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Abbas: „Nie wieder bewaffneter Kampf!“

Am letzten Donnerstag konnte ich (zusammen mit meiner Kollegin Alice Bota) in Berlin den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, interviewen. Abbas drängte auf eine Fortsetzung der Sondierungsgespräche mit Israel. Heute sieht es so aus, als seien diese gescheitert.

Das war, offen gestanden, zu erwarten gewesen. Unser Interview konzentriert sich denn auch auf Abbas‘ Einschätzung der Wirkung des arabischen Frühlings auf die Palästinenser, die Chancen des politischen Islams, auf seine UN-Initiative, seine Bilanz des „bewaffenten Kampfes“ und die Frage von Heimatgefühlen und Rückkehrrecht. Abbas wirkt aufgeräumt an diesem Donnerstag, aber auch ein wenig melancholisch.

Aus der ZEIT von heute, Nr. 5, S. 8

DIE ZEIT: Herr Präsident, wir haben 2011 ein Umbruchjahr für die arabischen Länder erlebt. Verstehen Sie, dass Ihr israelischer Nachbar mit Angst auf die neue Lage blickt?
Mahmud Abbas: Ich verstehe die Angst der Israelis sehr gut, es ist eine sehr schwierige Situation für ihr Land. Aber was heute in den arabischen Ländern passiert, sollte Israel zur Eile drängen, mit uns Frieden zu schließen. Keiner weiß, was später kommt. Keiner weiß, was der Arabische Frühling bringen wird.
ZEIT: Für die Palästinenser hat der Arabische Frühling zunächst nur Hoffnung gebracht. Was ist daraus geworden?
Abbas: Was die palästinensische Sache angeht, hat das revolutionäre Jahr keine Veränderung gebracht. Aber bitte verstehen Sie, dass ich mich nicht in die inneren Angelegenheiten unserer Nachbarländer einmischen kann, weil dort viele palästinensische Flüchtlinge leben. Ich will deren Wohl nicht gefährden.
ZEIT: Sind die Palästinenser am Ende die großen Verlierer des Arabischen Frühlings?
Abbas: Wenn die Menschen auch bei uns einen Regimewechsel wollen, können sie den jederzeit haben, denn wir glauben an Demokratie. Ich würde mich mit Vergnügen dem Volkswillen beugen. Bei den Demonstrationen im Westjordanland und in Gaza gab es aber nur drei Slogans: »Nieder mit der Besatzung«, »Nein zur nationalen Teilung« und »Ja zur Versöhnung zwischen den palästinensischen Fraktionen Fatah und Hamas«.
ZEIT: Im Mai soll es Wahlen geben. Sie stehen nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung?
Abbas: So habe ich es gesagt, und ich stehe dazu. Ich hoffe sehr, dass wir am 4. Mai unsere Wahlen abhalten können. Dann werde ich abtreten.
ZEIT: Voraussetzung dafür ist die Versöhnung zwischen Ihrer Fatah und Hamas in Gaza, und die kommt nicht voran.
Abbas: Die Versöhnung kommt sehr wohl voran. Es gibt zwischen dem Westjordanland und Gaza keine Auseinandersetzungen mehr. In Gaza sind noch militante Gruppen jenseits von Hamas aktiv, die manchmal Raketen auf Israel schießen. Hamas versucht, sie unter Kontrolle zu bringen. Wir alle wollen Wahlen als Abschluss der Versöhnung. Wer danach regiert, das ist allein Sache des palästinensischen Volkes.
ZEIT: In der arabischen Welt erleben wir Wahlsiege des politischen Islams. Droht das auch Palästina?
Abbas: Hamas ist wichtig, aber ich glaube nicht, dass die Palästinenser mehrheitlich für islamische Parteien stimmen werden. Wir sind sehr viel säkularer als unsere Nachbarn.
ZEIT: Das ist die Weltsicht Ihrer Generation, der säkularen Nationalisten, die jetzt bald abtreten wird.
Abbas: Die Gesprächsbereitschaft der Palästinenser hängt nicht an meiner Person. Der Friedensprozess ist nicht die private Politik von Mahmud Abbas. Er ist in der Fatah tief verwurzelt. Unsere gesamte Führung ist moderat und säkular.
ZEIT: In der Hamas sind die Moderaten auf dem Rückzug. Der eher pragmatische Chef Chaled Meschal, Ihr Partner bei den Versöhnungsgesprächen, will nicht wieder antreten. Sie befürchten nicht, dass auch in Palästina eine neue, radikalere Generation die Macht übernimmt?
Abbas: Ich hoffe, dass es nicht so kommt.
ZEIT: Im Herbst haben Sie bei den Vereinten Nationen die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied beantragt. Warum dieser Schritt?
Abbas: Ein Jahr zuvor hatten wir versucht, die Verhandlungen wiederzubeleben. Das scheiterte trotz der Bemühungen des Quartetts, bestehend aus den USA, der EU, Russland und den Vereinten Nationen. Wir hatten angekündigt, uns in diesem Fall an die UN zu wenden. An wen auch sonst? Aber das bedeutet doch nicht, dass wir nicht mehr verhandeln wollen! Alle Kernprobleme eines Friedensschlusses – Grenzverlauf, Sicherheitsfragen, der Status Jerusalems und die Flüchtlingsfrage – müssen natürlich zwischen uns und den Israelis direkt besprochen werden. Nur so wird es Frieden geben. Aber wir mussten Bewegung in den Prozess bringen, denn der war seit dem Amtsantritt von Benjamin Netanjahu blockiert.
ZEIT: Die Israelis betrachten Ihren Gang zu den UN als einseitigen Schritt.
Abbas: Wieso? Israel verletzt durch seine Siedlungspolitik internationale Verpflichtungen, die es selbst unterschrieben hat. Israel stellt sich damit gegen die gesamte internationale Gemeinschaft. Wir aber suchen internationale Unterstützung für unsere Anerkennung.
ZEIT: Die israelischen Behörden haben Ihnen kürzlich ein Visum ausgestellt, mit dem Sie das Westjordanland verlassen können und das nur noch zwei Monate gültig ist. Ist das die Strafe für den Gang zu den UN?
Abbas: Ich sehe darin eine Demütigung. Ich hatte früher einen VIP-Pass. Jetzt bekomme ich einen vorläufigen Erlaubnisschein mit dem Vermerk, er sei »trotz Sicherheitsbedenken« ausgestellt worden. Man sagt, ich führe einen »terroristischen, diplomatischen und juristischen Krieg« gegen ­Israel. Was soll ich machen? Ich lebe unter der Besatzung. Ich hoffe, dass die Israelis ihre Einstellung ändern, denn ein Scheitern unserer Gespräche wäre ein Desaster für die ganze Region.
ZEIT: Ist ihr UN-Projekt gescheitert? Ihr Antrag hatte im Sicherheitsrat keinen Erfolg, und das Verhältnis zu Israel ist noch schwieriger ­geworden.
