selbst aber bedeutet Genuss, Vergnügen, Lust und Entspannung. Menschen arbeiten hart, um im strengen Sinn überflüssige Dinge zu schaffen. Da tut es gut, an Ludwig Erhards ständige Mahnungen zum Maßhalten zu erinnern. Es ist auch wichtig, dass Menschen den Bezug zu unentbehrlichen Elementen des Lebensstandards – in diesem Sinne zu Realitäten – nicht verlieren.

Hat die Welt nach der Krise einen Namen? Das Fragezeichen, mit dem diese Anmerkungen begonnen haben, bleibt bestehen. Allzu viele Ungewissheiten verbieten die entschiedene Stellungnahme für den einen oder anderen Begriff. Zum Sparkapitalismus werden wir nicht zurückkehren, wohl aber zu einer Ordnung, in der die Befriedigung von Bedürfnissen durch die nötige Wertschöpfung gedeckt ist. Der »rheinische Kapitalismus«, also die Konsenswirtschaft der Großorganisationen, hat wahrscheinlich ausgedient. Sogar die Frage muss erlaubt sein, ob das System der Mitbestimmung irgend hilfreich war und ist bei der Bewältigung der Krise. Wenn die Frage nicht eindeutig bejaht werden kann, ist neues Nachdenken über die Formen der Berücksichtigung der »stakeholder« nötig. Der Pumpkapitalismus muss jedenfalls auf ein allenfalls erträgliches Maß zurückgeführt werden. Nötig ist so etwas wie ein »verantwortlicher Kapitalismus«, wobei in dem Begriff der Verantwortung vor allem die Perspektive der mittleren Fristen, der neuen Zeit, steckt.

 

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Ernst Nolte: Islamismus als „Widerstandsbewegung“

Aus der ZEIT Nr. 17 vom 16. April 2009, S. 51

Der Mufti von Jerusalem, Mohamemd Amin al-Husseini, war in den Kriegsjahren ein besonders loyaler Verbündeter Hitlers. Er hatte die Hoffnung, dass ein deutscher Sieg über England den Arabern im britischen Mandatsgebiet Palästina Freiheit bringen und ihnen beim Kampf gegen die Juden helfen würde, die sich im Heiligen Land ansiedelten. Husseini bekam von den Deutschen ab 1941 ein Büro in Berlin, von wo er NS-Propaganda auf Arabisch verbreitete, bei der Aufstellung einer arabischen SS-Division half und eng mit dem SS-Führer Himmler zusammenarbeitete. Am 28. November 1941 empfing Adolf Hitler den Mufti, der ihm Treue  im „kompromißlosen Kampf gegen die Juden“ gelobte.

Der Mufti spielt eine wichtige Rolle in Ernst Noltes neuem Buch über den „Islamismus“ als „dritte Widerstandsbewegung“ nach Faschismus und Kommunismus.

Wer sein Leben wie Nolte damit zugebracht hat, Nationalsozialismus und Kommunismus zu verstehen, der muss vom weltgeschichtlichen Aufstieg des politischen Islam in den letzten Jahren fasziniert sein – eine religiös grundierte Gemeinschaftsideologie, die sich – so Nolte – als eine Spielart der konservativen Revolution in der Moderne gegen die moderne Welt richtet.

Der heute 86 jährige Nolte, der sich selber gerne als „Geschichtsdenker“ bezeichnet, hat dem Islamismus darum ein umfangreiches und dem Anspruch nach gewichtiges Buch gewidmet (hier seine Selbstauskunft). Es soll den Abschluss seines Lebenswerkes bilden, wie er uns wissen lässt. In einem Nachwort rechtfertigt sich Nolte dafür, sich hier auf fachfremdem Gebiet zu tummeln. Er sei kein Islamwissenschaftler und sein Arabisch reiche nicht über die Entzifferung einfacher Worte hinaus.

