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Deutschlands Spuren in Afghanistan

Das ehemalige Feldlager der Bundeswehr in Faisabad. Die Deutschen sind vor 18 Monaten abgezogen. Doch man sieht noch ihre Spuren... Ein Rundgang.
Das ehemalige Feldlager der Bundeswehr in Faisabad. Die Deutschen sind vor 18 Monaten abgezogen. Doch man sieht noch ihre Spuren… Ein Rundgang.

 

Zu Bundeswehrzeiten gab es in der Lagerküche Schweinebraten mit Knödeln, Weißwürste mit Brezen, und Nutella zum Frühstück. Die afghanische Spezialeinheit, die jetzt in Faisabad untergebracht ist, ernährt sich von Reis und Fleisch.
Zu Bundeswehrzeiten gab es in der Lagerküche Schweinebraten mit Knödeln, Weißwürste mit Brezen, und Nutella zum Frühstück. Die afghanische Spezialeinheit, die jetzt in Faisabad untergebracht ist, ernährt sich von Reis und Fleisch.

 

Kleiderordnung für den Fitnessraum.
Kleiderordnung für den Fitnessraum.

 

Drinnen geht es weiter mit Trainingshinweisen...
Drinnen geht es weiter mit Trainingshinweisen…

 

... denn: Sport im Einsatz baut Stress ab. Ganz wichtig!
… denn: Sport im Einsatz baut Stress ab. Ganz wichtig!

 

Viermal geklopft und trotzdem macht niemand die Tür aus? Dieser übersichtliche Zettel erklärt, warum.
Viermal geklopft und trotzdem macht niemand die Tür aus? Dieser übersichtliche Zettel erklärt, warum.

 

Ihren Nachtklub hat die Bundeswehr den Afghanen netterweise dagelassen. Auch das Schild über der Tür, auf dem in riesigen Buchstaben steht: Talibar.
Ihren Nachtklub hat die Bundeswehr den Afghanen netterweise dagelassen. Auch das Schild über der Tür, auf dem in riesigen Buchstaben steht: Talibar.

 

Beim Essensnapf der Spürhunde galt: "Nur für richtig gutes Futter"
Beim Essensnapf der Spürhunde galt: „Nur für richtig gutes Futter“

 

Die eine Mülltonne ist für Dosen gedacht, die andere für...ähm... ISAF?
Die eine Mülltonne ist für Dosen gedacht, die andere für…ähm… ISAF?

 

Auch diesen Hinweise werden die Afghanen ganz bestimmt verstehen.
Auch diesen Hinweise werden die Afghanen ganz bestimmt verstehen.

 

Motto der Bundeswehr in Afghanistan: "Du bist veranwortlich." Wär man jetzt so nicht draufgekommen.
Motto der Bundeswehr in Afghanistan: „Du bist veranwortlich.“ Wär man jetzt so nicht draufgekommen.

 

Zum Ende noch drei wichtige Hinweise, um den Alltag im deutschen Bundeswehrlager zu überstehen: 1. Tür zu!
Zum Ende noch drei wichtige Hinweise, um den Alltag im deutschen Bundeswehrlager zu überstehen: 1. Tür zu!

 

2. Licht aus!
2. Licht aus!

 

Und 3: Tee trinken!
Und 3: Tee trinken!

 

Stille in Kabul

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Einen Abend vor der Wahl in Kabul ist etwas anders als sonst: draußen ist es still. Vollkommen still. Auf den Straßen, rund um unser Haus, die sonst andauernd verstopft sind, fahren keine Autos. Die Helikopter, die sonst über unser Haus kreisen, sind stumm. Nichtmal mein Handy piepst, der Anbieter hat den SMS-Service abgeschaltet, solange bis die Wahllokale wieder geöffnet haben. Ich mag Stille, aber ich bin sie nicht mehr gewohnt. Stundenlang liege ich wach in meinem Bett.

Entsprechend müde bin ich heute morgen. Ich stehe gerade noch rechtzeitig auf, um einen Freund zu empfangen, der nach „seiner“ Wahl vorbeischauen möchte. Von unterwegs schickt er mir ein Bild von sich und seinem Großvater. Dazu schreibt er: „Er ist 78 und fast blind. Aber er hat noch sein eigenes Geschäft, das er betreibt.“ Ich sage ihm, er soll den Großvater grüßen und auch zu uns einladen. Er möchte nicht.

