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Thronfolger, Kronprinzen und Selbstversorger

Die Spekulationen reißen nicht ab. Das Verhältnis zu WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist ruiniert und seit Wochen kursieren Gerüchte, der britische Guardian und die New York Times könnten zukünftig mit der neuen Leakingplattform OpenLeaks.org zusammenarbeiten. Guardian Chefredakteur Alan Rusbridger bestätigte nun in einem längeren Interview mit der amerikanischen Nachrichtenseite The Cultline aus dem Yahoo News-Universum, dass man eine Kooperation mit dem Portal des WikiLeaks-Dissidenten Daniel Domscheid-Berg prüfe:

But Rusbridger did confirm that The Guardian has been in talks about a possible collaboration with OpenLeaks, a newer document-leaking platform launched in December by high-ranking WikiLeaks defector Daniel Domscheit-Berg.

Aber ebenso wie die New York Times scheint auch der Guardian ein eigenes Onlineangebot für Whistleblower zu erwägen. In den letzten Monaten sind bereits mehrere Leakingportale größerer Medienhäuser im Netz gestartet. In Deutschland bietet die WAZ-Gruppe mit derwesten-recherche.org ein eigenes Portal, in Schweden startete sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit RadioLeaks.se ein im Hörfunk einmaliges Angebot, auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC ist mit Open Channel seit einigen Wochen online und Al Jazeeras Transparency Unit sorgte erst Ende Januar mit der Veröffentlichung der geheimen Palestine Papers für Furore.

Einen Überblick über zahlreiche neue Leakingplattformen gibt es hier. Das Ganze ist übrigens ein Work-in-Progress. Ergänzungen sind natürlich willkommen.

 

WikiLeaks sorgt weiterhin weltweit für Wirbel – das Beispiel Indien

Es sind noch lange keine zehn Prozent. Es sind mittlerweile vielleicht drei oder vier Prozent. Mehr nicht. Aber die Wirkung ist immer noch enorm. Weltweit. Auch wenn bisher erst ein Bruchteil der WikiLeaks vorliegenden US-Botschaftsdepeschen veröffentlicht worden ist. Die Ausläufer der politischen Beben sind mittlerweile jedoch auf allen Kontinenten spürbar. Über die arabischen Erschütterungen berichteten wir hier bereits mehrfach. Auch Lateinamerika war schon im Fokus. Europa sowieso.  Aber auch in Indien sorgen neue Depeschen momentan für heftige politische Debatten.

Unter anderem geht es um schwere Korrruptionsvorwürfe gegen die regierende Kongresspartei von Ministerpräsident Singh. Im Raum steht der Vorwurf, dass Stimmen für eine Parlamentsabstimmung gekauft wurden, um einen Ausbau der Technologiepartnerschaft zwischen Indien und den USA voranzutreiben. Im Zentrum der Partnerschaft steht die Atomenergie, die Singh als eine der zentralen Komponenten der zukünftigen indischen Stromversorgung sieht. Mit Blick auf die Ereignisse in Japan muss man natürlich von einem idealen Zeitpunkt der Veröffentlichung sprechen. Gerade für Singh.

In einem Interview mit der indische Zeitung „The Hindu“ nahm auch WikiLeaks-Gründer Assange umfangreich zu den India-Cables Stellung und stellte klar, dass die Depeschen echt sind. Die indische Regierung hatte zwischenzeitlich versucht, die Glaubwürdigkeit der Depeschen in Abrede zu stellen. In einem Interview mit dem indischen TV-Sender NDTV äußerte sich Assange ebenfalls ausführlich und kritisierte unter anderem die aggressive Vermarktungsstrategie des State Department für US-Firmen weltweit.

 

Zwei Prozent

Mehr ist noch nicht veröffentlicht von den 251.287 Depeschen, die Wikileaks im letzten Jahr zugespielt wurden. Gerade einmal zwei Prozent. Während in der Presse in den letzten Tagen überall die 100-Tage-Cablegate-Bilanz gezogen wurde, ließ es sich Wikileaks nicht nehmen, einen Tag später ein eigenes Zwischenfazit vorzulegen. Der Hinweis auf die noch ausstehenden 98 Prozent stand ganz vorn. Und klang nach Drohung. Der Rest fiel erwartungsgemäß aus. Kurz gesagt: Die Welt ist eine andere. Es könnte stimmen.