Die etwas kokette Apologie wäre aus zwei Gründen nicht nötig gewesen. Denn erstens ist das Buch über weite Strecken eine beachtliche Fleissarbeit. Nolte hat sich offenbar über Jahre in die Literatur über den Islamismus versenkt und bietet eine über weite Strecken korrekte Darstellung von Strömungen und Ereignissen, die aus einer Drittwelt-Revolte einen globalpolitischen Konflikt gemacht haben. Wahhabiten, Muslimbrüder, schiitische Revolutionäre des Iran, afghanische Mudschaheddin, Al-Kaida und Taliban bevölkern dieses verstörende Werk geschichtsphilosophischer Spekulation. Doch eigentlich, das merkt man bald, geht es nicht wirklich um sie.

Dies zeigt sich etwa, wenn Nolte den oben erwähnten Großmufti einen „tapferen Vorkämpfer der Palästinenser“ nennt, dem man nicht „die Ehre verweigern“ dürfe. Der Mann, der 1942 in Berlin zum „Dschihad gegen die Juden“ aufrief („Tötet sie alle!“), der glühende Antisemit und „Endlösungs“-Befürworter, ist für Nolte ein ehrenwerter Mann? Weiter„Ernst Nolte: Islamismus als „Widerstandsbewegung““

 

Für Kurzentschlossene

Bosch Public Policy Lecture
America’s Disappearing Death Penalty: A Victory for Europe?

Charles Lane, Journalist and member of the Editorial Board, The Washington Post; moderated by Jörg Lau, Foreign affairs Correspondent, Die Zeit

NOTE: On Wednesday, May 20, at 7:00pm, Charles Lane will also speak at B.A.Z. Amerika Haus München, Karolinenplatz 3, about „The Future of America’s War on Terror under the Obama Administration.“ Please register with programm@amerikahaus.de, Tel: (089) 55 25 370.

Heute abend, 20h In der American Academy, Berlin

 

„Krieg gegen den Terrorismus“ ist zuende

Jedenfalls der Gebrauch des Begriffs. Das sagte die amerikanische Aussenministerin Hillary Clinton Reportern auf dem Flug nach Den Haag, wo sie heute an der Afghanistan-Konferenz teilnimmt.

Es gebe keine Direktive zum Wortgebrauch. Die Obama-Regierung habe einfach aufgehört, das Wort zu benutzen.

Gut so. Es war von Anfang an eine dumme Idee, einen Krieg gegen eine Methode zu führen.

Und dann kam noch hinzu, dass die Phrase für die Propaganda zur Vorbereitung des Irak-Krieges gebraucht wurde. Und der Krieg gegen Saddam Hussein hatte mit dem internationalen Terrorismus nun wirklich gar nichts zu tun.

Ironie der Lage: Während uns die Worte ausgehen, um den Konflikt zu beschreiben, wird die Lage immer dramatischer, vor allem in AfPak. Der „lange Krieg“ ist noch lange nicht vorbei: 

Replying to a question on the plane bringing her to The Hague, Clinton declared: „As you said, the administration has stopped using the phrase, and I think that speaks for itself, obviously.“

The secretary of state, who was to take part in an international conference on Afghanistan in the Dutch administrative capital, said of the phrase: „I haven’t heard it used. I haven’t gotten any directive about using it or not using it. It’s just not being used.“

The Bush administration that preceded Obama in the White House used the „war on terror“ to justify its intervention in Iraq, as well as its imprisonment of detainees at Guantanamo in Cuba and secret CIA prisons abroad.

 

Europäischer Islam?

Ich kann die Veranstaltung der DGAP vom Dienstag, bei der ich auf dem Podium saß, naturgemäß nicht rezensieren. (Anlass der Debatte war Nina zu Fürstenbergs empfehlenswertes Buch über Tariq Ramadan.)