Zuhause streckt mir der Freund als erstes seinen Mittelfinger entgegen: „Ich hab sie ausgetrickst“, sagt er. „Eigentlich muss man den Zeigefinger nehmen. Der Wahlhelfer hatte ihn schon saubergemacht, damit die Tinte hält. Als er ihn dann reintunken wollte, hab ich schnell den anderen Finger gezückt.“ Der Freund holt sein Smartphone aus der Tasche und zeigt ein Foto von sich und dem gestreckten Mittelfinger „Das ist meine Nachricht an die Taliban“ sagt er. „Was sagt dein Vater dazu?“, frage ich, weil ich weiß, dass er konservativer ist als sein Sohn und den Hardliner Sayyaf gewählt hat. „Der weiß nicht, was das bedeutet. Es kommt ja von euch, aus dem Westen.“

Wir quatschen ein bisschen, der Freund erzählt, dass ihn die Straßen draußen an die Zeit während der Taliban erinnern. „Da war es auch immer so leer. Mein Bruder und ich haben oft an der Straße gesessen und Autos gezählt. Das ging dann so: 1… 2 … 3… viel mehr kamen nicht. Stell dir das heute mal vor!“ „Erinnerst du dich noch an den Tag als die Taliban in Kabul die Macht verloren haben?“ „Klar“, sagt der Freund. „Ich weiß noch, dass ich nachts ein paar Schüsse gehört habe. Am Morgen hat mich dann mein Vater geweckt und gesagt: Die Mudschaheddin sind in Kabul, die Taliban sind weg. Nachmittags bin ich dann spazieren gegangen und hab zum ersten Mal die Mudschaheddin gehört, wie sie mit Lautsprechern bekannt gegeben haben, dass sie jetzt in der Stadt sind.“ „Bist du einfach so spazieren gegangen oder gab’s einen Grund?“ „Ich wollte tote Taliban sehen. Meine Nachbarn haben erzählt, dass im Park hier um die Ecke ein paar Leichen liegen. Das wollte ich mir anschauen.“

Irgendwann gehen wir eine Runde um den Block. Die Straßen sind leer, es regnet und es ist kalt. Immer wieder lese ich bei Twitter nach neuen Nachrichten. Es gab vor dem Wahltag so viele Anschlagswarnungen wie noch nie, seit ich in Kabul lebe und ich war mir eigentlich fast sicher, dass irgendetwas passieren würde. Stattdessen sehe ich immer neue Bilder von Menschenschlangen, die im Regen vor Wahllokalen ausharren. Nach ein paar Minuten kommt ein Auto, es hält direkt neben uns. Drinnen sitzen fünf Jungs. „Weißt du, wo das nächste Wahllokal ist?“, fragen sie den Freund. „Nein, tut mir leid.“ „Warst du nicht wählen?“, fragen sie. Er überlegt eine Sekunde, dann streckt er ihnen seinen in Tinte getunkten Mittelfinger entgegen. Die Jungs lachen, und fahren davon.

Am Abend lese ich auf Twitter: Die Wahlkommission schätzt, dass etwas sieben Millionen Menschen gewählt haben. In keiner der größeren Städte gab es einen Anschlag und auch sonst verlief die Wahl größtenteils friedlich. Die Straßen in Kabul sind heute leer. Aber sie sind auch voller Hoffnung.

Die Stille ist übrigens vorbei: Es gewittert, zum ersten Mal seit ich in Kabul lebe.

 

 

Dear Mr. President!

kk

65 Prozent der afghanischen Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre alt. Diese 65 Prozent sind die Zukunft des Landes, aber sie haben keine Macht. In Kabul herrschen die Alten und kein Politiker vertritt die Interessen der Jungen.

Um sich trotzdem Gehör zu verschaffen, haben junge Leute aus Kabul – Studenten, Journalisten, Arbeiter – monatelang an einem Projekt gearbeitet. Sie haben 1.001 Leute aus 20 der 34 Provinzen Afghanistans nach ihren Wünschen an den nächsten Präsidenten befragt und daraus ein Buch gedruckt. Das werden sie „dem Neuen“ bei dessen Amtsantritt in die Hand drücken.

Diese Woche, während die Anschläge in Kabul mehr werden, die Straßen leerer und die Checkpoints häufiger, haben die Jugendlichen eine Konferenz veranstaltet, bei der sie die 1.001 Wünsche vorgestellt haben. Your hope haben sie die Veranstaltung genannt. Ich finde, das passt. Denn genau das sind die jungen Leute: die Hoffnung Afghanistans – und damit auch des neuen Präsidenten.

Die Wünsche, die sie eingesammelt haben, beschreiben gut die Probleme, vor denen die nächste Regierung steht:

„Wenn wir zurückblicken auf die letzten Jahre: seit dem Fall der Taliban hat sich hier so vieles zum Guten verändert. Trotzdem erwarten wir von der Regierung noch mehr. Vor allem muss sie sich um Bildung kümmern. In Kabul arbeiten noch so viele Kinder auf der Straße, um ihre Familie zu ernähren.“

„Ich erwarte vom nächsten Präsidenten, dass er unserem Land Frieden bringt. Er sollte auch versuchen, die Leute zum Studieren zu ermutigen und er sollte Korruption abschaffen.“

„Er soll nicht lügen.“

„Ich wünsche mir vom nächsten Präsidenten, dass er unser Volk zusammenbringt und den Rassismus zwischen den verschiedenen Ethnien beseitigt.“

„Er sollte vom Volk und für’s Volk sein.“

„Er muss die Wirtschaft voranbringen. Er sollte die Landwirtschaft fördern, weil Afghanistan viele Ackerflächen besitzt. Und er sollte dafür sorgen, dass wir mehr exportieren als importieren.“

