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Sarrazin und Hitler? Der Zentralrat der Juden macht sich lächerlich

Langsam reicht’s: Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, hat Sarrazin wegen seines viel diskutierten Interviews in eine Reihe mit Goebbels, Göring und Hitler gestellt:

„Ich habe den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist“, sagte Kramer am Freitag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Er stehe in geistiger Reihe mit den Herren.

Müssen sich jetzt alle anstecken lassen von den maßlosen Übertreibungen des Ex-Finanzsenators?

Kramers Vorwürfe sind einfach lachhaft. Sie machen kleine Münze aus dem Nazi-Vorwurf, sehr bedenklich für den Zentralrat, der sich auf echte Antisemiten konzentrieren sollte.

Sarrazins Äußerungen über die Eroberung Deutschlands per Geburtenrate sind verwerflich, weil sie einem demographischen Faktum eine politische Intention unterschieben.

Aber nirgendwo gibt es einen Fitzel von NS-Gedankengut bei Sarrazin.

Seine Einmauerungs- und Abschiebe-Phantasien finde ich übertrieben und falsch, aber sie haben nichts mit rassistischen Vernichtungswünschen zu tun, die die NS-Politik kennzeichneten.

Im übrigen spricht Sarrazin nicht über irgendeine „Rasse“, sondern über bestimmte Gruppen, die bei der Integration versagen – die deutschstämmige Unterschicht übrigens inklusive.

Hat Stephan Kramer nicht die Passage gelesen, in der Sarrazin sich „Ostjuden“ statt der Türken und Araber wünscht? (Auch das ist töricht und verletzend, aber was hätten wohl die Herren  Hitler, Göring und Goebbels  über diesen vermeintlich Geistesverwandten gedacht!)

Herr Kramer ist leider schon öfter durch leichtfertige, vollkommen unnötige Interventionen aufgefallen, die dem Antifaschismus einen schlechten Namen geben.

Man kann Thilo Sarrazins Analyse und seine Schlussfolgerungen ablehnen oder teils kritisieren, teils bedenklich finden, ohne dabei in die NS-Kiste zu greifen. Sarrazin sollte es zu Bedenken geben, dass die NPD ihn höhnisch ans Herz drückt.  Mit seinen Äußerungen hat er sich diesem Missbrauch seines Interviews selber ausgesetzt. Aber er argumentiert eben nicht nazistisch.

Wenn jemand sagt: Sie sollen Abitur machen und studieren, und dann hat sich das Problem erledigt – dann ist das alles andere als Rassismus.

Aber: Wenn Sarrazin sich seine „stammtischnahen“ Ausflüge in die Eugenik („Unterschichtgeburten“) genehmigt und von der Eroberung per Geburtenrate fantasiert, dann legt er eben das Mißverständnis (glaube ich immer noch!) seiner Intention nahe.

Es muss aber langsame Schluss sein mit dem verantwortungslosen Gerede – auch der Gegner Sarrazins!

Es sei denn, Kramers Hitler-Goebbels-Göring-Maximalvergleich war eine satrirische Überspitzung ins Absurde, und ich habe es wieder einmal nicht gemerkt… Aber ich fürchte, es war bitter ernst gemeint.

 

Warum Einbürgerung (für manche) leichter werden muss

Im Kommentarbereich auf ZEIT.de schreibt „green 2010“ zu meinem Sarrazin-Artikel:


Ich bin Ausländer, in Deutschland geboren, zur Schule gegangen, Abitur gemacht und studiert, sprich: Deutschland hat viel Geld und Zeit in mich investiert. Ich würde mich als voll integriert einstufen.

Zwei Jahre nach meinem Studium bin ich ins Ausland gegangen. Vorher war ich aber bei der Einbürgerungsbehörde, weil ich mich vor der Ausreise einbürgern lassen wollte. Da hieß es, wenn ich während der Antragsstellung ins Ausland ziehe, würde mein Antrag automatisch abgelehnt.

Im Klartext: Der deutsche Staat lässt mich (und damit seine wertvolle Investition) einfach so von dannen ziehen (sowie Abertausende von Chinesen und Afrikanern jedes Jahr), ohne auch nur die leiseste Anstrengung zu unternehmen, mich für sich zu gewinnen. Ich könnte nun den Rest meines Lebens für andere Volkswirtschaften produktiv sein und ihnen die Früchte der deutschen Investition zukommen lassen – was ich nicht vorhabe. Aber kann man sich das vorstellen? Der deutsche Staat versucht nicht einmal, seine Investition zu sichern, selbst wenn diese es selbst beantragt!