Aber ein paar Anmerkungen sind wohl erlaubt: 

 

Otto Schily überraschte das Publikum mit dem interessanten Geständnis, er halte die Deutsche Islam Konferenz seines Amtsnachfolgers für eine sehr gute Idee. Er selber habe Ähnliches umzusetzen versucht, sei aber gescheitert (woran, wurde nicht erklärt). Es sei wichtig, einen ernsthaften Dialog zu führen, allerdings ohne Preisgabe unserer Grundsätze, wie sie in Verfassung und Menschenrechtserklärung festgehalten sind. Schily äusserte Zweifel, ob der Islam mit der Tatsache der  Religionsfreiheit klarkommen könne. Jedenfalls hätten die Gelehrten da einiges zu erklären. Er habe einmal bei einer Diskussion in Magedeburg gesagt, es sei in Deutschland vom Grundgesetz gedeckt zu sagen, „Islam is nonsense“. Damit müssten sich die hier lebenden Muslime abfinden, genau wie alle anderen Gläubigen auch für ihre Religion. Er wolle nicht in einem Zustand der Unfreiheit leben wie in vielen Ländern der arabischen Welt, wo die Meinungsfreiheit durch Rücksicht auf die Religion extrem eingeschänkt werde. All dies im Kopf, müssten wir trotzdem das Gespräch mit muslimischen Vordenkern wie etwa Tariq Ramadan suchen – eben weil es da so viel zu klären gebe.

Giuliano Amato, der ehemalige italienische Ministerpräsident und Innenminister, sprach über die Modernisierung des islamischen Denkens in Europa als Langzeitprojekt. Er führte an, dass seine Vorfahren in Sizilien – nur zwei Generationen früher – genauso mit den Frauen umgegangen seien, wie wir es heute bei vielen Muslimen beklagen (Zwangsheirat, Blutrache, Kopftuch…). Wir bräuchten also mehr Geduld. Ramadan schätze er, weil er über das muslimsiche Leben in Europa nachdenkt, allerdings in Grenzen: Es sei nicht genug, die barbarischen Strafen des Schariarechts nur unter ein „Moratorium“ zu stellen – sie müßten klar und eindeutig verurteilt werden. Im übrigen sei Integration keine Einbahnstraße, und die aufnehmende Gesellschaft müsse sich auch verändern. Noch eine absolute Grenze beim Dialog mit Muslimen nannte Amato: Die Anerkennung Israels sei unmißverständlich Teil unserer Werte, und das müsse auch immer wieder betont werden.

Ich für meinen Teil berichtete aus meinen drei Begegnungen mit Ramadan. Zweimal habe ich mit ihm auf einem Podium gesessen und ihn als einen sehr guten Debattierer erlebt. Ich halte ihn nicht für den Feind oder für einen heimlichen Unterstützer finsterer terroristischer Umtriebe. Dennoch respektiere ich ihn nicht völlig als echten Intellektuellen. Privat gibt er schnell zu verstehen, dass ihn die Steinigungen, Amputationen und Blendungen abstoßen, die in manchen islamischen Ländern praktiziert werden. Wenn man ihn fragt, warum er das nicht so deutlich sagt, kommt als Antwort, er sei dann nicht mehr Teil der innerislamischen Debatte und habe keine Wirkung mehr. Darum plädiere er ja eben für ein Moratorium und eine Gelehrtendebatte.

Ich finde das nicht akzeptabel. Er muss als Intellektueller wirklich sagen, was er denkt und nicht herumtaktieren, sonst gibt es nie einen Fortschritt in der Debatte. Trotzdem habe auch ich mich für einen Dialog mit ihm und anderen Kräften ausgesprochen, auch wenn solche Dinge weiter offen sind. 