„Ich erwarte vom nächsten Präsidenten, dass er sich mehr um Kinder und Jugendliche kümmert. Viele von ihnen versorgen momentan ihre Familien, weil es keine Jobs für die Eltern gibt. Wenn die Wirtschaft besser wäre, könnten die Eltern arbeiten und die Jungen in die Schule gehen.“

„Er soll Korruption beenden und Drogenanbau auslöschen.“

„Wir haben viele Wünsche, aber wir wissen auch, dass nichts davon erfüllt werden wird. Zuerst muss der neue Präsident für mehr Sicherheit und eine bessere Wirtschaft sorgen.“

„Gleichheit! Brüderlichkeit!“

„Er soll nicht so einäugig urteilen, wie es die derzeitige Regierung tut.“

„Wer auch immer der neue Präsident sein wird. Ich hoffe, er trägt dazu bei, dass Afghanistan zu einem guten Ort für jeden Afghanen wird. Nicht nur für eine Ethnie oder einen Stamm. Wir wollen ein geeintes Afghanistan.“

 

Aprilscherz auf afghanisch

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Zurzeit gibt es in Kabul viele Anschläge, ich lese also etwas öfter als sonst bei Twitter nach, welche Neuigkeiten es in der Stadt gibt. Heute morgen sehe ich, dass ein Reporter bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, an den Tweet ist das Foto eines jungen Mannes angehängt. Ich retweete.

Kurz darauf schreibt mir der afghanische Journalist, der das Bild gepostet hatte: „Sorry dear, this news is not true, because today is the first day of April.“ In den April geschickt. In Kabul. Etwas öffentlicher als ich es gewohnt bin. Und etwas makaberer. Kurz frage ich mich, ob es wohl jemand über’s Herz bringen würden, einen kompletten Anschlag zu erfinden.

Auf Facebook geht es weiter: Nachrichten über Präsidentschaftskandidaten, die angeblich von einem Tag auf den anderen ihre Stimme verloren haben und nun nicht mehr sprechen können; die mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen oder ganz überraschend am letzten Tag des Wahlkampfs ihre Kandidatur zurückziehen. Ashraf Ghani wurde vorzeitig zum Präsident gewählt! Hamid Karsai hat fünf Tage vor der Wahl das Sicherheitsabkommen mit den USA unterzeichnet! Nun beschließe ich, heute endgültig nichts mehr zu glauben.

Am Nachmittag kommt ein guter Freund vorbei. „Ich wurde in den April geschickt!“, sagt er. „Eine Freundin hat erzählt, ihr Chef habe sie rausgeschmissen, weil er ein Projekt nicht mochte, das wir zusammen organisiert haben.“ Ich erzähle ihm von der Twitter-Nachricht. Und er: „Letztes Jahr hat ein Freund einen anderen Freund angerufen und ihm gesagt, ein dritter Freund sei gestorben. Er hat den ganzen Tag geweint und erst abends, zufällig, gemerkt, dass es gar nicht stimmt.“ „Oh Mann“, sage ich. „Von Deutschland bin ich etwas harmlosere Aprilscherze gewohnt.“

Als der Freund weg ist, gehe ich noch einmal zu Twitter. Kein Anschlag, keine Schießerei. Dafür eine andere Nachricht: Saudi-Arabien hat Mc Donald die Namensrechte für die Haji verkauft. In diesem Jahr werden Millionen Muslime zur „McDonald’s Hajj 1434“ nach Mekka pilgern.

 

Kinder

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Noch haben sie nichts mitzubestimmen, aber sie sind die Zukunft Afghanistans: die Kinder, die jetzt wieder auf den Straßen und in Parks spielen.

 

Unerwarteter Handschmuck

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Wir sind bei einem Freund zu Tee und Kuchen eingeladen. Nach einer halben Stunde kommt, was immer kommt bei einem Familienbesuch: die Frauenzeit. Ich wechsle das Zimmer und sitze mit der Schwester des Freundes, seiner Mutter, seiner Schwägerin und einer Cousine zusammen.

Mein Dari ist immer noch überschaubar und das der Frauen auch – die Familie kommt aus Paktia, dort spricht man Paschtu und in dieser Sprache kann ich nur zwei Worte: vielen Dank. Unser Gespräch bleibt also etwas zäh. Irgendwann fragen mich die Frauen, ob ich schon einmal Henna an den Händen hatte. „Nein“, sage ich und die Schwägerin verschwindet. Sie kommt zurück mit Schere, Faden, Plastikfolie und einer Aluschüssel, die mit einer dunkelbraunen Masse gefüllt ist. Schwester und Schwägerin packen sich jeweils eine meiner Hände und fangen an. Die Mutter holt eine Trommel und singt. „Tun wir einfach so als wär das für deine Hochzeit“, sagt sie.

Eine Stunde später, zuhause, streife ich die Folie von meinen Fingern und wasche die verkrustete Paste ab. Seither erschrecke ich jedesmal, wenn ich auf meine Hände schaue. Ich kann mich einfach nicht an die knallrote Farbe gewöhnen.