Lesezeichen
 

Wohin mit den Guantánamo-Häftlingen?

Ich habe eine etwas unbequeme Haltung zur Frage der Häftlinge, die durch die Auflösung Guantánamos zum Problem für das amerikanische (und unser) Rechtssystem werden.

Ich verstehe die politische Geste unseres Aussenministers, der mit seinem Angebot zur Aufnahme für unschuldig Befundener in Deutschland der neuen amerikanischen Regierung signalisieren will, dass wir nicht nur rummäkeln, sondern auch an der Lösung des Problems mithelfen wollen.

Soweit richtig. Wir sind Teil des Kampfes gegen den Terrorismus, also müssen wir auch die Lasten mittragen. Wir haben Bush kritisiert, also müssen wir seinem Nachfolger auch helfen, das skandalöse Kapitel zu schliessen. Wer könnte etwas dagegen haben, erwiesener Maßen Unschuldige bei uns aufzunehmen, denen zuhause Folter oder Todesstrafe drohen? So könnte man auch die schändlichen Versäumnisse im Fall Kurnaz ein wenig kompensieren.

Aber das ist der leichte Part: Es ist entscheidend, dass sich das amerikanische Rechtssystem die Frage wieder vorlegt, wie man mit denjenigen Häftlingen umgeht, die man wegen der Beweislage nicht vor normalen Gerichten verurteilen kann – und von denen dennoch eine klare Gefahr ausgeht, die nicht erlaubt, sie freizulassen. Das ist eine Frage, die natürlich nicht nur Amerika betrifft, aber Amerika zunächst einmal im Besonderen, weil unter der Regierung Bush ein Weg des Umgangs beschritten wurde, der lauter rechtliche Sondertatbestände geschaffen hat, die zur Erosion des Rechtsstaates führen können. Diese müssen zurückgenommen werden (was ja auch schon geschieht), ohne in naiver Weise Gefahren in Kauf zu nehmen.

Es wird innerhalb des Rechtssystems eine umstrittene Zone geben müssen, in der man mit den Herausforderungen umgeht, die durch Top-Gefährder entstehen. Innerhalb des normalen Rechts- und Gefängnissystems wohlgemerkt, nicht auf einer juristischen Sondermüllhalde auf einer abgeriegelten Insel.

Und warum sollte das unmöglich sein? Der riesige amerikanische Gefängnis-Archipel beherbergt Hunterttausende, darunter viele höchst gefährliche Individuen. Es ist nicht abzusehen, dass geschätzte 245 Insassen von  Guantánamo dieses System überfordern sollten. (Hier zum Beispiel sitz Ramzi Youssef ein, der am ersten Attentat auf das World Trade Center  beteiligt war, der Neffe von Khalid Shaikh Mohammed, der den 11. September vorbereitete.)

Ebensowenig ist das amerikanische Asylsrecht überfordert damit, an den unschuldig Inhaftierten wieder gut zu machen, was man ihnen an Lebenszeit und Würde genommen hat. Ich weiß eigentlich nicht, warum Deutschland da in Vorleistung gehen sollte – wenn man die oben erwähnte Motivlage einmal abzieht.

Es ist ein Gebot der politischen Selbstreinigung Amerikas, das Problem der inhaftierten Dschihad-Terroristen wieder in sein Rechtssystem zu inkorporieren. 

Welche Lektionen Amerika daraus zieht – etwa über Fragen der Sicherheitsverwahrung – , das ist auch für uns relevant, denn wir können schon bald vor ähnlichen Problemen stehen. 

Die Debatte, ob wir unschuldig Entlassene aufnehmen sollen, ist bei Licht besehen eine Pseudo-Debatte angesichts der Dilemmata, die hier lauern. 

Im übrigen hat die Schliessung Guantánamos und die Behandlung der Terroristen als gewöhnliche Verbrecher einen wichtigen Stellenwert im Kampf gegen den Terrorismus: Es nimmt ihnen die Aura des Übermenschlichen (und damit eine Propagandawaffe), es reduziert ihr Bravado auf das Schäbige und Kleine ganz normaler Massenmörder.

 

 

Inauguration live

 

Bin Laden zitiert Steinbrück

Osama Bin Laden hat ein weiteres Tape veröffentlicht, in dem er Gaza für Al-Kaida reklamieren will. 

Das ist keineswegs so offensichtlich, wie manche vielleicht glauben: Zwischen der Kaida und der Hamas gibt es grundlegende Differenzen: Hamas ist durch Wahlen an die Macht gekommen – einen Weg, den die Terroristen um Bin Laden grundsätzlich als gefährliche Verwestlichung ablehnen. (Mehr dazu bei Marc Lynch.)

