Lesezeichen
 

Der Wendepunkt im arabischen Denken

Abdul Rahman Al Rashed schreibt in der saudisch finanzierten Tageszeitung Asharq Alawsat über Obamas Chance:

Usually, pleasing the Arabs is an unachievable aim, because they blame Washington nearly for everything, whether it interferes or stays away. Washington is blamed for the dictatorships if it deals with them, and if it topples them, it will be accused of wanting to impose its political culture. It is blamed for all the contradictions: poverty, ignorance, occupation, terrorism, oppression, the support for the extremists, the hunt down of the Islamists, and even for the divorce of wives. Practically, Washington is the devil who is blamed for everything evil.

Obama should not get fed up with the huge amount he will hear in the region of urging him to settle the Arab-Israeli conflict, because this is praise for him. It is a new phenomenon that the Arabs, however different their political stances might be, consider that he is the trusted man who is capable of resolving the issue. This is a huge turning in the Arab thinking, which has been rejecting in principle the US mediator, and in the past had insisted on European and Russian participation as it believed that any US president would be biased in favor of Israel from the start.

 

Al-Kaida: Obama go (stay) home!

Das Celebritiy Deathmatch Obama vs Osama hat begonnen.
Gar nicht erfreut sind die Herren der Kaida über die Absicht Obamas, in Kairo eine Rede an die Muslime zu halten. Nun hat sich die Nummer 2 des Terrornetzwerks, der Ägypter Ayman Al Zawahiri zu Wort gemeldet und Obama einen „Kriminellen“ genannt, der in seinem früheren Heimatland nicht willkommen sei.
Der neue Präsident ist nicht der Mann von Al-Kaidas Gnaden. Man hätte sicher lieber Bush behalten. Der war deutlich besser fürs Geschäft: Denn das Geschäft des globalen Dschihad ist vornehmlich eine raffinierte Kommunikationsstrategie (der auch die Anschläge dienen). Nun macht einem der amerikanische Präsident die Herrschaft über die islamischen Stammtische (Teehäuser) streitig:

The al-Qaeda number two said Mr Obama would not be welcome in Egypt, and referred to US campaigns in Iraq and Afghanistan.

Mr Obama’s „bloody messages have been received and are still being received and they will not be covered by public relations campaigns or theatrical visits or polished words“, he said.

He called Mr Obama „that criminal who came seeking, with deception, to obtain what he failed to achieve on the ground after the mujahideen ruined the project of the Crusader America in Iraq, Afghanistan, and Somalia“.

He also said the Egyptian officials who will welcome the American leader are „slaves“ who have turned Egypt into an „international station of torture in America’s war on Islam“.

Interessantes Faktum am Rande: BBC berichtet, dass auch 10 wichtige Figuren der Muslimbruderschaft bei Obamas Rede anwesend sein werden – ungewöhnlich genug bei der Gegnerschaft des Mubarak-Regimes gegen diese Gruppe.
Ich finde das richtig, gerade im Licht der schäumenden Verwünschungen Al Zawahiris: Einen Keil (zwei, drei, viele Keile) in den Islamismus treiben ist die richtige Strategie.

 

Obama: Keine Entschuldigung bei Muslimen

Der BBC gab Obama Auskunft über die Absichten seiner Rede in Kairo am kommenden Donnerstag.
Er werde sich nicht für die Bush-Jahre entschuldigen, sondern einen Dialog eröffnen, in dem wechselseitige Missverständnisse bearbeitet werden können.

Interessant, wie er auf die Frage der politischen Gefangenen in Ägypten reagiert: „there are some human rights issues“ . Und dann spricht er über „unversalistische Werte“, die den Gesellschaften der islamischen Welt nicht einfach übergestülpt werden könnten. Sie könnten aber von diesen Gesellschaften selbst übernommen und zu einem Teil ihrer nationalen Identität gemacht werden.

Mubarak wird als „verlässlicher Alliierter“ gelobt und dafür gepriesen, Frieden mit Israel gehalten zu haben sowie „unnötige Demagogie“ vermieden zu haben.