Ich sehe diesen Dialog in einer post-naiven Phase. Es geht nicht mehr darum grundsätzlich anzuerkennen, dass der Islam ein Teil Europas ist und sein wird. Das ist längst vollzogen, und die Deutsche Islam Konferenz zeugt davon. Jetzt fängt die harte Arbeit an, ohne Illusionen und mit offenem Ende. Europa ist ein guter Ort für Muslime. 20 Millionen leben hier, und kein einziger wurde auf einem Sklavenschiff hergebracht. Und über 2000 Moscheen sind ja nicht nichts. (Wenn es Zwang gibt, dann wird er von anderen Muslimen ausgeübt, etwa von den Eltern, die die Ehen arrangieren.) Das muss sich auch in der Haltung der Muslime zu ihrer neuen Heimat widerspiegeln. Muslime müssen lernen mit Pluralismus zu leben, und dazu sind ihre Heimatgesellschaften und auch ihr Glaube denkbar schlechte Vorbereitung. Noch einmal: Europa ist ein guter Ort für Muslime, die hier Freiheit und Wohlstand finden.

Wir können und müssen erwarten, dass sie auch danach zu leben und zu denken beginnen.

Amato ergänzte, Amerika vermöge es doch bei allen Problemen, seinen Einwanderern das Gefühl einer gemeinsamen Zukunft zu vermitteln – eines gemeinsamen Schicksals, für das jeder mit verantwortlich sei. Das müssten wir hier in Europa auch schaffen.

p.s. Am Rande der Veranstaltung traf ich eine Gruppe junger israelischer Diplomaten in der Ausbildung, die sich unsere Debatte angehört hatten. Ich hatte das Gefühl, dass die Rede vom Dialog mit Radikalen sie ziemlich nervös gemacht hatte. Einer von ihnen wies mich darauf hin, dass sich die neuen ameriklanisch-europäischen Gedankenspiele über „ausgestreckte Hände“ in Jerusalem anders anhören. Man müsse aufpassen, dass man mit Gesprächsangeboten an Radikale nicht den Moderaten den letzten Rest Legitimität raube. Bevor ich noch sagen konnte, dass der Gaza-Krieg sicher auch nicht den Moderaten geholfen hatte, musste mein Gesprächspartner leider schon los.

p.p.s. Unterdessen gibt es eine neue Initiative, den Bann auf Ramadan aufzuheben, den die Bush-Regierung verhängt hatte. Selbst Paul Berman, sein schärfster Kritiker, tritt dafür ein, dass Ramadan in Amerika debattieren darf.

 

Demokratie auch dann unterstützen, wenn sie Islamisten an die Macht bringt?

Eine sehr ungewöhnliche Koalition von prominenten Intellektuellen hat sich in einem Offenen Brief an Präsident Obama gewandt. Islamwissenschaftler wie John Esposito, Neocons und Ex-Neocons wie Jean Bethke Elshtain, Robert Kagan und Francis Fukuyama, demokratische Muslime wie Radwan Masmoudi und Saad Eddin Ibrahim, linke Falken wie Peter Beinart und Matt Yglesias, der ehemalige Malysische Minsterpräsident Anwar Ibrahim und viele weitere unterstützen die Initiative. 

Das Ziel: Obama soll bei seiner neorealistischen Wende nicht aus den Augen verlieren, dass Demokratie und Menschenrechte im Nahen Osten und in der weiteren islamischen Welt auf der Tagesordnung bleiben müssen.

Man kann in dem Brief vielleicht eine Mahnung sehen, bei all den lobenswerten Initiativen, nun auch mit Schurken zu reden, nicht zu vergessen, dass das schlechte Standing der USA und des Westens in der Region auch daher kommt, dass man sich jahrzehntelang mit den Unterdrückern gemein gemacht hat, die Menschenrechte unterdrücken, foltern und Regimegegner einsperren.

Die Autoren plädieren auch für die Zusammenarbeit mit „mainstream islamist parties“, sofern sie durch Wahlen an die Macht gekommen sind, auf Gewalt verzichten und den demokratischen Prozess bejahen (Bsp. Türkei, Indonesien, Marokko). Demokratie ist nicht teilbar.  

Also: Gegen die autokratischen Regime aufstehen, wo sie Menschenrechte mißachten, und furchtlos den demokratischen Prozess auch dann verteidigen, wenn er Islamisten an die Macht bringt.