Gewiß, man kann niemanden zwingen, in Deutschland zu bleiben. Aber indem man ausländischen Akademikern die deutsche Staatsbürgerschaft anbietet, erhöht man sicher die Wahrscheinlichkeit, dass diese in Deutschland bleiben oder irgendwann zurückkehren. Ich darf nach meiner Rückkehr übrigens mindestens 3 Jahre warten, bis ich einen Einbürgerungsantrag stellen darf.

So wird das nix, Deutschland.

 

Mythos Einwanderungsland

Weil manche Mitblogger hier gerne behaupten, es gebe eine ungebremste Einwanderung nach Deutschland, ein paar Fakten. Dies hier sind die letzten Ausländerzahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge: Seit 2002 gibt es danach jedes Jahr leicht rückläufige Zahlen. Der Ausländeranteil stagniert seit einem Jahrzehnt bei knapp unter 9 Prozent.

Bild 1

Eine andere grafische Darstellung im Zeitverlauf der Bundesrepublik macht den Aufwuchs sichtbar – und das Abflachen auf dem Niveau bei knapp über 7 Millionen.

Bild 2

Quelle.

 

Der Münchener Mord und die Zivilcourage

Harry Nutt  beschäftigt sich in der FR im Meinungsleiter mit dem Münchener Mord und referiert dabei auch meinen Aufsatz:

„In ihrem soeben erschienenen Themenheft über Heroismus weist die Zeitschrift Merkur darauf hin, dass der Heldenmut Einzelner eher eine verdächtige Kategorie ist. Einerseits herrscht eine verbreitete Klage über die wegsehende Gesellschaft, während andererseits mit einigem Nachdruck vorm couragierten Eingreifen gewarnt wird.

Jenseits der handelsüblichen Debatten über schärfere Gesetze und Videoanlagen in den gesellschaftlichen Transiträumen gibt es jedoch Möglichkeiten, auf die wachsende Gewaltbereitschaft jugendlicher Kohorten Einfluss zu nehmen. Täter wie die Bande der Abkassierer in der S-Bahn fallen nicht vom Himmel. Lehrer, Eltern und Schüler können bereits jetzt hinreichend davon berichten, dass es auf den Pausenhöfen von Schulen Zonen gibt, in die man sich als Nichtzugehöriger eines Bandenumfelds besser nicht hineintraut.“

 

Lob des Heldentums

Nach dem Mord in München diskutiert die Republik endlich über Gewalt im öffentlichen Raum und wie ihr zu begegnen sei.

Mein ganzer Artikel über Zivilcourage und Heldentum ist jetzt online beim Merkur.

Ich stelle das Thema dabei in einen weiteren Zusammenhang.

Auszug:

Es ist nicht schwer zu verstehen, warum der deutsche Zivilcouragediskurs nicht ohne Denunziation des Heldentums auskommt. Die Kritik am Heldentum versteht sich als Teil der geschichtspolitischen Aufarbeitung. Wenn Zivilcourage als Alternative zum Heldentum präsentiert wird, geht es darum, Unangepasstheit gleichsam zu demokratisieren und zu vergesellschaften. Nicht auf den Einzelnen, sein Pathos und moralisches Virtuosentum soll es ankommen. Um missbrauchsanfällige Heldenideale gar nicht erst aufkommen zu lassen, soll es unter dem Schlagwort Zivilcourage auch zu ermäßigten Kosten möglich sein, Mut zu zeigen, ohne Konfrontation und ohne Selbstgefährdung. Zivilcourage wird daher in Deutschland nicht einfach nur als Bürgermut, sondern immer auch als Gegenkonzept zum verdächtigen Kriegerethos früherer Zeiten verstanden.

Ob sich Zivilcourage aber verlustfrei entheroisieren lässt? Typischerweise bestreiten die Helden selber das Heroische ihrer Haltung: »Ich habe bloß meinen Job getan.« Oder sie behaupten, sie seien »nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen« und so zum Handeln gezwungen worden: »Jeder hätte sich so verhalten.« Ganz offenbar ist das aber nicht wahr. Es bleibt ein Geheimnis um das Nichtmitmachen, das oft auch von den Handelnden selber nicht durchschaut werden kann. Ohne das Pathos des Eigensinns kann der Schritt aus der Reihe nicht gelingen.

