Wir sind wieder wer – aber wer? Deutschland zwischen Hegemonie und Selbstverzwergung

Für die aktuelle Ausgabe der ZEIT habe ich mit dem Kollegen Marc Brost eine Einschätzung der deutschen Außenpolitik geschrieben – zum morgen beginnenden G-8 Gipfel. Der Text steht auf der Seite 3 der Zeit von morgen:

Thomas de Maizière hat einen Nebenberuf. Er ist jetzt zweiter Chefdiplomat der Regierung. Seine erste Mission: Reparaturarbeiten im westlichen Bündnis. Der neue Verteidigungsminister lächelt verbissen, als er am Mittwoch der vergangenen Woche vor die Generalität von Heer, Luftwaffe und Marine tritt. Hier, in der Julius-Leber-Kaserne im Berliner Stadtteil Wedding, will er die Truppe für einen historischen Schnitt begeistern – den Umbau der Bundeswehr in eine Freiwilligenarmee. Aber de Maizière hat an diesem Tag noch mehr vor. Er will Signale nach draußen senden: an die Verbündeten.

Nein, liebe Freunde, wir melden uns nicht ab.
Nein, wir gleiten nicht klammheimlich ab, in Neutralismus und Isolation.
Der Neue spricht vom level of ambition seiner Truppe und davon, dass er die Zahl der einsatzbereiten Soldaten steigern wolle – um ein Drittel, auf 10 000 Mann. Dann gestattet er sich noch eine Unfreundlichkeit in Richtung des Kabinettskollegen Westerwelle. Man müsse künftig nicht nur jeden Einsatz begründen, sagt der Minister, sondern auch bedenken, »welche Folgen ein Nicht-Einsatz hat«.
Das Wort Libyen fällt nicht. Aber das Signal an die deutschen Verbündeten ist auch so klar: Wir wissen, dass euch unsere Enthaltung im UN-­Sicherheitsrat nicht eingeleuchtet hat. Wir sind zu verflochten mit der Welt, um uns noch einmal auf einen deutschen Sonderweg zu begeben. Wir hatten uns da nur kurzfristig etwas verlaufen.
Für Angela Merkel kommen diese Signale gerade rechtzeitig. An diesem Donnerstag und Freitag trifft die Kanzlerin auf die Mächtigen der G 8, der wichtigsten Industriestaaten. Und die Agenda dieses Wirtschaftsgipfels ist geprägt von den außenpolitischen Erschütterungen.

Im französischen Deauville wird über die Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten gesprochen werden – und über mögliche Hilfe des Westens. Seit der Libyen-Entscheidung steht Merkel unter Druck. Man konnte es merken, als sie sich etwas übereifrig über bin Ladens Tod freute – als hätte sie bei den amerikanischen Freunden, die sie eben noch ohne Not im Stich gelassen hatte, etwas gutzumachen. So paradox können die Folgen des Nicht-Einsatzes aussehen.
Man wird in Deauville aber auch über Japans Notlage reden, die Folgen der Atomkatastrophe, die Euro-Krise und Afghanistan. Viel hängt dabei von Deutschland ab – schon wegen der Schwäche der anderen. Japans Wirtschaft wurde durch Erdbeben, Tsunami und Super-Gau um Jahre zurückgeworfen. Amerika ist strukturell überschuldet und außenpolitisch überdehnt. Großbritannien unterliegt brutalen Sparzwängen. Frankreich und Italien kommen mit erratischen Chefs schlecht durch die Krise, und beider Länder politische Kulturen sind durch die Skandale um »Bunga Bunga« und Dominique Strauss-Kahn tief erschüttert. Sieht man von den Zaungästen Kanada und Russland ab, läuft alles auf die Deutschen zu, die als Einzige die Krise nahezu unbeschadet überstanden haben.
Merkel wird das zu spüren bekommen, im Kreis der anderen Regierungschefs. Selten war Deutschland so wichtig – und zugleich so isoliert wie heute. Die Regierung agiere »ausweichend, abwesend, und unvorhersehbar«, heißt es in einem Thesenpapier des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR). Die Gleichzeitigkeit von Euro-Krise und neuem deutschen Wirtschaftswunder macht Deutschland zu einer unverzichtbaren Nation. Aber ein Land, auf das es derart ankommt, wird auch anders angeschaut. Wir sind wieder wer – aber wer?

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Polenz: Deutschland muss das Waffenembargo gegen Gadhafi mit durchsetzen

Ruprecht Polenz (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Er hat noch nie gescheut, auch gegen die Linie der eigenen Partei Stellung zu beziehen. Zuletzt hat davon sein Buch „Besser für beide. Die Türkei gehört in die EU“ Zeugnis abgelegt. Polenz hatte auch bereits im Bundestag die Position der Regierung in der Libyen-Frage kritisiert. Ich habe ihn für die morgige Ausgabe der Zeit befragt über Deutschlands Möglichkeiten, den entstandenen Schaden in den Bündnissen zu reparieren – und über die historische Bedeutung der UN-Resolution:

DIE ZEIT: Herr Polenz, das Flugverbot für Gadhafis Truppen ist in Kraft. Hätte Deutschland für die Intervention stimmen sollen?

Ruprecht Polenz: Ich habe immer gesagt, dass zwei Voraussetzungen für einen Einsatz erfüllt sein müssen: eine Resolution des Sicherheitsrats als völkerrechtliche Grundlage und zweitens eine sichtbare Beteiligung von Staaten der Region. Das letztere um zu vermeiden, dass der Eindruck entsteht, es gehe dem Westen ums Öl und nicht um humanitäre Gründe.
Deutschland hätte zustimmen sollen, als beides gegeben war. Das hätte nicht zwangsläufig bedeutet, sich auch militärisch zu beteiligen. Wir sind durch unser Engagement in Afghanistan, auf dem Balkan und am Horn von Afrika schon an der Grenze unserer Möglichkeiten. Eine Zustimmung hätte schon deshalb nicht automatisch die Verstrickung in einen weiteren Konflikt bedeutet.

ZEIT: Eben das aber war die Position des Außenministers und der Kanzlerin: Weil man deutsche Soldaten in Libyen ausschließen wollte, habe man sich nur enthalten können.

Polenz: Da stimme ich mit der Auffassung der Bundesregierung nicht überein. Bodentruppen wären durch die Resolution 1973 ohnehin nicht gedeckt. Russland und China würden sofort von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, um deren Entsendung zu verhindern. Auch Obama hat deutlich gemacht, dass die USA auf keinen Fall Bodentruppen einsetzen werden. Wer dennoch berechtigte Sorgen vor Weiterungen einer solchen Mission hat, kann sich auch ausklinken, wenn es so weit ist. Nun ist aber der Eindruck entstanden – wenn auch unbeabsichtigt – dass Deutschland nicht zu seinen Verbündeten steht. Das hätte man vermeiden müssen.