Abbas: Das ist noch nicht vom Tisch. Wir forcieren unser Anliegen derzeit nur deshalb nicht, weil wir neuen Gesprächen eine Chance geben wollen. Aber wir werden bei den UN weiter­machen, wenn es keine ernsthafte Gespräche mit Israel gibt.
ZEIT: Was sind Ihre Forderungen?
Abbas: Die Israelis müssen endlich Vorschläge bezüglich der Grenzen und der Sicherheit auf den Tisch legen, und sie müssen während der Verhandlungen den Siedlungsbau beenden. Das sind keine einseitigen Forderungen der Palästinenser. Das Nahostquartett verlangt das Gleiche. Wenn es dazu nicht kommt, werden sich am 29. Januar unter der Führung von Katar die Außenminister von 18 arabischen Staaten treffen, um die nächsten Schritte zu besprechen.
ZEIT: Hat die Zweistaatenlösung überhaupt noch eine Chance?
Abbas: Ich fürchte, sie wird seit Netanjahus Amts­antritt vor zwei Jahren zu­sehends unwahrschein­licher. Wir haben den historischen Fehler gemacht, dem Teilungsplan von 1947 nicht zuzustimmen. Darauf folgten Krieg und Vertreibung, und das paläs­tinensische Gebiet schrumpf­te weiter. Der Krieg 1967 brachte die Besatzung. Seither wachsen die Siedlungen und machen einen funktio­nierenden, zusammenhän­gen­den Staat zunehmend unmöglich. Es wird immer schwerer, zu unterscheiden, was unser Land ist und was ihres. Wenn es so weitergeht, werden sie eines Tages in meinem Büro in Ramallah einen Vorposten errichten.
ZEIT: Was spricht für Sie gegen die Einstaaten­lösung, also ein Israel, in dem die Palästinenser eines Tages die Mehrheit stellen würden?
Abbas: Wir wollen das nicht. Wir streben zwei Staaten an, Seite an Seite, in Stabilität und ­Sicherheit. Und wir beanspruchen nicht mehr als 22 Prozent des historischen Palästinas. In dem Moment, wo wir eine Einigung mit den Israelis verkünden, werden 57 islamische und arabische Staaten Israel anerkennen. So steht es in der arabischen Friedensinitiative. Israel kann dabei so viel gewinnen! Aber die Führung in Jerusalem sieht das nicht. Wir sind sogar bereit, die Nato auf unserem Territorium stationieren zu lassen! Ich bin mir bewusst, dass die Sicherheit in der Region für Israel eine hoch sensible Frage ist, und ich wollte mit dem Nato-Vorschlag ein Zeichen setzen. Ehud Olmert, der frühere israelische Premier, hat diesen Vorschlag akzeptiert. Netanjahu hat Nein dazu gesagt. Ich habe ihm ent­gegengehalten, dass die Nato seine Alliierte ist, nicht unsere.
ZEIT: Die Israelis sind skeptisch, weil aus Gaza immer noch Raketen auf Israel fliegen.
Abbas: Wenn wir die Versöhnung mit Hamas abschließen, wird es an dieser Front ruhig werden.
ZEIT: Können Sie das garantieren?
Abbas: Ich garantiere dafür. Ich habe in meiner Amtszeit bewiesen, dass ich Wort halte. In den letzten fünf Jahren hat es im Westjordanland keinen einzigen Vorfall gegeben, der Israels Sicherheit betrifft. Die israelischen Politiker verleugnen das. Aber die israelischen Generäle und Geheimdienstler werden Ihnen sagen: Hut ab vor Abu Masen, er macht einen exzellenten Job!
ZEIT: Vor drei Jahren hatten Sie mit Ehud ­Olmert alles bis ins Kleinste verhandelt. War es ein Fehler, dass kein Friedensvertrag abgeschlossen wurde?
Abbas: Ich stimme Ihnen zu: Wir hatten alle Kernprobleme besprochen. Wir gingen sogar weiter: Ein Vertrag hätte das Ende des Konflikts bedeutet. Wir waren einem Abschluss sehr nahe, doch dann musste Olmert aus innenpolitischen Gründen zurücktreten. Es folgten Wahlen, und Netanjahu kam ins Amt. So haben beide Seiten eine große Chance verpasst. Wir haben uns geschworen, nie wieder eine Gelegenheit verstreichen zu lassen.
ZEIT: Sie sagen, die Regierung Netanjahu zeige kein Interesse an Gesprächen. Warum dann überhaupt weiterverhandeln?
Abbas: Wir haben keine andere Wahl. Wir werden nie wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehren! Niemals, niemals! Es wird nur fried­lichen Widerstand gegen die Besatzung geben.
ZEIT: Ist das Ihre Folgerung aus der blutigen »zweiten Intifada« mit etlichen Selbstmordattentaten zwischen 2000 und 2005?
Abbas: Das darf sich nie wiederholen. Wir wollen Frieden. Wir übernehmen deshalb Ver­antwortung für die Sicherheit Israels: Fünf Jahre ohne jeden Zwischenfall! Warum versteht die andere Seite nicht, was es bedeutet, dass wir ­Palästinenser de facto die israelischen Grenzen bewachen?
ZEIT: Sie schließen also eine neue Welle der Gewalt aus?
Abbas: Ich sehe sie derzeit nicht, aber wenn die Menschen verzweifelt sind, kann die Lage sehr schwierig werden.
ZEIT: Es scheint, als beendeten Sie Ihre politische Karriere mit einem pessimistischen Gefühl.
Abbas: Unglücklicherweise ist das wohl so. Ich habe fünfzig Jahre diesem Kampf um eine Heimat gewidmet. Nun bin ich ein alter Mann.
ZEIT: Wo ist für Sie Heimat?
Abbas: Heute ist Ramallah meine Heimat. Aber ich habe noch Erinnerungen an Safed, die Stadt im Norden Israels, aus der wir wegen des Krieges 1948 fliehen mussten. Danach war ich nur einmal wieder da. Das war 1995. Ich hatte zehn Minuten, es war sehr emotional. Schließlich war es meine Stadt, dort stand das Haus meiner Familie. Ich habe gelernt, die Geschichte zu akzeptieren, aber es ist schwierig. Ich war 13, als wir weggingen. Ich kann mich an alles erinnern, Häuser, Geräusche, Gerüche, an jeden Stein.
ZEIT: Werden die palästinensischen Flüchtlinge in den Lagern Ihre Sicht teilen und verzichten?
Abbas: Ich spreche nur für mich, nicht für die fünf Millionen Flüchtlinge. Aber ich weiß, dass viele von ihnen auf ihr Rückkehrrecht verzichten würden. In dem arabischen Friedensplan haben wir festgeschrieben, dass wir eine einvernehmliche Lösung des Flüchtlingsproblems wol­len. Kann ich den Israelis denn etwas aufzwingen? Natürlich nicht! Wir hatten mit Olmert ein Übereinkommen erzielt. Mancher fürchtet immer noch, die Palästinenser würden nach einem Friedensabkommen weitere Ansprüche stellen. Darum habe ich das Ende des Konflikts und damit das Ende jeglicher Forderungen in die Verhandlungen aufgenommen. Niemand hat dann noch das Recht, weitere Ansprüche zu stellen. Ich will nicht zurück nach Safed!