Ab Minute 10 wiederholt er sein Angebot an den Iran – „den Islamischen Staat Iran“, wie er sagt – seine legitimen Interessen in der Region ohne Atomwaffen zu verfolgen.

Interessant auch seine Antwort auf die Frage nach der europäischen Zögerlichkeit bei der Anwendung militärischer Gewalt. Nach Jahrhunderten von Erfahrung mit Verwüstungen durch Krieg müsse man die Skepsis der Europäer verstehen. So hat man das lange nicht mehr gehört, nach Jahren des Hohns im Stil der neokonservativen „Venus und Mars“-Polemik.

 

Ägyptischer Mufti: Massenvernichtungswaffen sind unislamisch

Der ägyptische Großmufti Ali Gomaa, der höchste Religionsbeamte des Staates – und damit ein prominenter Gelehrter der sunnitischen Welt – hat eine Fatwa über den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen veröffentlicht.
Der Gebrauch dieser Waffen sei mit dem Islam nicht zu vereinbaren, sagt der Mufti. Es sei zwar legitim, sich solche Waffen zu defensiven Zwecken zu verschaffen, doch ihre Anwendung sei verboten.
Reuters berichtet:

The use by some individuals or groups of weapons of mass destruction against non-Muslim states is not legally permissible,“ state news agency MENA quoted Gomaa as saying in a fatwa, or Islamic legal ruling.

The only Muslim country known to have atomic weapons is Pakistan. Egypt has poor relations with Iran, an Islamic state that Washington and the West accuses of seeking to build a nuclear weapon, despite Tehran’s denials.

Gomaa said that „Islamic countries acquiring weapons like this for deterrence against aggressors is a legitimate quest“.

Die Begründung ist ein bisschen merkwürdig: Eine Anwendung von WMD gegen nichtmuslimische Staaten sei nicht vertretbar, sagt Gomaa erstens, weil damit auch dort lebende Muslime betroffen wären.
Zweitens wird zitiiert, er warne auch deshalb vor dem Erstaschlag mit solchen Waffen, weil Nichtkombattanten davon betroffen wären:

Furthermore, the impact of an attack using weapons of mass destruction could extend beyond the borders of the targetted country to innocent neighbouring states. He added that it was also not allowed to kill a non-combatant population, even in a declared war.

Zweiteres scheint mir das überragende Argument, so stark, dass das erste Argument eigentlich obsolet wird. Aber ist das ein bisschen zu christlich-universalistisch gedacht?

Jedenfalls: Die Fatwa des Muftis, nur wenige Tage vor dem Besuch Obamas in Kairo ist ein interessanter Diskussionsbeitrag zur Diskussion um das iranische Programm: Man kann sie sowohl als Verteidigung der grundsätzlichen Legitimität von Atomrüstung lesen (also auch der israelischen Bombe?) – wie auch als Warnung vor jeglichem Einsatz vom Massenvernichtungswaffen durch Muslime – eines der großen Angstszenarien dieser Tage.

 

Die Grenzen von Obamas Realismus

Obama ist ideologisch der Mann des entschiedenen „sowohl-als-auch“. Er spricht manchmal geradezu missionarisch von Freiheit und amerikanischen Werten, wie letztens bei der Rede in den „National Archives“. Und dann wieder klingt er manchmal wie ein Realpolitiker alter Schule, wenn er etwa darauf aufmerksam macht, dass zur Bewältigung des Klimawandels, zur Verhinderung von Atomwaffenproliferation oder zur Terrorbekämpfung eine möglichst breite Koalition erforderlich sei, in der nicht nur lupenreine Demokraten mittun dürfen.
Nun aber steht seine Rede in Kairo an. Und dort kommt seine Doppelnatur als missionarischer Realist besonders unter Spannung – denn in diesem Land, das für Obamas Nahostpläne wichtig ist, sind die Spannungen zwischen Staat und Gesellschaft mit Händen zu greifen. Auch an der Kairoer Universität, an der Obama offenbar reden wird. James Traub kommentiert in der New York Times:
Mr. Obama has a gift for eluding antinomies: he is “both-and” rather than “either-or.” But consensus-seeking has its limits. You can demonstrate deep respect for both the state and its people in a democracy like the Czech Republic — but not in a place like Egypt, where the people feel crushed by the state. There you must make a choice. And if the state is a valued ally, it will be a very difficult choice. The dilemma is particularly acute for Mr. Obama, who is seen throughout the world as the incarnation of American democracy, and who well understands America’s power to inspire both hope and resentment. Does he want to be seen as the architect of a policy that gives a dictator free rein in exchange for strategic cooperation? Would that even be a “realist” choice?