ZEIT: Hat Deutschland sich isoliert?

Polenz: Nein, so weit ist es noch nicht. Wir können dem Eindruck entgegensteuern, wenn wir jetzt in der Nato in den Stäben weiter mitarbeiten, die die Flugverbotszone und die anderen militärischen Aktionen in Libyen planen. Es wird auch über die Frage zu sprechen sein, ob sich Deutschland nicht doch an der Überwachung des Waffenembargos im Mittelmeer beteiligt.

ZEIT: Aber die Bundesregierung hat doch soeben die dazu fähigen Schiffe aus der Nato-Mission Active Endeavour im Mittelmeer zurückgezogen?

Polenz: Das war nicht anders möglich, denn deren Mandat war für den Antiterrorkampf ausgelegt. Aber der Verteidigungsminister scheint mir offen dafür zu sein, dass die Deutschen sich an der seeseitigen Kontrolle des Waffenembargos beteiligen. Ich fände das richtig. Deutschland hat in der Libyen-Resolution Nummer 1970 im UN Sicherheitsrat einem solchen Embargo zugestimmt, da läge es in der Konsequenz, auch an der Durchsetzung dieser Maßnahme teilzunehmen. Es ergibt keinen Sinn, einem Embargo zuzustimmen, dann aber seine Überwachung abzulehnen. Darüber müssen wir jetzt diskutieren.

ZEIT: Außenminister Westerwelle verteidigt die Enthaltung im Libyenkonflikt als Überzeugungstat, die im vollen Bewußtsein der bündnispolitischen Konsequenzen erfolgt sei. Ein deutscher Sonderweg ohne die traditionellen westlichen Verbündeten als neue Doktrin, ausgerechnet unter Schwarz-Gelb?

Polenz: Es gehört zu den Prinzipien der deutschen Außenpolitik, eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich innerhalb der europäischen Union zu pflegen. Und die deutsche Außenpolitik muss in eine gemeinsame Außenpolitik der EU eingebettet bleiben. Sicherheitspolitisch sind wir Mitglieder der Nato mit Rechten und Pflichten. Wir müssen darum nicht bei jedem Einsatz an vorderster Front dabei sein. Man kann seinen Beitrag auch an anderer Stelle bringen. Aber wir sollten schon darauf achten, dass wir nicht wie jene Länder wahrgenommen werden, mit denen wir jetzt gemeinsam gestimmt haben – Russland, China oder Indien.

ZEIT: Über Frankreich wird in Berlin derzeit sehr schlecht geredet. Sarkozy habe nur aus Profilierungssucht gehandelt.

Polenz: Frankreich will sicher auch in Libyen nachholen, was es in Tunesien versäumt hat: Empathie für die arabische Revolte. Als Sarkozy vorpreschte, waren die Bedingungen für eine erfolgreiche Intervention nur auf dem Papier erfüllt. Eine sichtbare Beteiligung der Araber haben wir bis heute nicht. Das ist wichtig, damit es nachher nicht heißt, der Westen mische sich imperialistisch ein. Al-Dschasira muss das filmen können. Aber wir sollten zurückhaltend sein mit Kritik an den Franzosen. Deren schnelles Eingreifen hat in Bengasi Schlimmstes verhütet.

ZEIT: Die Franzosen hingegen sind entsetzt, dass die Deutschen durch ihr Abstimmungsverhalten dokumentiert haben, dass sie einem Massaker in Bengasi zugeschaut hätten.

Polenz: Das ist ungerecht. Wir hätten ohnehin nur begrenzte Kapazitäten gehabt, um in Libyen mitzutun. Zum einen wären es unsere Awacs-Überwachungsflugzeuge gewesen, die zu Feuerleitstellen über dem Mittelmeer geworden wären. Weil das nach der deutschen Enthaltung nicht möglich ist, werden die jetzt über Afghanistan die Nato entlasten. Zweitens wären die deutschen ECR-Tornados gefordert worden, die besondere Fähigkeiten haben, feindliche Radaranlagen auszuschalten. Aber das war’s denn auch schon.

ZEIT: Nun hat die Nato das Kommando über die Libyen-Intervention übernommen – und die Deutschen stehen abseits?

Polenz: Nein. Das gibt den Deutschen die Möglichkeit, durch die Mitarbeit in den Nato-Stäben zu zeigen, dass unsere Enthaltung keine Abkehr vom Bündnis bedeutet.
ZEIT: Dürfen wir denn da konsequenter Weise mitmachen, nachdem wir der Resolution unsere Zustimmung verweigert haben?
Polenz: Wir brauchen in Deutschland kein Mandat des Bundestages, wenn ein ohnehin schon bestehender Stab eine solche Aufgabe erfüllt. In dem Moment, wo für eine spezielle Aufgabe neue Stäbe zusammengestellt werden, brauchen wir ein neues Mandat des Bundestages. Und die Bundesregierung sollte den Nato-Partnern signalisieren, dass sie dies auch bekommen würde. Deutschland darf sich jetzt nicht wegen der Mandatsfrage einen Knoten ins Bein machen.

ZEIT: Kritiker der Intervention sagen, die Bombardierung in Libyen gehe längst über das hinaus, was in der UN-Resolution vorgesehen ist, nämlich Schutz der Zivilbevölkerung. De facto agierten die westlichen Piloten als Luftwaffe der Rebellen, die jenen den Weg nach Tripoli freischießt.

Polenz: Das Mandat der Uno-Resolution geht sehr weit. Es schließt eigentlich nur Besatzungstruppen am Boden aus. Völkerrechtlich hat die Resolution erstmals das Prinzip der Schutzverantwortung für die Zivilbevölkerung beherzigt, die „responsibility to protect“. Das ist ein historischer Schritt, der noch nicht genügend gewürdigt wird. Aber man muss doch vor allem die politische Bedeutung der Resolution würdigen. Denn was ist in der arabischen Welt zwischen Oktober 2010 und März 2011 passiert? Die Araber haben keine Angst mehr. Wenn Gadhafi sich mit brutaler militärischer Gewalt durchgesetzt hätte, dann wäre die Angst wiedergekommen. Darum steht hier politisch mehr auf dem Spiel als nur Libyen. Der Militäreinsatz hat jetzt schon dazu geführt, dass Gadhafi sich in Libyen nicht mehr durchsetzen kann. Und damit ist ein ganz wesentliches Ziel auch hinsichtlich der Nachbarländer erreicht: keine Wiederkehr der Angst. Wie lange der Diktator sich jetzt noch halten kann, hängt an der Entwicklung der Kräfteverhältnisse im Land.