Aber genau so viel Zeit wie mit Gaza verbringt Bin Laden mit der Weltwirtschaftskrise, wie der immer hervorragend informierte Kollege Yassin Musharbash im Spiegel berichtet:

„Eine seiner Thesen lautet, dass diese noch viel schlimmer sei als derzeit erkennbar. Als Kronzeugen zählt er verschiedene europäische und US-amerikanische Minister und Präsidenten auf, unter anderem erwähnt er auch „den deutschen Finanzminister“, allerdings ohne Peer Steinbrück namentlich zu nennen. Der deutsche Finanzminister, so der Qaida-Gründer, habe erklärt, nichts werde je wieder so sein wie vor der Krise. Bin Ladens zweite These ist, dass diese Wirtschaftskrise das Resultat der Anstrengungen der Mudschahidin sei.“

 

Schwulenbewegung trauert um George Bush

Aus „The Onion“:

„While I tried to be commander in chief first and a homosexual man second, I knew that everything I did would be judged through the lens of ‚America’s first gay president,'“ Bush said during an interview with ABC’s Charles Gibson broadcast Dec. 1. „Looking back, my personal need to prove my manhood definitely influenced my actions. The arrogant swagger, invading Iraq, my ruthless support of the death penalty—heck, even setting back gay rights 25 years—all of it seems so silly now.“

Former press secretary Ari Fleischer agreed, saying that Bush carefully cultivated his image as a masculine, simple-minded, heterosexual male in order to combat his insecurities about appearing weak before the international community.

„Believe me, sister, he overcompensated with a capital ‚compensated,'“ Fleischer said. „But when the cameras stopped rolling and the podium was put away, he was just fabulous. We had a fabulous, fabulous time.“

Quelle.

Und damit „Frohes Fest“ allerseits!

 

Amis raus?

Und noch eine interessante Umfrage. Sind US-Militärbasen in der Golfregion eine gute Idee? In den USA denken 70 Prozent so. Und dann wirds dünn. In keinem anderen Land wird eine Mehrheit der Befürworter erreicht bei dieser Frage. In Deutschland ist nur jeder Dritte der Meinung, es sei eine gute Idee. In Frankreich etwas mehr, da scheint die Kolonialvergangenheit durch (i.e. man weiß noch, was eine mission civilatrice ist).

Und unser künftiger NATO-Partner (Gott bewahre!) Ukraine denkt darüber ganz ähnlich wie das russische Brudervolk. (Oder wie die Palästinenser.) Was für eine Schnapsidee, die Ukraine in die NATO aufzunehmen! (Nicht nur aus diesem Grund.)

Auch interessant: In der Türkei finden ganze 6 Prozent, die USA gehören an den Golf – auch dies ein NATO-Land. In Pakistan und Ägypten bewegte sich die Zustimmung erwartungsgemäß im nicht meßbaren Bereich.

Hat jemand eine gute Erklärung für die Zahlen aus Nigeria und Kenia?

Quelle.

 

Barack Obama plant Rede in einer islamischen Hauptstadt

Nach einem Bericht der Chicago Tribune will Barack Obama früh in seiner Amtszeit eine Rede in einer Hauptstadt der islamischen Welt halten.

Er werde die Gelegenhgeit nutzen, Amerikas Bild in der Welt zu erneuern, und besonders in der islamischen Welt, sagte der kommende Präsident der Tribune:

„I think we’ve got a unique opportunity to reboot America’s image around the world and also in the Muslim world in particular,“ Obama said Tuesday, promising an „unrelenting“ desire to „create a relationship of mutual respect and partnership in countries and with peoples of good will who want their citizens and ours to prosper together.“

Obama bemühte sich aber gleichzeitig klarzumachen, dass damit kein Nachgeben gegenüber Terroristen verbunden sein werde:

Obama said the country must take advantage of a unique chance to recalibrate relations around the globe, through a new diplomacy that emphasizes inclusiveness and tolerance as well as an unflinching stand against terrorism.

„The message I want to send is that we will be unyielding in stamping out the terrorist extremism we saw in Mumbai,“ Obama said, adding that he plans to give a major address in an Islamic capital as part of his global outreach.

Sehr gute Idee. Fragt sich nur, wo das große Palaver stattfinden soll? In Badgad ja wohl kaum. Damaskus auch nicht. Teheran fällt vorerst aus. Ankara ist (noch) säkular, also nicht „islamisch“.

Dubai? (zu speziell, zu klein) Doha? (dito)

Also Kairo? (schwieriger Partner) Islamabad? (dito) Riad? (au weia)

Algier? Tunis? Tripolis? Khartum? Rabat? (alle wiederum auch sehr spezielle, problematische  Fälle)

Also vielleicht Kuala Lumpur? Oder Djakarta?

Im übrigen will er, wie es bei seinen Vorgängern Brauch war, alle drei Namensteile bei seiner Vereidigung benutzen. Er wird also als Barack Hussein Obama eingeschworen werden – mit dem Mittelnamen, den seine Gegner versuchten, als Indiz seines heimlichen Muslimseins auszulegen.

 

Robert Gates: Amerika kann sich nicht zum Sieg schiessen

Ein erstaunlicher Artikel des neuen und alten Verteidigungsministers Robert Gates, in dem er die Notwendigkeit beschreibt, die Fähigkeiten des US-Militärs zu „balancieren“.

