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Gibt es eine Zukunft für Christen in Ägypten?

Den bisher detailliertesten Augenzeugenreport von dem Massaker an den Kopten in Kairo hat Yasmine El Rashidi in der New York Review of Books abgeliefert. Es ist ein erschütterndes Dokument, das leider meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt, dass Ägypten in Gefahr ist, sich unter dem Druck der Islamisten, der Ex-Mubarak-Kräfte und des wütenden Pöbels zur Hölle für Andersgläubige zu wandeln.

Around 7:30 PM, I received text and Twitter messages that an announcer for State TV had on air called for Egyptians to go down and “defend the soldiers who protected the Egyptian revolution” against “armed Copts” who had opened fire and were killing soldiers. Looking around me, I could see that many of those gathered in the tight area around the TV building seemed to have responded to the call. Rough-looking men were arriving in groups; people said they were neighborhood thugs. They held bludgeons, wooden planks, knives, and even swords, and walked boldly into the chaos of burning cars, flying bullets, and glass. “We’ll kill any Christian we get our hands on,” one of them shouted. Someone tweeted that he was in the middle of what looked like a militia, “men with clubs and antique pistols.” Nearby, a young girl was harassed, and a mob assaulted a young Coptic couple, beating them and ripping their clothes. One of the perpetrators emerged from the gang with blood on his hands. “Christian blood!” he boasted. (The couple survived—rushed away by ambulance to be treated for wounds and possible fractures.)

For the next few hours, the violence ebbed and flowed between riot police, soldiers, Copts, and mobs. I could see clashes up on the bridge and was told that the army was chasing protesters through the streets of downtown. I was chased myself at one point, up a ramp. Young boys were also flocking in—many of them teenagers, some as young as nine or ten. They picked up rocks and threw them, challenging anyone to fight back, shrieking insults about Christians, and chanting for an Islamic state. Many of them looked familiar—the same youth I had seen gather outside the Israeli embassy a few weeks before, and at other protests in recent months that had turned violent. Soldiers looked on, many of them leaving the rowdy crowds to battle, while others tried to break up the mobs. The sirens of ambulances rushing to and from the area could be heard in all directions.

 Vivian and Michael

By 10 p.m., as the crackdown continued and dozens of box-shaped olive-green Central Security Forces trucks rolled in as reinforcement, 23-year-old Michael, the young Copt I had met in Shubra that afternoon, had been confirmed dead. Images and footage from the morgue taken by friends show him covered in a white sheet while his fiancée Vivian sobbed by his side, holding his hand, saying she wouldn’t leave him. He had been crushed beneath a twelve-ton APC. His legs had been almost severed and internal organs ruptured. Police then beat him as he lay on the sidewalk, Vivian begging them to have mercy as he gasped his last breaths. “You infidel,” they had screamed back at her.

 

Frau El Rashidi beschreibt auch, dass es für den Mörder an den Christen in Nag Hammadi, der kürzlich hingerichtet wurde, eine nach tausenden zählende Trauerprozession gab:

On Tuesday, as Copts were mourning their loved ones, the funeral procession of the executed gunman, El-Kamouny, marched through the streets of the southern city where he opened fire on Copts as they were leaving church on Christmas eve, killing six. Thousands of Muslims marched through the streets with his coffin. They chanted “La Illaha IlaAllah, La Illaha IlaAllah, El-Kamouny shaheed Allah” (There is no God but Allah, There is no God but Allah, El-Kamouny is a martyr of Allah). People cheered them on. El-Kamouny, in their eyes, was a hero.

Schande.

 

Warum die arabische Demokratie einem Angst und Schrecken einjagen kann

Zwei Ereignisse der letzten Wochen haben mich aufgewühlt: das Massaker an den Kopten in Ägypten, dem zwei Dutzend Menschen zum Opfer fielen, und die wütende Mob-Attacke auf einen tunesischen Fernsehsender, der Marjane Satrapis Film „Persepolis“ ausgestrahlt hatte.

Über die Ereignisse in Ägypten ist viel berichtet worden, ich kann mir die Einzelheiten sparen. Das Staatsfernsehen, obwohl es selbst mit zur Aufstachelung beigetragen hat, machte „äußere Mächte“ mit verantwortlich für die Geschehnisse. Auch manche der jungen Revolutionäre wollte gerne daran glauben, dass es irgendwelche agents provocateurs waren, die die Sache ins Rollen brachten: Salafisten, von den Saudis bezahlt; Mubarak-Anhänger; Agenten des Militärs, das die Revolution in Blut ersticken möchte. Ausschließen läßt sich das alles nicht.
Doch die Frage, die die Ägypter sich stellen müssen, ist: ob die Demokratisierung in ihrem Land, wie im gesamten Nahen Osten, zu einer Herrschaft des Mobs führen wird. Und der Mob geht eben in Krisenzeiten auf Minderheiten los. Die Christen im Irak haben das erfahren, als Saddams Herrschaft beseitigt war. Die Kopten waren schon zum Ende des Mubarak-Regimes ein beliebter Blitzableiter geworden. Nun droht ihre Lage unterträglich zu werden.