ZEIT: Also geht es doch um Regimewechsel?

Polenz: Das ist eine Frage, die die Libyer am Ende unter sich zu klären haben werden.
ZEIT: Wie lange kann der Einsatz noch dauern? Obama hat „eher Tage als Wochen“ in Aussicht gestellt.
Polenz: Das kann auch so kommen: Wenn Gadhafis Truppen sich nicht mehr bewegen, muss man auch nicht mehr eingreifen. Dann ist es ein Zustand intensiver Beobachtung und Kontrolle. Ziel ist, dass die Libyer selber entscheiden können, wie es weitergehen soll.
ZEIT: Macht sich, wer so interveniert, nicht zur Geisel der Aufständischen? Was, wenn die nun Vergeltung wollen und selber Massaker begehen?
Polenz: Das ist eine Gefahr. Aber wer Gadhafis Truppen hindert gegen Zivilisten vorzugehen, reduziert auch Anlässe für Vergeltung. Wird man das hehre Prinzip der Schutzverantwortung – „responsibility to protect“ – nun immer und überall durchsetzen können? Sicher nicht. Aber es ist ein Fortschritt deutlich zu machen, dass staatliche Souveränität, wie wir sie seit 1648 verstanden haben, nicht beinhaltet, dass ein Diktator mit seinen Bürgern machen kann, was er will.

 

Das deutsche Nein zum Libyen-Krieg

Mein Text aus der ZEIT von morgen, 24.3.2011, S.10:

Ein paar Wochen lang schien Deutschland am Mittelmeer zu liegen. Die deutsche Außenpolitik stand im Februar nach erstem Zögern plötzlich im Bann der arabischen Revolten. Es waren die Deutschen, nicht die Franzosen oder die Italiener, die zuerst die Chance im demokratischen Wandel der südlichen Nachbarschaft erkannten. Die Eskalation in Libyen und das deutsche Nein zum Flugverbot haben nun alles wieder gedreht. Und auf einmal ist das Mittelmeer wieder sehr breit.
Dabei war dem Außenminister, der lange mit dem Amt fremdelte, durch den Aufstand in Arabien unversehens ein Thema serviert worden: die Freiheitsliebe – welch ein Geschenk für einen Liberalen. Er trank demonstrativ Kaffee mit Bloggern in Tunis und badete in der Menge auf dem Kairoer Tahrir-Platz. Mehr als das: Deutschland preschte voran mit Hilfsangeboten für die Demokratiebewegungen und drängte auf Sanktionen gegen Despoten, während Frankreich beschämt beiseite stand wegen der Tyrannen-Kuschelei seiner Minister. Man werde die alte Arbeitsteilung in der EU – Deutschland ist für die östliche Nachbarschaft zuständig, Frankreich für den Süden – nicht mehr akzeptieren, verkündete Westerwelle auf der Höhe seiner Begeisterung. »Wir stehen an der Seite der Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt«, deklamierte er in Kairo.
Doch vier Wochen später steht Deutschland an der Seite von Russland und China, Brasilien und Indien, mit denen es sich im Sicherheitsrat einer UN-Resolution zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung vor dem »Diktator Gadhafi« (Westerwelle) verweigert hat. Hat Deutschland sich damit in der EU, der Nato, den Vereinten Nationen und gegenüber den arabischen Staaten isoliert? Westerwelle und Merkel bestreiten es vehement, wenn auch wenig überzeugend. Ihre Bedenken gegen den Einsatz in Libyen würden von vielen Regierungen geteilt. Das mag sein. Doch noch nie hat Deutschland sich gegen alle seine wichtigen westlichen Partner gestellt. Wie ist es dahin gekommen?
Sehr früh hat Deutschland sich darauf festgelegt, eine Flugverbotszone in Libyen abzulehnen. Bei seinem Besuch in Kairo Ende Februar nannte Westerwelle sie immerhin noch eine »Option«. Aber damals schien sie nur eine sehr entfernte Möglichkeit. Skeptische Äußerungen des amerikanischen Verteidigungsministers ­Gates bestätigten die deutsche Diplomatie in ihrer Ablehnung: ein Flugverbot bedeute nichts anderes als Krieg. Man schraubte die Forderungen hoch: Die Arabische Liga müsse das Flugverbot unterstützen und sich aktiv daran beteiligen. Auch brauche es einen UN-Beschluss, um den Eindruck vom westlichen Imperialismus einer neuen Koalition der Willigen zu vermeiden. Man dürfe dem Aufstand nicht die Legitimation nehmen und dem Diktator keinen Vorwand für Propaganda liefern. Weil es unwahrscheinlich schien, dass sowohl die Araber sich einigen als auch Russen und Chinesen im Sicherheitsrat auf ihr Veto verzichten könnten, rechneten die Deutschen nicht damit, dass ihr Nein zum Flugverbot getestet würde.
Das hat sich als fatale Fehleinschätzung erwiesen: Es fing damit an, dass die Arabische Liga Anfang März erstmals einem Tyrannen aus ihren Reihen nicht mehr die Hand reichte, sondern Gadhafi zunächst ausschloss und dann ein Flugverbot forderte, um die Aufständischen zu schützen. Statt diese historische Wende zu würdigen und die Araber beim Wort zu nehmen, begann Berlin Zweifel an deren Entschlossenheit zu säen. Man verwies auf die Ambivalenz der arabischen Forderung: Flugverbot ja, Intervention nein. Das sahen die Deutschen als eine Falle: Wenn es schiefgeht, ist der Westen schuld. Unbegründet ist das nicht, wie die arabischen Absetzbewegungen nach den ersten zivilen Opfern der Luftschläge zeigen.
Doch die Forderung der Araber, wie zweideutig auch immer, setzte eine Dynamik in Gang, die Deutschlands Kalkül überrollte. Als schließlich Gadhafis Vernichtungsdrohungen gegen die Opposition in Bengasi die Weltgemeinschaft vor die Frage stellten, ob man nach Bosnien und Ruanda noch einmal einem Blutbad zusehen würde, kippte die Debatte. Hilary Clinton ließ sich von der libyschen Opposition überzeugen, und der irrlichternde Sarkozy sah plötzlich ein Chance, Frankreichs ramponiertes Ansehen bei den Arabern aufzubessern – zunächst durch Anerkennung der Opposition, dann durch diplomatischen Druck zu einer Resolution. Damit war Deutschland de facto in die unangenehme Lage gekommen, auf ein russisch-chinesisches Veto hoffen zu müssen, damit es nicht zum Schwur kommen würde. Doch so kam es am letzten Donnerstag. Die Enthaltung der beiden Vetomächte war de facto eine Zustimmung zur Intervention – ein historischer Schritt für die Gralshüter der Nichteinmischung. Deutschlands Enthaltung hingegen war in Wahrheit ein Nein.
Hätte Deutschland nicht aus Bündnissolidarität mit Ja stimmen und doch eine militärische Beteiligung ausschließen können? Westerwelle verneint diese Möglichkeit entschieden: Man wäre ohne Zweifel in die Verantwortung genommen worden. Da man aber auf keinen Fall deutsche Soldaten schicken wollte, sei nur die Enthaltung geblieben. Dies sei eine schwere Entscheidung gewesen, hart, aber richtig, und sie sei im vollen Bewusstsein der Konsequenzen gefällt worden, heißt es in Diplomatenkreisen. Wird aus einem diplomatischen Unfall jetzt auch noch eine neue Doktrin destilliert? Hätte Deutschland wirklich einem Blutbad in Bengasi zugeschaut? Oder glaubte man, sich im Zweifelsfall auf andere verlassen zu können – um nur ja eine unangenehme Kriegsdebatte im Wahlkampf vermeiden zu können? Dafür spricht, dass Angela Merkel die Unionsabgeordneten händeringend darum gebeten hat, jede öffentliche Äußerung im Hinblick auf den Wahltermin am Sonntag zu unterlassen. Schwarz-Gelb fällt damit zurück auf den Debattenstand vor der schmerzhaften rot-grünen Entscheidung, im Kosovo mitzutun.
Das Kompensationsgeschäft, das die Bundesregierung jetzt anbietet, zeigt die paradoxe Lage: Man wird deutsche Soldaten in Awacs-Flugzeugen zur Luftraumüberwachung nach Afghanistan schicken. Ende November letzten Jahres hat dieselbe Bundesregierung ebenjene Mission noch hintertrieben, die sie nun Hals über Kopf durch Kabinett und Parlament peitschen will. In Afghanistan mehr tun, weil man gegen Ga­dha­fi nicht mitmachen will? Der offizielle Grund lautet, man wolle die Nato entlasten. Mindestens so sehr aber will die Regierung sich selbst entlasten. Der Awacs-Einsatz ist ein verteidigungspolitischer Ablasshandel. Aber das ist nur ein kleines diplomatisches Desaster im Großen.
Die Regierung, sagt Heiner Geißler, »hat mit der Weigerung, sich an der Luftüberwachung Libyens zu beteiligen, unser Land in die Kumpanei mit Russland und China und in die Isolation gegenüber den arabischen Staaten und unseren westlichen Verbündeten geführt. Kein Außenminister vor Westerwelle hat es so weit kommen lassen. Selbst bei der Ablehnung des Irakkrieges durch Gerhard Schröder hatte Deutschland Frankreich an seiner Seite.«
Westerwelle beruft sich auf große Vorbilder: Schröder und Fischer
Ironischerweise sieht Westerwelle das deutsche Nein von heute in der Linie der bis heute populären rot-grünen Kriegsverweigerung von 2003. Er sieht aufseiten der heutigen Koalitionäre die gleiche Leichtfertigkeit bei der Entscheidung zum militärischen Eingreifen am Werk wie damals im Lager der Bushisten. Und er wird nicht müde zu betonen, dass sich auf eine »schiefe Ebene« begebe, wer heute in Libyen mit Luftschlägen eingreife. Soll heißen: Am Ende werden auch hier Bodentruppen in einem blutigen Bürgerkrieg stehen.
Doch der Irak-Vergleich ist eine Mogelpackung: Bushs Irakkrieg war ein mutwilliges, ideologisch gesteuertes Unternehmen, gestützt auf fabrizierte Beweise, ohne Resolution des Sicherheitsrats. Es geht heute aber nicht um regime change von außen à la Bush, sosehr auch alle Welt Gadhafis Abgang ersehnt. Ziel der Resolution ist Schutz eines Aufstands von innen, dessen blutige Niederschlagung unmittelbar bevorstand.
Die spezielle Ironie bei Westerwelles Irak-Analogie liegt darin, dass er seinerzeit selber Schröder und Fischer vorgeworfen hatte, »schäbig und unseriös« einen »Kriegsangst-Wahlkampf« zu  führen. Damals klagte Westerwelle, Schröder und Fischer seien dabei, »Deutschland zu isolieren« und forderte »zügige Neuwahlen«.  Vielleicht erklärt das, warum Joschka Fischer  jetzt mit der traditionellen Zurückhaltung eines Amtsvorgängers bricht: Westerwelle starre bei seinen Entscheidungen auf »Provinzwahlen« und  setze deutsche Interessen aufs Spiel.
Aber was heißt hier Provinz? Die Landtagswahlen am kommenden Wochenende sind unversehens nicht nur zum Referendum über eine neue Atompolitik, sondern auch über eine neue Außenpolitik geworden.

 

Der Islam gehört zu Deutschland

Die dümmste Debatte des letzten Jahres geht in die dritte Runde: Gehört der Islam zu Deutschland? Ja oder nein? „Historisch“?

Eine neue Lesart schält sich heraus: Muslime ja, Islam nein. Klasse. Das ist endlich die Lösung! Muslime ohne Islam? Das muss doch irgendwie gehen.

Never mind, dass viele „Muslime“ hierzulande ohnehin areligiös leben. Je mehr aber der neue Innenminister und andere obsessiv über „die Zugehörigkeit des Islams“ zu Deutschland reden, um so mehr wird die Identität auch nichtreligiöser Muslime „islamisiert“. Ja, so paradox ist das: Ich höre in letzter Zeit immer wieder: Ihr schafft das noch, dass ich mich als Muslim identifiziere. Oder: Erst hier bin ich zum Muslim geworden, durch das Dauerfeuer der Debatte. Wollen wir das?

