Bahai im Iran vor Verurteilung

Aus der ZEIT von morgen.
Wer eine religiöse Minderheit demütigen will, schändet ihre Friedhöfe. Jeder solcher Akt ist barbarisch. Doch innerhalb der letzten Monate haben die Bahai im nordiranischen Qaimshahr gleich viermal zusehen müssen, wie die Gräber ihrer Vorfahren beschädigt wurden. Zuletzt, Ende Januar, kamen Bulldozer und vollendeten das Zerstörungswerk – von offiziellen Stellen geduldet, wenn nicht gar geschickt. Im Schatten der westlichen Sorge um sein Atomprogramm betreibt das Teheraner Regime eine zunehmend radikale Repression gegen die größte religiöse Minderheit im Lande – die etwa 350 000 Anhänger des Bahai-Glaubens. Das Kalkül: Die Welt hat andere Sorgen und wird sich darum nicht für die Rechte einer kleinen Religion verkämpfen.
Vielleicht wird dieses Spiel nicht aufgehen: Letzte Woche hat das Bundeskanzleramt den Geschäftsträger der iranischen Botschaft in Berlin einbestellt und ihm die Sorge der Kanzlerin über einen in Teheran drohenden Prozess gegen Bahai verdeutlicht. Und auch das Auswärtige Amt nutzt jeden Kontakt mit iranischen Stellen, um das Schicksal der Bahai zu beklagen.
Sieben führende Mitglieder des Bahai-Glaubens sollen dieser Tage vor Gericht gestellt werden. Man wirft ihnen »Spionage für Israel« und »Propaganda gegen den iranischen Staat« vor. Seit Monaten wurden die sieben ohne formelle Anklage festgehalten und ihre Anwälte schikaniert. Selbst die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi wird unter den Augen der Behörden drangsaliert und denunziert, seit sie die Aufgabe übernommen hat, die Angeklagten zu verteidigen. Es wurden gar Gerüchte lanciert, Ebadis Tochter sei zum Bahai-Glauben übergetreten. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, droht den geistigen Führern der Bahai die Todesstrafe.
Was reizt die Mullahs so an dieser Religion? Ursprünglich als islamische Reformbewegung in Iran entstanden, hat sich die Gemeinde des Stifters Bahaullah (»Herrlichkeit Gottes«) vom Islam losgesagt und eine Lehre entwickelt, die alle Weltreligionen beerben will. Die Bahai begreifen Mohammed nicht als »Siegel der Propheten«, sondern als eine Stimme der Offenbarung unter vielen. Keine Religion sei »falsch«, alle müssten aus ihrer Zeit heraus begriffen werden. Bahai lehren die Gleichberechtigung von Mann und Frau und lehnen jedes Priestertum ab. Statt der Überlegenheit des islamischen Glaubens über die anderen »Buchreligionen« und der Unantastbarkeit des Korans vertreten sie ein Ideal des religiösen Weltfriedens und glauben an eine unabgeschlossene Offenbarung des Göttlichen in der Geschichte.
In den Bahai begegnet dem schiitischen Klerus eine Form der religiösen Aufklärung, die umso provokanter ist, als sie von innen kommt – aus der Mitte der iranischen Kultur. Von Beginn an wurden die Bahais eben darum als Einflussagenten des Auslands – der Briten, der Russen, der Amerikaner und nun eben Israels – verteufelt. Sie sind ein Ärgernis, weil in ihnen ein anderer Weg aus der islamischen Kultur in die Moderne aufscheint: ohne Ressentiment, ohne Dschihad, ohne Fundamentalismus.
Mit dem heutigen Israel verbindet die Bahai nur der historische Zufall, dass ihr Prophet ins Exil gedrängt wurde und im palästinensischen Akkon – nahe dem heutigen Haifa – starb. Dort befindet sich das Weltzentrum für sechs Millionen Gläubige weltweit – Vorwand für die Teheraner »Zionisten«-Verschwörungstheorie.
In den letzten Monaten haben die Drangsalierungen der Bahai in Iran zugenommen. Sie dürfen nicht studieren, keine Geschäfte führen und sich nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. Es scheint kaum übertrieben, von einer drohenden Vernichtung der Bahai in ihrem Ursprungsland zu sprechen. Es könnte freilich sein, dass die radikalen Kreise im Teheraner Regime, die diese Kampagne vorantreiben, sich verrechnet haben. Denn es wächst auch in der eigenen Öffentlichkeit der Widerstand gegen die Unterdrückung: Über 240 iranische Intellektuelle haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich »beschämt« darüber zeigen, dass die Bahai »seit anderthalb Jahrhunderten ihrer Rechte in Iran beraubt werden«.
Durch das beherzte – und diesmal geschlossene – Auftreten der Bundesregierung ist das Schicksal der Bahai zu einem Prüfstein für die Hoffnung geworden, der Westen könne mit Iran einen Neuanfang wagen. Das steckt hinter dem drohenden Satz der Kanzlerin, ohne korrektes Gerichtsverfahren drohe »eine Belastung der Beziehungen der Staatengemeinschaft mit Iran«.
Iran sucht nach internationaler Anerkennung. Das verträgt sich in einer von religiösen Konflikten zerrissenen Welt schlecht mit der Entrechtung einer Minderheit, deren einziges Verbrechen darin besteht, sich vom Islam gelöst zu haben. Im Teheraner Gerichtshof wird darum nicht nur über das Schicksal einer kleinen religiösen Minderheit entschieden werden – sondern auch über die Rolle, die das iranische Regime selbst künftig zu spielen gewillt ist.

 

Die Herrschaft der Bärtigen – und die Außenpolitik des Westens

(Ein paar unsystematische Überlegungen zur Lage, mehr Fragen als Antworten…)

Das größte Ereignis in der Außenpolitik dieses Jahres – jedenfalls unter den vorhersehbaren – hängt wahrscheinlich an der Innenpolitik der USA: Obamas Wiederwahl ist nicht so sicher wie mancher glaubt, nicht nur wegen des Konkurrenten Mitt Romney, sondern auch wegen Faktoren wie der höchstrichterlichen Entscheidung über Obamas Gesundheitsreform. Auch das ist schon interessant.
Obama könnte darüber fallen, dass er die Amerikaner zwingen wollte, sich krankenzuversichern. Ob ihm jemand mal eine Bismarck-Biografie reichen könnte?

Zweite Möglichkeit für Obamas Scheitern: Mehr Chaos in Europa nach der griechischen Wahl,  „Grexit“ (Griechenland verläßt den Euro), Ausweitung der Krise auf Spanien und Italien und in der Folge Deutschland. Dies könnte die amerikanische Wirtschaft empfindlich treffen – und damit den Präsidenten. Chancen für Romney, auf einer No-Bailout-Plattform die Wahl zu gewinnen? So eng hängt das alles zusammen, möglicher Weise.

Aber lassen wir die Krise bis nach dem Wochenende beiseite. Zu ein paar klassischen außenpolitischen Themen:
Der Krieg in Afghanistan verliert in Amerika rapide an Rückhalt. Vielleicht beschleunigt sich der Abzug noch einmal, und damit auch die Bewertung: Alles rückt doch immer näher an ein Vietnam-Szenario, bei dem man schnell noch in den letzten Hubschrauber will.
Dieser Krieg haben wir innerlich längst abgehakt, wir haben schon zu viele andere Dinge in der Region auf der Platte. Amerika ist erschöpft und mit sich selbst beschäftigt. Europa dito. Eine Bilanz der Ära des Interventionismus steht aus.

Isolationismus ist keine Alternative – aber wer sagt denn, dass es nur diese beiden Möglichkeiten gibt? Als Dritter Weg erscheint zur Zeit Obamas Kombination aus „Politik der ausgestreckten Hand“ (gegenüber der muslimischen Welt im allgemeinen, anfangs sogar gegenüber Iran, allerdings mit sehr ernüchternden Ergebnissen) bei gleichzeitiger Eskalation von Drohnenkrieg, Cyberwar und Special Ops (→ exit Bin Laden). Allerdings erscheint diese Kombination selbstwidersprüchlich und unglaubwürdig, je härter der Schattenkrieg geführt wird. Der Präsident, der sich im Oval Office die kill list vorlegen lässt mit den schlimmsten Terroristen, die man dann mttels Drohne wegpusten wird – das ist schon eine extrem ambivalente Vorstellung. Allmacht und amerikanischer Abstieg in  einem Bild: Der Präsident kann und will keine Truppen mehr schicken, aber mit einem Federstrich ist er Staatsanwalt, Richter und Henker in einer Person. Bush brachte Terrorverdächtige noch nach Guantanamo, Obama kann Guantanamo nicht schließen und macht nun erst gar keine Gefangenen mehr.