Und damit bahnt sich ein fürchterliches Paradox an – dass die Demokratisierung im Nahen Osten das Ende der religiös-kulturellen Viefalt dieser Region bedeuten könnte. Schon die Entkolonialisierung hatte – zusammen mit der Gründung Israels – den Exodus der Juden aus der arabischen und weiteren muslimischen Welt vorangetrieben. Nun droht den Christen, darunter vielen der ältesten Gemeinden überhaupt, das gleiche Schicksal. Auch das steckt dahinter, wenn die syrischen Christen sich hinter Assad stellen: sie fürchten, dass es ihnen in einem Bürgerkrieg an den Kragen gehen wird, weil sich alle darauf einigen können, dass sie die fremdesten Fremden im Lande sind, und dass sie zum Opfer einer ethnischen Säuberung werden könnten.
Der tunesische Vorfall ist ebenso beunruhigend, er wurde in unseren Medien kaum aufgegriffen: der Sender Nessma TV hatte Satrapis „Persepolis“ ausgestrahlt – die im Comic-Stil erzählte autobiografische Geschichte eines jungen Mädchens im Iran (und eines der großen Filmkunstwerke der letzten Jahre). Darin gibt es eine Episode, in der die junge Marjane sich mit Gott unterhält. In vielen tunesischen Moscheen war gegen den Film gehetzt worden, so dass sich in der letzten Woche ein Mob in der Hauptstadt zusammenfand. Salafisten stürmten den Sender und das Haus des Senderchefs. Dessen Haus wurde gar mit Brandsätzen angegriffen.

Die kleine Marjane streitet mit Gott. Screenshot: JL (der ganze Film kann hier auf Deutsch gesehen werden, die bewusste Stelle etwa ab der 20. Minute)

Die Islamisten hatten offenbar verstanden, dass Satrapis Kritik an den Zuständen im Iran auch auf das bezogen werden konnte, was bei ihrer Machtergreifung droht. In gewisser Weise war daher ihre wütende Ablehnung des Films erhellend und verständlich. Dass sich hunderte junger Männer mobilisieren lassen für eine Terrorkampagne gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, ist aber erschreckend: Senderchef Karoui hat sich mittlerweile für die Ausstrahlung des Films entschuldigt: eine Schande für das neue Tunesien, obwohl man den Mann weißgott verstehen kann. Die vermeintlich gemäßigten Islamisten der Partei Ennahda haben sich zwar von den gewaltsamen Protesten distanziert und behauptet, sie träten für Meinungsfreiheit ein, aber der Wiener Standard zitiert deren Sprecher: „Wenn das Volk solche Aussagen nicht für richtig hält, dann können sie auch nicht toleriert werden. Man darf nicht religiöse Gefühle verletzen. (…) Sie gehen ja auch nicht mit einem Bayern-Trikot in den gegnerischen Block.“
Wenn das die Vorstellung von Zivilgesellschaft ist – Hooliganblocks, die sich berechtigt fühlen, jeden umzunieten, der „das falsche Trikot“ trägt – dann sehe ich schwarz für Tunesien. Ennahda werden bei den Wahlen am kommenden Wochenende übrigens große Chancen zugerechnet, stärkste Partei zu werden.

 

Ein iranischer Anschlag in den USA – geplant von einem Messie?

Ich hoffe wirklich inständig, dass Juan Cole nicht Recht hat mit seiner Vermutung, dass der angebliche iranische Plot zur Ermordung eines saudischen Diplomaten in den USA ein Hoax ist.

Wenn der Iran aber wirklich auf solche Verschwörer angewiesen sein sollte, wenn die gefürchteten Quds-Brigaden also tatsächlich mit solchen Losern zusammen arbeiten müssten, wäre das allerdings irgendwie auch beruhigend.

Aber so vieles an dem Hauptverschwörer Arbabsiar erscheint unglaubwürdig, dass es wirklich haarsträubend ist zu denken, dass die Achse des Bösen auf so einen zurückgreifen sollte.

Juan Cole:

I personally do not understand how the corporate media in the US can report the following things about Manssor Arbabsiar and then go on to repeat with a straight face the US government charges that he was part of a high-level Iranian government assassination plot.

It seems pretty obvious that Arbabsiar is very possibly clinically insane.

Here are the top 10 reasons that he cannot be Iran’s answer to 007:

10. Arbabsiar was known in Corpus Christi, Texas, “for being almost comically absent-minded”

9. Possibly as a result of a knife attack in 1982, he suffered from bad short-term memory

8. He was always losing his cell phone

7. He was always misplacing his keys

6. He was always forgetting his briefcase and documents in stores

5. He “was just not organized,” a former business partner remarked

4. As part owner of a used car dealership, he was always losing title deeds to the vehicles

3. Arbabsiar, far from a fundamentalist Shiite Muslim, may have been an alcoholic; his nickname is “Jack” because of his fondness for Jack Daniels whiskey

2. Arbabsiar used to not only drink to excess, but also used pot and went with prostitutes. He once talked loudly in a restaurant about going back to Iran, where he could have an Iranian girl for only $50. He was rude and was thrown out of some establishments.

1. All of his businesses failed one after another

The downward trajectory of Arbabsiar’s life, with his recent loss of his mortgage, all his businesses, and his second wife, along with his obvious cognitive defect, suggests to me that he may have been descending into madness.

I hypothesized yesterday that Arbabsiar and his cousin Gholam Shakuri might have been part of an Iranian drug gang. But after these details have emerged about the former, I don’t think he could even have done that. Indeed, I have now come to view the entire story as a fantasy.

That a monumental screw-up like Arbabsiar could have thought he was a government secret agent is perfectly plausible. I’m sure he thought all kinds of things. But that he was actually one is simply not believable.

OK, Qasim Soleimani, the head of the Qods Brigade special operation forces of the Iranian Revolutionary Guard Corps, may not be a nice man. But he is such a competent man that US officials in Iraq widely believed that he repeatedly outmaneuvered and defeated them there.

The allegation that Soleimani was running a hard-drinking incompetent with no memory and no sense of organization like Arbabsiar on the most delicate and dangerous terrorist mission ever attempted by the Islamic Republic of Iran is falling down funny.