Ich will an drei Beispielen zeigen, dass die Rede von der Zivilcourage hohl bleibt, wenn sie nicht die radikalen Querköpfe im Blick hat, die sich nicht zu schade sind, »den Helden zu spielen«. Denn ohne die Bockigkeit der Schweißerin und Kranführerin Anna Walentynowicz wäre der Kommunismus in Polen womöglich bedeutend später zusammengebrochen. Ohne die Bereitschaft von John Lewis, immer wieder Schläge einzustecken, wäre Barack Obama heute vielleicht nicht Präsident der Vereinigten Staaten. Und auch die Blogeinträge des ägyptischen Studenten Karim Amer wird man vielleicht eines Tages als Vorboten eines Wandels sehen können…

Mehr lesen.

 

Pathos des Eigensinns

Dieser Tage erscheint das Doppelheft des Merkur zum Thema „Heldengedenken“. Ich habe eine Aufsatz über „Heldentum und Zivilcourage“ geschrieben, der das Heft eröffnet. Es folgt ein Auszug: (Das Heft lohnt sich zu kaufen!)

Am 20.Dezember 2007 kehrt der pensionierte Realschulrektor Hubert N.
von einer Weihnachtsfeiermit seinen alten Kollegen heim. AmMax-Weber-Platz steigt er um in die U4 Richtung Arabellapark und nimmt im letzten Wagen Platz, in der letzten Sitzreihe, wie er es immer tut. Zwei angetrunkene junge Männer setzen sich ihm gegenüber, Serkan A. und Spyridon L. Die beiden zünden sich eine Zigarette an und blasen den Rauch in Richtung des Rentners. Der sagt irgendwann den Satz, der sich als fatal erweisen wird: »In der U-Bahn wird nicht geraucht.« Die beiden beschimpfen ihn daraufhin als »deutsches Arschloch« und »scheiß Deutscher«. Als er aussteigt, folgen sie ihm und stoßen ihn, wie sich auf Überwachungsvideos beobachten lässt, von rückwärts zu Boden. Dann traktieren sie ihn mit Tritten gegen Kopf und Bauch. »Sie spielten Fußball mit meinem Kopf«, erinnerte sich der Lehrer. Er erleidet einen dreifachen Schädelbruch.
Der Fall Hubert N. wurde sehr schnell zu einem Politikum. Bald ging es um »kriminelle Ausländer« und eine vermeintlich allzu lasche Justiz. Das Getöse der Parteien um den Vorfall hat es bald unmöglich gemacht, ihn als
eine Episode zu sehen aus dem ganz normalen Alltag unserer Städte, die von ethnisch motiviertem Hass, Feigheit und Zivilcourage handelt. Wenn Roland Koch den Vorfall nicht für seine populistische Wahlkampagne zu vereinnahmen versucht hätte, fiele es leichter zu erkennen, dass das Schicksal des Hubert N. symptomatisch für unseren merkwürdigen Diskurs über »Zivilcourage« hierzulande ist.
Lassen wir die ganze hochideologische Debatte über den Fall beiseite: Auf
dem Überwachungsvideo aus der U-Bahn-Station kann man deutlich erkennen, wie einer der beiden Täter Anlauf nimmt und mit voller Wucht gegen den Kopf des liegenden Sechsundsiebzigjährigen tritt. Die außergewöhnliche Aggressivität der beiden jungen Männer führte zu einer monatelangen, republikweiten Debatte. Weiter„Pathos des Eigensinns“

 

Aufruf: Schluss mit der Kommentar-Anonymität!

Heute las ich einen Kommentar von Maureen Dowd in der New York Times – über den Fall einer im Internet angegriffenen Frau, die sich vor Gericht Recht verschafft hat, nachdem sie in einem Blog anonym verunglimpft worden war.

Ich stimme Maureen Dowd zu und möchte dies gerne zum Anlass nemen, hier einen Politikwechsel vorzuschlagen:

Kommentare bitte unter Klarnamen!

Beleidigungen kommen hier zum Glück nicht allzu oft vor. Aber Klarnamen würden die Debattendisziplin automatisch erhöhen, glaube ich.

„The Internet was supposed to be the prolix paradise where there would be no more gatekeepers and everyone would finally have their say. We would express ourselves freely at any level, high or low, with no inhibitions.

Yet in this infinite realm of truth-telling, many want to hide. Who are these people prepared to tell you what they think, but not who they are? What is the mentality that lets them get in our face while wearing a mask? Shredding somebody’s character before the entire world and not being held accountable seems like the perfect sting.

Pseudonyms have a noble history. Revolutionaries in France, founding fathers and Soviet dissidents used them. The great poet Fernando Pessoa used heteronyms to write in different styles and even to review the work composed under his other names.

As Hugo Black wrote in 1960, “It is plain that anonymity has sometimes been assumed for the most constructive purposes.”