 

Umfrage: Deutsche Muslime trauen dem Rechtsstaat

Ein paar interessante Daten aus einer neuen Gallup-Untersuchung zum Zusammenleben von Muslimen und anderen Gruppen in westlichen Ländern:

Oben stehendes Bild zeigt, dass Muslime in Deutschland sich relativ stark als „integriert“ sehen und relativ geringe Gruppen sich als „isoliert“ beschreiben – erstaunlicher Weise weniger als bei der Restbevölkerung.

An dem zweiten Bild ist überraschend, dass Muslime in Deutschland stärker den Wunsch äußern, in einer gemischten Nachbarschaft zu wohnen, als die übrige Bevölkerung dies tut. Ein Viertel will lieber mit Leuten zusammenwohnen, die nicht ihren religiösen und ethnischen Hintergrund teilen.

Das dritte Bild beschreibt das Vertrauen in die Institutionen der Gesellschaft. Deutsche Muslime trauen dem Rechtsstaat, der Regierung, den Finanzinstituten und den Wahlen bedeutend mehr als die allgemeine Öffentlichkeit.

Nur bei den Medien und beim Militär machen sie Abstriche.

Letzteres ist für unsereinen nicht sehr schmeichelhaft. Aber die restlichen Daten sind eher ermutigend.

Federführend für die Untersuchung ist übrigens Dalia Mogahed, die ich hier bereits vorgestellt habe – unterdessen Obamas muslimische Beraterin.

 

Wie die Rushdie-Affäre einen neuen Typ Muslim schuf

Kenan Malik, der immer wieder klarsichtige Analytiker des britischen Multikulturalismus, hat nach 20 Jahren aufgeschrieben, wie die Rushdie-Affäre sein Leben veränderte – und wie sie einen neuen Typ des politisierten Muslims in England schuf, der bis heute prägend ist.

Kenan Malik

Lesenswertes Stück im Australian. Auszug:

The Rushdie affair was a turning point in the relationship between British society and its Muslim communities. It was a turning point for me, too. I was born in India but came to Britain in the 1960s as a five-year-old. My mother came from Tamil Nadu in southern India. She was Hindu. My father’s family had moved to India from Burma when the Japanese invaded in 1942. It is through him that I trace my Muslim heritage. Mine was not, however, a particularly religious upbringing. My parents forbade me (and my sisters) from attending religious education classes at school because they did not want us to be force-fed Christianity. But we were not force-fed Islam or Hinduism either. I still barely know the Hindu scriptures and, while I read the Koran in my youth, it was only after the Rushdie affair that I took a serious interest in it. 

What shaped my early experiences was not religion but racism. I arrived in Britain just as „Paki-bashing“ was becoming a national sport. Paki was the abusive name for any Asian and Paki-bashing was what racists called their pastime of beating up Asians. My main memory of growing up in the ’70s was of being involved almost daily in fights with racists and of how normal it seemed to come home with a bloody nose or a black eye. 

Like many Asians of my generation, I was drawn towards politics by my experience of racism. I was left-wing and, indeed, joined some far-Left organisations in my 20s. But if it was racism that drew me to politics, it was politics that made me see beyond the narrow confines of racism. I came to learn that there was more to social justice than the injustices done to me and that a person’s skin colour, ethnicity or culture was no guide to the validity of their political beliefs. I was introduced to the ideas of the Enlightenment and to concepts of a common humanity and universal rights. Through politics, too, I discovered the writings of Marx and Mill, Kant and Locke, Paine and Condorcet, Frantz Fanon and C.L.R. James. 