 

Einladung zum Paradies: Wie die Salafisten in Mönchengladbach scheiterten

Islamisten wollen in Mönchengladbach ihr Hauptquartier errichten. Ein Anwohner tritt ihnen entgegen, gründet eine Bürgerbewegung. Plötzlich wird Feuer gelegt, der Konflikt spitzt sich zu Von JÖRG LAU

ZEIT-Dossier aus Nr. 42 vom 13. Oktober
Wenn nur dieser rheinische Singsang nicht wäre. Wie soll man Abu Adam ernst nehmen, wenn er sich ständig über Menschen aufregt, die er »Jötzendiener« nennt? Abu Adam trägt eine weiße Häkelmütze und ein arabisches Gewand. Sein dunkelblonder Rauschebart kommt so besonders gut zur Geltung. Er hat sich in Rage geredet. Die rechte Hand schnellt in die Höhe, der Zeigefinger peitscht die Luft. Er hält das Freitagsgebet in der Mönchengladbacher Moschee Masjid As-Sunnah, einem schäbigen Haus, in dem früher ein Ladenlokal war. Hier trifft er sich mit seinen 50 Glaubensbrüdern, den Salafisten vom Niederrhein. Er ruft ihnen zu: »Überall werden wir fertiggemacht. Terroristen, Verrückte, Wahhabiten! Die lachen, wenn sie unsere Bärte sehen. Die lachen, wenn sie unsere Gewänder sehen. Die lachen dich aus. Dabei musst du stolz sein, weil das eine Bestätigung ist. Eine Bestätigung, dass du dem Gesandten Allahs folgen darfst. Aber du, statt stolz zu sein, Muslim sein zu dürfen, du duckst den Kopf.« Abu Adam ballt seine Faust. Er brüllt.

Abu Adam ist ein Junge aus Mönchengladbach, auch wenn er sich wie ein saudischer Scheich kleidet. Sein bürgerlicher Name ist Sven Lau (die Namensgleichheit mit dem Dossier-Autor ist zufällig). Er ist 31 Jahre alt. Viele hier im Viertel kennen ihn seit seiner Kindheit. Seitdem sich aber »der Sven«, wie ihn Nachbarn nennen, in Abu Adam verwandelt hat, ist hier nichts mehr, wie es war. Polizisten sind gekommen, Leute vom Verfassungsschutz, Politiker aller Parteien. Sven Lau hat versucht, den unauffälligen Stadtteil Eicken zum Hauptquartier des fundamentalistischen Islams zu machen, das war der Beginn einer komplizierten Schlacht.

Salafisten sind extreme Islamisten, die seit Kurzem in Deutschland stärker in Erscheinung treten. Sie lesen aus dem Koran die radikalen Botschaften heraus, sie stellen die Scharia, das islamische Recht, über das Grundgesetz und predigen, den Ungläubigen drohe die Hölle. Der Salafismus war die ideologische Grundlage des Terroristen Osama bin Laden. Verfassungsschützer haben festgestellt, dass nicht alle Salafisten Terroristen sind, aber alle jungen Männer, die in den letzten Jahren von Deutschland aus in den sogenannten Heiligen Krieg gezogen sind, Kontakt zu Salafisten hatten.

Im September wurde in Köln Anklage gegen einen dieser Hassprediger erhoben, den Kopf eines salafistischen Netzwerkes. Im selben Monat wurden in Berlin zwei Männer verhaftet, die versucht haben sollen, Sprengstoff zu beschaffen, und die Kontakt zu Salafisten hatten. Im März dieses Jahres erschoss ein 21-jähriger Islamist am Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten, auch er stand mit Salafisten in Verbindung.

Es war Anfang August vergangenen Jahres, als bekannt wurde, dass eine »Islamschule« der Salafisten auf dem Gelände der As-Sunnah-Moschee in Mönchengladbach entstehen soll. Ein Braunschweiger Verein mit dem Namen »Einladung zum Paradies« wolle nach Mönchengladbach umziehen, hieß es in der Rheinischen Post, der Verein werde sich mit Sven Laus Moschee zusammenschließen. Mehrere Nachbargrundstücke der Moschee waren bereits gekauft worden. Aus einem bescheidenen Bethaus sollte ein um 1000 Quadratmeter erweitertes, 300 Menschen fassendes Schulungszentrum mit Moschee und Kindergarten werden. Sven Lau stellte sich an die Spitze dieses Vorhabens, und schnell wurde klar, dass er den Bürgermeister gegen sich aufbringen würde. Ein nationaler Anziehungspunkt für Salafisten in Mönchengladbach? Er werde »mit allen mir zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten dafür eintreten, dass die Aktivitäten des Vereins Einladung zum Paradies verfolgt werden und rechtswidriges Handeln geahndet wird«, erklärte der Bürgermeister.

Vieles in diesem Kampf, den Sven Lau begonnen hatte, wäre anders gelaufen, reibungsloser, wenn nicht plötzlich Wilfried Schultz aufgetreten wäre, ein Unternehmensberater, kein Politiker, ein gebürtiger Ostfriese, kein Einheimischer, im Grunde ein Fremder. Wilfried Schultz ist vor Kurzem 61 Jahre alt geworden, erst seit 2003 lebt er am Niederrhein. Schultz hat Theologie und Jura studiert, er ist Freiberufler, seine Frau Lehrerin. Er hat lange Zeit Unternehmen abgewickelt, das heißt: Er hat Firmen bestattet. Heute hilft er jungen Unternehmern in der IT-Branche, Businesspläne aufzustellen und an Wagniskapital zu kommen. Schultz hat vor ein paar Jahren ein Haus gekauft, nur wenige Hundert Meter entfernt von der Stelle, an der die Salafisten ihr neues Zentrum planen. Er weiß nicht viel über den Salafismus, aber er weiß, dass er dieses Zentrum verhindern will. Er sagt: »Dieses Viertel wäre am Ende, wenn die Bärtigen mit ihren voll verschleierten Frauen das Ruder übernehmen würden.«