Hilfreicher war da schon die gestrige Veröffentlichung von WL Central. Das Portal mit WikiLeaks-Nachrichten und -analysen stellte noch einmal alle bisherigen Quellen und Onlinewerkzeuge zusammen, mit denen sich jeder seine eigenen Schneisen in den Depeschendschungel schlagen kann. Neben diversen Standardquellen wie WikiLeaks oder der Cablegate-Seite des Guardian, wurden auch Datensammlungen wie die Google-Fusion-Tabelle mit allen getaggten Cables oder Cablegatesearch.net aufgeführt.

Dazu erläutert WL Central zahlreiche atemberaubende Data Mining Tools, mit denen jeder im Handumdrehen eigene Tiefenbohrungen in den Datenbeständen vornehmen kann. So herausragende Werkzeuge wie die Depeschensuchmaschine Cablesearch.org, die visuell spektakuläre Netzseite Kabels oder das spielerische Wordle der norwegischen Zeitung Aftenposten sollen hier nur stellvertretend für zahlreiche Superwerkzeuge genannt werden.

Für alle, die auf eigene Faust in das Depeschen-Universum eindringen wollen, ist der WL Central Artikel mit dem schlichten Titel Cablegate Resources ein Muss.

 

Als Assange noch ein Niemand war

Wikileaks ist für die Leakingkultur das, was die Entdeckung des Feuers für die Menschheit oder der Erfindung des Rads für die Zivilisation war. Mehr als ein Quantensprung. Nach den schweren Beben, die Wikileaks im letzten Jahr auslöste, gibt es mittlerweile etliche WikiLeaks-Klone und Nachahmer. Mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten versuchen sie, Whistleblowern eine adäquate Plattform für Ihre Dokumente anzubieten. Vor Wochen haben wir hier bereits einen ersten Überblick aktueller Plattformen zusammengestellt. Der Index aller relevanten Leakingplattformen soll ständig erweitert werden. Für Links und Hinwiese sind wir übrigens jederzeit dankbar.

Aber bereits vor Wikileaks gab es eine Plattform, die sich der Ideologie der totalen Transparenz verschrieben hatte: www.cryptome.org. Die Berliner Gazette hat heute ein Portrait des Gründers John Young veröffentlicht. Das Portrait ist zwar schon etwas älter und ursprünglich in der amerikanischen Wired erschienen, ist aber dennoch lesenswert. Atemberaubend ist der Unterschied der Protagonisten. Hier der junge Hacker, energetisch, getrieben. Dort der altgewordene Idealist. Verhärtet, spröde.

 

Three-Strikes? Two-Strikes? No Strikes! Positionspapier zum Leistungsschutzrecht geleakt

Das Leistungsschutzrecht gehört zu den Kampfbegriffen in der digitalen Welt. Die einen drohen mit ihm. Die anderen fühlen sich von ihm bedroht. In der Kurzform geht es darum, dass zahlreiche Zeitungsverleger für die digitale Nutzung von Überschriften und Kurzteasern, genauer die Verlinkung von Artikeln zum Beispiel bei Nachrichtenaggregatoren wie Google-News, zukünftig ein Entgelt fordern wollen. Nur so sei das Überleben des Journalismus zu gewährleisten. Das jedenfalls wird behauptet. Andere sehen darin ein bloßes politisches Druckmittel der Verlegerlobbyisten, um Staat und Regierungen langfristig zu Zugeständnissen wie beispielsweise verringert Steuersätze zu bewegen. Sie argumentieren zudem, ein Leistungsschutzrecht würde die notwendige Zirkulation der Informationen im Netz behindern.

Nun spaltet die Diskussion um den bedrohten Journalismus nicht nur die Medienhäuser (siehe auch Die sieben Brachnenmythen zum Zustand des Journalismus), sondern auch das Lager der Wirtschaftsvertreter überhaupt. Das Netzportal irights.info berichtet heute über ein bisher unveröffentlichtes Positionspapier des DIHK. Aus dem geleakten Dokument geht eindeutig hervor, dass sich die DIHK in keiner Weise mit dem Konzept des Leistungsschutzrecht anfreunden kann, denn auch für viele Wirtschaftsbetriebe entstünden neue, aus Sicht der DIHK künstliche Kosten. Nicht zuletzt soll ja auch die gewerbliche Nutzung von Presseinhalten demnächst kostenpflichtig werden. Die DIHK lehnt zudem die Einführung sogenannter Three-Strikes Lösungen für Urheberrechtsverletzer klar ab.