By the end of the ’80s, however, many of my friends had come to see such Enlightenment notions as dangerously naive. The Rushdie affair gave notice not just of a new Islam but also of a new Left. Radicals slowly lost faith in secular universalism and began talking instead about multiculturalism and group rights. They became disenchanted with Enlightenment ideas of rationalism and humanism, and many began to decry the Enlightenment as a Eurocentric project. Where once the Left had argued that everyone should be treated equally, despite their differences, now it pushed the idea that different people should be treated differently because of such differences. During the past two decades many of the ideas of the so-called politics of difference have become mainstream through the policies of multiculturalism. The celebration of difference, respect for pluralism, avowal of identity politics, these have come to be regarded as the hallmarks of a progressive, anti-racist outlook and as the foundation stones of modern liberal democracies. 

Yet there is a much darker side to multiculturalism, as the Rushdie affair demonstrated. Multiculturalism has helped foster a more tribal nation and, within Muslim communities, has undermined progressive trends while strengthening the hand of conservative religious leaders. Although it did not create militant Islam, it helped create for it a space within British Muslim communities that had not existed before.

 

Milli Görüs setzt sich für Christen in der Türkei ein

Seit Monaten eskaliert der Streit um das alte syrisch-orthodoxe Kloster Mor Gabriel in der Türkei. 

Drei Prozesse gegen das Kloster werden derzeit geführt, die offenbar darauf ausgelegt sind, das seit dem Jahr 397 bestehende Kloster seiner Lebensgrundlagen zu berauben.

Nun hat der Bundestag sich in drei nahezu gleichlautenden Resolutionen mit dem Schicksal des Klosters beschäftigt.

Die Klosteranlage im Südosten der Türkei   Foto: Morgabriel.org

Alle Fraktionen fordern die Bundesregierung auf, sich für den Erhalt des Klosters und damit eines Stücks Weltkulturerbes einzusetzen.

Löblicher Weise äußert sich auch der stellvertretende Generalsekretär udn Justitiar der IGMG zu diesem Thema. Yeneroglu schreibt auf der Website von Milli Görüs:

 

„Mor Gabriel steht nicht nur in seiner Bedeutung für die syrisch-aramäische Christenheit. Es ist ein Zeugnis der Menschheitsgeschichte, das für den kulturellen Reichtum der Türkei steht. Das Kloster bezeugt die Vielfalt der Türkei, in der viele Ethnien, Religionen und Kulturen zu Hause sind. … So kann auch die Kultur der syrisch-aramäischen Christen nur unter größten Schwierigkeiten bewahrt werden. …  Es scheint, dass das Kloster, welches 1600 Jahre erhalten werden konnte, heute in der Diskussion stehe.

 …

Natürlich sind rechtmäßige Ansprüche der Dorfbewohner zu achten. Doch scheint es in der Auseinandersetzung nicht nur um Gebietsansprüche im sachenrechtlichen Sinne zu gehen.  Ein kultureller Schatz, der seit 1600 Jahren besteht und damit älter als alle zu meldenden Gebietsansprüche ist, sollte so bewahrt und geschützt werden, dass alle Spekulationen um die Hintergründe verstummen. Es geht hier um nichts anderes als um das eigentümlichste Interesse der Türkei an der Bewahrung ihrer eigenen Geschichte und den Erhalt eines gemeinsamen Erbes der Menschheit. 

Die Bewahrung von Mor Gabriel ist ein Zeugnis für Weltoffenheit, für Multikulturalität und für Pluralismus. Deshalb steht der Staat unter der besonderen Pflicht, dieses kulturelle Erbe zu bewahren.“

Recht so. Mehr davon.

 

Ägypten: Schweinekeulung als antichristlicher Kulturkampf?

Ägypten hat unter dem Eindruck der Schweinegrippe damit begonnen, alle Schweine des Landes zu töten. Professor Günter Meyer von der Universität Mainz vermutet hinter der Aktion einen Versuch, der christlichen Minderheit die Lebensgrundlage zu nehmen. Doch auch Muslime halten Schweine in Ägypten.