Hier der ganze Brief

Auszug:

In his second inaugural address, President Bush pledged that the United States would no longer support tyrants and would stand with those activists and reformers fighting for democratic change. The Bush administration, however, quickly turned its back on Middle East democracy after Islamist parties performed well in elections throughout the region. This not only hurt the credibility of the United States, dismayed democrats and emboldened extremists in the region, but also sent a powerful message to autocrats that they could reassert their power and crush the opposition with impunity.

In order to rebuild relations of mutual respect, it is critical that the United States be on the right side of history regarding the human, civil, and political rights of the peoples of the Middle East. There is no doubt that the people of the Middle East long for greater freedom and democracy; they have proven themselves willing to fight for it. What they need from your administration is a commitment to encourage political reform not through wars, threats, or imposition, but through peaceful policies that reward governments that take active and measurable steps towards genuine democratic reforms. Moreover, the US should not hesitate to speak out in condemnation when opposition activists are unjustly imprisoned in Egypt, Jordan, Saudi Arabia, Tunisia, or elsewhere. When necessary, the United States should use its considerable economic and diplomatic leverage to put pressure on its allies in the region when they fail to meet basic standards of human rights.

 

Erika Steinbach – Gedenken mit Schmiss

Mir als Kind von Vertriebenen, die von ihrem Verlust nie großes Aufhebens gemacht haben, ist es schmerzhaft zu sehen, wie die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“ – Erika Steinbach – das Gedenken an die Verbrechen für ihre persönlichen Zwecke und für die ihres Verbandes instrumentalisiert.
Steinbach macht die Erinnerung an Vertreibung und Reintegration von Millionen schwierig. Sie diskreditiert ein Thema, das immer noch nicht zuende erfroscht und bedacht ist.
Vor fast 5 Jahren habe ich sie getroffen und porträtiert. Seit meinem Text von damals hat sich leider nichts verändert, wie die jetzigen Querelen um Steinbach zeigen. Darum hier noch einmal mein Text aus der ZEIT vom 27. Mai 2004:

Mit dem Naziüberfall kam Erika Steinbachs Vater nach Westpreußen. Dieses Detail ihrer Vertreibungsgeschichte wurde erst bekannt, als polnische Zeitungen darüber schrieben. Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vertriebenenfunktionärin Erika Steinbach hat das Pech, eine hoch gewachsene, elegante Blondine zu sein, die sich für antideutsche Propaganda der dümmsten Art geradezu anbietet. Im letzten Herbst prangte sie, in eine SS-Uniform montiert und auf dem Bundeskanzler reitend, auf dem Titel eines polnischen Nachrichtenmagazins. Hat es ihr nichts ausgemacht, derart zur Hassfigur stilisiert zu werden? „Ach, wissen Sie, ich kann einfach keinen Groll empfinden. Letztlich müssen die Polen selber damit klarkommen.“ So einfach liegen die Dinge nicht: Vor einigen Jahren hat ein anderes polnisches Blatt enthüllt, dass Erika Steinbachs Familie erst mit der deutschen Besatzung nach dem Überfall auf Polen ins westpreußische Rahmel gekommen war. Ihr Vater, aus Hanau stammend, war als Wehrmachtssoldat in Rahmel – polnisch Rumia – stationiert worden. Die Mutter war Anfang der vierziger Jahre aus Bremen übergesiedelt.

Warum hat Erika Steinbach, seit 1998 Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, nicht selber ihre Familiengeschichte offen gelegt? Was ihre Mutter mit zwei Kindern auf der Flucht über die Ostsee, nur ein Schiff nach der untergegangenen Gustloff, erlebt hat, ist ja auch so schlimm genug – Hunger, Enteignung, Erniedrigung. Erika Steinbach hätte aus einem offensiven Umgang mit ihrer Herkunft bei den Polen Vertrauen gewinnen können.