Die Fragen stellten Alice Bota und Jörg Lau

 

Begegnung mit einem israelischen General

Letzte Woche Donnerstag hatte ich Gelegenheit, Mahmud Abbas in Berlin zu interviewen (mehr dazu morgen in der ZEIT). Am Abend desselben Tages konnte ich auf Einladung der israelischen Botschaft den Minister und ehemaligen Generalmajor Yossi Peled kennenlernen. Peled war nach Deutschland gekommen, um für die israelische Regierung am Gedenken an die Wannseekonferenz teilzunehmen. An einem Tag konnte ich so unmittelbar jeweils die palästinensische und die israelische Sicht auf den Nahostkonflikt erleben.

Peled ist auch mit 71 Jahren ein beeindruckender Mann, ein kluger, humorvoller und charismatischer Politiker, der den  Mainstream im Likud auf eine sehr sympathische und einnehmende Weise vertritt. So einen Außenminister könnte Israel brauchen (und vielleicht war Peled ja auch deshalb in Berlin).

Aber mich hat er nicht nur als Politiker beeindruckt, sondern mehr noch durch seinen Umgang mit einer Vita voller dramatischer und tragischer Wenden. Beim Essen erzählt er davon, manchmal geschützt durch eine Ironie und einen Sarkasmus, der einen zucken ließ. Peleds Eltern trugen den Namen Mendelevitch und lebten in Warschau. Was genau der Vater beruflich machte, hat Yossi, eigentlich Jefke (ein Kosename für polnisch Jozef) nie erfahren – womöglich Diamantenhandel.

Jedenfalls gelang es den Mendelevitchs, vor der deutschen Besatzung nach Antwerpen in Belgien zu fliehen. 1941, als die Mordmaschine des Nationalsozialismus näherrückte, gab man die drei Kinder, darunter den 6 Monate alten Jefke, zu einer belgischen Familie. Kurz darauf wurden die Eltern Mendelevitch nach Auschwitz deportiert. Der Vater wurde ermordet, die Mutter schaffte es irgendwie zu überleben.