Aus einer Pressemitteilung der Uni Mainz:

„Bei dem gewaltsamen Widerstand der Müllsammler in Kairo gegen die behördlich angeordnete Schlachtung ihrer Schweine wurden am Sonntag 14 Personen verhaften und zahlreiche Menschen verletzt. Diese Auseinandersetzungen markieren den vorläufigen Höhepunkt der staatlichen Bemühungen, das Ärgernis der Schweinehaltung durch meist christliche Familien in dem überwiegend muslimischen Land zu beseitigen.
 
Professor Meyer, der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, untersucht seit den 1980er Jahren die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den sechs Müllsiedlungen am Rande der ägyptischen Metropole. Nach seiner Ansicht „hat die Schweinegrippe nur den willkommenen Anlass für die Entscheidung der ägyptischen Regierung geliefert, den gesamten Schweinebestand des Landes töten zu lassen. Dabei wird die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz von mehr als 150.000 Menschen in Kauf genommen.“
 
Die Weltgesundheitsorganisation hat nachdrücklich unterstrichen, dass von den in Ägypten gehaltenen Schweinen keine Grippegefahr ausgeht. Es ist deshalb offensichtlich, dass die tatsächlichen Gründe für die Massenschlachtung ganz anderer Art sind:
 
Den ägyptischen Behörden waren die überwiegend christlichen Müllsammler schon lange ein Dorn im Auge. Diese erzielen den größten Teil ihre Einkünfte durch die Haltung von Schweinen, die vor allem mit Speiseresten und Küchenabfällen aus wohlhabenden Haushalten gefüttert werden. Für konservative Muslime ist jedoch die Schweinehaltung nicht akzeptabel, da der Koran den Genuss von Schweinefleisch verbietet. „Dass dort Schweine gehalten werden, ist eine Schande für das ganze Land“, bekam der Mainzer Geograph immer wieder zu hören, wenn er außerhalb der Müllsiedlungen seine Untersuchungen erwähnte.
 
Dennoch wurde bisher die Schweinehaltung toleriert, da sonst das gesamte System der Abfallentsorgung in den Stadtteilen der gehobenen Mittel- und Oberschicht zusammengebrochen wäre. Deren relativ wertvolle Haushaltsabfälle sicherten allein in Kairo das wirtschaftliche Überleben von rund 2000 Müllsammlerfamilien.
 
In den letzten Jahren haben sich jedoch mehrere private Großunternehmen der Abfallwirtschaft etabliert, die bisher vor allem den Müll aus den ärmeren Stadtteilen einsammeln. Die dortigen Abfälle enthalten jedoch zu wenig wertvolles Material, das eine profitable Wiederverwertung in modernen Recyclinganlagen lohnt. Diese Unternehmen werden jetzt die großen Gewinner sein, wenn sie auch die Abfallentsorgung in den wohlhabenden Stadtteilen übernehmen können, weil sich dies für die kleinen traditionellen Müllsammlerbetriebe nach dem Wegfall ihrer wichtigsten Einnahmequelle aus der Schweinehaltung nicht mehr lohnt.
 
Vor dem Hintergrund der Vogelgrippe hatte der ägyptische Präsident schon 2008 die Tierhaltung – insbesondere von Geflügel und Schweinen – aus hygienischen Gründen in dicht besiedelten Gebieten verboten. Diese Anordnung ließ sich im vergangenen Jahr nicht durchsetzen. Jetzt dagegen liefert die Schweinegrippe ein scheinbar überzeugendes Argument für die schon lange angestrebte Ausschaltung der Schweinehaltung.
 
Ein weiterer Grund, weshalb sich gerade konservative muslimische Parlamentarier vehement für diese gesetzliche Regelung einsetzen, ist darin zu sehen, dass die Schweinehaltung keineswegs nur von Christen, sondern auch von Muslimen betrieben wird – was in der Regel als schwerer religiöser Frevel angesehen wird. Bei Befragungen jedes zehnten Müllsammlerbetriebes im Großraum Kairo konnte Meyer feststellen, dass rund 20 Prozent der Müllsammlerfamilien Muslime waren, die ebenso wie ihre christlichen Nachbarn Schweine hielten. Auf die erstaunte Frage des Wissenschaftlers, wie dies mit dem Koran in Einklang zu bringen sei, war die Antwort jedes Mal die gleiche: „Der Prophet hat nur den Genuss von Schweinefleisch verboten, nicht die Haltung von Schweinen!“
 
Die Schweinehaltung nimmt als wichtigster Wirtschaftsfaktor eine Schlüsselrolle in dem aktuellen System der Abfallwirtschaft in Kairo ein, dessen Anfänge um 1880 Jahren zu suchen sind. Damals ließen sich völlig verarmte Zuwanderer aus den Oasen in der Westlichen Wüste in Kairo nieder. Die Wahis, d.h. „die Leute aus den Oasen“ sicherten ihr wirtschaftliches Überleben, indem sie die Abfälle aus den Haushalten der reichen Oberschicht einsammelten und dafür eine Gebühr erhielten. Außerdem verkauften sie das brennbare Material vor allem an öffentliche Badehäuser zum Erhitzen des Badewassers. In den 1920er Jahren gingen jedoch immer mehr Badehäuser dazu über, Heizöl statt Abfällen als Brennmaterial einzusetzen. Damit verloren die Wahis eine ihrer wichtigsten Einnahmequelle.
 
In dieser Phase strömten zahlreiche koptische Migranten aus christlichen Dörfern in Mittelägypten nach Kairo. Sie erkannten die Möglichkeit, die Küchenabfälle der Reichen als Schweinefutter zu nutzen. Nur zu gern traten die Wahis – gegen Entgelt – die mühselige Schmutzarbeit des aktiven Sammelns und Aufbereitens der Abfälle an die mittellosen koptischen Neuankömmlinge ab, die ihr wirtschaftliches Überleben durch die Schweinehaltung sicherten. Die Wahis kassieren jedoch nach wie vor die Gebühren für die Müllabfuhr von den jeweiligen Haushalten – für eine Leistung, die nicht von ihnen, sondern von den Zabbalin, den „Schweinehaltern“, erbracht wird.
 
Zur Sicherung ihrer lukrativen Pfründe schlossen sich die Wahis in einem öffentlich registrierten Müllkontraktoren-Verband zusammen. Als Mitglieder sind nur Personen zugelassen, die in fünf Dörfern der Dachla-Oase geboren sind, und deren Nachkommen. Dem Verband gelang es noch bis vor wenigen Jahren – zum Teil mit gewaltsamen Methoden – alle Konkurrenten abzuwehren, die sich ebenfalls in diesem einträglichen Abfallsektor etablieren wollten. Nur bei der Gruppe der Hausbesitzer gelang ihnen das nicht.“

(p.s. Professor Meyer ergänzt:)

In der Praxis funktioniert das System der Müllabfuhr in Kairo folgendermaßen: Wird ein Apartmentgebäude für relativ einkommensstarke Bewohner errichtet, so verkauft der Hausbesitzer das Recht auf Müllabfuhr an einen Müllkontraktor. Dieser kassiert in Zukunft die Gebühr für die Müllabfuhr von allen Haushalten des betreffenden Wohngebäudes. Außerdem erhält er einen einmaligen Betrag von dem Müllsammler, der damit das Recht hat, fortan den Abfall täglich aus den Haushalten abzuholen und zu verwerten.
Wie Meyer bei seinen Untersuchungen zeigen konnte, beziehen die Müllsammlerfamilien im Durchschnitt zwei Drittel ihrer Einkünfte aus dem Verkauf ihrer Schweine. Die übrigen Einnahmen stammen aus dem Verkauf des Schweinemistes und der Altmaterialien. Nachdem die aktuelle Wirtschaftskrise bereits zu einem Preisverfall bei den Altmaterialien geführt hat, bedeutet die staatlich verordnete Aufgabe der Schweinehaltung für die Zabbalin die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Erschwerend kommt hinzu, dass die angekündigten Entschädigungszahlungen für die geschlachteten Schweine nur etwa halb so hoch sind, wie die bisherigen Marktpreise.
Angesichts des drohenden Verlustes ihrer Lebensgrundlage ist es nur zu verständlich, dass sich die Müllsammler in ihrer Verzweiflung gewaltsam gegen die Tötung ihrer Tiere wehren und in der größten Müllsiedlung Manshiet Nasser die Sicherheitskräfte mit Steinen und Flaschen angegriffen haben. Allein in diesem Viertel werden rund 65.000 Schweine gehalten, die bisher ein wirtschaftliches Überleben für mehr als 50.000 Menschen sicherten.
Betroffen sind auch Tausende von Kleinbetrieben, die sich auf das Recyceln der Abfälle spezialisiert haben. Es bedeutet auch das Ende dieser Kleinbetriebe, wenn nach dem Ausscheiden der traditionellen Müllsammler die Großunternehmen mit ihren modernen Recycling-Anlagen die Abfallentsorgung übernehmen. Als Folge der Vernichtung der ägyptischen Schweinebestände werden mehr als 150.000 Menschen ihre wirtschaftliche Existenz verlieren.”

 

Die Niederlage von Pro Reli – ein Sieg für Milli Görüs

Heute zitiert die Berliner Zeitung den Vizepräsidenten der „Islamischen Föderation in Berlin“, Burhan Kesici: „Wir wollen künftig an deutlich mehr Berliner Schulen unseren Islamunterricht anbieten.“ Und: „Es ist gut, dass wir durch das Ergebnis des Volksentscheides jetzt Planungssicherheit haben.“ Es gehe der Islamischen Föderation mittelfristig um „ein breitflächiges Angebot an den Schulen“. Schon heute unterrichten die Lehrer der Föderation an 31 Berliner Schulen etwa 4.500 Schüler – weitgehend abgeschirmt von der Öffentlichkeit und häufig nicht in deutscher Sprache.
Und diesen Zustand haben die Genies von SPD, Linkspartei und „Humanisten“ nun zementiert. In Berlin wird der Islamunterricht an den Schulen von einer Briefkastenfirma der Milli Görüs gegeben. Der Staat hält dem nichts entgegen ausser „Ethik“. Das Angebot der konservativen Föderation hätte ein Gegenangebot eines regulären islamischen Religionsunterrichtes verdient gehabt, erarbeitet zusammen mit einem breiten Bündnis islamischer Gruppen und Elternvereine, und zwar unter strikter Aufsicht des deutschen Staates. Wir brauchen ein richtiges Curriculum für den islanmischen Religionsunterricht, der Wissen vermitteln muss und zum kritischen Reflektieren der eigenen Tradition befähigen – ganz wie dies der katholische, evangelische und jüdische Religionsunterricht tun.
Vor vier Jahre habe ich eine bildungspoltische Sprecherin der SPD mit der Tatsache konfrontiert, dass der Berliner Laizismus den reaktionärsten Kräften in der islamischen Szene die Schüler überläßt. Die Dame war schlicht überfordert mit diesem Gedanken. Sie wußte nichts, rein gar nichts von den verschiedenen Versuchen in anderen Bundesländern, islamischen Religionsunterricht auf Basis des Grundgesetzes zu organisieren.
Sie war auch nicht sonderlich interessiert. Neukölln, Wedding, Kreuzberg, Tiergarten mit ihrem riesigen Potential an muslimischen Kindern kommen in der Welt der Berliner SPD und Linkspartei kaum vor. Wichtiger ist es, die schrumpfende und alternde Berliner Bürgerklientel im Westen vorzuführen und zu „besiegen“. Ein altertümelnder Laizismus, der seit Jahrzehnten die Zeichen der Zeit verpennt und immer noch glaubt, Religion werde bald ohnehin verschwinden, hat einen Pyrrhussieg errungen. Ein schöner Tag für die Islamische Föderation.