Das ist sehr höfliche Sprache für den Bruch mit der Rumsfeld-Philosophie. Wer sich gefragt hat, warum Obama Gates gebeten hat zu bleiben, wird hier aufgeklärt.

Hier spricht ein bedächtiger Mann, der seit 42 Jahren im amerikanischen Sicherheitsapparat tätig ist und die Gefahr sieht, dass das Militär immer wieder den letzten erfolgreichen Krieg führen will – und dabei die Antizipation der neuen Gefahren vergißt.

Und mehr noch: ein Verteidigungsminister, der die Grenzen dessen erkannt hat, was man mit Gewalt erreichen kann, und selbst mit der hochtechnisierten Gewalt, bei der „in Mosul ein Truck explodiert, wenn in Nevada ein Knopf gedrückt wird“.

What is dubbed the war on terror is, in grim reality, a prolonged, worldwide irregular campaign — a struggle between the forces of violent extremism and those of moderation. Direct military force will continue to play a role in the long-term effort against terrorists and other extremists. But over the long term, the United States cannot kill or capture its way to victory. Where possible, what the military calls kinetic operations should be subordinated to measures aimed at promoting better governance, economic programs that spur development, and efforts to address the grievances among the discontented, from whom the terrorists recruit. It will take the patient accumulation of quiet successes over a long time to discredit and defeat extremist movements and their ideologies.

The United States is unlikely to repeat another Iraq or Afghanistan — that is, forced regime change followed by nation building under fire — anytime soon. But that does not mean it may not face similar challenges in a variety of locales. Where possible, U.S. strategy is to employ indirect approaches — primarily through building the capacity of partner governments and their security forces — to prevent festering problems from turning into crises that require costly and controversial direct military intervention. 

Das ist die finale Absage an die Strategie des regime change, für die Bush stand, der Gates angeheuert hat, nachdem es im Irak nicht mehr weiterging.

Gates fordert auch eine Aufstockung des Etats des State Department, um die Diplomatie zu stärken, sowie der Entwicklungshilfe. Ein Verteidigungsminister, der Entwicklungshilfe als Teil der Sicherheitsstrategie ansieht, das ist mal was Neues. Und das bei einem ehemaligen CIA-Mann!

I have learned many things in my 42 years of service in the national security arena. Two of the most important are an appreciation of limits and a sense of humility. The United States is the strongest and greatest nation on earth, but there are still limits on what it can do. The power and global reach of its military have been an indispensable contributor to world peace and must remain so. But not every outrage, every act of aggression, or every crisis can or should elicit a U.S. military response.

We should be modest about what military force can accomplish and what technology can accomplish. The advances in precision, sensor, information, and satellite technologies have led to extraordinary gains in what the U.S. military can do. The Taliban were dispatched within three months; Saddam’s regime was toppled in three weeks. A button can be pushed in Nevada, and seconds later a pickup truck will explode in Mosul. A bomb dropped from the sky can destroy a targeted house while leaving the one next to it intact.

But no one should ever neglect the psychological, cultural, political, and human dimensions of warfare. War is inevitably tragic, inefficient, and uncertain, and it is important to be skeptical of systems analyses, computer models, game theories, or doctrines that suggest otherwise. We should look askance at idealistic, triumphalist, or ethnocentric notions of future conflict that aspire to transcend the immutable principles and ugly realities of war, that imagine it is possible to cow, shock, or awe an enemy into submission, instead of tracking enemies down hilltop by hilltop, house by house, block by bloody block. As General William Tecumseh Sherman said, „Every attempt to make war easy and safe will result in humiliation and disaster.“

Und den letzten Absatz muss ich dann mal übersetzen, weil er so bemerkenswert ist:

„Aber niemand sollte je die psychologische, kulturelle, politische und menschliche Diemnsion des Krieges unterschätzen. Krieg ist unvermeidlicher Weise tragisch, ineffizient und ungewiß, und es ist wichtig, skeptisch zu bleiben gegenüber Systemanalysen, Computermodellen, Spieltheorien oder Lehren, die etwas anderes suggerieren. Wir sollten uns hüten vor idealistischen, triumphalistischen oder ethnozentrischen Vorstellungen künftiger Konflikte, die die unveränderbaren Prinzipien und die hässliche Wirklichkeit des Kriegs zu transzendieren versuchen, die glauben es sei möglich, einen Gegner in ehrfürchtige Unterwerfung zu nötigen durch eine „Schock“-Taktik, statt Feinde von Hügel zu Hügel jagen zu müssen, Haus um Haus und Block um blutigen Block. Wie General William Tecumseh Sherman sagte: ‚Jeder Versuch, den Krieg leicht und sicher zu machen, wird in Demütigung und Desaster enden.'“

Bemerkenswert, oder? Limits, tragic, humility, modest, ugly realities – wie lange hat man das schon nicht mehr gehört von einem der „masters of war“?