Unterdessen wuchs Peled im Glauben auf, er sei katholisch. Er lernte, vor dem Schlafen zu beten, er ging sonntags in die Messe. „Ich hatte eine schöne Kindheit, viele Freunde und genug Spielzeug“, erzählte er, „bis die Juden in mein Leben kamen und alles ruinierten.“ Eines Tages rief der Mann, den er bis dahin für seinen Vater hielt, ihn herbei und eröffnete ihm ohne Vorwarnung, dass seine wahre Mutter vor ihm stehe – „eine graue, alte Frau“, und er übrigens Jude sei. Peleds Mutter, gezeichnet vom Lager, war nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern und brachte ihn in ein Waisenhaus für jüdische Kinder in Belgien. „Da lag ich abends im Bett und betete heimlich zu Jesus, dass er mich hier heraus holen sollte.“ 1949 wurde Peled über Frankreich nach Israel gebracht. Ein Onkel brachte ihn zu einem Kibbutz im Süden Israels, wo er aufwuchs. Der Kibbutz lag in einer umkämpften Zone und wurde im Unabhängigkeitskrieg oft von Ägypten aus angegriffen.

Yosef, wie er jetzt hieß, wurde dort von den anderen Kindern wegen seines belgischen Akzents gehänselt. Er erzählte nicht, dass sein Vater in Auschwitz ermordet worden war – weil er sich dafür schämte. Er behauptete statt dessen, der Vater sei beim Warschauer Aufstand umgekommen. Er blieb zunächst widerwillig nach seinem Grundwehrdienst in der israelischen Armee, fand dort aber schließlich eine Heimat und Kameraden und nannte sich bald  Yossi Peled (hebräisch: Stahl).

Im Sechstagekrieg 1967 war er Yitzhak Rabin sehr nahe, dem Stabschef der Armee; er heiratete eine Frau, die er in der Armee kennengelernt hatte und stieg im Offizierskorps auf. 1987, da war Rabin Verteidgungsminister, wurde General Peled gebeten, Minister Rabin auf einer Deutschlandreise zu begleiten. Er wollte nicht mitkommen. Erst als Rabin ihm darlegte, die Anwesenheit eines Überlebenden und Sohnes von Ermordeten in israelischer Uniform auf deutschem Boden sei der beste Beweis dafür, dass „wir gewonnen haben“, sagte er zu. Dennoch war es ein Schock, die deutschen Uniformen zu sehen und die Nationalhymne zu hören. „Ich habe mich gefragt, was mein Vater wohl dazu sagen würde, dass sein Sohn in Deutschland die Fahne grüßt“, sagte Peled. Als Rabin in Dachau eine Rede hielt und dabei sagte: ‚Ich möchte Ihnen sagen, dass wir gewonnen haben‘, mußte General Peled weinen.

Er wurde Kommandeur der nördlichen Region – zuständig für die Grenzen zum Libanon und zu Syrien, bevor er seine militärische Karriere aufgab und erst in die Wirtschaft, dann in die Politik ging. Benjamin Netanjahu hat ihn als Minister ohne Geschäftsbereich in sein Kabinett geholt. Er koordiniert derzeit das weltweite Gedenken an den Eichmann-Prozess.

Peled ist mit seiner Vita, für die er sich anfangs geschämt hat, zu einem Symbol in Israel geworden. Der Historiker Tom Segev erzählt davon in seinem Buch „The Seventh Million“.

In Berlin sagte Peled, für ihn sei die Konsequenz aus der Geschichte seiner Familie das „Nie wieder“. Seine Söhne sollten nicht erleben, was ihm geschehen sei. Israels erste Pflicht sei nicht Frieden, sondern das Fortbestehen in einer feindlichen Welt. „Ich habe in viel zu vielen Kriegen gestanden. Und 1973 waren wir sehr nahe daran, alles wieder zu verlieren. Die Geschichte hat den Juden nach zwei Jahrtausenden das Geschenk eines Staates gemacht. Es wird nie wieder kommen, wenn wir es verspielen.“

Peled zieht daraus eine Lehre der Härte und Verteidigungsbereitschaft. Anders als manche in seinem politischen Lager sieht er zum Friedensschluss mit den Palästinensern und zu einer Zweistaatenlösung keine Alternative. Wann die Zeit so weit sei, ließ er offen. Dass er derzeit keine günstigen Vorzeichen sieht, konnte man ahnen. Die Unsicherheit in der Region treibt ihn um, der mögliche Verlust aller Konstanten, die Israels brüchigen Frieden garantieren.

Minister Peled sagte, es würde ein besonderer Moment für ihn werden, als Vertreter der Regierung Israels an dem Gedenken der Wannseekonferenz teilzunehmen – „in der Stadt, in der diese Männer vor siebzig Jahren die Entscheidung getroffen haben, meine Familie auszurotten“.

Ich hätte gerne erfahren, wie es Minister Peled am Tag darauf ergangen ist, in dieser Villa am Wannsee.

 

 

 

Warum Ölsanktionen gegen Iran nicht funktionieren

Paul Stevens vom britischen Think Tank Chatham House glaubt nicht an den Sinn der soeben von der EU beschlossenen Ölsanktionen gegen Iran:

„History has shown that since the Iranian nationalization of 1951 and the events leading to the overthrow of Dr Mossadegh in 1953, oil embargoes simply do not work.21 The international oil market is too complex, with too many players and too many options, to disguise transactions. History is littered with failed oil embargoes ranging from Cuba, Rhodesia and South Africa to the Arab oil embargo and the embargo against Iraq after 1990.
However, history appears to have passed by the decision-makers of the EU. It is also worth pointing out that an EU oil embargo would greatly strengthen the Ahmadinejad regime at a time when it is under considerable pressure, especially with  parliamentary elections looming in March. Unemployment remains very high, as does inflation. The latter has been greatly aggravated by the removal of many price subsidies in the last twelve months. Moreover, in the last few weeks the value of the Iranian rial against the dollar has fallen dramatically (at one point reaching a devaluation of over 30 per cent, before recovering somewhat). This has damaged the credibility of the government and will fairly quickly aggravate the problem of inflation. Given the crucial role of oil in Iran’s deepest political DNA, an EU embargo would put the population solidly behind the current regime.
A more effective means of putting pressure on Iran would be for the United States to persuade the EU to extend sanctions to financial transactions.“

Anmerkung: Es sind nun aber zugleich Sanktionen gegen die Iranische Zentralbank beschlossen worden.

Jetzt wüßte man gerne: Machen die Ölsanktionen diese Bank-Sanktionen, die Stevens befürwortet, effektiver, oder unterminieren sie deren Wirkung?

Entscheidend finde ich Stevvens‘ Hinweis auf die Wahlen im Iran. Kaum denkbar, dass irgendeine Fraktion des iranischen Establishments in dieser Situation für ein Einknicken gegenüber dem Westen plädieren kann.

Daher denke ich, die Sanktionen werden zu einer Eskalation des Konflikts führen, aber wohl kaum zu einer neuen Gesprächsbereitschaft (höchstens taktischer Natur).

 

 

Die „Achse des Guten“ gegen schwule Parasiten

„Achse des Guten“ war einmal ein radikal liberales Blog, stolz darauf, sich keine Denkverbote auferlegen zu lassen und den mittigen Mainstream herauszufordern. Seit Jahren beobachte ich ein Abdriften in eine Ressentiment-Rhetorik – wenn ich denn mal einen Link zurückverfolge, den ich irgendwo finde. Ich vermeide es, diese Seite regelmäßig zu lesen, ebenso wie PI – es bringt einfach nichts. Man regt sich uff und hat nischt von, wie es in Berlin heißt.

Als ich diesen Text las, war ich einigermassen geschockt. Dass Tsafrir Cohens Einsatz für die Menschenrechte der Palästinenser von Broder nicht goutiert werden würde – geschenkt. Man kann auch durchaus der Meinung sein, Gruppen wie medico international, für die Tsfarir arbeitet, seien zu einseitig in ihrem Focus auf die Leiden der Palästinenser unter der Besatzung. Ich teile diese Kritik zwar nicht, aber sie ist natürlich legitim.

Henryk M. Broder aber nimmt nun merkwürdiger Weise eine Meldung von medico über palästinensische Menschrechtsverletzungen zum Anlass, gegen medico und andere NGOs zu polemisieren.

Zitat aus der Mail von medico, die auch Broder aufgreift:

„Erst vor einigen Tagen wurde der Menschenrechtsaktivist Mahmoud Abu Rahma von der medico-Partnerorganisation Al Mezan in Gaza von drei vermummten Angreifern mit Messern verletzt. Die Täter begründeten den Überfall mit einem jüngst von Abu Rahma veröffentlichten Artikel. Darin warnt er vor einem System der Rechtlosigkeit und der Willkür, das entstehe wenn Regierung und Widerstandsgruppen das Recht auf Meinungsfreiheit oder auf physische Unversehrtheit weiter mit Füßen treten.
Die Berichte aus dem Arbeitsalltag der Gazaer Menschenrechtsorganisation sind erschreckend. Sowohl Fatah wie auch Hamas setzen willkürliche Verhaftungen und Folter zur Einschüchterung des politischen Gegners im innerpalästinensischen Machtkampf ein. Al Mezan liegen Hunderte Fälle von Folter sowohl in der Westbank als auch Gazastreifen vor, die in mehreren Fällen mit dem Tod endeten. Die palästinensischen Quasiregierungen verweigern dazu Auskünfte und seriöse Untersuchungen.“

Man kann darauf mit der Retourkutsche reagieren: „Ach, das merkt ihr aber spät!“

(Auch wenn es nicht stimmt, dass medico auf die Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Regierungen nicht hingewiesen hat. Warum sonst sollte sie Al Mezan unterstützen? Zitat von der medico-Website vom Juli 2010:

„Zum anderen sind es aber auch die beiden palästinensischen Verwaltungen, deren despotische Tendenzen gegenüber der eigenen Bevölkerung zunehmen. Dabei werden Einschränkungen von Menschenrechten immer häufiger religiös begründet. Oder mit einem Fingerzeig auf den politischen Gegner. Der Zwist zwischen Fatah, die in der Westbank herrscht und der Hamas im Gazastreifen droht nicht nur die durch die israelische Trennungspolitik verursachte innerpalästinensische Spaltung zu zementieren, sondern führt dazu, dass die beiden palästinensischen ‚Regierungen‘ die Rechte des jeweiligen politischen Gegners mit ‚Sicherheitsgründen‘ begründen, um diese dann systematisch einzuschränken.“)

Dass Broders Darstellung der Arbeit von medico unfair ist – geschenkt.

Abstoßend ist Broders Wortwahl, wo es darum geht, Tsafrir Cohen zu disqualifizieren. Er läßt sich lange und eingehend über Tsafrirs Homosexualität aus. Man wird darüber informiert, dass Tsafrir vor langer Zeit einen Schwulen-Guide für Berlin geschrieben hat, bevor er vor einigen Jahren das medico-Büro in Ramallah übernahm. Was genau das über die politische Zuverlässigkeit Cohens oder medicos besgt, bleibt im Dunkeln. Der Text gipfelt schließlich in der höhnischen Bemerkung:

„Wo sich doch medico international und Hunderte anderer NGOs um die Not leidende Bevölkerung kümmern! Tag und Nacht, von vorne und von hinten.“

Und schließlich heißt es über die NGOs in den palästinensischen Gebieten: „So lange dieses parasitäre Pack nicht von seinem ‚Recht auf Rückkehr‘ Gebrauch macht, wird es keinen Frieden in Palästina geben.“

Der Gegner ist schwul und „parasitäres Pack“ – das ist eine rechtsextreme Rhetorik, die der Broder, den ich einmal kannte, einfach nur widerlich gefunden hätte.

 

 

Ägyptens gestohlene Revolution

Issandr El Emrani von „The Arabist“ kommentiert dieses Video so:

I can hardly think of a more effective way to convey Egyptian revolutionaries‘ feeling towards political parties, the military and the whole idea that they were robbed of a revolution than the above video.

The split that has developed between those who espouse this worldview and the rest of the country is a little worrying, because it can turn into a lasting bitterness and misanthropy. What is needed down is to turn this frustration into effective new ways of organizing, lobbying, and campaigning.

 

Antisemitismus bei einer Feier der Fatah

Dieser Mufti muss entlassen werden.
Er predigt seinen Hass bei einer offiziellen Feier zum 47. Jahrestag der Gründung der Fatah (der Partei von Arafat und Abbas, die auch die Palestinian Authority führt). Und darüber hinaus muss der religiös begründete Antisemitismus von den Fatah-Verantwortlichen bekämpft werden. Unfasslich auch der Moderator, der von den Juden als den Nachkommen von Affen und Schweinen spricht:

 

Die Transformation des Konservatismus – in Amerika, Iran und Ägypten

So viele gute Sachen gelesen in den letzten Tagen! Und so wenig Zeit, sie hier ausführlich zu würdigen.

Darum in aller Kürze und vollkommen chaotisch durcheinander ein paar Lesefrüchte.

Mark Lilla schreibt in der New York Review einen großen Rezensionsessay, in dem er erklärt, wie der Konservatismus in Amerika apokalyptisch wurde (in einem Maß, wie es vorher eigentlich nur die Linke drauf hattte). Das scheint mir essentiell zum Verständnis des Verrückten, ja Durchgeknallten im Überbietungswettbewerb der republikanischen Bewerber um die Nominierung zu sein.

Lilla hat selber Wurzeln im frühen Neokonservatismus der Reagan-Jahre, hat sich aber im letzten Jahrzehnt zunehmend kritisch zu den Neocons verhalten, die Bush Jr. stützten. Auch hier war für Lilla zu beobachten, wie die Rechte (mit ihrem Interventionismus, gestützt auf das Gefühl, die Welt neu machen zu können, zur Not mit Waffengewalt) die Fehler der radikalen Linken wiederholt:

The real news on the American right is the mainstreaming of political apocalypticism. This has been brewing among intellectuals since the Nineties, but in the past four years, thanks to the right-wing media establishment and economic collapse, it has reached a wider public and transformed the Republican Party. How that happened would be a long story to tell, and central to it would be the remarkable transmutation of neoconservatism from intellectual movement to rabble-rousing Republican court ideology. The first neoconservatives were disappointed liberals like Irving Kristol and Nathan Glazer, who saw the failures of a large number of Great Society programs to deliver on the unrealistic expectations of its architects, and consequently began to appreciate the wisdom of certain conservative assumptions about human nature and politics. Kristol’s famous quip that neoconservatives were liberals who’d been mugged by reality captured the original temperament.

Sometime in the Eighties, though, neoconservative thinking took on a darker hue. The big question was no longer how to adapt liberal aspirations to the limits of politics, but how to undo the cultural revolution of the Sixties that, in their eyes, had destabilized the family, popularized drug use, made pornography widely available, and encouraged public incivility.

(…)

This is the voice of high-brow reaction, and it was present on the right a good decade before Glenn Beck and his fellow prophets of populist doom began ringing alarm bells about educated elites in media, government, and the universities leading a velvet socialist revolution that only “ordinary Americans” could forestall. Apocalypticism trickled down, not up, and is now what binds Republican Party elites to their hard-core base. They all agree that the country must be “taken back” from the usurpers by any means necessary, and are willing to support any candidate, no matter how unworldly or unqualified or fanatical, who shares their picture of the crisis of our time. (…)

All this is new—and it has little to do with the principles of conservatism, or with the aristocratic prejudice that “some are fit, and thus ought, to rule others,” which Corey Robin sees at the root of everything on the right. No, there is something darker and dystopic at work here. People who know what kind of new world they want to create through revolution are trouble enough; those who only know what they want to destroy are a curse. When I read the new reactionaries or hear them speak I’m reminded of Leo Naphta, the consumptive furloughed Jesuit in Thomas Mann’s The Magic Mountain, who prowls the corridors of a Swiss sanatorium, raging against the modern Enlightenment and looking for disciples. What infuriates Naphta is that history cannot be reversed, so he dreams of revenge against it. He speaks of a coming apocalypse, a period of cruelty and cleansing, after which man’s original ignorance will return and new forms of authority will be established. Mann did not model Naphta on Edmund Burke or Chateaubriand or Bismarck or any other figure on the traditional European right. He modeled him on George Lukács, the Hungarian Communist philosopher and onetime commissar who loathed liberals and conservatives alike. A man for our time.

Ein exzellenter Aufsatz des Iran-Experten der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Walter Posch, analysiert den machtvollen Block der iranischen Rechten, die sich selbst „Prinzipalisten“ nennen, ein Zusammenschluss von „Konservativen“ und „Hezbollahis“, der ursprünlich auch Achmadinedschad unterstützt hatte.

Wie es zum Zerwürfnis zwischen Prinzipalisten und dem Regierungschef kam, und was das alles für die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen bedeutet, beschreibt Posch ausführlich.

Er ist der Ansicht, dass die „Grüne Bewegung“ erfolgreich neutralisiert wurde und weiterhin allenfalls im Exil Chancen hat, als Herausforderung weiterzubestehen. Es scheint zu gelingen, so Posch, dass die innersystemischen Reformkräfte von der Grünen Bewegung geschieden bleiben und in geschwächter Form ins System reintegriert werden. Eine Übertragung der Impulse des arabischen Frühlings auf den Iran hält er für unwahrscheinlich. Was die nun anstehenden harschen Sanktionen gegen den Iran für die von Posch beschriebene Balance des Machtsystems bedeuten, ist eine interessante Frage, über die wir bald mehr wissen werden.

Schließlich:

Sebnem Gumuscu erklärt im libanesischen Daily Star, warum es kein „türkisches Modell“ für Ägypten gibt. Von wohlwollenden Beobachtern aus dem Ausland wie aus den eher reformbereiten Reihen der ägyptischen Islamisten ist diese Vorstellung immer wieder verbreitet worden.

 

In some policy quarters, Turkey has even been presented as an overall model for the Arab world – a characterization which derives largely from its seemingly unique ability to couple secular democracy with a predominantly Muslim society. But those who talk of “the Turkish model” misunderstand that country’s transformation. The coexistence between Islam and democracy has come to pass in Turkey not from the AKP’s development of institutional and political structures that accommodated both Islamic and democratic principles, but rather because Islamists themselves came to accept the secular-democratic framework of the Turkish state. (…) Economic liberalization created an organized class of powerful and devout businessmen from the provincial bourgeoisie who advocated greater political pragmatism and stability in addition to closer relations with the European Union as a major trading partner. These moderate Islamists broke away and established the AKP in 2001. As a conservative party representing neoliberal interests, the AKP has worked to downsize the state, establish greater political and economic stability, and construct friendly relations with the outside world. The party has not only increased its support in secular businesses and the middle classes, but also rendered the idea of a powerful state – which commands the economy as well as the lives of Muslims through Islamic principles – an obsolete one.

In Ägypten nun gebe es keine solche führende neue Schicht von islamis(tis)chen Geschäftsleuten. Die Verbindung von Neoliberalismus und Islam, für die die AKP steht, ist in Ägypten nicht möglich, weil ihr schlicht das Publikum fehlt:

 

Conversely, Egypt’s neoliberalism mainly benefitted President Hosni Mubarak’s cronies and failed to trickle down to smaller enterprises. There is no strong business constituency within the Egyptian Islamist movement to insist on neoliberal reforms, a smaller state, or political pragmatism. The movement is dominated instead by professionals (doctors, engineers, teachers and lawyers) who prefer a strong and expansive state as a source of employment, social security and public goods.

While the Freedom and Justice Party (FJP) established by the Muslim Brotherhood supports private enterprise, such support should not be mistaken for support for neoliberalism. A closer look at FJP’s platform reveals that it reserves a substantial role for the state in production, planning, price regulation, social security and job generation. (…)

Unlike its Turkish counterpart, the Muslim Brotherhood is first and foremost a religious society; economic, political and cultural objectives are secondary to religious proselytism. The FJP relies on the existing rank and file of the Brotherhood for support in elections, and though the members of the Brotherhood fulfill the function of party organizers, they are recruited primarily in the name of Daawa, or the invitation to Islam. From there, they are organized according to a strict hierarchy and mobilized in the name of Islam rather than in terms of political or economic interests.

This structure of the party reinforces religious priorities, undermines internal accountability, and casts a shadow of Muslim Brotherhood control over the FJP. (…)

In short, there is no “Turkish model” for an Islamist democracy; rather, there are Muslims in a secular-democratic state working within a neoliberal framework. Structural and institutional factors in Turkey are historically unique and it is highly unlikely that we will see a similar process unfold in Egypt. Under Islamist leadership, Egypt will seek another framework – one that will require the Islamist movement to separate its political and religious functions and allow for the political party to represent the aggregated interests of a voting demographic.

Because of this, the task of Islamists in Egypt will be more difficult than that of their Turkish counterparts. They must shed deeply ingrained habits of hierarchy and proselytism to build a democratic system with unique institutions.

Merkwürdig, erst dachte ich, diese Lesefrüchte hätten nichts miteinander zu tun. Nun, da ich sie aufgeschrieben habe, stelle ich fest, dass es in allen drei Fällen um die politische Transformation des Konservatismus geht – in Amerika, im Iran und in Ägypten (sowie in der Türkei).

Vielleicht sollte man daraus ein kontinuierliches Thema machen?

 

Antisemitische Hetze von Islamisten gegen Boualem Sansal

Ich hatte im letzten November von einem Gespräch mit Boualem Sansal, dem algerischen Schriftsteller, berichtet. Sansal hatte zuvor den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten.

In Algerien, so hatte Sansal mir berichtet, wurde er nach der Preisverleihung auf übelste Art von Islamisten angegriffen, die ihn als „Zionisten“ denunzierten. Die antisemitische Hetze wird durch eine Fotomontage komplettiert, auf der Sansal mit dem Hut und den Schläfenlocken ultraorthodoxer Juden gezeigt wird. Sansal hatte mit von dem Bild erzählt, nun hat es der Börsenverein im Anschluß an meinen Post veröffentlicht. Der Autor möchte es so, weil er sich von der Öffentlichkeit Schutz verspricht.

Der Börsenverein zitiert weitere Hetze gegen Boualem Sansal:

Einige der Blogs mit der Abbildung, bei der das Wort ‚algerisch‘ durchgestrichen wurde, sind im Internet frei zugänglich und offenbaren die Argumentationskette der Islamisten. So wird Boualem Sansal in einem französischsprachigen Blog als „Boualem la saleté“ (etwa: „Boualem, der Dreck/die Unanständigkeit“) bezeichnet, der anti-islamisch, anti-arabisch und anti-algerisch sei, dabei schlimmer als Ayaan Hirsi Ali, Taslima Nasrin und Salman Rushdie handele, mit denen er gemeinsam mit intellektueller Bettelei und mit blasphemischen Äußerungen der „Kosher Nostra“ in die Hände spiele. Durch seine Schriften und Erklärungen, so der Autor, der unter dem Pseudonym wah fikr schreibt, unterstütze Sansal mit Geist und Körper die Lobrede auf die Kanonen und Pfeiler des modernen ‚Talmudismus‘: der Schoah und der jüdische Vorherrschaft: „B. Sansal s’est investi corps et âme, par ses écrits et déclarations, dans l‘éloge des canons et piliers du talmudisme moderne : Shoah et suprématisme juif“ (nachzulesen auf reflexionsetcommentaires.blogspot.com).

Ich hoffe, dass der Börsenverein und die deutsche Regierung diesen Fall im Auge behalten. Wenn die deutsche Öffentlichkeit einen solchen Autor zum Preisträger kürt, übernimmt es eine Verantwortung für sein Wohlergehen. Die algerischen Behörden müssen gedrängt werden, die Sicherheit von Sansal zu garantieren, und das heißt auch: gegen antisemitische Hetze vorzugehen.

 

Emanzipation und Islamismus in Ägypten

Ein Artikel der New York Times über die beklagenswerte Lage der Frauen – auch nach der Revolution – in Ägypten bringt eine notwendige Differenzierung. Der Sieg der Muslimbrüder und der Salafisten ist ohne Zweifel kein Hoffnungszeichen. Es gibt praktisch keine Frauen in den führenden Rängen der MB, und die Salafisten lehnen die öffentliche politische Betätigung von Frauen direkt ab. Beide Parteien sind reaktionär, was das Rollenverständnis der Geschlechter angeht.

Aber: Die schlimmsten Akte sexueller Gewalt wurden von seiten der Sicherheitskräfte des alten Regimes verübt. Man denke nur an die Frau mit dem blauen BH und an die „Jungfräulichkeitsstests“ während der Proteste, die letztlich nichts anderes waren als politsch motivierte Vergewaltigung.

Die junge Frau, Samira Ibrahim, die nun vor Gericht das Verbot solcher „Tests“ durchsetzen konnte, ist die Tochter eines islamistischen Aktivisten, der unter Mubarak selber gefoltert worden war. Die ägyptischen Medien haben nichts für sie getan. Auch nicht die liberalen Aktivisten, die sich für Frauenrechte kaum interessieren. Ibrahims Vater aber hat seine Tochter ermutigt, es auf den Prozeß ankommen zu lassen. Viele säkular-liberale Väter hätten dies nicht getan, um „die Schande“ nicht noch an die große Glocke zu hängen.

Das Elend der patriarchalen Verhältnisse wird in Ägypten zwar durch den Islam gestützt, aber es geht weit über diesen hinaus. Auch unter den säkular-liberalen Kräften findet sich kaum jemand, der die unfasslich hohe Zahl von Genitalverstümmelungen in Ägypten (96%!) anprangert.

Und manchmal kann es durchaus sein, dass ein Schritt der Emanzipation innerhalb des islamistischen Spektrums geschieht, wie im Fall der mutigen Samira Ibrahim geschehen.

 

Wir brauchen bessere Bilder vom Erwachsensein

Extrem OT, aber extrem relevant. Ich halte diesen Mann hier – Adam Phillips – für einen der weisesten Menschen, die derzeit auf Erden wandeln. Niemand schreibt so leicht und tief und unprätenziös über Liebe, Ambivalenz, Ehe, Erwachsensein, Kindheit, Küssen, Flirten, Geld. Ein erstaunlich freier Geist ist dieser Psychoanalytiker.

In dem Interview, das für die New York Times geführt wurde, haben mich die Sätze elektrisiert, die er über die Tatsache sagt, dass „Erwachsensein eine schlechte Presse hat“. Wenn eine Kultur die Kindheit idealisiere und das Erwachsenwerden zum Desaster erklärt (und keine attraktiven Bilder vom Erwachsensein produziert), so Phillips, dann sei das ein Zeichen einer ernsten kulturellen Krise. Als Vater dreier Töchter kann ich nur sagen, da hat er Recht.