Für Deutschland ist das Ende des Interventionismus eine merkwürdige Entwicklung, schwer zu verdauen: Man hat in Afghanistan einen Krieg geführt, der erst keiner sein durfte.
Dann hat man sich gerade daran gewöhnt, dass es doch einer war, und da ist es auch schon vorbei und die Sache droht zum Volldebakel zu werden. Wir wollen nur noch raus. War alles umsonst?

Außerdem will man sich nun eine Armee geben, die professioneller und einsatzfähiger sein soll, aber das mit immer weniger Mitteln. Und dies in einem Moment, in dem die Einsätze per se fragwürdig geworden sind und wir eigentlich nie wieder irgendwo mitmachen wollen, wenn’s denn nach uns geht. Dazu am Ende mehr.
Was Afghanistan angeht, könnte 2012 bereits zum Jahr der Wahrheit werden, wenn die Franzosen bei ihren Abzugsplänen bleiben.

Aber womöglich werden wir auch durch andere Konflikte so in Atem gehalten werden, dass die Sache einfach so nebenher ausläuft.

Syrien: Ein Szenario, das dieser Tage immerhin wieder möglich scheint: Dass Assad auf Machterhalt setzt und weite Teile des Landes hält, während er in anderen weniger hart durchgreift. Er könnte seine Unterdrückung unter dem Level halten, das eine Intervention irgendwann nötig machen würde. Als Paria würde er sich auf einige bittere Jahre einstellen, nach denen die Welt dann doch wieder mit ihm dealen muss. So wie früher, vor dem Arabischen Frühling. Da die Euphorie für Demokratisierung einstweilen verflogen ist, vielleicht keine undenkbare Vorstellung für die westliche Politik. Voraussetzung dafür wäre, dass er auf den Annan-Friedensplan im Ernst eingeht und nicht nur aus rein taktischen Gründen, was bisher alle Beobachter glauben. Was passiert, wenn er nicht so schlau ist und einfach weiter auf brutalste Methoden setzt, weiß niemand. Klar ist nur, dass es dann in absehbarer Zeit keine Zukunft mehr mit Assad geben kann. Vielleicht ist das jetzt auch schon so. Wahrscheinlich sogar.

Und damit kommt man zu der Kardinalfrage der kommenden Jahre für diese unsere Nachbarschaft:
Islamismus und Demokratie: Geht das zusammen? Und geht es dort, wo es drauf ankommt – in Ägypten, nicht nur im kleinen Tunesien? Was bedeutet es für die Minderheiten im Land, für die Christen des Orients? Droht ihnen nun dasselbe wie einst den Juden, nachdem die Muslimbrüder und Salafisten überall drankommen? Exil für alle, die es schaffen, die es sich leisten können, die im Westen einen Platz finden wie die irakischen Chaldäer, die wir vor Jahren aufgenommen haben?
Was bedeutet die Herrschaft der Bärtigen für die Frauen? Was bedeutet sie für die Geopolitik der Region?
Die Muslimbruderschaft scheint sich nach neuesten Berichten überraschender Weise eher mäßigend auf die Hamas auszuwirken: Heißt das, die neue politische Verantwortung verändert den Islamismus? Das muss man beobachten.
In der Region ist der führende Konflikt nun einer, in dem nicht Israel gegen die Araber steht, sondern ein despotischer Öl-Islamismus sunnitischer oder schiitischer Provenienz (Saudi-Arabien, Iran) gegen einen demokratisch gewählten sunnitischen Islamismus ohne Öl (MB und Salafis in Ägypten, unterstützt von undemokratischen Autokratien wie Katar und Saudiarabien, die Öl und Gas haben). Ein Subtetxt des Syrien-Konflikts liegt darin: der iranisch-schiitische Öl-und Gas-Islamismus, der die Bombe will, wird bedrängt von den sunnistisch-islamistischen Despoten der Arabischen Halbinsel.

Salafisten mischen überall mit und verweisen die MB auf den ungewohnten Platz der „moderaten Kräfte“. Der Kampf zweier, dreier, vieler Islamismen um die Modernetauglichkeit? Ist das das große Thema?
Wie gehen wir mit den an die Macht drängenden Islamisten um? Wollen wir Dialog? Kooperation? Wo sind die Roten Linien? Wir haben kein Konzept, wir wissen nur, dass wir es nicht so machen können wie mit Hamas nach 2006, als wir Bedingungen genannt haben und – als diese nicht erfüllt wurden –, auf Boykott setzten. Ägypten kann man nicht boykottieren wie Gaza.

Spannend wird es auch sein zu sehen, wie die türkischen Islamisten den Aufstieg der Muslimbrüder in der ganzen Region beobachten: Vielleicht bald mit Schrecken? Als Lehrmeister? Als Modell? Das wäre interessant.
Die Arabische Revolution ist auch im zweiten Jahr nach Beginn der Aufstände nicht abgeschlossen. Was in Tunesien mit der Selbstverbrennung eines Obsthändlers begann, hat unterdessen weite Teile der arabischen Welt erfasst: der Aufstand gegen die alten Autoritäten und der Versuch, neue – repräsentativere und volksnähere – an ihre Stelle zu setzen. In Tunesien scheint der Übergang am besten gelungen, obwohl auch hier radikale Islamisten den Freiheitsgewinn bedrohen, der durch die Überwindung der Militärherrschaft möglich wurde. In Bahrain wurde der Aufstand brutal niedergeschlagen, im Jemen musste der langjährige Herrscher Salih immerhin weichen und ein Nachfolger wurde gewählt. Eine Verfassungsreform steht noch aus.

Für den westlichen Beobachter stellen sich drängende Fragen vor allem mit Blick auf die beiden wichtigsten Länder: Syrien und Ägypten. Beide Länder haben auch die größten nichtmuslimischen und innermuslimischen Minderheitengruppen – damit stellt sich in ihnen die Frage nach der Möglichkeit von Dialog und Pluralismus am drängendsten. Ob der Wandel in den arabischen Ländern gelingt, wird sich nicht zuletzt am Schicksal der Minderheiten in Syrien und Ägypten erweisen.

Es scheint unerlässlich, dass auch in Syrien ein Machtwechsel stattfindet. Das Assad-Regime ist diskreditiert, weil es von Beginn auf brutale Gewalt setzte, um die legitimen Forderungen der Opposition zu unterdrücken. Trotzdem bleibt es dank des Militärs vorerst weiter an der Macht – oder wird nur unter hohem Blutzoll von dort zu vertreiben sein. Wie kann in dem konfessionell gespaltenen Land, das von einer Minderheit, den Alawiten, beherrscht wird, eine neue Ordnung gelingen, die dem religiösen Pluralismus der syrischen Gesellschaft Rechnung trägt?
Bei der christlichen Minderheit herrscht Furcht vor einem sunnitisch-theokratischen Regime als Folge eines absehbaren Zusammenbruchs der Assad-Diktatur. Was kann der Westen in dieser Lage beitragen zu einem Übergang ohne Bürgerkrieg und ohne abermalige Intervention in einem weiteren muslimischen Land? Kann die Weltgemeinschaft helfen, die verfeindeten Gruppen nach einem Ende der Diktatur in einen Friedensprozess zu bringen – ähnlich wie auf dem Balkan?

In Ägypten scheint offener als zuvor, was die neue Ordnung für die Renaissance des politischen Islams nach der Rebellion bedeuten wird. Unbestritten ist, dass das Ende des Mubarak-Regimes die Religion als öffentliche Macht, und die religiösen Parteien als ihre Verkörperung, wieder ins Recht gesetzt hat. Die zuvor unterdrückten Bewegungen des politischen Islams genießen verständlicher Weise die höchsten Glaubwürdigkeitswerte, schon weil sie nicht Teil des korrupten Systems waren. Außerdem sind sie sehr viel besser organisiert als die sakulär-liberalen Kräfte, und verfügen über ein Netzwerk von Moscheen. Muslimbrüder und – überraschender noch: Salafisten – teilen sich den Erfolg an der Wahlurne. Sie konkurrieren auch miteinander, und so darf man im islamistischen Lager in Zukunft weitere Debatten, Abspaltungen und Differenzierungen erwarten.
Der Arabische Frühling, der mit dem Protest der Jugend begann, hat tatsächlich die Farbe Grün angenommen, aber es ist das Grün des Propheten. Die spannende Zukunftsfrage ist, wie ein politischer Islam die wichtigste arabische Gesellschaft prägen wird, der nicht auf Sponsoring durch Öl-Geld beruht (also anders als im Iran oder auf der arabischen Halbinsel). Und vor allem: Wieviel Freiraum wird das Militär dieser Entwicklung gewähren? Wird sich Ägypten mehr in Richtung der Türkei oder mehr in Richtung Pakistan entwickeln?

Wird die absehbare weitere Islamisierung der Gesellschaft religiöse Minderheiten und Säkulare an den Rand drängen? Und in Reaktion darauf: Ist religionsübergreifende Zusammenarbeit die Antwort auf die Herausforderung? Oder steht nun eine Phase der Konfessionalisierung und Zersplitterung der arabischen Gesellschaften an, in der Christen (und auch Schiiten und Bahai) nur auf Minderheitenrechte als Bürger zweiter Klasse hoffen können?
Für christliche Minderheiten und ihre Paten im Westen besteht die Gefahr, in die Falle des Konfessionalismus zu tappen. Soll man sich für Minderheitenrechte einsetzen – oder für gleiche Rechte für alle ägyptischen Bürger im Namen des Universalismus?

Was wird aus dem Christentum Nordafrikas? Kann sich Ägypten (mit seiner tourismuslastigen Wirtschaft) stabilisieren, wenn politische Zerreißproben zwischen Militär und Muslimbrüdern, Muslimbrüdern und Salafisten, Säkularisten und Islamisten, Christen und Muslimen drohen? Und wenn in Syrien ein offener Bürgerkrieg ausbrechen sollte, droht dann die Libanonisierung der gesamten Region, der Zerfall in ethnisch-religiös dominierte Instabilität?

Welchen Kompromiss es in Ägypten zwischen den demokratischen Kräften und den Beharrungskräften im alten Regime geben könne, ist weiter offen. Das Militär ist vor allem an der Stabilität des Landes und der Sicherung der eigenen (auch wirtschaftlichen) Ressourcen interessiert. Wie weit darum die Zugeständnisse an die demokratischen Forderungen gehen könnten, wird auch daran hängen, ob das Militär Macht und Einfluß in den neuen Verhältnissen wahren kann.
Aber: Der demokratische Geist ist aus der Flasche, und niemand wird ihn wieder hinein stopfen können. Ob und in welchen Formen er institutionalisiert werden kann, wird wohl erst in einem langen Prozess deutlich werden.

Die Wetten stehen darauf, dass der Nahostkonflikt eingefroren sei. Niemand weiß weiter. Alle denken freilich, dass es so nicht weiter gehen kann. Niemand hat einen Plan. Die Palästinenser sind die großen Verlierer des arabischen Erwachens. Tolle Sache für Netanjahu und Lieberman, die eh nichts machen wollten.
Warum einen unlösbaren Konflikt anpacken? Obama ist gelähmt bis November, er kann nur verlieren, wenn er nun wieder mit dem Thema Siedlungen und Verhandlungen käme. Das Thema Iran ist doch viel wichtiger zur Zeit.
So offensichtlich das scheint, ich habe den Verdacht, dass diese Politik der Vermeidung bald auffliegen wird. Sie hängt an der Fiktion einer Machbarkeit der „Zweistaatenlösung“: Wenn nur erst Obama wiedergewählt ist! Wenn nur erst die palästinensische Versöhnung vorankommt! Wenn nur erst das Iranproblem gelöst ist! Wenn Ägypten einen Präsidenten hat, wenn die Lage in Syrien klarer ist, wenn die Palästinenser gewählt haben, wenn die UNO Vollversammlung über die Mitgliedschaft Palästinas befunden haben wird… Wenn, wenn, wenn.

Währenddessen sagen viele, dass die Zeit für eine Zweistaatenlösung längst vorbei ist und die Welt daran eigentlich nur noch festhält aus horror vacui. Was sonst hätte man anzubieten?
Es gibt aber unterdessen glaubhafte Stimmen, die sagen, man müsse endlich von dieser Fiktion Abschied nehmen, weil sie eigentlich nur dafür sorgt, dass alles immer so weiter gehen kann.
Wir stellen die Sache meistens so da, dass es die Wahl zwischen Ein- und Zweistaatenlösung gebe. Die Einstaatenlösung wäre dabei synonym mit dem Ende Israels als demokratischer und jüdischer Staat, weil die Demographie der arabischen Bevölkerung eine Mehrheit verleihen würde. Manche Verteidiger der Einstaatenlösung streben dieses Ziel ganz offen an, die meisten tun es etwas oberschlau heimlich, wohl wissend, was die Konsequenzen wären, wenn ihre Wünsche wahr würden. Das gilt für weite Teile der Boykott- und Sanktionsbewegung. Sie wollen Israel abschaffen, in einem demokratischen Mehrheitspalästina auflösen.

Die Zweistaatenlösung hingegen, das bedeutet – Rückzug Israels aus der Westbank, Abzug der meisten Siedler hinter die “Grüne Linie”, Austausch von Gebieten im Ausgleich für die verbleibenden Siedlungen, Entmilitarisierung des palästinensischen Staates, Teilung Jerusalems in zwei Hauptstädte für zwei Völker, Rückkehr einer symbolischen Zahl von Flüchtlingen und globale Entschädigung für den Rest; im Gegenzug dafür sofortige Anerkennung Israels durch 57 arabische und islamische Staaten wie in der arabischen Initiative festgelegt. Sie gilt in der offiziellen Politik Israels und in der gesamten internationalen Community als einzige gangbare Möglichkeit, Israel langfristig als jüdischen und demokratischen Staat zu erhalten.
Wenn es aber so ist, wie die Vertreter der Zweistaatenlösung behaupten, dass nur sie das Überleben eines demokratischen jüdischen Staates garantieren kann, dann muss man sich die Frage stellen, warum sie bloß so halbherzig verfolgt wird. In Wahrheit geht die Entwicklung “am Boden” immer mehr in die Richtung einer Einstaatenlösung. Seit dem Oslo-Prozess, der eigentlich das Ende der Siedlungstätigkeit einläuten und die palästinensische Souveränität vorbereiten sollte, ist die Population in den besetzten Gebieten um das Zweieinhalbfache gewachsen. Es wächst schon die dritte Generation heran, die als Besatzer geboren wurde. Und auf der anderen Seite die dritte Generation von Palästinensern unter der Besatzung. “Temporär” ist das nicht.
Es wird, glauben selbst ihre Anhänger, keine Zweistaatenlösung geben. Warum?
Weil es einen Bürgerkrieg in Israel heraufbeschwören würde, die Siedlungen zu räumen; weil Israel zur Zeit (vom Iran-Problem abgesehen) eine Phase der Sicherheit, Prosperität und Stabilität durchläuft; weil Israel seiner gesamten Umgebung (die derzeit eine unabsehbare Phase von Revolte und Umbruch durchmacht) so weithin überlegen ist wie noch nie zuvor (von Iran abgesehen, aber vielleicht auch in dieser Hinsicht); weil die diplomatischen Kosten der Besatzung noch nie so gering waren wie heute; weil die palästinensische Führung gespalten und geschwächt ist und das Thema “Palästina” die Araber nicht mehr vordringlich beschäftigt; weil es in Israel aus allen diesen Gründen kein politikfähiges Friedenslager mehr gibt; weil die kontinuierliche Entwicklung der israelischen Gesellschaft hin zu einer konservativeren und religiöseren politischen Identität die Institutionen bis ins Militär hinein verändert hat. Aus all diesen Gründen ist der Status Quo (keine schöne, aber) die optimale Option für das Land. Die überragende Popularität von Netanjahu ist der Ausdruck dieser Lage, sein breite parlamentarische Mehrheit, sein Kabinett der nationalen Einheit inklusive Kadima macht es ihm möglich, weiterhin nichts zu tun.
Ich habe den Eindruck, dass auch in dieser Hinsicht dieses Jahr ein Jahr der Wahrheit werden könnte.
Das Jahr, in dem die Fiktion eines verhandelten Friedens offenbar wird. Was dann? Alle zittern vor diesem Moment.

Vom unwahrscheinlichen Frieden noch schnell zum wahrscheinlichen Krieg: Krieg mit Iran?
Das hängt nun sehr von Iran selber ab. Gespräche über das Atomprogramm haben begonnen. Zur Zeit sind sie schon wieder in einer Krise. Wenn Iran sich abermals stur stellt oder nur allgemein rumquatscht wie letztes Mal, dann könnte die Diplomatie scheitern. Diesmal wäre das ernst, denn die Sanktionsmöglichkeiten sind nahezu ausgereizt. Eine Eskalation wäre dann kaum noch zu verhindern.
Für die beteiligten 5+1 heißt das umgekehrt: Sie müssen in den Verhandlungen scharf genug sein, um beim Iran eine Verhaltensänderung zu mehr Transparenz zu bewirken. Und wenn sie zu scharf sind und das ganze auf eine öffentliche Demütigung Irans rausliefe (in den Augen des Irans, und da geht das schnell), dann könnten sie eine Logik auslösen, nach der Iran sich nur zurückziehen kann: Denn dort sind im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen, und da kann sich keiner der Kandidaten leisten, sich gegenüber den „Mächten der Arroganz“ nachgiebig zu zeigen.
Israel wird das alles beobachten. Die Stimmung im Land ist widersprüchlich: Nur ein Drittel ist dafür, alleine loszuschlagen. Aber vor die Alternative gestellt, mit der iranischen Bombe zu leben oder einen Krieg zu riskieren, sind zwei Drittel zum Krieg bereit.
Diejenigen, die einen Krieg für wahrscheinlich halten, rechnen im letzten Jahresviertel damit.
Deutschland müsste dann noch einmal die Frage beantworten, was „Staatsräson“ eigentlich genau bedeutet.

 

Die arabische Demokratie wird islam(ist)isch sein

Eine unvermeidliche Folge der arabischen Freiheitsbewegung wird die Islamisierung der Politik sein. Denn die repressive Säkularisierung (ja, ich weiß, ein problematischer Begriff, denn klar säkularistisch war keines dieser Regime, überall gab es die Einmischung des Staates in die Angelegenheiten der Religionen) durch autoritäre Herrschaft ist am Ende. Das heißt nicht, dass für alle Zeiten kein Säkularismus in der islamischen Welt möglich sein wird – der interessante Fall ist hier die Türkei. Aber zu einem Modell – oder zu Modellen – der Koexistenz von Staat und Religion wird man nur durch eine Phase der Renaissance des politischen Islams kommen.

Zunächst einmal ist das Ende der repressiven Säkularisierung für freiheitsliebende Menschen eine gute Nachricht. Die Unterdrückung der (politischen) Religion, mitsamt Folter, Entrechtung, Mord, ist vorbei. Eine Form der Religionsfreiheit – die Freiheit zur Religion im öffentlichen Leben – wird entsprechend Aufwind haben. Jedenfalls für die Mehrheitsreligion, den sunnitischen Islam. Aber: Das Schicksal der religiösen Minderheiten ist damit zugleich ungewisser geworden. Und wie es mit dem anderen Aspekt der Religionsfreiheit steht – der Freiheit von der Religion (von der Mehrheitsreligion, oder von jeglicher Religion im Fall von Atheisten) – das ist eine große Frage für alle Übergangsregime der arabischen Welt. Ausgang: offen.

Es gibt Anlässe zur Sorge: Wenn etwa der Vorsitzende des Übergangsrats in Libyen die Proklamation der Befreiung mit folgenden Sätzen krönt – „Männer, ihr könnt wieder vier Frauen heiraten! Denn so steht es im Koran, dem Buch Gottes. Ihr könnt beruhigt nach Hause gehen, denn ihr müsst nicht eure erste Frau fragen.“ Zinsen sollen übrigens auch verboten werden, weil sie unislamisch seien, so Mustafa Abdul Dschalil in Bengasi am letzten Wochenende. Oder wenn in Tunesien ein TV-Sender wegen der Ausstrahlung des Films „Persepolis“ angegriffen wird und der Senderchef um sein Leben fürchten muss angesichts eines aufgehetzten Mobs. Wenn in Kairo Dutzende Kopten massakriert werden und das Staatsfernsehen „ehrliche Ägypter“ auffordert, gegen Christen loszuschlagen. Wenn der Mörder der Kopten von Nag Hammadi, der für seine Bluttat zum Tode verurteilt wurde, als Held gefeiert wird: Was wird aus den religiösen (und anderen) Minderheiten in der befreiten arabischen Welt?

Trotzdem hilft alles nichts: Der politische Islam wird Teil des postrevolutionären politischen Spektrums in allen Ländern sein, die sich vom Joch befreien. Wie könnte es auch anders sein? Jahrzehntelang haben die Anhänger der islamistischen Bewegungen unfassliche Entrechtungen erlitten. (Man lese etwa die Romane von Ala Al-Aswani, der wahrlich keine Sympathien für den politischen Islam hat, aber dennoch die Märtyrer-Geschichten der Islamisten erzählt, die sich in Mubaraks Kerkern abspielten.) Wahr ist auch, dass sie machmal von den autoritären Regimen benutzt wurden: Man hat sie gewähren lassen, um die Linke und andere säkulare Kräfte zu schwächen. Man hat ihnen Spielraum gegeben, um sie dann immer wieder in Repressionswellen kleinzuhalten. Aber:  Sie haben unter schwierigsten Bedingungen überlebt, ihre Netzwerke aufrecht erhalten und sich in vielen Ländern um die Ärmsten gekümmert. Jetzt werden sie erst einmal als glaubwürdige Alternative dafür den Lohn einfahren.

Dass es auf Dauer ein Durchmarsch wird, ist nicht gesagt: Wo es andere Parteien gibt, ist das alte Spiel der Islamisten vorbei, sich als einzige Alternative zur autoritären Modernisierung von oben zu präsentieren. Und: Es ist nun nicht mehr mit Sprüchen wie „Der Islam ist die Lösung“ getan. Jetzt müssen Vorschläge vorgelegt werden, wie eine Wirtschaftspolitik, eine Sozialpolitik, eine Bildungspolitik aussehen würde, die die Länder aus dem Elend führt. Polygynie und Zinsverbot sind nicht die Antwort auf die Alltagsprobleme der Bürger, selbst der frommen.

Für die Beobachter in Europa stellt sich die Frage, wie sinnvoll der Begriff „Islamismus“ noch ist, wenn er Phänomene wie die türkische AKP, die tunesische Ennahda, die jemenitische Islah-Partei (mitsamt der Friedensnobelpreisträgerin), die ägyptischen Muslimbrüder ebenso wie die ihnen feindlich gesinnten Salafisten und möglicher Weise auch noch gewalttätige Dschihadisten von Hamas bis Al-Shabab bezeichnet. Zu erwarten sind noch weitere Differenzierungen im Laufe der kommenden Ereignisse. Der neue Parteienmonitor der Adenauer-Stiftung verzeichnet für die ägyptischen Wahlen alleine 13 (!) religiöse Parteien, und die Listen sind noch nicht geschlossen. (Sehr viel mehr säkulare und sozialistische, übrigens, was aber wieder nichts über die Wahlchancen der jeweiligen Lager aussagt.)

Ein instruktives Paper über die islamistischen Oppositionsbewegungen in Jordanien, Ägypten und Tunesien hat Karima El Ouazghari von der HSFK vorgelegt. Wie schwierig die Lage-Einschätzung selbst für Forscher ist, die vor Ort Gespräche führen, zeigt sich in dem Satz über die Ennahda-Partei. Weil sie in den Wochen des Umbruchs keine gewichtige Rolle gespielt habe, werde sie zwar versuchen, „ihren Platz im neuen Tunesien zu finden, doch wird sie dabei keine gewichtige Rolle spielen“. Das wurde offensichtlich schon vor Monaten geschrieben. Nach dem Wahlsonntag würde man das wohl kaum noch so sehen. Es kommt hier eine Täuschung zum Tragen, der viele Beobachter erlegen sind, und ich auch: Weil die Revolutionen nicht islamistisch geprägt waren, würden auch die Folgen dies nicht sein. So einfach ist das nicht. Islamisten werden eine wichtige Rolle spielen, und zwar wahrscheinlich in jedem Land eine andere. Eine Wiederholung des iranischen Falls ist wenig wahrscheinlich, wo die Islamisten schließlich alles übernahmen und die restliche Opposition terrorisierten, ermordeten und außer Landes drängten. Dies schon allein deshalb, weil der Iran als Modell so grandios gescheitert ist und die Parole vom Islam als Lösung diskreditiert hat.

Die interessanten Debatten der kommenden Zeit werden sich wahrscheinlich zwischen den verschiedenen Strängen des Islamismus – oder politischen Islams, oder islamisch geprägter Politik – abspielen, und nicht zwischen Islamisten und Säkularen (wie ich zunächst erwartet hatte). Soll es in Ägypten einen religiösen Rat der Ulema geben (eine Art religiösen Wächterrat der Politik), und wie weit sollen seine Kompetenzen gehen? Sollen tatsächlich Frauen von hohen Ämtern ausgeschlossen sein, wie es die konservativen Kräfte in der MB 2007 forderten? Oder passt das nicht mehr in die Post-Tahrir-Welt? Kann ein Kopte theoretisch Präsident von Ägypten werden?

Ein sprechender Moment der letzten Wochen war Erdogans Besuch in Kairo. Dort hat er für das türkische Modell eines säkularen Staates geworben. Die MB waren nicht sehr amüsiert. Das ist interessant: Der Vertreter eines modernen politischen Islams wirbt für die Trennung von Religion und Staat, und wird dafür von den Islamisten kritisiert, die sich sehr viel mehr Verschränkung von Religion und Staatlichkeit wünschen. Der im Westen als Islamist verdächtigte Erdogan findet sich plötzlich in der Rolle, von konservativeren Brüdern für seine paternalistische Einmischung kritisiert zu werden. Von den Türken will man sich kein Gesellschaftsmodell aufdrängen lassen. Zu westlich. Willkommen in unserer Welt, Bruder Recep! (Auch den äpyptischen Militärs, die anscheinend mit den MB schon hinter den Kulissen koalieren, ist das türkische Modell sicher nicht so sympathisch, seit Erdogan das Militär immer weiter zurückgedrängt hat.) Zur entscheidenden Rolle des türkischen Modells gibt es ein sehr aufschlußreiches Interview auf Qantara.de mit der Soziologin Nilüfer Göle. Darin  sagt sie:

Göle: Ich denke, dass das, was Erdoğan zuletzt in Kairo in Bezug auf den Säkularismus sagte, ein sehr wichtiges Signal ist. Ich kann die Frage, ob seine Aussagen aufrichtig oder Teil einer versteckten Agenda sind, nicht beantworten, weil das hieße, sich auf bloße Verdächtigungen zu stützen; ich glaube aber, dass es ein wichtiger Moment in dem Sinne war, dass es ihm darum ging, nicht zu einem populistischen Diskurs beizutragen.

Wenn Erdoğan sagt, dass wir den Säkularismus neu interpretieren und wir ihn als post-kemalistischen Säkularismus verstehen müssten, dann erscheint dieser Säkularismus viel offener und kann alle unterschiedlichen Glaubenssysteme umfassen. Eine solche Definition des säkularen Staates erfordert die gleiche Distanz des Staates zu allen Glaubenssystemen, mit der die religiöse Freiheit auch für Nicht-Muslime gesichert werden kann. In Erdoğans Kairoer Rede sehen wir seinen Versuch, mit den Mitteln des Säkularismus einen Rahmen für die Rechte der Nicht-Muslime in der arabischen Welt zu definieren. Und in diesem Sinne hat diese Definition des laizistischen Staates, der eben nicht nur eine Reproduktion des kemalistischen Laizismus ist, durchaus das Potenzial, die autoritären Züge, die ihm eigen sein können, zu überwinden und die Tür zu einem post-säkularen Verständnis der religiös-laizistischen Kluft zu öffnen.

 

Ebenfalls in Qantara.de schreibt Khaled Hroub über Erdogans Moment in Kairo:

Erdogan hat den Islamisten in Kairo mitgeteilt, dass der Staat sich nicht in die Religion der Menschen einzumischen habe und zu allen Religionen denselben Abstand halten solle. Er müsse säkular sein, wobei Säkularismus nicht Religionsfeindlichkeit bedeute, sondern der Garant für die freie Religionsausübung aller sei. Der Staat, den die arabischen Islamisten im Sinn haben, ist ein religiöser Staat, der jedem Individuum die Religion aufzwingt und natürlicherweise nur eine einzige Auslegung der Religion kennt.

Welcher der von den heutigen Muslimbrüdern oder Salafisten vorgeschlagenen islamischen Staaten würde denn die völlige Freiheit der anderen Religionen und Überzeugungen, wie Christentum, Judentum, Hinduismus oder Sikhismus akzeptieren? Welche dieser Staaten würden den islamischen Konfessionen, die den jeweils herrschenden Islamisten nicht passen, wie z.B. den diversen schiitischen Schulen, den Ismailiten, der Bahai-Religion, der Ahmadiyya-Bewegung usw., Freiheit und Sicherheit gewähren?

Ist es nicht eine Schande, dass im Westen unter den Bedingungen des Säkularismus die Muslime aller Konfessionen in Frieden und gegenseitiger Achtung miteinander leben, während sie in jedem ihrer islamischen Länder daran scheitern, sozialen Frieden zu schaffen und sich gegenseitig zu achten?

Der Vorsitzende der Ennahda in Tunesien, Rachid Ghanouchi, beruft sich immer wieder auf das türkische Modell. Seine Partei will er im Sinne der AKP als moderne, demokratische Partei verstanden wissen, die analog zu den Christdemokraten ihre Werte aus der Religion zieht, aber keine Theokratie und kein Kalifat anstrebt und den Pluralismus bejaht. Allerdings waren das bisher alles Bekenntnisse aus der Opposition heraus, unter der Notwendigkeit, sich gegen den Verdacht zur Wehr zu setzen, man habe eine versteckte Agenda, die sich erst nach Wahlen zeigen werde. One man, one vote, one time? Bald wissen wir mehr.

 

 

 

 

Nutzt die ägyptische Revolte den Muslimbrüdern?

Die Muslimbrüder haben sich zuerst aus den Protesten herausgehalten. Ab heute ist das anders. Die älteste, mitgliederstärkste und wichtigste islamistische Gruppe weltweit, der Inbegriff des politischen Islam, hat sich hinter die Protestierenden gestellt. Nach den Freitagsgebeten kamen Tausende auch mit der Rückendeckung der „Ikhwan“ (Brüder) auf die Straßen.

Die Muslimbrüder waren viele Jahre ein wichtiges Element in der Selbstrechtfertigung des ägyptischen Regimes gewesen. Mubarak empfahl sich seinen westlichen Unterstützern als Bollwerk gegen die einflussreiche islamistische Bewegung. Der Westen ging auf den Deal ein und schaute zum Dank nicht so genau hin, wenn das Regime Islamisten (genau wie auch seine säkularen Gegner) verhaftete und folterte. Mit dem 11. September und seinen Folgen aber hatte sich das Spiel verändert. Mit al-Qaida und anderen global operierenden Dschihadisten tauchte ein radikalerer Zweig des politischen Islam auf, der die Muslimbruderschaft plötzlich in einem moderateren Licht erschienen ließ.

Der ehemalige ägyptische Muslimbruder Aiman al-Sawahiri prangerte die Muslimbrüder nun dafür an, dass sie an Wahlen teilnahmen: Sie sollten die jungen Männer lieber für den Dschihad mobilisieren, statt sie an die Wahlurnen zu treiben. Selbst die Hamas, der Zweig der Muslimbrüder in Gaza, der mit Gewalt gegen Israel kämpft, sieht sich der Kritik von al-Qaida ausgesetzt: Es sei zuwenig, nur um Land gegen die Juden zu kämpfen. Man müsse es als göttlichen Auftrag begreifen.

In jeder Nach-Mubarak-Regierung, die nicht eine Militärdiktatur ist, werden die „Brüder“eine Rolle spielen. Bei den letzten einigermaßen offenen Wahlen im Jahr 2005 kamen ihre Kandidaten auf etwa 20 Prozent. Wie viele in freien Wahlen für sie stimmen würden, ist schwer zu sagen, weil ihr Nimbus natürlich auch vom Verbot profitiert.

Die breite Volksbewegung gegen das Regime hat das Spiel der ägyptischen Regierung mit den westlichen Ängsten vor dem Islamismus nun aber endgültig als erpresserische Überlebenstaktik entlarvt. Nach dem Motto: Wenn wir nicht mehr da sind, dann wird dies hier ein zweiter Iran. Dafür spricht im Moment nichts. Die Muslimbrüder sind bisher nur ein Teil einer nationalen Bewegung. Sie führen die Proteste nicht an. Und der derzeitige Führer der MB, Mohammed Mehdi Akef, wird wohl kaum Ägyptens Chomeini werden.

Die Muslimbrüder wurden 1928 von Hassan al-Banna gegründet. Ihre beiden Themen waren von Beginn an das fundamentalisch-islamische Revival und der Anti-Imperialismus. Die beiden Wege dahin: die Islamisierung der Gesellschaft von unten und der paramilitärische Kampf. Sie hatten ein wechselvolles Verhältnis zu den ägyptischen Machthabern, sowohl zum König Faruk, der bis 1946 die Engländer im Land dulden musste, wie auch zu den „Freien Offizieren“ um Nasser und Sadat, die ihn 1952 stürzten. Hassan al-Banna wurde 1948 ermordet, die Bruderschaft in den Untergrund getrieben. Das anfängliche antiimperialistische Bündnis mit den Offizieren endete in Unterdrückung der Bruderschaft. Sayyid Qutb, der einflussreichste Denker der Brüder, trieb eine Radikalisierung voran, die zur Grundlage des modernen Dschihadismus wurde: die Unterdrücker waren keine Muslime, so Qutb, sondern Apostaten, und die ganze weltliche Ordnung der Gegenwart erschien im Licht der vorislamischen Zeit der Unwissenheit und Gottlosigkeit (Dschahiliya).

Dschahiliya Foto: Jörg Lau

Gewaltsamer Widerstand gegen diese Weltordnung wurde für Qutb zur religiösen Pflicht. Qutb wurde hingerichtet und damit zum Märtyrer. Bis heute werden seine Schriften in Kreisen der Muslimbruderschaft vertrieben. Die offizielle Haltung der Organisation wird aber von Qutbs internen Kritikern wie Hassan al-Hudeibi bestimmt, der Ende der sechziger Jahre gegen die Praxis des Takfir Stellung nahm: Nur Gott könne beurteilen, wer ein guter Muslim sei. Menschen dürften sich nicht wechselseitig zu Apostaten erklären und damit zum legitimen Ziel politischer Gewalt. Die Ablehnung von Takfir durch die MB war wiederum einer der Gründe für die Gründung radikalerer Abspaltungen wie des „Islamischen Dschihad“ und der „Jama’al Islamiya“. Letztere war für die Attentate auf Touristen in den achtziger Jahren verantwortlich. Wiederum eine ihrer Abspaltungen brachte 1981 vor laufenden Kameras den Präsidenten Sadat um, weil er nicht gemäß der Scharia regierte und Frieden mit Israel gemacht hatte.

Während der breite Strom der Muslimbruderschaft solchen Terrorismus verurteilt, unterstützen auch die Moderaten im Mainstream der Bewegung Attentate im Irak und in Israel als „legitimen Widerstand“. Der Ableger der Bruderschaft in Gaza, die Hamas, erkennt Israels Recht zu existieren nicht an. Die MB hat allerdings die Attentate vom 11. September als Taten von „Kriminellen“ bezeichnet, was al-Qaida gegen sie aufgebracht hat. Und der wichtigste Prediger der MB, Yussuf al Qaradawi, hat es Wahnsinn genannt, dass al-Qaida der ganzen Welt den Krieg erklärt hat. Diese Brüche im islamistischen Lager machen deutlich, dass es falsch ist, die Muslimbrüder in einem Kontinuum mit den militanten Dschihadisten zu sehen.

Heißt das, niemand muss sich vor einem möglichen maßgeblichen Einfluss der „Brüder“ auf die künftige ägyptische Politik fürchten? Nein. Die Bruderschaft hat das klare Ziel, die ägyptische Gesellschaft zu islamisieren, wenn auch auf dem legalistischen Weg. Das schariakonforme öffentliche Leben ist für die Bruderschaft als Ziel nicht verhandelbar. Nur über den Weg kann man streiten. Und Ägypten ist in den letzten Jahren schon von unten her stark islamisiert worden. Was mehr MB-Einfluss für die ohnehin schon belagerten Minderheiten bedeuten würde – wie Kopten oder Bahais – kann man sich ausmalen.

Und die ohnehin schon stockenden Bemühungen um eine Zweistaatenlösung in Nahost könnte man womöglich endgültig vergessen. Ägypten ist maßgeblich für die Abriegelung Gazas verantwortlich. Wie wird eine neue Regierung handeln? Zu erwarten wäre wohl, dass die Restriktionen für das von Hamas regierte Gebiet aufgehoben würden. (Allerdings könnte das die Hamas-Herrschaft auch destabilisieren, weil man ja nur unter Belagerung die Bevölkerung als Geisel halten kann.)

Aber welchen Einfluss die Bruderschaft auf ein neues Ägypten hätte, ist alles andere als ausgemacht. Die jungen Leute, die derzeit die Straßen beherrschen, haben nicht auf die Führung durch die Brüder gewartet, um gegen das Regime vorzugehen. Sie haben sich an den Tunesiern orientiert, die ebenfalls ohne die Islamisten ihren Pharao Ben Ali losgeworden waren.

Bisher hatte Demokratisierung in der islamischen Welt meist Islamisierung geheißen. Wer weiß, vielleicht ist diese Welle in Tunis gebrochen?

 

Neue Anschuldigungen gegen die Baha’i im Iran

Die erfreuliche Freilassung Roxana Saberis sollte nicht darüber hinweg täuschen, das das Unrecht in den iranischen Gefängnissen weitergeht: 

Für die sieben führenden Bahá’í im Iran ist der Donnerstag der Jahrestag ihrer Inhaftierung in das berüchtigte Teheraner Evin-Gefängnis. Zu diesem Zeitpunkt sehen sich die Inhaftierten einer neuen, äußerst beunruhigenden Anschuldigung ausgesetzt: „Verbreitung von Verderbtheit“.

Zu der augenblicklichen Situation der Bahá’í erläutert der Sprecher der Bahá’í-Gemeinde Deutschland, Prof. Ingo Hofmann: „Die Familien der sieben Inhaftierten wurden jetzt mit einer neuen, äußerst bedrohlichen Anklage konfrontiert, der Verbreitung von Verderbtheit auf Erden (in persisch: Mosfede fel-Arz), die nach Artikel 228-10 der derzeit noch im Parlament verhandelten neuen Strafrechtsnovelle mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Während die bisherigen Anklagepunkte offensichtlich nicht nachgewiesen werden konnten, ist der neue Vorwurf beliebig dehnbar und ein offensichtlicher Beweis des ausschließlich religiösen Hintergrunds dieser Verfolgung durch die iranische Staatsmacht.“
 
Politiker von CDU und SPD zeigen sich angesichts der nun ein Jahr dauernden Haft der zwei Frauen und fünf Männer empört. So erklärt Michael Gahler (CDU), Vizepräsident des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, hierzu: „Dass die iranische Regierung sich einem Verfahren nach internationalen Standards verweigert und die sieben Bahá’í und ihre Familienangehörigen seit Monaten im Unklaren lässt über ihr weiteres Schicksal, ist nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die interessierte iranische und internationale Öffentlichkeit eine unglaubliche Zumutung.“
 
Der Vorsitzende der deutsch-iranischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages, der Kölner Bundestagsabgeordnete Dr. Rolf Mützenich (SPD) meint: „Nachdem die iranische Gerichtsbarkeit im Fall der Journalistin Roxana Saberi eine kluge Entscheidung getroffen hat, wäre ein vergleichbares Vorgehen im Fall der angeklagten Bahá´í ein weiteres wichtiges Signal. Dies könnte die Beziehungen zu Iran deutlich verbessern.“

Mehr hier.
 

 

Islamkritik ist rassistisch

Das wollen uns jedenfalls die Islamverbände einreden.

Bei der „Internationalen Woche gegen den Rassismus“ treten diesmal der Koordinierungsrat der Muslime und der Interkulturelle Rat gemeinsam auf. Sie wollen den „Kampf gegen den Rassismus“ als „Kampf gegen Islamophobie“ definieren. In ihrem gemeinsamen Flyer findet sich folgender Satz: „Islamfeindlichkeit ist die gegenwärtig am meisten verbreitete Form von Rassismus in Deutschland.“

Das ist ein freches Manöver zur Ausschaltung jeglicher Kritik am Islam mit der Rassismuskeule. 

Es ist schon rein begrifflich Unsinn, „Islamfeindlichkeit“  schlichtweg als „Rassismus“ zu bezeichnen. (Was übrigens soll das sein? Das Gegenteil von Islamfreundlichkeit?) Denn die vermeintlichen „Islamfeinde“ verwenden ja gerade kein „rassisches“ Kriterium, sondern sie sind (angeblich) einer bestimmten Glaubensrichtung gegenüber feindselig eingestellt. Und behaupten Sprecher des Islam nicht selbst immer wieder, dieser Glaube kenne keine Rassen, sondern sei eine universale Tatsache? Wie also kann seine Ablehnung also „rassistisch“ sein?

Es ist ein sehr durchschaubares Spiel, das hier getrieben wird: Man will die Muslime als Opfer definieren und rückt sie darum in die Nähe der Juden, die unter Antisemitismus zu leiden haben. (Der muslimische Antisemitismus ist natürlich kein Thema.) Ich habe bereits einmal gründlich zu dem falschen Konzept der „Islamophobie“ Stellung genommen. Man muss das aber offenbar immer wieder tun. Und darum bin ich Necla Kelek sehr dankbar, dass sie in der heutigen taz in gebotener Deutlichkeit dargelegt hat, wie die Muslimverbände den Rassismusbegriff zur kleinen Münze machen und von eigenen Problemen ihrer Anhängerschaft ablenken wollen:

Islamfunktionäre, die einerseits in allen möglichen staatlichen Gremien und Konferenzen sitzen und die Integrationspolitik mitbestimmen, beklagen sich wortreich darüber, in Europa ausgegrenzt zu werden.

Die türkische Tageszeitung Hürriyet schreibt täglich darüber, wie schrecklich es den Türken und Muslimen in Deutschland geht, gibt aber gleichzeitig Tipps, wie man nach Deutschland kommen kann, ohne einen Deutschkurs zu belegen. Nämlich: Man wird schwanger. Es gibt im Türkischen ein Sprichwort, das lautet: „Die Katze, die nicht ans Futter kommt, sagt, es sei verdorben.“ So kann man sich auch einem Dialog entziehen, indem man Kritik zu Beleidigungen umdeutet und der Bevölkerung ein Feindbild suggeriert, weil die eigenen Konzepte scheitern.

Da solche Kampagnen aus der Türkei über den regierungstreue türkischen Islamverband Ditib nach Deutschland transportiert werden, macht es Sinn, dass sich der KRM, in dem die Ditib großen Einfluss hat, sich an solchen „Rassismus“-Kampagnen beteiligt.

Irre ist es auch, weil KRM und Interkultureller Rat dann wiederum aus „rassistischer“ Diskriminierung (öffentliches) Kapital zu schlagen versuchen. Rassismus ist wie Nazismus und Antisemitismus das Schlüsselwort, um zum Beispiel öffentliche Gelder zu akquirieren. Wer es schafft, Rassismus, Antisemitismus und Islamkritik und -feindlichkeit in einem Atemzug zu nennen, der steht kurz davor, seine Koranschulen und Moscheeführungen mit Mitteln aus den Fonds gegen Rechtsradikalismus zu finanzieren.

Es gibt einige Projekte, die gegründet wurden, um Aufklärungsarbeit gegen Rassismus zu leisten, die werden auf diese Weise „umgewidmet“. Veranstalter, die Fortbildung in Sachen Antifaschismus anbieten, erweitern ihr Geschäftsfeld auf den Bereich „Islamophobie“. …

Es wird mit Schlagworten wie „Völkerverständigung und Toleranz“ versucht, einen „Schulterschluss der Opfer gegen Rassismus und Diskriminierung“ herzustellen, wo es gar keine ursächliche Übereinstimmung gibt, weil die Ausgangslage grundverschieden ist. Nach dem Motto „Wir glauben alle an den einen Gott und werden von den Deutschen diskriminiert“ wird eine Pseudo-Solidarität postuliert.

In dem oben erwähnten Flyer heisst es: Die „islamischen Religionsgemeinschaften setzen sich für die Freundschaft und Solidarität der Menschen untereinander und gegenüber anderen Glaubensangehörigen sowie für die prinzipielle Ablehnung von Gewalt ein. Diese Ziele entsprechen den Grundsätzen des Islam. Islam bedeutet Frieden, Sicherheit und die freiwillige Hingabe an Gott. Im Islam wird das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen ebenso befürwortet wie die Völkerverständigung und Toleranz.“

Im Islam wird das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen befürwortet?

Give me a break.

Warum kann dann ein orthodoxes Priesterseminar in der Türkei nicht eröffnet werden? Warum werden die Bahai im Iran verfolgt? Warum gehen Schiiten und Sunniten sich im Irak an die Gurgel? Warum können Bahai in Ägypten nicht einmal einen Personalausweis bekommen? Warum werden die Millionen von Aleviten in der Türkei zur Anpassung an die Sunniten gezwungen?

Es ist eine Frechheit, dass dieselben Verbände, die zu alledem schweigen, sich anmassen, Islamkritik in Deutschland unter Rassismusverdacht zu stellen.

 

Lernen, mit dem radikalen Islam zu leben

Ich habe heute eine Reihe von Texten gelesen, die mich zum Grübeln bringen. So viele, dass ich nocht lange nicht mit dem Grübeln fertig bin. Doch das Gute an diesem Medium hier ist ja, dass man die Begrübelungsgrundlage verbreitern kann, indem man andere dazu einlädt, an de eigenen unfertigen Gedanken teilzuhaben und mitzudenken.

Erstens stach mir dieser Bericht von Press TV ins Auge, in dem behauptet wird, das State Department betrachte sie russische Zusammenarbeit mit den Iranern am Atomkraftwerk Bushehr als im Rahmen des Nichtverbreitungsregimes erlaubte zivile Aktivität. Es wird der Sprecher des Aussenminsiteriums Robert Wood zitiert (den ich noch aus seiner Zeit als Sprecher der Berliner US-Botschaft kenne): 

Robert Wood said during a Wednesday press briefing that the trial start-up of the Bushehr nuclear plant in southern Iran is in the realm of peaceful use of nuclear energy. 

Und dann wird geschlußfolgert: Wood’s remarks indicated that Washington’s apparent approval was because fuel arrangements for the nuclear facility were made with Russia. 

Was bedeuten würde, dass die russische Kooperation mit Iran positiv gesehen wird, weil sie als Argument dazu herhalten kann, dass die Iraner keine eigene Anreicherung brauchen (ausser für Waffenzwecke, was Iran ja zu verfolgen bestreitet).

Das ist doch eine erstaunliche neue Position zu dem ganzen Iran-Russland-Atom-Komplex!

Zweitens las ich einen leidenschaftlichen Text von Roger Cohen in der Herald Tribune, in dem dieser sich wegen eines Reihe von Reportagen aus Iran gegen die Vorwürfe verteidigt, er habe sich von Regime  einseifen lassen, was seine milde Sicht des Landes beweise.

Unmittelbarer Anlass für diese Selbstverteidigung: Cohens Äusserungen zur Lage der Juden im Iran, die dort nach seiner Schilderung besser leben als in den meisten arabischen Ländern. (Läßt sich wohl kaum bestreiten.)  Nun geht Cohen in die Vollen und wendet sich in seiner neuen Kolumne gegen die Dämonisierung des Iran. Vor allem die dauernden Vergleiche des Iran mit dem Nazi-Staat weist er zurück, und zwar sehr zu Recht:

I was based in Berlin for three years; Germany’s confrontation with the Holocaust inhabited me. Let’s be clear: Iran’s Islamic Republic is no Third Reich redux. Nor is it a totalitarian state.

Munich allowed Hitler’s annexation of the Sudetenland. Iran has not waged an expansionary war in more than two centuries.

Totalitarian regimes require the complete subservience of the individual to the state and tolerate only one party to which all institutions are subordinated. Iran is an un-free society with a keen, intermittently brutal apparatus of repression, but it’s far from meeting these criteria. Significant margins of liberty, even democracy, exist. Anything but mad, the mullahs have proved malleable.

Das ist wichtig, bei aller Kritik an der iranischen Unterdrückung von Regime-Gegnern, Andersgläubigen und Frauen im Sinn zu behalten.

Und drittens beeindruckt mich ein neuer Essay von Fareed Zakaria in Newsweek mit dem Titel „Learning to live with radical Islam“. Zakaria sagt, wir müßten unterscheiden zwischen Islamisten, deren Agenda für die Durchsetzung der Scharia in ihren Gesellschaften wir zwar ablehnen mögen, die unsere Sicherheitsinteressen aber nicht gefährden, und denen, die sich als Teil eines globalen Dschihad gegen den Westen sehen.

In den letzten Jahren haben wir eine Perspektive eingeübt, in der diese Unterscheidung nicht gemacht wurde. Ja, es wurde geradezu zum Dogma, dass es unmöglich sei, zwischen verschiedenen Formen und Graden des Islamismus zu unterscheiden. Am Ende laufe alles aufs Gleiche hinaus.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der radikale Islamismus nicht verschwinden wird und nicht besiegt werden kann, wenn wir alle Islamisten in einen Topf werfen.

Wir müssen neue Prioritäten setzen: Unsere Hauptaufgabe ist es, den Bin-Ladenismus zu besiegen. Und in diesem Kampf sind nicht die moderaten Muslime (oder Ex-Muslime) unsere wichtigsten Verbündeten, sondern diejenigen Radikalen und Fundamentalisten, die sich nicht dem Dschihad gegen uns verschworen haben. 

Der „Surge“ im Irak hat aufgrund solcher Teufelspakte funktioniert, und in Afghanistan wird man ähnliche Koalitionen schmieden müssen, auch hier mit Gruppen, die uns zuwider sind. Es geht darum, die lokalen Militanten von den globalen Dschihadis abzuspalten und sie einzubinden in eine Lösung der Probleme des Landes. Zakaria zitiert David Kilcullen, den ich hier vorgestellt habe: 

„I’ve had tribal leaders and Afghan government officials at the province and district level tell me that 90 percent of the people we call the Taliban are actually tribal fighters or Pashtun nationalists or people pursuing their own agendas. Less than 10 percent are ideologically aligned with the Quetta Shura [Mullah Omar’s leadership group] or Al Qaeda.“ These people are, in his view, „almost certainly reconcilable under some circumstances.“ Kilcullen adds, „That’s very much what we did in Iraq. We negotiated with 90 percent of the people we were fighting.“

Für unsere einheimische Debatte über Islam und Radikalismus hat das auch Folgen: Wir müssen aufhören, auf Kopftücher und Burkinis zu starren, als sei erst dann Hoffnung in Sicht, wenn diese Markierungen religiöser und kultureller Differenz verschwunden sind.

Es wird ganz einfach nicht passieren, ob es einem passt oder nicht. 

Und wir müssen darum auch jede Form der Thematisierung vermeiden, die suggeriert, es gebe ein Kontinuum zwischen Kopftuch und Sprengstoffgürtel. 

Zakaria endet mit diesen Worten, die ich nur unterschreiben kann: 

We can better pursue our values if we recognize the local and cultural context, and appreciate that people want to find their own balance between freedom and order, liberty and license. In the end, time is on our side. Bin Ladenism has already lost ground in almost every Muslim country. Radical Islam will follow the same path. Wherever it is tried—in Afghanistan, in Iraq, in parts of Nigeria and Pakistan—people weary of its charms very quickly. The truth is that all Islamists, violent or not, lack answers to the problems of the modern world. They do not have a world view that can satisfy the aspirations of modern men and women. We do. That’s the most powerful weapon of all.

 

Teherans Vernichtungsfeldzug gegen die Baha’i

Ich beschäftige mich für die aktuelle Ausgabe mit der dramatischen Lage der Bahai im Iran. Es wird in den kommenden Tagen mit einem Urteil gegen die Mitglieder des Führungsgremiums gerechnet wegen „Spionage für Israel“.
Dies würde sich in eine zunehmend radikale Politik des Teheraner Regimes gegenüber dieser religiösen Minderheit fügen, die auf eine Vernichtung des Baha’i-Glaubens hinausläuft.
Hier ein Clip der großen Zeichnerin Marjane Satrapi zum Thema.
Mehr hier.

 

Religiöse Verfolgung der Baha’i im Iran nimmt zu

Die Islamische Republik Iran feiert ihr 30jähriges Revolutonsjubiläum nicht nur mit einem Satelliten-Start und Massenversammlungen in Teheran, sondern auch mit einer neuen Repressionswelle gegen die Baha’i-Religion.

Wie ich bereits berichtet hatte, ist die gesamte Führung der Baha’i verhaftet worden. Nun wurde angekündigt, die 7 Mitglieder des höchsten Rates werden sich nächste Woche vor Gericht wegen „Spionage für Israel“ verantworten müssen. (Die Baha’i haben einen heiligen Ort bei Haifa und einen bei Akkon, im heutigen Israel. Die hl. Stätten für die Religionsgründer Bab und Baha’ullah sind dort aus historischen Gründen – lange vor der Staatsgründung  Israels – entstanden.)

Wer die antisemitische Rhetorik des Iran verfolgt hat, weiß, was das heißt. Es ist eine offensichtliche üble Verleumdung.

Auf Google werden in einer stets aktualisierten Karte die neuesten Greueltaten des iranischen Staates festgehalten.

Screenshot von heute: 

(Markiert sind hier die Stätten, an denen in den letzten Wochen Baha’i drangsaliert oder willkürlich verhaftet wurden.)

Diese unerträgliche Situation – dass ein Staat die Führungsriege einer (wenn auch kleinen und jungen) Weltreligion drangsaliert – gehört in die Verhandlungen mit Iran mit aufgenommen.

 

Shirin Ebadi wird verleumdet, weil sie Baha’i verteidigt

Genauer gesagt, ihre Tochter, was ein besonders perfider Trick ist. Shirin Ebadi, die bekannte Anwältin und Menschenrechtlerin, die für ihr Engagement 2003 mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, verteidigt derzeit die sieben verhafteten Führer der Baha’i-Religion im Iran, denen vorgeworfen wird, Kontakte zu Irans Erzfeind Israel gehabt zu haben (mein Bericht hier). Ihre Tochter ist Teil des juristischen Teams. Und weil man Ebadi als Friedensnobelpreisträgern nicht angreifen kann, versucht man sie eben kleinzukriegen, indem man ihre Tochter bedroht.

Darum hat die offizielle Nachrichtenagentur IRNA, wie dpa berichtet, die Behauptung in die Welt gesetzt, Ebadis Tochter sei zur Baha’i-Religion konvertiert. Damit würde sie im Verständnis der Scharfmacher unter den Mullahs zur Apostatin.

Die Juristin warf IRNA am Montag vor, sie habe Lügen über ihre Tochter verbreitet.  Der Übertritt zu der im 19. Jahrhundert in Persien gegründeten Religionsgruppe gilt im Iran als Kapitalverbrechen und kann schlimmstenfalls mit dem Tod bestraft werden. Derzeit wird im Parlament der Entwurf eines Gesetzes beraten, dass für Apostasie die Todesstrafe  verhängen will.
Bahai-Anhänger rechtlich zu vertreten, bedeute nicht, dass man zu deren Glauben übergetreten sei, hatte Ebadi zuvor erklärt.
Im vergangenen Januar waren in der südiranischen Stadt Schiras 54 Bahai-Anhänger wegen Propaganda gegen das islamische System verhaftet worden. Drei waren anschließend zu Haftstrafen von je vier Jahren verurteilt worden. Die anderen erhielten Haftstrafen auf Bewährung. Menschenrechtler kritisierten, seit dem Amtsantritt von Präsident Mahmud Ahmadinedschad 2005 würden die rund 350 000 Bahai-Anhänger im Iran verstärkt verfolgt. Die mystisch geprägte Religion, die Elemente asiatischer und islamischer Spiritualität verbindet, hat weltweit rund 7,5 Millionen Anhänger.