Die Diskussion bleibt also hitzig. Abzuwarten ist, wer das nächste Geheimpapier leakt. Vielleicht ein Referent aus dem Kanzleramt, der aktuelle Gesetzesentwürfe anonym veröffentlicht? Oder ein Mitarbeiter der Springerzentrale, der das Papier mit der Gesamtstrategie rausschießt – natürlich streng geheim, ohne namentlich genannt werden zu wollen? Man wird sehen. Festzustellen bleibt jedenfalls, dass das Angebot an Leakingportalen in Deutschland unvollständig ist. Denn zwischen Wikileaks und Weltpolitik auf der einen Seite und regionalen Anbietern wie Bayern-Leaks oder themenspezifischen wie Greenleaks klafft eine Lücke. Noch gibt es keinen Anbieter, der sich auf die Auseinandersetzungen rund um Themen wie Urheberrecht oder politische Partizipation in der digitalen Welt spezialisiert hat. Auch irights.info hat noch keine explizite Leakingstruktur auf seiner Netzseite. Auch sind nach eigener Aussage momentan keine entsprechenden Umbauten der Seite geplant. Aber inhaltlich haben die irights-Macher schon mehrfach bewiesen, dass sie anonyme Zusendungen journalistisch sauber aufarbeiten. Aber falls jemand unbedingt eine Alternative sucht. Im Notfall nehmen wir das Geheimpapier mit dem Gesetzentwurf auch an. Anonym versteht sich.

 

Sprechblasen der Weltpolitik

Man wird das Gefühl nicht los. Auch wenn von einer dramatischen Situation die Rede ist. Auch wenn historische Augenblicke behauptet werden. Auch wenn von Entschlossenheit und  Entschiedenheit gesprochen wird. Artikulationen von Staatsmänner kommen oft nicht über das Niveau der Sprechblase hinaus. Weltpolitik erscheint immer wieder als Comicstrip. Zugegebenermaßen manchmal sogar noch finsterer, wie im Falle Berlusconis, der nur noch als Operettenfigur zu bezeichnen ist. Was läge da näher, als Weltpolitik in Comicform zu erzählen? Genau das hat The Atlantic getan. Und zwar mit den interessantesten US-Depeschen, die Wikileaks bisher veröffentlicht hat. Zwar kann man darüber streiten, ob die Auswahl der Atlantic-Redaktion tatsächlich die interessantesten Storys ausgewählt hat, aber entstanden ist definitiv eine wunderbare Serie von Cabelgate-Comix. Wie das Beispiel der illustrierten Depesche aus Tripolis, Libyen zeigt.

 

Kurz und klein (4): Assange-Chat, Open Channel und Wikileaks-Teetassen

+++Assange-Chat+++

Die Entscheidung des britischen Gerichts war noch ganz frisch. Julian Assanges Auslieferung nach Schweden wurde für zulässig erklärt. Da chattete der Wikileaks-Gründer bereits live mit der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet. Das englische Transkript des Chats gibt es bei WLCentral. Unter anderem wurde er gefragt, wie er mit der Gerichtsentscheidung umgehen wird, ob er sich als Freiheitskämpfer definiert, welche weiteren Veröffentlichungen bevorstehen, inwieweit er sich und Wikileaks in die arabischen Aufstände involviert sieht. Assange beteuerte seine Sorge vor einer Auslieferung an die USA und wiederholt: Wikileaks wird weiter existieren, auch wenn er persönlich an seiner Arbeit gehindert werden sollte.

Assange hat sich aber natürlich nicht nur in Chats, sondern auch vor den Kameras der Weltöffentlichkeit geäußert und klar gestellt, dass er die Entscheidung nicht akzeptieren werde:


Unterdessen hat der britische Telegraph noch eine ganz praktische Timeline der Vorwürfe zusammengestellt. Wann Assange was wo und wie verbrochen haben soll. Angeblich jedenfalls.

Auch empfehlenswert in diesem Kontext: Der Blogger und Rechtsanwalt Glenn Greenwald von Salon.com äußerte sich bei Democracy Now! zur Gerichtsentscheidung. Democracy Now! ist das US-Politmagazin im nicht kommerziellen Rundfunk.  Der Talk mit Greenwald beginnt etwa ab Minute 14. Es geht allerdings nicht nur um die Entscheidung zur Auslieferung, sondern auch um den HBGary-Skandal, den wir hier schon unter dem Titel Guerillakrieg im Netz diskutiert haben.

+++Open Channel+++

Die Zahl der Whistleblowing-Portale wächst weiter. New York Times und Spiegel denken über eigene Angebote nach. WAZ und Al Jazeera haben unlängst eigene Seiten gestartet. Jetzt hat auch der amerikanische Fernsehsender MSNBC nachgelegt.

Mit Open Channel auf msnbc.com ist eine weitere Whistleblowingstruktur eines großen Medienhauses am Markt. Unser Whistleblowing-Index der letzten Woche, mit einer aktuellen Übersicht aller verfügbaren Angebote, wird es hier in Kürze als Update geben.

+++Wikileaks-Teetassen+++

Vor wenigen Tagen ging die Tabelle mit den erfolgreichsten europäischen Fußballclubs rum. Vorne lagen erwartungsgemäß der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United und der FC Bayern München. Es ging allerdings nicht um Tore und Punkte, sondern um Merchandising, also den Verkauf von Clubdevotionalien wie Trikots, Schals, Bettwäsche mit Vereinslogo oder Wimpeln für den Autospiegel. Die Vereine verkaufen ihre Stangenware mittlerweile von Ecuador bis Iserlohn, von Bangkok bis Bernau. Und machen damit jede Menge Geld.

Auch Wikileaks ist jetzt in das Merchandising Business eingestiegen. Nachdem es ja bereits wiederholt Mutmaßungen über eine finanzielle Misere bei Wikileaks gab, scheint man sich neue Ertragsfelder erschließen zu wollen. Ab sofort gibt es die Revolution also hautnah. Der Subversive von Welt kann im Wikileaks-T-Shirts joggen gehen oder aus Teetassen mit Assange-Konterfei Tee Marke Umsturz Second Flash oder Earl Grey als Top Secret Mischung trinken.

 

Wikileaks ist tot! Es lebe das Whistleblowing

Vor wenigen Wochen machte ein Kondom die Runde. Es war ganz offenbar gebraucht. Jemand hatte es dennoch aufbewahrt. Später wurde es dann fotografiert, jetzt ist es ein Beweisstück und zirkuliert durch die Presse. Weltweit. Eine eher seltene Karriere für ein Präservativ. Aber die sexuellen Praktiken eines gewissen Julian Assange machen es möglich.

Weltberühmtes Kondom

Soweit kolportiert wurde, soll jener Julian Assange dieses Kondom vorsätzlich beschädigt haben, um einen gefühlsechteren Geschlechtsverkehr ausüben zu können. Was, so wurde weiter kolportiert, nicht ganz im Sinne der temporären Partnerin war.

Ein Drama biblischen Ausmaßes jedenfalls, das sich da vor wenigen Monaten in Schweden ereignete. Vollkommen klar, dass umgehend Titelseiten freigeräumt wurden. Was könnte es Wichtigeres geben, als über jenes shakespear’sche Dramoulette zu berichten?

Und der Mann mit dem zerrissenen Kondom spielte mit, bediente die Mechanismen des Boulevards, schwadronierte von einer Einkerkerung in Guantanamo oder gleich von der drohenden Exekution durch die US-Regierung.

Soweit, so uninteressant. Angereichert von Insiderauskünften, die die Ränkespiele des ehemaligen Zweimann-Betriebs Wikileaks in ein neues Licht rücken wollen, lenkt dieses Boulevardgetöse nur noch ab.

Es ist längst an der Zeit, wichtigere Fragen zu diskutieren. Wird es eine dauerhafte Whistleblowingkultur geben? Was kommt nach Wikileaks? Welche Erben sind in Sicht? Was wird sie von Wikileaks unterscheiden? Können sie dazu beitragen, eine lokale oder regionale, eine nationale oder internationale Leakingkultur zu etablieren? Welche Gefahren drohen? Wie stellen die unterschiedlichen Plattformen den wichtigen Quellenschutz sicher? Wer trennt bedeutende Dokumente, die auf politische oder wirtschaftliche Verbrechen hinweisen von hinterhältigen Denunziationen?

In den nächsten Wochen werden hier ausgewählte Plattformen ausführlicher vorgestellt. Hier schon mal eine erste Übersicht.

Eine herausragende Bedeutung kommt natürlich OpenLeaks.org zu. Allein schon weil das Portal des Wikileaks-Dissidenten Daniel Domscheit-Berg momentan internationale Aufmerksamkeit erfährt. Es unterscheidet sich in seinem Ansatz fundamental von Wikileaks, da es keine eigenständige Publikation der eingehenden Whistleblowing-Dokumente beabsichtigt. OpenLeaks versteht sich als Mittler zwischen Geheimnisverrätern und anderen Organisationen – von Menschenrechtsgruppen über Gewerkschaften bis hin zu konventionellen Medien. Die Organisationen können sich bei OpenLeaks akkreditieren. Der Whistleblower kann im Gegenzug nicht nur Dokumente anonym hinterlegen, sondern auch Wünsche äußern, welcher Organisation seine Dokumente zuerst zugehen sollen.

Auch die Transparency-Unit des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera wurde in den vergangenen Wochen international bekannt. Gemeinsam mit dem britischen Guardian hatte die Transparency Unit geheime Dokumente der Nahost-Friedensverhandlungen veröffentlicht. Überraschende Verhandlungspositionen und -strategien der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde kamen ans Licht. Al Jazeera ist der bisher eindeutigste Beleg für Aktivitäten größerer Medien auf dem Gebiet des Whistlebowings.
Die New York Times und der Spiegel sollen jedoch ebenfalls über eigene Whistleblowingstrukturen nachdenken.

Einen Schritt weiter ist da bereits die WAZ-Mediengruppe mir ihrem Angebot derwesten-recherche.org. Das Angebot zielt vor allem auf die Verbreitungsregion der meisten WAZ-Zeitungen in Nordrhein-Westfalen. Ein attraktiver Ansatz, da viele Informationen oft nur eine regionale Relevanz besitzen und bei einem weltweiten Player wie Wikileaks unter Umständen untergehen würden.

Lokales Leaken ist auch das Thema der Seite BayernLeaks.de. Auch Brusselsleaks.com verfolgt den Ansatz einer regionalen Spezifizierung – allerdings im weltpolitischen Maßstab. Die Seite will sich auf Themen der europäischen Union fokussieren.

Portale wie RuLeaks, TuniLeaks, BalkanLeaks, KanariLeaks und IndoLeaks sind ebenfalls auf Regionen oder Länder spezialisiert. Allerdings beschränken sie sich teilweise auf die Auswertung bekannter Dokumente wie etwa bereits veröffentlichte US-Botschaftsdepeschen.

Einen ganz anderen thematischen Kontext bedient dagegen die Seite GreenLeaks. Dokumente, die Umweltzerstörungen oder Klimagefährdungen belegen, sollen auf GreenLeaks publiziert werden können.

Bleiben noch Portale mit einem breiteren Profil. Zum einen das bereits seit einigen Jahren existierende Cryptome.org. Die Macher von Cryptome arbeiteten anfangs mit Julian Assange zusammen, distanzierten sich dann aber nach diversen Konflikten. Bekanntheit erlangte Cryptome unter anderem mit der Veröffentlichung geheimer MI6-Dokumente.
Ebenfalls ohne thematische Spezifizierung arbeitet das Portal GlobaLeaks.

Neben den originären Leakingsportalen gibt es eine ganze Reihe weiterer Portale und Blogs, die im Umfeld von Wikileaks und Co arbeiten. Crowdleak.net gehört zu den bekanntesten Beispielen. Hier soll die Crowd nach unentdeckten News in bekannten Leaking-Dokumenten recherchieren. Auch die Depeschensuchmaschine Cablegatesearch.net will die Schwarmintelligenz nutzen, um die Auswertung der Depeschen ertragreicher zu gestalten.
Seiten wie WLcentral.org oder Leaknews.de verstehen sich dagegen eher als Nachrichtenseiten zu Whistleblowingthemen.

Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang das deutsche Whistleblowing-Netzwerk. Theorie und Praxis des Leakens werden dort umfangreich diskutiert.

Natürlich gibt es mittlerweile auch haufenweise Onlinespiele und jede Menge Trash mit Unterhaltungswert zum Thema Whistleblowing im Netz. Dazu in Kürze mehr.

Bleibt am Schluss noch ein erstes Zwischenfazit. Die Vielzahl entstehender Portale deutet auf wachsende Relevanz des Whistleblowings hin. Den Beleg ihrer Bedeutung sind alle Portale noch schuldig. Viele Fragen sind dagegen noch offen. Hat Wikileaks dem Thema Whistleblowing zum Durchbruch verholfen? Oder werden sich Staaten und Unternehmen zukünftig noch massiver schützen? Und – wer ist er eigentlich, der Whistleblower und was sind seine Motive?