Bis vor einem Jahr lebte Schultz mit seiner Frau, seiner 12-jährigen Tochter und einem Jack Russell Terrier abgeschieden in Mönchengladbach. Schultz war von Berlin hierhergezogen, weil er es wieder etwas ruhiger haben wollte. Er ist auf einem Bauernhof in Ostfriesland groß geworden. Er hat ein rundes Gesicht, trägt eine Nickelbrille. In seinem Wohnzimmerregal stehen viele Bücher. Wilfried Schultz sieht nicht aus wie jemand, der sich in einen Kampf stürzen will. Er hätte nie gedacht, dass er einmal eine Figur des öffentlichen Lebens werden würde, jemand, der in Fronten denken muss, die zwischen Islamisten, Rechtsradikalen, Linken, Staatsschützern und Lokalpolitikern verlaufen.
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Der Turban und die Bombe

Im letzten Monat war ich auf einem Podium mit Flemming Rose, dem Redakteur der Jyllands Posten, der seinerzeit die Karikaturen in Auftrag gegeben hatte, die dann einen weltweiten Skandal auslösten. Wir diskutierten beim Berliner Literaturfestival über Blasphemie und Meinungsfreiheit. Ich war der Moderator des Abends. Den Veranstaltern hatte ich geraten, als Muslimvertreter Aiman Mazyek einzuladen. Mazyek kam dann auch, es hätte eine interessante Debatte werden können. Irgendwie hat es nicht funktioniert. Vielleicht war es meine Schuld. Schade, eine verpasste Gelegenheit. Rose und Mazyek waren sich schon einmal in Washington begegnet. Die beiden haben sich durchaus etwas zu sagen.

Wie dem auch sei: Es war gut, Flemming Rose wieder zu sehen. Ich hatte ihn seinerzeit in Kopenhagen getroffen, als ich über die Karikaturen-Affäre recherchierte. Er kann mittlerweile wieder seinem Beruf nachgehen, er ist Auslandschef der JP, er tritt nicht oft auf, Berlin war eine Ausnahme. Zwei sehr breitschulterige Herren begleiteten ihn. Die JP muss viele Millionen für Sicherheit ausgeben, das Gebäude in Kopenhagen hat mehrere Schleusen. Immer wieder gibt es glaubhafte Drohungen. Es ist irre, dass man das in unseren Zeiten für normal hält.

Die Zeichnung, die am meisten Erregung ausgelöst hat, ist bekanntlich die von Kurt Westergaard angefertigte, die einen Mann mit Turban zeigt, in dem Turban eine Bombe. Westergaard selber ist vor gar nicht langer Zeit einem Anschlag knapp entkommen, weil er einen „panic room“ in seinem Haus hat.
Diese Zeichnung war mir vor einigen Wochen wieder eingefallen, als ich über die Ermordung des afghanischen EX-Präsidenten Rabbani las. Der Attentäter hatte die Bombe in seinem Turban zu Rabbani geschmuggelt, der die Friedensgespräche mit den Taliban leitet. Unglaublich, dachte ich, wie von Westergaard gezeichnet! Das ist es, was Westergaard anprangert! Nicht Mohammed als Terroristen, wie immer behauptet wurde: sondern der Mißbrauch der Religion (hier eines Kleidungsstücks, das mit dem Islam identifiziert wird) für den Terrorismus. Warum, dachte ich, regen sich die Muslime nicht über diese reale Entweihung ihrer Religion auf, statt sich über eine Zeichnung zu erregen? (Nun ja, manche tun es. Aber lauter sind die Typen, die Westergaard für das Übel halten und über die realen Turban-Killer schweigen.)
Heute, endlich, fand ich in der New York Times einen Aufsatz, der eben dies tut: die Schande zu reflektieren, die in dem Mißbrauch der Religion, hier des Turbans als Symbols für religiöse Vertrauenswürdigkeit, liegt. Es sei, schreibt die Autorin, als wollte das Leben die Kunst Westergaards nachahmen.
Zitat:

LAST month in Kabul, a man posing as a Taliban peace emissary managed to pass checkpoints, iron gates, and security guards with explosives tucked away in the folds of his turban, on his way to meet former President Burhanuddin Rabbani in his home.

Mr. Rabbani, head of the High Peace Council in Afghanistan, offered his guest a welcoming hug and unsuspectingly triggered the deadly bomb. Similarly, in July, the mayor of Kandahar, Ghulam Haider Hamidi, and a few days earlier, a top religious leader in southern Afghanistan, were assassinated by bombs concealed in turbans. The latter detonated in a mosque.

It is as though life is imitating art and these terrorists are acting out the Danish cartoons that prompted violent, sometimes deadly riots in more than a dozen Islamic countries in 2006. At the heart of the violent fury was an offensive representation of the turban. Some of the 12 controversial cartoons conjoined the turban with the sword, or with its modern counterpart, the bomb. This was identified by Anders Fogh Rasmussen, then the Danish prime minister, as his country’s worst international crisis since World War II.

Gut, dass das einmal ausgesprochen ist. Der nächste Schritt fehlt noch: Flemming Rose ist großes Unrecht geschehen. Er hat Anspruch auf eine Entschuldigung, mindestens ein Wort des Bedauerns. Von wem? Von allen Muslimen, deren moralischer Kompass noch funktioniert, und die beurteilen können, wer den Islam beleidigt: Der Mann, der einen Turban mit Bombe druckt, oder der Mann, der eine Bombe im Turban trägt? Der Artikel in der Times beweist, dass es welche gibt, denen diese Unterscheidung nicht schwer fällt.

 

Der Muslim und die blonde Bestie

Der bayerische Landesvorsitzende der Partei „Die Freiheit“, Christian Jung, hat sich in einem Videoblog mit meinem Kommentar zum verdienten Untergang seiner Partei bei der Berlin-Wahl beschäftigt. Herr Jung wiederholt in seinem Kommentar den Vorwurf, ich hätte mit dem Wort von der „blonden Bestie aus Limburg“ Geert Wilders das Menschsein abgesprochen. Das ist Humbug. Man soll seine Witze nie erklären, beziehungsweise: wenn sie erklärt werden müssen, waren sie meist nicht gut.

Dennoch: Mir ging es um mehr als einen Witz. Es handelt sich bei der blonden Bestie um ein Nietzsche-Zitat aus der „Genealogie der Moral“. Das große Manifest Nietzsches gegen das „Gutmenschentum“ (wie man heute gerne sagt) präsentiert die „blonde Bestie“ als positives Gegenmodell zu dem von der christlichen „Sklavenmoral“ verzwergten „zahmen und zivilisierten Haustier“ des modernen Menschen.
Nun passt diese Anspielung auf den Herrn Wilders eigentlich recht gut, wenn man den Anspielungskontext kennt, und nicht nur wegen der Haarfarbe: „blondierte Bestie“ wäre da vielleicht noch besser gewesen. Ist es denn nicht ein immer wiederkehrender Refrain der rechtspopulistischen Moralkritik, dass die Weichheit der (im Gutmenschentum verallgemeinerten) christlichen Sklavenmoral uns dem unzügelbaren Machtwahn der eben nicht durch diese Moral gebremsten Muslime ausliefert (die wissen noch, was ein Wille zur Macht ist, und der Koran ist doch ihr „Mein Kampf“, wie Wilders sagt…)?

In gewisser Weise sind nämlich die Muslime im Blick der „Islamkritiker“ auch „blonde Bestien“ (wie Nietzsche den Begriff verstand, der übrigens explizit auch den „arabischen Adel“ dazu rechnete). Sie sind eben noch nicht verzwergte Gutmenschen, sondern (nietzscheanische) Barbaren mit einer (politischen) Barbarenreligion, die sie stärker macht als die abendländisch-christlichen Gutmenschen je sein können. So wird es doch in den entsprechenden Foren fortwährend dargestellt. Es liegt eine geheime Bewunderung für die vermeintlich barbarisch ungezügelt machtwilligen Muslime in der islamkritischen Suada: Es ist dies die Bewunderung, die Nietzsche für die „blonde Bestie“ aufbrachte, für die

frohlockende(n) Ungeheuer, welche vielleicht von einer scheusslichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermuthe und seelischen Gleichgewichte davongehen, wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei.

Herr Jung bestätigt in seinem Videobeitrag, dass ich damit nicht falsch liege, wenn er zwar einräumt, dass die Ahmadiyya dem Dschihad abgeschworen haben mögen (Aha! Aber war denn der Proteste gegen deren Moschee trotzdem richtig?) – dann aber postuliert, dass dies im Umkehrschluss ja heißen müsse, dass es „ansonsten zum Islam dazugehört, eine Politikreligion zu sein und den Dschihad auch zu betreiben, also den Kampf gegen Ungläubige zur Verbreitung der Religion“. Die wissen noch, wie man kämpft! Die sind durch nichts von ihrem Welteroberungsplan abzubringen!

Wer wollte bestreiten, dass „das“ (Dschihad, Machtstreben) zum Islam „dazugehört“! (Dieses Blog ist entstanden, um daran nochmal zu erinnern, um einen iranischen Dissidenten zu unterstützen, der von den Ajatollahs eingesperrt wurde.) Nur wie gehört es dazu?  Ist es identisch mit „Islam“, ist es der unwandelbare Kern?

Die gesamte rechtspopulistische „Islamkritik“ kommt ohne die dekadenzkritische Denkfigur Nietzsches aus der „Genealogie der Moral“ nicht aus, und – das zeigen die empörten Reaktionen auf meine Anspielung – sie weiß das nicht einmal: Der Westen, wird da suggeriert, werde an seinem Moralismus, seiner Bedenkenträgerei (Rechtsstaat) und seiner Naivität eingehen und im Dhimmitum enden, während ein vormoralisches Volk, getrieben von einer auf Herrschaft um jeden Preis angelegten Religion sich anschickt, sich und seinem Gott, der eigentlich nichts ist als Wille zur Macht, die Welt zu unterwerfen. Das ist das Weltbild von Wilders, Freysinger, PI und „Freiheit“, und darum war meine Pointe mit der „blonden Bestie“eben  kein Versuch, dem blondierten Herrn aus Limburg sein Menschsein abzusprechen – sondern vielmehr, im ironischen Gestus einen Hinweis auf seine ideologischen Grundlagen zu geben.

Soll man nicht tun, Ironie funktioniert nicht in der Blogosphäre. Ich weiß. Aber manchmal muss es doch sein. Und ich habe aus den Reaktionen durchaus etwas gelernt.

 

 

Al-Kaida ist sauer auf Iran

In dem Al-Kaida-Hochglanzmagazin „Inspire“ (das sich vor allem an englischsprachige Dschihadis im Westen richtet) setzt sich die Propagandatruppe des Terrornetzwerks mit den Verschwörungstheorien des iranischen Präsidenten über 9/11 auseinander.

So etwas kann sich kein Satiriker ausdenken: Al-Kaida ist verschnupft, dass Achmadinedschad dem Netzwerk die Autorschaft an den Attentaten abspricht. Machmud A. ist bekanntlich der Überzeugung, die auch viele Politparanoiker im Westen teilen, dass die Amerikaner selber die Türme gesprengt haben, um einen Vorwand für die folgenden Kriege zu haben.
Die Dschihadisten drehen nun den Spieß um und attestieren dem Iraner Neid auf den tätigen Antiamerikanismus der Al-Kaida. Ihr quatscht nur, aber wir handeln, und wir haben die „größte Spezialoperation aller Zeiten vollbracht“. Das könnt ihr Schiiten nicht aushalten. Im übrigen habt ihr (Schiiten) den Amerikanern im Nordirak gegen Saddam geholfen. Und jetzt kommt ihr mit Verschwörungstheorien, um uns unsere größte Leistung kaputtzumachen:

The Iranian government has professed on the tongue of its president Ahmadinejad that it does not believe that al Qaeda was behind 9/11 but rather, the U.S. govern- ment. So we may ask the question: why would Iran ascribe to such a ridiculous be- lief that stands in the face of all logic and evidence?
Since the start of the Iranian revolution, Iran wanted to project an image of anti- Americanism. This would serve as a rally- ing call for the millions of Muslims around the world who despise America for its aggression against them. Iran played this card very well and garnered a lot of support among the Muslims as being the country that is willing to stand up to America.
If Iran was genuine in its animosity towards the U.S., it would be pleased to see another entity striking a blow at the Great Satan but that’s not the case. For Iran, anti-Americanism is merely a game of politics. It is anti-America when it suits it and it is a collaborator with the U.S. when it suits it, as we have seen in the shameful assistance Iran gave to the U.S. in its invasion of Afghanistan and in the Shi`a of Iraq, backed by Iran, bringing the American forces into the country and wel- coming them with open arms.
Therefore with 9/11, the Iranians saw a great operation that had brought dam- age to the U.S. like nothing they had ever dreamed of causing during their two decades in power. For them, al Qaeda was a competitor for the hearts and minds of the disenfranchised Muslims around the world. Al Qaeda, an organization under fire, with no state, succeeded in what Iran couldn’t. Therefore it was necessary for the Iranians to discredit 9/11 and what better way to do so? Conspiracy theories.
Iran and the Shi`a in general do not want to give al Qaeda credit for the greatest and biggest operation ever committed against America because this would expose their lip-service jihad against the Great Satan.

Ich fürchte, dass auch diese Intervention unsere westlichen Crazies nicht überzeugen wird, dass es nicht doch die Amis oder der Mossad waren.

Jedenfalls: Mit diesem Al-Kaida-Beitrag hat die Wirklichkeit die Satire eingeholt. Onion hat vor Jahren dieses Video veröffentlicht:

 

Eldar Farbers „Deutsche Landschaften“

Morgen erscheint in der ZEIT ein Dossier mit dem Titel „Das gelobte Land“, in dem ich zusammen mit drei Kollegen der Frage nachgehe, wie Deutschland, unbemerkt von den Deutschen, zu einem Sehnsuchtsort für Menschen aus aller Welt werden konnte. Ich habe in diesem Zusammenhang den israelischen Maler Eldar Farber getroffen. Hier mein Part vorab:

Vor fünf Jahren stand der israelische Maler Eldar Farber auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück vor einem mächtigen Baum, als ihm eine merkwürdige Frage durch den Kopf ging: „Kennt dieser Baum meinen Vater?“
Farber beschloss, den Baum zu malen. Bäume sind seine Spezialität. In Israel war Farber schon ein gefeierter Landschaftsmaler, als er sich 2005 entschloss, nach Deutschland zu reisen. Er war 35, und es war sein erster, lange heraus geschobener Besuch in Deutschland. Seine Eltern hatten beide als Kinder den Holocaust überlebt, der Vater war in Ravensbrück Häftling gewesen, bevor ihn die Sowjetarmee später im Lager Sachsenhausen befreite.
60 Jahre danach fand sich Eldar Farber auf dem KZ-Gelände hinter Leinwand und Staffelei. Wie malt man einen solchen Ort, dem der Vater nur mit Glück entkommen ist und von dem man abends am Kinderbett, wenn die Eltern vom Krieg erzählten, schreckliche Dinge hörte? Über den weiten uckermärkischen Himmel schoben Schulen von Kumuluswolken dahin.
Eldar Farber ging mit Ravensbrück um, als wäre es ein Ort wie jeder andere. Es gibt kein Zeichen des vergangenen Schreckens auf dem Bild, überhaupt kein Drama, außer dem der Wolken, die hell leuchtend über der öden Hoffläche zwischen den Baracken dahinschieben. Ein schöner, stiller, herrlicher Sommertag in Deutschland: Eldar Farbers Bild ist das Dokument einer bestandenen Mutprobe. Er war da gewqesen, an jenem Ort, und er hatte sich nicht überwältigen lassen. Der Ort hatte keine Macht über ihn. Und damit konnte er anfangen, Deutschland zu mögen.

Viele tausende, vorwiegend junge Israelis haben sich dauerhaft in Deutschland, vor allem in Berlin niedergelassen. Man schätzt sie auf mindestens 3.000. Geringe Lebenshaltungskosten und eine coole Kunst- und Musikszene spielen natürlich eine Rolle, wie für Tausende anderer junger Leute aus aller Welt. Viele israelische Linke kommen auch, weil sie das politische Klima daheim zunehmend unerträglich finden. Aber etwas Besonderes tritt hinzu, und Eldar Farbers Ravensbrück-Bild zeugt davon: In Deutschland – und hier vor allem in Berlin – lässt sich für Israelis erleben, dass die Vergangenheit, die nicht vergehen will, eben doch keine Macht mehr über einen hat. Das ist eine euphorisierende und befreiende Erfahrung, von der Farber in seinem Atelier an der Stargarder Straße im Prenzlauer Berg kaum aufhören kann zu erzählen.

„Wenn ich meine Leinwand vor mir habe, kann mir nichts passieren. Sie ist mein Schild,“ sagt Farber. Er war eigentlich nicht nach Deutschland gekommen, um Orte des Schreckens zu malen. Im Gegenteil. Seit seinen Kindertagen in Tel Aviv hatte er eine Sehnsucht nach dem deutschen Wald. Als Junge hatte er sich ausgemalt, unter Bäumen zu leben: Sich eine Hütte bauen, Beeren pflücken, jagen. In Israel gibt es keine Wälder, in denen man sich verlieren kann. Der deutsche Wald aber kann auch sehr unheimlich sein.

Bei seinem ersten Besuch brauchte Farber die Leinwand fast ein bisschen mehr als Schutzschild denn als Arbeitsmittel. Er kam jedoch in den folgenden Jahren immer wieder. Heute teilt er sein Leben zwischen Tel Aviv, Jerusalem und Berlin auf. Er verbringt die warmen Monate hier und arbeitet weiter an seinem großen Projekt der „Deutschen Landschaften“.

Wenn man seine israelischen Bilder anschaut, ist man verblüfft, wie mitteleuropäisch die Natur bei ihm aussieht. „Deine Bilder sehen überhaupt nicht israelisch aus“, hat man ihm damals vorgehalten. Er glaubt fest daran, dass ihm das Bildgedächtnis seiner Eltern, die in Polen aufwuchsen, vererbt worden sei: „Der Wald ist in meinen Genen.“

In seinem Berliner Atelier an der Stargarder Strasse im Prenzlauer Berg steht ein neues Bild, das er soeben angefangen hat, eine smaragd- bis olivfarben schillernde Waldszene aus dem Tiergarten. Ein Sehnsuchtsort, an dem man sich auch verlaufen könnte. Man würde sich nicht wundern, ein Hexenhaus im Hintergrund zu sehen.

Aber da ist kein Haus. Eldar Farber findet den Urwald oder die Savanne mitten in der Hauptstadt. Nur sehr selten malt er Objekte oder Strukturen, die an den Menschen erinnern. Er hatte eine schwer fassbare Angst vor Deutschland, als er zum ersten Mal herkam. Mit jedem Bild, das er malte, nahm sie ab. Seine Eltern waren, anders als viele Überlebende, sehr offen mit ihren Erlebnisse umgegangen. Es gab keine Geheimnisse.

Erst als er in Berlin ankam, stellte er fest, dass diese Stadt in seiner Vorstellung bis dahin schwarzweiß gewesen war, wie in alten Wochenschau-Aufnahmen.
Als er vom Flughafen Tegel aus mit dem Taxi nach Mitte fuhr, erwischte er sich bei dem Gedanken, dass das Licht an einem langen Berliner Sommerabend wunderschön ist: „In Israel gibt es dieses weiche Licht nicht. Die Kontraste sind bei uns viel härter. Aber hier in Deutschland waren sogar in den dunklen Tönen lauter Nuancen zu erkennen.“

Er begann seine Sommer im „sanften Berliner Licht“ zu verbringen, wenn die gnadenlose Sonne in Tel Aviv das Arbeiten unmöglich machte: „In Israel herrscht dann die brutale Alternative gleißenden Lichts und schwärzesten Schattens.“ Er lässt immer ein deutsche Bild unvollendet, bevor er im Herbst zurückgeht. Das Bild wartet dann den Winter über auf ihn, und so kommt er immer wieder zurück. Er will kein Deutscher werden. Berlin zieht ihn an, weil er hier ohne Angst anders sein kann.
„Zu meinem eigenen Erstaunen“, sagt Eldar Farber, fühle er sich „bei den Deutschen auf eine verrückte und zugleich natürliche Art wohl“: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sage. Aber ich liebe die Ordnung hier, dass sich die Leute an Regeln halten.“

Zugleich ist es gerade das Undeutliche und Unfertige an den heutigen Deutschen, das ihn anzieht. Farber verfolgt die Debatten mit Interesse: Deutschland ist immer noch verstört von seiner Vergangenheit. Nun muss es in eine neue Rolle hineinwachsen. Es muß Kriege führen, den Euro retten, soll die Vereinigten Staaten von Europa schaffen. Das Land ist verwirrt, weil die Lektion der Geschichte, das „Nie wieder“, keine Antwort auf die neuen Herausforderungen ist.

Eldar Farber gefällt es, in einem Land mit unsicherer Identität zu leben. Israel ist viel zu belagert, um sich so viel Unbestimmtheit leisten zu können wie Deutschland heute. Israel muss sich stets behaupten. Viele Feinde zu haben, ist Teil seiner Identität. Deutschland ist ironischer Weise vom Feind der Menschheit zu einem Land ohne Feinde geworden, das nur noch von Freunden umgeben ist.
Es passiert ihm immer noch, dass neue Bekannte merkwürdig beklommen werden, wenn sie feststellen, dass er Jude und Kind von Überlebenden ist. Er macht sich nicht lustig über die beflissene und gewissenhafte Art, mit der die Deutschen auch in der dritten Generation der Normalisierung widerstehen. „Ich bewundere das. Man kehrt da nicht unter den Teppich, sondern setzt sich wirklich auseinander mit der Vergangenheit. Und zwar, weil man es selber braucht, nicht um meinetwillen.“

Seine deutsche Freundin, mit der er Englisch spricht, hat sich einmal fürchterlich geschämt, als sie ein unpassendes Wort für die Kollaboration der Europäer bei der Judenvernichtung gebraucht hatte: „Sie hatte gesagt, die Deutschen hätten damals viel ‚outsourcing“ betrieben. Sie meinte die vielen Lager in ganz Europa. Ich musste über das Wort sehr lachen, aber sie hat fürchterlich geweint. Das war für mich ein befreiender Moment.“

Farbers „Deutsche Landschaften“ wurden letztes Jahr in Tel Aviv gezeigt. Viele alte „Jeckes“ – Israelis deutschen Ursprungs – kamen zur Vernissage. Alle Bilder wurden verkauft, bis auf das Bild aus dem Lager Ravensbrück.

Eldar Farber hat es seinem Vater geschenkt. Nun hängt es zuhause in Tel Aviv. Sein Vater liebt das Bild. Ein großer alter Baum steht im Zentrum, und der Himmel über Ravensbrück ist blau.

 

Palästinas Freunde

Eine Karte der Länder, die Palästinas Aufnahme in die Vereinten Nationen unterstützen:

Das Ganze findet sich hier auch interaktiv.

Nicht markiert sind merkwürdigerweise die Franzosen, die ja immerhin der „Vatikanlösung“ zustimmen würden.

 

Das Internet als Subkultur des Hasses

Es war eine interessante Erfahrung, hier auf diesem Blog einen digitalen Flashmob zu erleben, der von Herrn „kewil“ von PI ausgesandt worden war. Ich hatte meine Genugtuung über das schlechte Abschneiden der „Freiheit“ bekundet. War das der Grund für die hoch kochenden Gefühle, oder mehr noch die Einschätzung, dass der Rechtspopulismus in Deutschland auf absehbare Zeit marginal und ungefährlich bleiben wird?
Ich wollte eigentlich etwas Anti-Alarmistisches schreiben, habe aber eben damit Alarm in der Szene ausgelöst (die derzeit von den Enthüllungen durch die Journalisten der Dumont-Gruppe arg gebeutelt wird).
Merkwürdig: So interessant und erhellend ich die Interna finde, die von FR und Berliner Zeitung ausgegraben wurden (es gibt offenbar ein Leck oder einen Maulwurf bei PI), so wenig überzeugt mich der dräuende Ton: Ich bleibe dabei, das ist ein unangenehmer, häßlicher Spuk, der politisch weitgehend folgenlos bleiben wird. Dieses Land läßt sich nicht verrückt machen. Populismus funktioniert in Deutschland nur (noch) links. Und nicht mal dort, siehe den Niedergang der Linkspartei.
Gut so!
Von einigen der Kommentare war ich aber doch einigermaßen bestürzt. Kaum verhüllte Mordphantasien. Persönliche Anspielungen auf meine Familie. Kenntnisfreie Anklagen, ich wolle die Scharia einführen oder dergleichen.

Es ist doch recht unangenehm zu erleben, wie sich virtuelle Gruppen so schnell enthemmen können. Keine Frage, dass da auch Radikalisierungsprozesse möglich sind, wie wir sie etwa aus der Salafistenszene kennen. Nicht unmöglich, dass verwirrte einzelne da irgendwann gewalttätig werden.

Das meiste allerdings ist doch wohl eher entlastende und entspannende Meinungsmasturbation. Eine Art – Pardon! – politpornografisches Kreiswichsen. Man überbietet den Vorredner immer wieder in Beschimpfungen des Linksfaschisten Lau, des schlimmsten Journalisten seit Goebbels…. Also bitte: Wenn’s danach besser geht: be my guest!
Einige der Hereingeschneiten wunderten sich darüber, dass ihr Zeugs hier nicht wegzensiert wurde. Manche schrien geradezu danach, dass man sie löschen möge, damit das Weltbild wieder stimmt, dass man in diesem Land die Wahrheit nicht mehr sagen kann.

Tja, was nun? Es steht alles da, in seiner ganzen selbst entlarvenden Erbärmlichkeit.
Ich bleibe dabei, dass diese Szene politisch keine Zukunft hat in Deutschland. Der Mundgeruch des Ressentiments stößt dann doch viele ab, gerade auch jene, die sich zu Recht sorgen machen um das Einwanderungsland D.

Für mich ist das ein Grund dafür, stolz auf dieses Land zu sein.
Ich kann aber auch verstehen, dass es anderen, die ähnlichen Hassattacken ausgesetzt sind, nicht so leicht fällt, dergleichen mit einem Achselzucken abzutun. Wäre ich Moslem, wäre ich Türke oder Araber, ich hätte schwächere Nerven nach solchen Attacken.
Genau wie Seyran Ates, die umgekehrt die Hassattacken von jenen Türken, Arabern, Muslimen nicht so leicht abtun kann, die sie als Nestbeschmutzerin angreifen. Oder wie Henryk Broder, der immer wieder fieses antisemitisches Zeugs ertragen muß.
Ich aber werde nicht zu irgendeiner Minderheit gerechnet, daher habe ich es ziemlich einfach, ruhig zu bleiben.
Ratlos lassen mich viele der fast 1.000 Kommentare zurück, was die segensreiche Wirkung (Hallo Piraten!) des Internets angeht. Von selbst kommt sie nicht, und es ist im Gegenteil auch Fürchterliches darin möglich. Das Netz ist auch ein sehr gutes Mittel zur Selbst- und Gruppenverhetzung.

Ich denke (hoffe), dass auch unter den Schreibern viele sind, die sich im wirklichen Leben schämen (würden) für das, was sie da absondern. Sie würden so etwas wohl nicht auf Papier schreiben und zur Post bringen, mit Absender und Briefmarke. Das zeigt, dass unser Internet-Ethos unter den Möglichkeiten des Mediums bleibt.
Verbote und Zensur können den Weg aus dem Schlamm von Ressentiments und Hass nicht weisen. Die besondere Form der Enthemmung, die online möglich ist, spricht dafür, dass das Netz viele Leute doch immer noch überfordert. Es ist ein Medium für Erwachsene – mit einer gewissen Triebkontrolle und Selbststeuerungsfähigkeit.
Und übrigens auch Bereitschaft zur Selbstkritik. Wo wir schon dabei sind: das Wort „verachtenswert“ hätte nicht sein müssen. Und auch dass ein breites Publikum die ironische Referenz auf Nietzsche („blonde Bestie“, übrigens ein positiver Begriff!) nicht versteht, wenn doch der Gemeinte nur blondiert ist, hätte ich wissen müssen.