„Denen, die jetzt sagen, ich sei gar keine echte Heimatvertriebene, antworte ich: Ich würde mir wünschen, dass unser nächster Vorsitzender überhaupt keine familiäre Verbindung zu dieser Geschichte hat. Die Sache geht ohnehin alle Deutschen etwas an.“ Sie schaut einen intensiv und einvernehmend an, wenn sie solche Dinge sagt, und man merkt, dass sie das Thema damit wirklich für beendet hält. Wenn die Polen sich daran stoßen, dass die Tochter eines Besatzungssoldaten ihnen im Namen der Vertriebenen großmütig Vergebung anbietet, so fällt das, meint Steinbach, auf diese selbst zurück. Ach, wenn bloß die lästigen Polen nicht wären, das Gedenken wäre ein Kinderspiel.

Empathie ist nicht Erika Steinbachs Stärke. Aber sie hat gemerkt, daß irgendeine Geste in Richtung Polen an der Zeit ist. Daraus ist gleich wieder eine neue Gedenkidee entstanden: Die Vertriebenen wollen im Französischen Dom zu Berlin eine Gedenkfeier zum Warschauer Aufstand abhalten, der am 1. August vor 60 Jahren begann. „Wir wollen zeigen, dass wir Anteil nehmen auch an polnischem Leid“, sagt Erika Steinbach. Damit wäre den Gegnern des von ihr und Peter Glotz initiierten „Zentrums gegen Vertreibungen“, hofft sie, der Wind aus den Segeln genommen. Nur leider spielen die Polen wieder nicht mit. Steinbach ist es unbegreiflich, dass die Polen ihre Feier als ungehörige Instrumentalisierung eines nationalen Gründungsmythos betrachten. Beim Warschauer Aufstand wurden 200 000 Menschen, mehrheitlich Zivilisten, von den deutschen Besatzern getötet, anschließend die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Die geplante Gedenkfeier nennen selbst besonnene Kommentatoren wie der Deutschlandkenner Adam Krzeminski eine „Provokation“.

Doch Erika Steinbach sieht sich im Recht, und sie wird ihre Sache durchziehen, mit allen Schikanen der deutschen Gedenkkultur, ob es den Polen passt oder nicht. Was auch immer Steinbach anpackt, verfolgt sie mit terminatorhafter Entschlossenheit. Bei dem Zentrumsprojekt komme man gut voran, man stehe in Verhandlungen um eine Immobilie in Berlin: „Nur weil die Polen sich aufregen, können wir dieses große Thema doch nicht fallen lassen.“

Soeben ist Erika Steinbach zum dritten Mal als Präsidentin wiedergewählt worden. An diesem Pfingstwochenende, bei den traditionellen Vertriebenentreffen, wird sie gefeiert werden. Tatsächlich hat sie den Bund der Vertriebenen aus der politischen Paria-Existenz geführt. An die Stelle des Muckertons der frühen Jahre ist in ihrer Amtszeit ein selbstbewusster, konfrontativer Stil getreten. Es ist kein geringes Verdienst, die Vertriebenenverbände zugleich aus der Ecke der Ressentimentpolitik geholt zu haben. Steinbach hat erstmals einen notorischen Auschwitzleugner als Funktionsträger abwählen lassen („Glauben Sie mir, das war nicht einfach!“). Sie hat ihren Verband mindestens verbal von der „Preußischen Treuhand“ distanziert, einem Club Ewiggestriger, der in den Beitrittsländern mit Restitutionsforderungen Angst und Schrecken verbreitet (siehe Dossier, Seite 15-18). Es ist ihr mit großem Geschick gelungen, das seit der Ostpolitik eingefrorene Verhältnis zur Sozialdemokratie aufzutauen. Sie hat Otto Schily und Gerhard Schröder als Gastredner auf dem „Tag der Heimat“ gewinnen können. Peter Glotz sitzt mit ihr gemeinsam der Stiftung vor, die das „Zentrum“ errichten will. Ralph Giordano, Joachim Gauck und Lothar Gall unterstützen das Vorhaben. Weiter„Erika Steinbach – Gedenken mit Schmiss“