Angesichts des Frankfurter Mordanschlags reden wir jetzt wieder über Radikalisierung: Dummerweise beruht das Hauptverkaufsargument der Salafisten für ihren Steinzeitislam auf der Unterstellung, im Westen würden nur „Muslime ohne Islam“ geduldet. Darum müssten „wahre Muslime“ zu den Wurzeln der „wahren Religion“ zurückkehren, um sich gegen diese tiefsitzende Islamfeindlichkeit zu wehren. Der neue Innenminister hat soeben Pierre Vogel, Deso Dogg/Abu Malik, Scheich Abdellatif  et alii eine erstklassige Vorlage geliefert. Der Islam gehört hier nicht dazu – das übersetzt sich in der Propaganda der Salafisten in den Satz: Dass dein Islam der richtige und wahre ist, merkst du daran, dass die anderen ihn ablehnen. Einen Islam, den die akzeptieren könnten, musst Du, im Umkehrschluss, verwerfen. Der kann nicht richtig sein.

Vielleicht sollte sich der Neue im BMI mal mit den Verfassungsschützern treffen, die an vorderster Front gegen die Radikalisierung in Teilen der islamisch geprägten Jugend arbeiten. Er würde auf eine erstaunliche Sorge treffen, was das gesellschaftliche Klima in diesem Land post Sarrazin angeht. Der VS ist darauf angewiesen, dass Muslime mit den Behörden kooperieren. Dass der Islam nicht zu Deutschland gehört, ist nicht die Arbeitshypothese unserer Verfassungschützer.

Sie müssen glaubhaft widerlegen können, dass „der Islam“ per se hier ausgegrenzt wird aus irgendeinem Vorurteil oder christlich-abendländischen Dünkel heraus. Und das ist ja auch in Deutschland nicht der Fall. Warum also diese Wahrnehmung anheizen durch „historische“ Exkurse über Fragen, in denen nie ein ernsthafter Mensch das Gegenteil behauptet hat? Wie soll man so etwas anders wahrnehmen denn als leicht verklemmte Form der Schikane?

Die Sicherheitsdienste brauchen das Vertrauen, dass unterschieden wird zwischen denen, die die Religionsfreiheit missbrauchen und denen, die sie legitimer Weise in Anspruch nehmen. Eine Aussage wie die Friedrich’sche, der Islam gehöre („auch historisch“) nicht zu Deutschland, zersetzt dieses Vertrauen. Er unterminiert die Bemühungen der Sicherheitsorgane, die Propaganda der Radikalen zu widerlegen, die einen ewigen und unüberbrückbaren Gegensatz konstruiert zwischen Islam und Demokratie, Islam und Menschenrechten, Islam und westlichen Werten.

Es gibt sehr gute Broschüren, etwa neuerdings vom VS des Landes Berlin, in denen jene islamistische Ideologie auseinandergenommen wird, die den absoluten Gegensatz zwischen Islam und unserer Rechtsordnung betont. Die „Zerrbilder von Islam und Demokratie“ werden dort auf deutsch, türkisch und arabisch widerlegt. Niemand macht sich Illusionen darüber – vor allem nicht die Verfassungsschützer – dass es noch ein langer Weg ist, bis nicht nur eine stille Akzeptanz unserer Rechts- und Werteordnung durch „den Islam“ erreicht ist, sondern bis die islamische Theologie in ihren eigenen Lehren gute Gründe für die Säkularisierung (also Entmächtigung ihrer selbst) finden wird. Der katholischen Lehre ist das (vor wenigen Jahrzehnten erst) auch gelungen, und heute tut die Kirche gerne so, als wäre ihr die Idee geradezu selbst gekommen, dass man kirchliche und weltliche Macht zu trennen habe. Der Islam wird es noch viel schwerer damit haben, das ist absehbar trotz aller Reformansätze. Vielleicht wird es auch nie zu einer klaren Sphärentrennung kommen, sondern bloß – bloß! – zu einem modus vivendi. (Mir würd’s reichen, weiß Gott.)

Das sollte die Sorge eines Innen- und damit Verfassungsministers – sein. Unsere Sicherheit hängt daran. Ein Minister, der seinen Diensten die Arbeit schwerer macht, macht Deutschland weniger sicher.

p.s. Ich habe kürzlich einen Vortrag bei einer VS-Tagung gehalten, bei der es um Radikalisierung und Strategien dagegen ging.  Meine sorgenvolle Analyse der Debatte in diesem Land hat dort erstaunlich viel Beifall bekommen. Man fürchtet dort, dass das aggressive Klima Bemühungen um Deradikalisierung konterkariert. Hier mein Text dessen Schlussfolgerungen ständigen Besuchern dieses Blogs nicht fremd sein werden:

„Können Medien der Radikalisierung junger Muslime entgegenwirken?“

Auf den ersten Blick ist das eine merkwürdige Frage: Wenn etwa in einem Leitartikel der ZEIT der militante Islamismus verdammt wird, so wird das wohl keinen gefährdeten jungen Mann davon abhalten, sich in ein Terrorcamp zu begeben. (Und das liegt nicht nur an der Schichtzugehörigkeit unserer Leser. Auch die BILD kann da nicht viel ausrichten.)
Wir erreichen solche Menschen doch gar nicht, könnte man meinen. Vielleicht wäre sogar das Gegenteil denkbar: Dass sich jemand für den bewaffneten Kampf gegen diese Gesellschaft im Namen des Islams entscheidet, gerade WEIL der Mainstream unserer Medien dies verdammt.
Islamismus ist auch, das haben wir anhand radikalisierter Konvertiten und junger Muslime der zweiten und dritten Generation gelernt, RADICAL CHIC. Es wird die totale Gegenposition zum Bestehenden gesucht, man schlägt sich gerade absichtsvoll auf die Seite der Bewegung, die am meisten gefürchtet und abgelehnt wird. In den 70ern war das im Westen der Kommunismus, heute ist es für manche der Islamismus. Dass man sich außerhalb des Mainstreams stellt, wenn man Islamist wird, ist oft Teil der Attraktion.

Menschen, für die es so weit gekommen ist, dass sie sich in absolute Ablehnung des Bestehenden begeben, erreichen wir aber weder mit einem wohl argumentierten Leitartikel wider den politischen Islam noch mit einem aufklärenden Stück über den „wahren Islam“, der Selbstmordattentate ablehnt.

Also: Wir werden zwar weiter solche Artikel publizieren, aber deren „antiradikalisierende Wirkung“ kann man sich wohl kaum so vorstellen, dass der nächste Mohammed Atta oder Fritz Gelowicz die FAZ, den Spiegel oder die ZEIT beiseite legt, nachdenklich wird und seine Reise nach Pakistan absagt.

Trotzdem halte ich es für richtig, dass Sie im Rahmen des Anti-Radikalisierungsprogramms über die Medien nachdenken. Um in den Blick zu bekommen, was die Medien in diesem Zusammenhang für eine Funktion haben, muss man freilich den Blick weiten.

Der Soziologe Niklas Luhmann hat in seinem Buch über die „Realität der Massenmedien“ gesagt:
„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“

Das ist ein radikaler Satz. Aber so weit muss man die Perspektive öffnen, um die möglichen Zusammenhänge von Medien, Islam, Islamismus, Salafismus und Dschihadismus zu erkennen. In dem Konzept, das Sie mir freundlicher Weise zugeschickt haben, werden fünf „Radikalisierung begünstigende Faktoren“ aufgezählt: Einfluss von Predigern und ehemaligen Kämpfern, Internet und Videopropaganda, unmittelbare Bezugsgruppe Gleichgesinnter, soziale Entfremdung, Gefühl des Nicht- Dazugehörens, Aufenthalt in Terrorcamps.

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Kriegsgetrommel gegen Teheran

Mein Kommentar zu der jüngsten rhetorischen Eskalation gegen Iran aus der ZEIT dieser Woche, S.4:

So geht es politischen Verlierern: Wer den Schaden hat, braucht sich um schlaue Tipps nicht zu sorgen. Seit Obamas Desaster bei den Kongresswahlen treffen täglich ungefragt außenpolitische Ratschläge im Weißen Haus ein. Ein Muster zeigt sich: Obama soll sich durch Eskalation im Atomkonflikt mit Iran sanieren.
Wie bitte? Hat nicht soeben die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton grünes Licht aus Teheran bekommen, mit der Führung erneut in Verhandlungen einzusteigen? Am 5. Dezember will man sich erstmals nach einem Jahr Schweigen wieder zu Gesprächen mit den Iranern treffen. Doch vielleicht gibt es ja Wechselwirkungen zwischen der diplomatischen Offerte und dem anschwellenden Kriegsgetrommel. Die verschärften Sanktionen, die im Sommer von den Vereinten Nationen mit China und Russland beschlossen wurden, wirken: Dass die Iraner jetzt reden wollen, spricht dafür. Allerdings glauben auch glühendste Verfechter der Diplomatie nicht, dass Sanktionen allein reichen, ein Atomprogramm zu stoppen.
Man braucht Druck und Drohungen, um zu verhandeln. Doch hier scheint ein anderes Spiel zu beginnen: Der Druck auf Obama steigt, die Kriegsbemalung aufzutragen. Der dienstälteste Kolumnist der Washington Post, David Broder, rät dem Präsidenten, er solle »2011 und 2012 damit verbringen, einen Showdown mit den Mullahs zu orchestrieren. Dies wird ihm politisch helfen, weil die Opposition ihn dabei unterstützen muss. Während die Spannung anwächst und wir die Kriegsvorbereitungen beschleunigen, wird sich die Wirtschaft erholen.«
Krieg als Konjunkturprogramm – das ist schwer zu toppen. Doch beim Krieg der Worte lassen sich die erstarkten Republikaner nicht den Schneid abkaufen. Ihr Wiederaufstieg sei »eine gute Nachricht für den Präsidenten, wenn er stark gegenüber Iran sein« wolle, so der maliziöse Senator Lindsay Graham vor zehn Tagen auf dem Internationalen Sicherheitsforum im kanadischen Halifax. Graham prophezeite der Elite westlicher Verteidigungspolitiker, in einem Jahr werde »ziemlich klar sein, dass die Sanktionen nicht wirken«, und darum müssten jetzt »alle Optionen auf den Tisch«. Man solle »nicht bloß das Nuklearprogramm neutralisieren (…), sondern die iranische Marine versenken, ihre Luftwaffe zerstören und einen entscheidenden Schlag gegen die Revolutionsgarden führen. In anderen Worten: Kastriert dieses Regime.«
Ein altes Projekt der Neokonservativen hat Rückenwind nach den Kongresswahlen: Nach Kabul und Bagdad – auf nach Teheran! Senator John McCain, der führende Außenpolitiker der Republikaner, erklärt den Regimewechsel wieder zum Ziel amerikanischer Politik. Und der amerikanische Generalstabschef Mike Mullen sagte vor wenigen Tagen an der Stanford-Universität: »Die Sanktionen beginnen wehzutun, aber bis jetzt erkenne ich keine Distanzierung vom erklärten Ziel der Nuklearwaffenherstellung.« Iran habe »Isolation statt Verhandlungen« gewählt.
Warum diese erstaunliche Verschärfung des Tons – just in dem Moment, da die Verhandlungen wieder beginnen? Mullens, McCains und Grahams Äußerungen entziehen der Diplomatie den Boden. Es ist widersinnig, mit einem Land über seine Pflicht zur Transparenz zu sprechen, wenn man dessen Regime »kastrieren« will. Wer so redet, liefert der iranischen Staatspropaganda Vorlagen für den Verdacht, hinter den Verhandlungsangeboten der westlichen »Mächte der Arroganz« steckten nur neokoloniale Machtansprüche.
Die innenpolitische Logik der neuen Kriegstrommelei ist nicht schwer zu verstehen. Offenbar soll der geschwächte Obama auf den Pfad gelockt werden, der mit Bushs Abgang verlassen wurde, um ihn dann im Wahlkampf bequem vor sich her zu treiben. Die neo-neokonservative Kriegsrhetorik will vergessen machen, welche Politik es war, die Iran in den letzten Jahren stark gemacht hat. Amerikas Kriege haben die Mullahs von ihren ärgsten Feinden – erst von den Taliban und dann von Saddam Hussein – befreit. Teheran spielt nun in Afghanistan mit (und finanziert Karsais Spesenkasse) – und auch in Bagdad kann niemand mehr gegen Irans Willen Präsident werden: Der Schiit al-Maliki wurde soeben sogar gegen Amerikas Druck durchgesetzt. Dies ist das Paradox: Amerikas vermeintliche Politik der Stärke hat in Wahrheit Iran stark gemacht.
Die entschlossene Diplomatie der jüngsten Zeit (mit Russen und Chinesen) hat Teheran seine Grenzen aufgezeigt – durch schmerzhafte Sanktionen, die anscheinend begonnen haben zu wirken: Selbst die Inder sind seit einigen Tagen mit an Bord, Iran ist isoliert. Den Erfolg garantiert auch dies nicht. Diplomatie braucht Druck, wie Israel zu Recht mahnt.
Wer weiß, vielleicht sind die Kriegstrommler Obama am Ende unfreiwillig von Nutzen – führen sie doch den Iranern vor Augen, was droht, wenn er scheitert.

 

Das Islambild in den Medien

Mein Gastvortrag vom Dienstag, 6.7.2010, an der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen der Ringvorlesung: „Wieviel Islam verträgt Europa?“

Wo soll man bloß beginnen? Der Zugang der Muslime zu den Me­dien in Deutschland, das Bild des Muslims in den Medien, Muslime als Medienma­cher?
Woher nehme ich überhaupt die Berechtigung, über dieses Thema – Islam in den deutschen Medien – zu reden vor einem akademischen Publikum. Woher nehme ich das Recht, darüber zu schreiben? Denn: Islamwis­senschaftler wie viele von Ihnen hier bin ich nicht. Ich spreche weder türkisch noch arabisch und habe auch nicht Theologie oder Islamkunde studiert.
Trotzdem haben Sie mich ja eingeladen. Sie werden sich schon was dabei ge­dacht haben. Und ich fühle mich geehrt, in einer Reihe mit großen Fachleuten hier vor ihnen reden zu können. Sie werden von mir keinen wissenschaftlichen Vortrag er­warten, sondern eine Reflexion der Praxis, aus der ich selbst komme. Ich danke Ihnen für die Gelegenheit dazu, einmal innezuhalten und zu fragen: Wie über den Islam, die Muslime und islambezogene Themen berichten?
Immer mehr Muslime in Deutschland, Frankreich und Großbritannien glauben nicht, dass die Mainstream-Medien ausgewogen über sie berichten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Pilotprojekt des Londoner Institute for Strategic Dialogue und der Vodafone Stiftung Deutschland.
55 Prozent der befragten Muslime vertraten die Auffassung, die großen Medien berichteten negativ über Muslime. Bei den nicht muslimischen Befragten waren es immerhin 39 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer sind überzeugt, dass es in den meisten Berichten über Muslime um Terrorismus geht. Ein Drittel glaubt, dass vor allem Fundamentalismus eine Rolle spielt; ein Viertel nimmt als häufigstes Thema in der Berichterstattung über Muslime die Kopftuchdebatte wahr.
Natürlich haben diese Befragten nicht Recht in einem objektiven Sinn: Keineswegs geht es in der Mehrzahl der Berichte um Terrorismus. Und das Kopftuch ist immer noch ein Aufregerthema, aber das „häufigste“? Nein. Dennoch scheint es mir unbestreitbar richtig, dass die Intuition der Befragten stimmt, dass hier etwas im Argen liegt.
Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zusammenhang von Religi­ösität und Gewaltneigung. Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zei­le ein: „Die Faust zum Gebet“.  blick.ch: „Macht Islam ag­gresiv? Jung, brutal — Muslim“, Tagesspiegel: „Allah macht hart“, heise.de: „Jun­ge männliche Macho-Muslime“, Financial Times Deutschland: „Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger“, Welt.de: „Studie — Gläubige Musli­me sind deutlich gewaltbereiter“, Welt: „Muslime — Mehr Religiosität = mehr Ge­waltbereitschaft“, Bild.de: „Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler“, Hamburger Abendblatt: „Junge Muslime: Je gläubiger, desto brutaler“.
Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahr­heit steht in der Studie allerdings, Weiter„Das Islambild in den Medien“

 

Noch ein Schiff für Gaza? Teheran und Ankara, die neue Achse?

Da braut sich etwas zusammen. Der Iranische Rote Halbmond hat angekündigt, zwei Schiffe zwecks „humanitärer Hilfe“ nach Gaza zu schicken. Eines soll mit Hilfsgütern, das andere mit „Experten“ bestückt sein. Freiwillige werden auf der Homepage des Roten Halbmonds noch gesucht.

Die Revolutionsgarden waren von der Idee so begeistert, dass sie gleich anboten, die Schiffe gegebenenfalls zu begleiten, falls der Revolutionsführer Khamenei dazu einen Befehl erteile.  (Dass die Garden sich mit ihren vergleichsweise leichten Booten besser nicht mit der israelischen Marine anlegen sollten, steht auf einen anderen Blatt. Andererseits: Noch ein paar Opfer wären dem Teheraner Regime ganz recht. Offenbar gibt es gegenüber der Türkei schon so etwas wie einen Märtyrer-Neid.)

Natürlich ist es kein Zufall, dass Teheran die Gaza-Angelegenheit jetzt hochspielt. Soeben sind Sanktionen gegen Iran beschlossen worden. Der UN-Sicherheitsrat hat mit 12 von 15 Stimmen dafür gestimmt. Betroffen werden vor allem Firmen der Revolutionsgardisten sein, die am Nuklearprogramm beteiligt sind. Auch Banken werden zusätzlich zum Ziel dieser vierten Runde von Sanktionen. Und ein Waffenembargo trifft die Streitkräfte hart. Man möchte so davon ablenken, dass Teheran noch nie so weitgehend politisch isoliert dastand wie heute. Russen und Chinesen tragen die Sanktionen nämlich mit. Um diese beiden an Bord zu haben, waren zwar keine „lähmenden (crippling) Sanktionen“ möglich. Aber die Amerikaner und die Europäer werden nun noch einmal bilateral drauflegen, um die Wirkung zu verstärken. Die Kosten für Irans Atomprogramm steigen enorm.

Da passt es gut, wenn das Regime sich als Schutzmacht der Palästinenser aufführt. Es beobachtet misstrauisch, wie die Türken sich in letzter Zeit zum Hauptsponsor der palästinensischen Sache – und auch des Schützlings der Iraner, der Hamas – aufschwingen. Natürlich will man sich von Ankara nicht den Schneid abkaufen lassen. Darum ist es gut möglich, dass die Boote tatsächlich auslaufen werden.

Es ist schon mal passiert. Im Dezember 2008 versuchte ein iranisches Schiff, die Blockade Gazas zu unterbrechen. Die Israelis haben es ohne Verluste von Menschenleben abgefangen. Dass es diesmal so friedlich abgehen wird, ist nicht ausgemacht.

Noch einen Grund gibt es, warum derzeit die Gaza-Aufregung so gut in die Teheraner Agenda passt: Dieser Tage jährt sich der Wahlbetrug Achmadinedschads und die blutige Niederschlagung des Volksaufstandes. Nur zu gerne würde das Teheraner Regime vergessen machen, was damals geschah: Die Herrschaft stellte sich gegen das Volk, und die Welt wurde Zeuge eines blutigen Putsches, bei dem Dutzende Menschen starben.

Das sollen wir vergessen, wenn ein iranisches Hilfsboot von Israelis aufgebracht wird. Aber die Welt ist nicht so vergesslich.