But on the Internet, it’s often less about being constructive and more about being cowardly.“

Also: Wer keinen wirklich guten Grund für Anonymität hat – wie etwa Dissidenten oder Exilanten – möge sich künftig mit seinem wirklichen Namen anmelden.

Ich bin überzeugt, dass dies unsere Debatte deutlich verbessern wird.

 

Was die DDR für Marwas Tod kann

Fragt sich die Vorsitzende der säschsischen Landtagsfraktion der Grünen, Antje Hermenau, in einem bedenkenswerten Stück (ebenfalls in der heutigen taz).

Die DDR-Tradition der Abschottung von Einwanderern hat ein unheilvolles Erbe hinterlassen, meint sie. Und man muss die Grünen wirklich dafür leiben, dass sie solche Fragen stellen, denen sich alle anderen gerne verweigern wollen: Hat die Fremdenfeindlichkeit im Osten etwas mit dem sozialistischen Staat zu tun?

Als 1989 die Mauer fiel, lebten etwa 192.000 Ausländer in der damaligen DDR. Viele von ihnen waren Arbeitsmigranten, in der DDR ‚Vertragsarbeiter‘ genannt. Sie waren über staatliche Abkommen ins Land gekommen. Das SED-Regime achtete streng darauf, dass sie nach der vereinbarten Zeit wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Während sie in der DDR lebten, wohnten sie abgeschottet in Heimen, über die Einzelheiten der Abkommen mit ihren Herkunftsländern war bei der Bevölkerung wenig bekannt.

Ein Miteinander zwischen einheimischer und eingewanderter Bevölkerung, das über demonstrative Gastfreundschaft hinausging, war nicht vorgesehen. Bestehende Ressentiments und fremdenfeindliche Übergriffe, die es sehr wohl gab, wurden tabuisiert und geheim gehalten. Im Gegensatz zur Bundesrepublik gab es keine Normalisierungsprozesse zwischen Eingeborenen und Eingewanderten.

Dieses Erbe der Vergangenheit ist auch heute noch in Ostdeutschland gegenwärtig. Auch 20 Jahre nach der Wende gibt es ausreichend Anzeichen, dass die Vorstellung, Migrantinnen und Migranten seien nicht Teil dieser Gesellschaft, sondern eine Gruppe von ‚Besuchern‘ auch weiterhin verbreitet ist.(…)

Was in Sachsen und Ostdeutschland fehlt, ist eine aktive Auseinandersetzung mit dem DDR-Erbe sowie eine realistische Analyse zur Situation der Einwanderer in Ostdeutschland.

Die Ausschreitungen in Hoyerswerda 1991, der Tod von Jorge Gomondai in Dresden 1991 oder aber auch die Übergriffe in Rostock-Lichtenhagen 1993 hätten Anlass sein müssen, eine eigene ostdeutsche Debatte zu Zuwanderung, Fremdenfeindlichkeit und den Umgang mit Migrantinnen und Migranten in breite gesellschaftliche Schichten zu tragen.

(…)

Auch die politisch Verantwortlichen tragen zu einem Zerrbild bei, wenn sie in Veranstaltungen über den Islam hauptsächlich über die Gefahr von Terrorismus reden, statt über in Ostdeutschland tatsächlich bestehende Herausforderungen und Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund zu diskutieren.

Der Mord an Marwa el-Sherbini hat auch etwas anderes deutlich gezeigt: Dass diese Frau hervorragend gebildet war, Deutsch sprach und das deutsche Rechtssystem nicht nur anerkannte, sondern sich ihm sogar anvertraute, hat sie nicht vor der schrecklichen Gewalttat bewahrt. Auch wenn sie schon bald nach Ägypten zurückkehren wollte, entsprach sie fast dem konservativen Wunschbild der „Integration“. Das hat sie nicht geschützt. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in Sachsen den Menschen, die von vielen als „Fremde“ wahrgenommen werden, den Respekt entgegenbringen, auf den jeder, wirklich jeder Mensch Anspruch haben muss – unabhängig von Herkunft oder Religionszugehörigkeit.

 

Wer gewinnt denn nun in Afghanistan?

Der gestern von mir verlinkte Artikel über General McChrystal macht Furore (auch in den deutschen Zeitungen, die heute damit aufmachen) in den USA. Hat der General wirklich gesagt, die Taliban hätten die Oberhand? Das Pentagon bestreitet dies. (In Amerika werden Interviews nicht autorisiert, daher ist die Wiedergabe des Gesagten offen für mehr Interpretationen.) Hier ein Beitrag auf NBC über die neu entfachte Afghanistan-Debatte: