Lesezeichen
 

Menschenrechtspolitik ist Realpolitik

Hans-Georg Wieck, einer der erfahrensten deutschen Diplomaten, antwortet in dem folgenden Beitrag auf Eberhard Sandschneider von der DGAP. 

Wieck war von 1954 bis 1993 war er Beamter des Auswärtigen Amtes. Er war u. a. Botschafter im Iran, der UdSSR und Indien sowie Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantikrat (NATO).

Außerdem war er im Verteidigungsministerium als Leiter des Planungsstabes tätig und leitete von 1985 bis 1990 den Bundesnachrichtendienst (BND).

Nach seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst war er von 1998 bis 2001 Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk, Weißrussland.

In seinem am 28. Februar in der „ZEIT“ veröffentlichten Beitrag „Debatte zur deutschen Außenpolitik: Raus aus der Moralecke“ plädiert Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, „für eine Außenpolitik auf der Grundlage des Machbaren und nicht der Rechthaberei“. Er führt dann aus, dass „die Zeiten vorbei sind, in denen Weltpolitik den Moral- und Wertvorstellungen des Westens folgte“.

 

Das mag sein, aber für alle Mitglieder der Staatengemeinschaft gilt auch weiterhin das vereinbarte Völkerrecht und gelten die vereinbarten politischen Verträge über politische Beziehungen und gegebenenfalls ihre Inhalte, und zwar unabhängig davon, ob es sich um “Staaten des Westens“, um sogenannte Schwellenländer oder um Länder im Entwicklungsprozess handelt.

 

Für einzelne Regionen sind weitergehende Verträge und Abkommen abgeschlossen worden, z.B. mit dem Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Pakts über Höchstgrenzen der konventionellen Truppen und der Waffen in Europa vom 19. November 1990 und mit der von allen Staats- und Regierungs-Chefs der an der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ mitwirkenden Staate n unterzeichneten „Charta von Paris für ein Neues Europa“ vom 21. November 1990.

In dieser Charta „verpflichten“ sich die Staats- und Regierungs-Chefs, „die Demokratie als die einzige Regierungsform unserer Nationen aufzubauen, zu festigen und zu stärken. In diesem Bestreben werden wir an folgendem festhalten: Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt zu Eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet. Sie zu schützen ist vornehmste Pflicht jeder Regierung. Ihre Achtung ist wesentlicher Schutz gegen staatliche Übermacht. Ihre Einhaltung und uneingeschränkte Ausübung bilden die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“.

Auf weiteren vierzehn Seiten des Dokuments werden im Einzelnen die von den Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geteilten politischen Werte der demokratisch verfassten Staaten definiert, seien es freie und faire Wahlen, unabhängige Wahlbeobachtung, Pressefreiheit, Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative, vor allem die Unabhängigkeit der Gerichte und eine auf der Initiative und Handlungsfreiheit des Einzelnen beruhende Marktwirtschaft.

 

Nach der Auflösung der Sowjetunion und der Jugoslawischen Föderationen übernahmen die Nachfolgestaaten ausdrücklich die Verpflichtungen aus der Charta von Paris. Jährlich stattfindende Außenministerkonferenzen und in regelmäßigen Abständen vorgesehene Gipfelkonferenzen sollen die Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Werteordnung beobachten und gegebenenfalls mit neuen Vereinbarungen ergänzen. Es handelt sich also um eine zwischen den Teilnehmerstaaten der KSZE vereinbarte Werteordnung, die alle beteiligten Staaten bindet – auch heute – die Russische Föderation ebenso wie die EU-Mitgliedstaaten oder Georgien und die Tadschikische Republik.

 

Wer sich um die Beachtung dieser gemeinsamen Werteordnung in den hier genannten Staaten bemüht, treibt „Realpolitik“. Wer sich in dieser Hinsicht davonschleicht oder die Relevanz der gemeinsamen Werte mit griffigen Modewörtern marginalisiert, lässt Zweifel an seiner eigenen Bindung an diese gemeinsamen Werte aufkommen.

 

Auch im Verhältnis zwischen Ländern der atlantischen Zone und Staaten in anderen Teilen der Welt gibt es vertraglich vereinbarte Regeln z.B. eine Vielzahl von global geltenden VN-Konventionen, die beachtet werden müssen, unabhängig von den Unterschieden kultureller und gesellschaftlicher Art, die zwischen den Ländern bestehen.

 

Wir sollten uns nicht mit Modeworten wie „Raus aus der Moralecke“ in den internationalen Beziehungen zu Geldwechslern reduzieren lassen, die nicht nach dem Leumund der Beteiligten fragen.

Mit freundlichen Grüßen, Hans-Georg Wieck

 

Stalingrad und meine Familie

Überall Stalingrad-Gedenken. Ich kann das nicht lesen, nur überfliegen. Stalingrad hat meine Familie kaputt gemacht. Jedenfalls die eine Hälfte davon. Ich hatte das Glück, in der anderen aufzuwachsen.

Mein Onkel ist im Januar vor 70 Jahren mit der 6. Armee in Gefangenschaft geraten. Es war der Anfang vom Ende für Hitlerdeutschland, und erst der Beginn des großen Tötens in den deutschen Vernichtungslagern, wo man gerade begonnen hatte, mit Gas als Mordmittel zu experimentieren.

Er war ein einfacher Infanteriesoldat. Er kam erst nach vielen Jahren Gefangenschaft zurück nach Deutschland. Mehrere Zehen hat er in Sibirien gelassen, und auch sonst noch vieles. Er war ein eher kleiner, drahtiger Mann, obwohl er mir als Kind natürlich groß und stark und furchteinflößend schien. „Die Großen und Sportlichen sind alle tot. Die haben bloß ein paar Wochen überlebt“, hat er einmal gesagt, in Erinnerung an die Gefangenschaft.

Er war mein Feind, seit ich anfing selber zu denken. Nicht so werden wie er, bloß nicht so werden. Es war ungerecht, es war die reine Abwehr dem Horror gegenüber, den er mit sich herumtrug.

Zu spät habe ich verstanden, dass Viktor, wie er ironischer Weise hieß, ein geschundener, betrogener, wütender Verlierer war – ein Opfer. Er wollte keins sein, er hat sich geschämt für den verlorenen Krieg. Und so gerierte er sich lieber als Überzeugungstäter für eine gute Sache. Bis zum Ende verteidigte er die Nazi-Zeit und den Krieg. Er las die National-Zeitung. Das ideologische Gedröhne war kein Ersatz für alles das, was er nicht erzählen konnte: Er war überwältigt von den Erfahrungen des Todes, des Tötens, des Hungerns, der Verzweiflung in den langen Jahren der Gefangenschaft.

Er hatte keine Worte dafür. Die Rechthaberei über Hitler, die Nazis, den Krieg, trat an die Stelle der wirklichen Erlebnisse, die gelegentlich nur aufblitzten. Er konnte nicht darüber reden, ich wollte nicht zuhören. Seine Geschichten vom Töten, vom Beerdigungskommando im Lager mit den gefrorenen Leichen (die ein Geräusch wie Holz machen, wenn man sie vom Wagen ablädt), von Kameradschaft und Verrat – ich wollte sie nicht hören. Das machte ihn wütend, und so schrieen wir uns an, bis ich ihm nur noch aus dem Weg ging. Selbst noch seine Zärtlichkeiten waren brutal – Kopfnüsse, Schwitzkasten, freundschaftliche Schläge auf den Oberarm, nach denen blaue Flecke blieben.

Ich wünschte, ich hätte zugehört: Der katholische Junge aus dem Eifeldorf, den seine erste Reise gleich an die Ostfront und dann in den sibirischen Gulag führt – was ging in ihm vor? Einmal sagte einer seiner Freunde, auch er ein Ostfront-Veteran: „Natürlich war es nicht einfach, auf Menschen zu schießen. Beim ersten Mal hast du nachher geheult. Und dann hast du doch auf sie geschossen wie die Hasen.“ Ich hatte den beiden gerade trotzig gesagt, ich werde den Wehrdienst verweigern. Das hatte sie wütend gemacht: „Ihr macht es euch leicht, wir hatten die Möglichkeit nicht.“ Damals habe ich diese Kommentare gehasst, heute weiß ich, dass die bitteren alten Männer natürlich auch Recht hatten.

Der Schmerz über das Erlebte, verdoppelt dadurch, dass es im Rahmen eines Menschheitsverbrechens im Vernichtungskrieg stattfand: wie sollte er davon erzählen? Es ging nicht. Er ist tot, seit vielen Jahren schon. Vor kurzem war ich wieder an seinem Grab, hoch oben auf dem Bergfriedhof über unserem Dorf. Es tut mir leid, ihn nicht angehört zu haben. Niemand hörte zu. Keiner von uns hielt damals diese Geschichten aus. Nicht einmal seine Frau, vielleicht sie sogar am wenigsten. Die Einsamkeit der Soldaten.

Seine beiden ältesten Söhne, meine lieben Vettern, mit denen ich als Kind viel gespielt habe, sind auch bereits tot. Sie haben sich auf verschiedene Weise aus dem Leben geschafft, der hoch begabte und sensible Achim zuerst und auf die grausamste Art. Jeder Mensch stirbt im Geheimnis, und meine Vettern werden verschiedene Gründe gehabt haben, nicht mehr leben zu wollen. Bernd, der Älteste, hat den florierenden Bäckereibetrieb meines Onkels, von dem auch mein Teil der Familie jahrzehntelang sehr gut gelebt hat, systematisch heruntergewirtschaftet. Es ist fast, als hätte er das Lebenswerk seines Vaters auslöschen wollen. Und das hat er ja auch getan, sich selbst am Ende eingeschlossen. Die Wut und den Hass des Vaters hat er nach innen gerichtet. Gibt es so etwas: Scheitern als Rache und Wiedergutmachung?

Ich weiß, es ist heikel, so zu spekulieren. Es ist jetzt schon Wochen her, seit ich an dem Grab meines Vetters gestanden habe, der nur zwei Jahre älter war als ich. Aber wenn ich heute über Stalingrad lese und den Untergang und die Kapitulation der Sechsten Armee – 3300 Kilometer von dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin – , dann ist mir, als sei das meine Geschichte.

 

Putins Russland ist kein Partner

Mein Kommentar aus der ZEIT von morgen, 11.10.2012:

In etwas mehr als einem Monat droht der deutschen Diplomatie ein peinlicher Moment. In Moskau tagt der »Petersburger Dialog«, das deutsch-russische Forum, auf dem die ›Modernisierungspartnerschaft‹ beider Länder alljährlich bekräftigt wird. Thema diesmal: »Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts«.
Peinlich wird die Sache deshalb: Russland hat im Sommer ein Gesetz zur Internetzensur eingeführt. Mißliebige Webseiten können seither von Putins Regierung ganz einfach abgeschaltet werden. Mit dieser Regierung einen Dialog über die »Informationsgesellschaft« zu führen, wirkt ziemlich naiv. Also absagen? Geht auch nicht mehr.
Einige Abgeordnete der Union haben die Zwickmühle erkannt und einen Antrag formuliert, der die Rückschritte Russlands bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit scharf kritisiert. Noch vor dem Treffen in Moskau soll er in den Bundestag eingebracht werden: Die Regierung wird darin aufgefordert, ihre Sorgen »klar zum Ausdruck zu bringen«.
Wie nötig eine solche Mahnung ist, zeigen die jetzt bekannt gewordenen Änderungsvorschläge des Auswärtigen Amts. Der Antrag soll gesoftet, offene Worte über den antidemokratischen Irrweg von Putins Regierung herausredigiert werden. Dafür finden sich neue Passagen über die Größe Rußlands und seine Bedeutung als Energielieferant.
Die Abgeordneten dürfen sich das nicht bieten lassen. Sie sollten sich dem Versuch widersetzen, Russland weiter durch den Weichzeichner zu betrachten.
Es geht hier um mehr als einen Antrag. Nötig ist die Neubestimmung der deutschen Russlandpolitk. Trockener, kühler, realistischer – ebenso fern von Kaltem Kriegertum wie von der Illusion der Partnerschaft.
Deutsche Kanzler haben sich viel in Goodwill geübt: Kohls Strickjackenbesuche und Saunagänge bei Gorbi; Gerhard Schröder wurde gar Putins Apologet bis zur Anbiederei. Letzteres kann man Angela Merkel nicht vorhalten. Doch ihre Rußlandpolitik unterscheidet sich, einem hartnäckigen Vorurteil zum Trotz, nur habituell von der Schröders. Sie findet Putins Machismo peinlicher, als sie öffentlich zugeben kann. Doch die wirtschaftliche Verflechtung hat unter Merkel noch zugenommen, und auch ihr Engagement für Regimekritiker kommt über erwartbare symbolische Gesten selten hinaus. Am Ende übertrumpft das Interesse an guter Atmosphäre für die deutsche Industrie und politischer Kontinuität stets auch Merkels Widerwillen.
Trotz aller Bemühungen entfernt sich Russland von uns. Putin hat einen nüchtern-zynischen Blick auf die Deutschen: Ihr seid geschwächt durch die Eurokrise, und die Energiewende (Danke dafür, übrigens!) fesselt euch noch enger an unsere Pipelines. Wenn ihr wirklich wollt, dass Assad stürzt, warum tut ihr nichts dafür? Ihr echauffiert euch über Pussy Riot im Gefängnis, setzt aber mit uns den »Rechtsstaatsdialog« fort? Wie verlogen ist das denn? Und euch soll ich ernst nehmen?
Mit einem anderen großen Russen gefragt: Was tun? Vielleicht wäre es kein schlechter Anfang, die Lage so zu beschreiben wie sie ist. Niemand in Berlin hat einen Plan, wie man mit dem Russland unter Putin 2.0 umgehen soll. Dieses Land hält seine schützende Hand über den syrischen Diktator Assad, der sein eigenes Volk massakriert, wie unser Außenminister nicht aufhört zu betonen. Nichtregierungsorganisationen – auch deutsche Stiftungen – werden seit kurzem gezwungen, sich in Russland selbst als »Ausländische Agenten« zu bezeichnen; dadaistische Politkunstaktionen werden mit jahrelanger Haft für  junge Mütter bestraft; das Versammlungsrecht wird immer mehr eingeschränkt, um eine rege Zivilgeselslchaft zu drangsalieren.
Dieses Russland modernisiert sich nicht, und wie ein Partner verhält es sich auch nicht. Die »Modernisierungspartnerschaft«, vor vier Jahren aus der Taufe gehoben, ist den plötzlichen Kindstod gestorben. Die Hinterbliebenen sollten sich den Verlust eingestehen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Deutschlands Russlanddiplomatie auf Ausgleich und Gespräch setzt. Auch das ist, kühl betrachtet, im deutschen Interesse. Nicht im deutschen Interesse ist es, wenn die Regierung unliebsame Anträge redigiert. Das Parlament muss ohne große Rücksichten seinem Unbehagen an den russischen Entwicklungen Ausdruck geben können. Die Regierung könnte sich dies in ihren Verhandlungen mit Russland zunutze machen: Seht mal, bei uns wächst der Unmut über eure Politik!
Sie müsste dazu nur etwas mutiger sein. Nicht ausgeschlossen, dass sie dann auch in Moskau wieder ernster genommen würde  –und ein echter Dialog beginnen könnte.

 

Warum Putin Russland ruiniert

In einem erfrischend offenherzigen und meinungsfreudigen Interview sagt Edward Luttwak etwas Interessantes über das Russlands Problem mit Putins Führerschaft. Vielleicht ist, was Luttwak hier beschreibt, noch entscheidender als das demokratische Defizit Russlands, das sich derzeit durch die manipulierten Wahlen so krass dokumentiert. (Vielleicht ist es auch der Kern dieses demokratischen Defizits.) Was mich im Vergleich interessieren würde: Wie erklärt sich in dem autoritären System Chinas die größere Kreativität der Bürokratie, die das Land vom Entwicklungsland zum Wirtschaftsriesen gemacht hat?

David Samuels: I would start with the moment when George W. Bush met Vladimir Putin and said, “I looked into his eyes and saw this was a man I could really trust.” So, my thesis is this: If you’re Vladimir Putin, and you rise to the top of this chaotic and brutal society after going through the KGB, you must be some kind of strategic genius with amazing survival skills, because the penalty for failure may be torture or death. This kind of Darwinian set-up exists in many countries around the world. What does it mean to be head of the security services in Egypt? It means that you had to betray your friends but only at the right time, and you had to survive many vicious predators who would have loved to kill you or torture you, or otherwise derail your career. By the time you become Vladimir Putin or Omar Suleiman, your ability to think ahead and analyze threats has been adequately tested.

By contrast, what does it take to become a U.S. Senator? You have to eat rubber chicken dinners, you have to impress some rich people who are generally pretty stupid about politics, and smile in TV commercials. The penalties for failure are hardly so dire. And so, American leadership generally sucks, and America is perennially in the position of being the sucker in the global poker game. That’s the thesis. So, tell me why it’s wrong.

Edward Luttwak: Even if your analysis is totally correct, your conclusion is wrong. Think about what it means to work for a Putin, whose natural approach to any problem is deception. For example, he had an affair with this athlete, a gymnast, and he went through two phases. Phase one: He concealed it from his wife. Phase two: He launched a public campaign showing himself to be a macho man. He had photographs of him shooting a rifle, and as a Judo champion, and therefore had the news leaked that he was having an affair. Not only an affair with a young woman, but a gymnast, an athlete. Obviously such a person is much more wily and cunning and able to handle conflict than his American counterpart. But when such a person is the head of a department, the whole department is actually paralyzed and they are all reduced to serfs and valets. Therefore, what gets applied to a problem is only the wisdom of the aforementioned wily head of the department. All the other talent is wasted, all the other knowledge is wasted.

Now you have a choice: You can have a non-wily head of a department and the collective knowledge and wisdom of the whole department, or else you can have a wily head and zero functioning. And that is how the Russian government is currently working. Putin and Medvedev have very little control of the Russian bureaucracy. When you want to deal with them, and I dealt with them this morning, they act in very uncooperative, cagey, and deceptive ways because they are first of all trying to protect their security and stability and benefits from their boss. They have to deceive you because they are deceiving their boss before he even shows up to work. And they are all running little games. So, that’s the alternative. You can have a wily Putin and a stupid government. Or an intelligent government and an innocent head. There’s always is a trade-off. A Putin cannot be an inspiring leader.

 

Die Ratio der Anschläge von Moskau

Einem Bericht des renommierten amerikanischen Instituts für Sicherheitspolitik CSIS entnehme ich eine verblüffende Statistik:

Die Zahl von Selbstmordanschlägen im Nordkaukasus (der vermutlichen Herkunftsgegend der Moskauer Attentäterinnen) hat sich im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr vervierfacht:

An der linken Seite kann man die Zahl der Toten bei gewalttätigen Vorfällen ablesen.

In anderen Worten: Der Krieg, über den in unseren Medien kaum mehr berichtet wird, ist nicht etwa zuende, sondern geht mit größter Rücksichtlosigkeit weiter.

Im folgenden Bild sieht man die gewalttätigen Vorfälle – das heißt Aktionen des Militärs und der Aufständischen – nach Distrikten aufgeschlüsselt, alles im Jahr 2009:

Bemerkenswert, wieviel Aufmerksamkeit jedem Vorfall in Nahost zuteil wird – und wie wenig dem Krieg im Kaukasus. Das liegt natürlich erstens an der extrem restriktiven und repressiven Nachrichtenpolitik der Russen, der gegenüber die israelische geradezu transparent anmutet. Wo ist der Goldstone-Bericht über die Vorfälle aus der oben abgebildeten Statistik?

Aber zweitens liegt es auch an unserer Gleichgültigkeit. Und die dürfte durch das Moskauer Attentat weiter befördert worden sein. Wer Frauen in die U-Bahn schickt, damit sie dort Dutzende in den Tod reißen, kann mit keiner Empathie rechnen.

Ein Teufelskreis:

Da die ungeheure Zahl von Attentaten in Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan nicht mehr wahrgenommen wird, trägt man den Kampf nun in die Hauptstadt. Darin liegt, bei aller Perfidie und Monstrosität der Moskauer Attacken, eine nicht von der Hand zu weisende Rationalität der Kriegsführung seitens der Aufständischen.

Es wird ihnen freilich nichts nützen. Sie liefern dem unvermeidlichen Rückschlag der russischen Regierung die Legitimation zu äußerster Härte: Wer so agiert, hat sich außerhalb der menschlichen Gesellschaft gestellt.

Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den Mudschahedin in Afghanistan in den Achtzigern, die sich als Bauern mit Stinger-raketen einer überlegenen Armee mit Panzern und Hubschraubern als ungleiche Kombattanten entgegenstellten.

 

Warum Ahmadinedschad gegen die Besetzung der US-Botschaft war

Interessanter Hintergrundbericht in der New York Times (online): Der heute größte Kritiker des „US-Imperialismus“ war vor 30 Jahren dagegen, die US-Botschaft in teheran zu besetzen. Machmud Ahmadinedschad hatte damals wesentlich mehr Angst davor, den Einfluss der Russen auf Iran zu stärken, als vor dem amerikanischen Einfluss, der zum Haupt-Topos der Propaganda der Islamischen Republik werden sollte.

ahmadiyoung

Bild: M. Ahmadinedschad als Studentenaktivist Ende der Siebziger
Die Einmischungen Russlands (seit der Zarenzeit) und später der Sowjetunion wurden immer weiter heruntergespielt gegenüber den Briten und den Amerikanern. Aber der junge Ahmadinedschad sorgte sich mehr um den Einfluss des nördlichen Nachbarn.

Merkwürdige Ironie der Geschichte: Heute sind es die Russen, die sich zur de facto Schutzmacht Irans entwickelt haben. Darum wurde in diesem Jahr auch von Demonstranten der „Grünen Bewegung“ der Slogan „Tod Amerika!“ in „Tod Russland!“ verwandelt – weil Russland die gefälschte „Wahl“ Ahmadinedschads anerkannt hatte, indem es den Präsidenten Irans kurz danach schon empfing.

 

Sebastian Haffner über Afghanistan

Als ich diese Stelle in einem alten Buch las – fast dreißig Jahre alt! – hat es mir fast die Schuhe ausgezogen. Wie bitte? Damals hat der Mann das schon gesehen? Ist ja Wahnsinn.

Der Mann ist Sebastian Haffner, und das Buch heißt „Überlegungen eines Wechselwählers“. Es erschien 1980 zur Wahl – als Empfehlung für Helmut Schmidt und gegen Franz-Josef Strauss. Haffner hätte aus innepolitischen Gründen nichts gegen die Union an der Regierung gehabt, aber die Aussenpolitik hat für ihn den Ausschlag gegeben, noch einmal der SPD den Sieg zu wünschen.

Und am Ende kommt er auf einen Konflikt zu sprechen, der damals noch vor allem die USA betraf. Heute ist er auch unserer. Die Rede ist von Afghanistan. Die Russen hatten das Land besetzt, und Amerika nahm auf seiten der Mudschaheddin Partei, die es in der Folge massiv unterstützte, zum großen Teil über den Umweg des pakistanischen Geheimdienstes, der den islamistischen Widerstand mit amerikanischen Dollars förderte.

Sebastian Haffner Foto: Teuto

Haffner sieht hier schon den neuen Weltkonflikt heraufziehen, der den Kalten Krieg ablösen wird. Den Konflikt mit einem „militanten islamischen Glaubensfanatismus“. Sein Rat, dies an einen Konflikt zu begreifen, der die Blockkonfrontation transzendiert, liest sich wie ein Omen:

„Ob die Amerikaner in ihrem eigenen Interesse richtig gehandelt haben, als sie den russischen Einmarsch in Afghanistan, ein mit Amerika nicht verbündetes Land, mit wirtschaftlichen und sportlichen Sanktionen beantwortet haben, ist nicht unsere Sache zu entscheiden; wir sind nicht gefragt worden. Denkbar gewesen wäre auch eine ganz andere amerikanische Reaktion, bis hin zu einem russisch-amerikanischen Zusammenwirken. Denn schließlich haben es die Russen in Afghanistan mit demselben Gegner zu tun wie die Amerikaner im benachbarten Persien, nämlich einem wiedererwachten, ebenso antiwestlichen wie antiöstlichen, militanten islamischen Glaubensfanatismus; und ein gemeinsamer Gegner, sollte man meinen, legt eher Allianz nahe als Konflikt. Wie auch immer, dieser Konflikt ist nicht unser Konflikt. Afghanistan ist nicht unser Verbündeter, un wir sind kein Weltpolizist. Wir sind in Afghanistan nicht einmal ideologisch engagiert. In dem ideologischen Konflikt zwischen dem Kommunismus und der westlichen Demokratie sind wir Partei; aber zwischen Kommunismus und Islam sind wir neutral. Wenn Amerika glaubt, in diesem Konflikt Partei nehmen zu sollen, ist es seine Sache, nicht unsere. Unser klares Interesse – ein wirkliches Lebensinteresse – ist, zu verhindern, daß die mittelöstlichen Wirren auf Europa übergreifen; und es trifft sich gut, daß sich dieses Interesse mit dem ganz Europas deckt – ganz Europas: unserer westeuropäischer Partner sowohl wie der osteuropäischen Verbündeten Rußlands.

Aus: Sebastian Haffner, Überlegungen eines Wechselwählers, Kindler Verlag, München 1980 (2000, Neuauflage), S. 139

 

Warum Russland und China Iran stützen

Eine Analyse auf Tehranbureau arbeitet heraus, warum Russen und Chinesen das Teheraner Regime unterstützen, obwohl sie offiziell gegen das Atomprogramm sind und Sanktionen befürworten (jedoch nie, ohne sie vorher in langen Verhandlungen vewässert zu haben):

„Russia treats Iran as a winning card in its relations with the United States. The fact that anti-American hardliners are in power in Iran is to Russia’s advantage. First, because it keeps the U.S. influence in Iran, if any at all, minimal. Second, it forces the United States to focus its attention on Iran, and less elsewhere. At the same time, by not completing the Bushehr reactor and promising to sell it the S-300 system, but not actually going through with the sale, Russia keeps the hardliners in Iran in need. The Iranian public and the reformist-democratic groups in Iran in particular, also see this, which explains their anger at Russia.

China, on the other hand, has a long history of supporting despots around the world, so long as doing so protects and expands its interests. Iran is no different in that respect for it. In Africa, for example, China supports Robert Mugabe’s regime in Zimbabwe and the Omar Al-Bashir’s in Sudan, despite all the calamities there. In East Asia, China supported the bloody Khmer Rouge regime in Cambodia who murdered 2 million Cambodians; and it supports North Korea.

Iran’s natural resources, large population, and strategic position are all important to China. China imports about 700,000 barrels of oil a day from Iran.“

Aber: Nach einem Bericht der LA Times beginnt immerhin in Russland eine Debatte darüber, ob das eigentlich eine schlaue Politik ist. Vor allem im Licht der jüngsten Ereignisse im Iran. Dort sind nämlich Russland und China zu den meist verhassten Ländern aufgestiegen, weil sie das Regime auch nach dem Coup mit den gefälschten Wahlen noch stützen. Es wird, wie in dem oben erwähnten Artikel von Tehranbureau geschildert, mittlerweile auch „Marg bar Rusieh“ (Tod Russland) und „Marg bar Chin“ (Tod China) gerufen – nach den rituellen „Tod Amerika“-Rufen.

Der Leitartikel der Nesavissimaja Gaseta vom 6. August fordert die russische Führung nun zu einer Revision ihrer Ahmadinedschad-Politik auf:

„It appears that recent events in Iran, when the opponents of Ahmadinejad shouted slogans of ‚Death to Russia,‘ indicate that Moscow’s defense of Ahmadinejad’s government has not been met with approval among a considerable portion of the Iranian population,“ the editorial said.

„It appears that the idea that Iran is a regional power which Russia could use as a trump card in relations with the West has turned out to be mistaken,“ the editorial says.

„As a matter of fact, it has turned out that Iran is using Russia to polarize the Group of Six,“ the five permanent members of the United Nations Security Council plus Germany, over Iran’s nuclear program.

The editorial pointed out that Russians are being singled out by the West and Iranians themselves as the primary backers of Ahmadinejad, possibly to Moscow’s disadvantage.