Zum Fürchten ist an dieser Farce der neue Wettlauf von Teheran und Ankara um die Volksmeinung in den islamischen Ländern. Erdogans Regierung hat gegen die Sanktionen gestimmt, genau wie Brasilien. Man bedenke: Der Libanon hingegen, in dem die (iranhörige) Hisbollah mitregiert, hat sich immerhin der Stimme enthalten. Die Türkei aber stimmt gegen die vitalen Interessen ihrer Nato-Partner.

Natürlich wird jetzt offiziell gesagt werden, es gebe keine Beziehung dieser Handlungsweise zum EU-Beitrittsprozess. Aber der Moment, in dem die EU in einer der wichtigsten Fragen außenpolitisch mehr mit China und Russland gemein hat als mit dem türkischen Aspiranten auf Mitgliedschaft, ist ein entscheidender auch für das Erweiterungsprojekt.

Mag sein, es ist am 9. Juni 2010 gestorben.

 

Warum Ahmadinedschad gegen die Besetzung der US-Botschaft war

Interessanter Hintergrundbericht in der New York Times (online): Der heute größte Kritiker des „US-Imperialismus“ war vor 30 Jahren dagegen, die US-Botschaft in teheran zu besetzen. Machmud Ahmadinedschad hatte damals wesentlich mehr Angst davor, den Einfluss der Russen auf Iran zu stärken, als vor dem amerikanischen Einfluss, der zum Haupt-Topos der Propaganda der Islamischen Republik werden sollte.

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Bild: M. Ahmadinedschad als Studentenaktivist Ende der Siebziger
Die Einmischungen Russlands (seit der Zarenzeit) und später der Sowjetunion wurden immer weiter heruntergespielt gegenüber den Briten und den Amerikanern. Aber der junge Ahmadinedschad sorgte sich mehr um den Einfluss des nördlichen Nachbarn.

Merkwürdige Ironie der Geschichte: Heute sind es die Russen, die sich zur de facto Schutzmacht Irans entwickelt haben. Darum wurde in diesem Jahr auch von Demonstranten der „Grünen Bewegung“ der Slogan „Tod Amerika!“ in „Tod Russland!“ verwandelt – weil Russland die gefälschte „Wahl“ Ahmadinedschads anerkannt hatte, indem es den Präsidenten Irans kurz danach schon empfing.

 

Wie das Amt sich auf Westerwelle vorbereitet

Mein Stück aus der ZEIT von morgen, Nr. 45, S. 5:

Am Werderschen Markt in der Mitte der Hauptstadt haben sie für den Neuen schon seit Wochen großräumig Platz geschaffen. Steinmeiers Sprecher Jens Plötner ist nun Botschafter in Colombo, sein Politischer Direktor Volker Stanzel vertritt Deutschland ab sofort in Tokyo, sein Staatssekretär Reinhard Silberberg in Madrid. Die Regale sind leer, die Familienfotos entfernt: Raum für neue Gedanken, Gelegenheit für überraschende Karrieren!
Kaum jemand hier hatte nämlich Zweifel, dass Guido Westerwelle als vierter FDP-Mann in der Geschichte der Bundesrepublik das Auswärtige Amt in Beschlag nehmen würde. Und selbst jene Berliner Diplomaten, die nicht so recht an Westerwelles außenpolitische Sendung glauben, wären wohl ein bisschen beleidigt gewesen, wenn er doch lieber Finanz- oder Superminister geworden wäre, statt sich in die Ahnenreihe der Scheel, Genscher und Kinkel zu stellen. Unterdessen arbeiten die Fachabteilungen seit Wochen daran, für den Neuen Dossiers zu erstellen, die ihm die Welt erklären – eine Art Gebrauchsanweisung für den Globus. »Wir sind jederzeit in der Lage«, sagt ein führender Diplomat, »Herrn Westerwelle von null auf hundert zu bringen.«
Bei null müssen sie zwar nicht anfangen. Westerwelle hat sich als Oppositionsführer im Bundestag immer wieder in außenpolitische Debatten eingeschaltet – zu Afghanistan (für den Einsatz), zum amerikanischen Raketenschild (dagegen), zu Iran (für harte Sanktionen), zum Nahen Osten (gegen den Einsatz der deutschen Marine vor dem Libanon). Und er hat das ganze letzte Jahr damit verbracht, vorauseilend dem Verdacht entgegenzuwirken, es fehle ihm das staatsmännische Stresemann-Gen. Er hat kluge außenpolitische Interviews gegeben und eine ausgefeilte Rede vor Berliner Diplomaten gehalten. Hans-Dietrich Genscher hielt währenddessen seine segnende Hand über ihn, damit auch der Letzte merkte, dass dieser Guido sein geliebter Sohn sei, an dem er Wohlgefallen habe. Weiter„Wie das Amt sich auf Westerwelle vorbereitet“

 

Wie es zu dem US-Iran-Deal kam

Nun ja, noch steht er nicht, aber Berliner Diplomaten sind einigermaßen optimistisch, dass Iran in den kommenden Tagen den Vertrag unterschreiben wird, in dem die weitere Anreicherung (für medizinische Zwecke) von ca. 2/3 des in Natans hergestellten Materials in Russland vereinbart werden soll.
Das würde den 5+1, die mit Iran über sein Nuklearprogramm verhandeln, erstens weiter Zeit geben und zweitens einen erheblichen Teil des im Iran illegal angereicherten Materials unter Kontrolle der internationalen Gemeinschaft bringen.
Iran könnte dann nicht mehr behaupten, die Welt habe sich gegen das Land verschworen und würde Iran keine Art von Nuklearprogramm zugestehen wollen.
Es wäre klar, dass es wirklich um das Nuklearwaffenprogramm geht, nicht gegen friedliche Nutzung der Kernenergie durch die Islamische Republik.
Eben dies könnte allerdings auch ein Grund für die Iraner sein, den Deal auf den letzten Metern platzen zu lassen.
Wie es überhaupt zu dem (möglichen) Durchbruch gekommen ist, schildert Massimo Calabresi in einem offensichtlich gut informierten Stück:

In early July, Obama traveled to Moscow, where his top nonproliferation aide, Gary Samore, floated a proposal to the Russians: If Iran would agree to export a supply of LEU to Moscow, the Russians could enrich it to the level needed to power the research reactor, and then the French, who had been brought into the discussions, could turn it into the specialized plates that are used to produce the isotopes. The plates, which Iran does not have the capacity to turn into weapons-grade uranium, would then be sent back to Tehran. „The Russians immediately said, ‚Great idea,‘ “ says the senior Administration official.
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