Antworten und Ergänzungen gerne und jederzeit!

 

Guerillakrieg im Netz

Die Hacker-Bewegung Anonymous sorgte bereits mehrfach für Schlagzeilen. Mit diversen Hacker-Attacken wurden die Server von VISA, Mastercard und Amazon im Dezember lahmgelegt. Zuvor hatte die US-Regierung die Dienstleistungsanbieter genötigt, ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks zu beenden. Der anschließende Kniefall der Dienstleistungbranche, der ohne jede rechtliche Notwendigkeit erfolgte, wurde von Anonymous mit massiven DDOS-Angriffen beantwortet.

Jetzt startet die Gruppe anonymer Hacker offenbar ein eigenes Leakingprojekt. AnonLeaks heißt das Ganze und ist seit kurzem online. An AnonLeaks wird sich mit großer Sicherheit erneut eine Diskussion entzünden, die bereits am Wochenende hier geführt wurde, wenn auch in einem völlig anderen Zusammenhang. Wer darf wann was leaken? Denn die ersten Dokumente auf AnonLeaks sind keine klassischen Whistleblowerlieferungen. Anonymous gab bereits vor Tagen den Hack, also den digitalen Einbruch in die Mailserver der amerikanischen IT-Sicherheitsfirma HBGary bekannt. HBGary hatte in Zusammenarbeit mit dem FBI versucht, Akteure der Hacker-Gruppe Anonymous zu identifizieren. Jetzt holte Anonymous offenbar zum Gegenschlag aus. Auf AnonLeaks veröffentlichte die Hacker-Bewegung tausende Mails der Firma.

 

Der Nazi als Vorbild

Das Böse ist ein Phänomen, das spätestens im 19. Jahrhundert, allerspätestens jedoch im 20. Jahrhundert ausgestorben ist. Keine Hexenjagden mehr, keine Scheiterhaufen für Gelehrte. Aufklärung und Psychoanalyse machen es möglich. Das Böse ist kein Dämon, sondern Teil von uns. Mit einer großen Ausnahme.

Der Nazi, in der Gegenwart natürlich der gemeine Neo-Nazi, gilt gesellschaftlich weiter als Inbegriff des Bösen. Er ist mindestens ein Hund, ein Schurke, Asozialer, Menschenhasser, Rassist, Schläger.

Das psychische Profil des Nazis ist dabei ebenso eindeutig:  Zwischen dumpfer Tölpel mit Hang zur Kurzhaarrasur und nachhaltig gestörtem Verhältnis zur Gewalttätigkeit, Vorlieben für Lautstärke, Rudelbildung, sowie gemeingefährlichem Hetzer mit Minderwertigkeitskomplexen oszilliert seine bedauernswerte Persönlichkeitsstruktur.

Eine Aneinanderreihung von Klischees. Die in der Regel der Wahrheit entspricht. Jetzt aber hat einer dieser Beschriebenen ganz offenbar eine Vorbildfunktion übernommen. Denn gestern sind über 60.000 E-Mails der NPD geleakt, also anonym veröffentlicht worden. Unter anderem wurden der Tagesschau und der tageszeitung Dokumente zugespielt, die belegen, wie die Damen und Herren Kameraden miteinander elektronische Konversation treiben. Der Ton ist den skizzierten psychischen Dispositionen entsprechend. Und in der Summe die zu erwartende Blamage der politischen Stümper vom rechten Rand. Die Mails dokumentieren eher Lautstärke als politisches Strategieverständnis. Aber wer hätte etwas anderes erwartet?

Aber in einem Punkt ist der Nazi ein Vorbild, zumindest dieser, der die Quelle für die geleakten Mails zu sein scheint. Er hat die Bedeutung der entstehenden Leakingkultur erkannt – und genutzt.

Also Ministeriumsmitarbeiter, Angestellte in Futtermittelbetrieben, Manager der mittleren Ebene in Krankenhäusern oder Pharmakonzernen und Führungskräfte bei Discountern oder Energieversorgern – was ein Nazi kann, könnt Ihr doch wohl auch. Leakt Dokumente, wenn Euch Schweinereien zu Gesicht kommen. Es gibt genug Adressen.

Eine Übersicht folgt hier in der nächsten Woche!

P.S.: Und wenn es keiner der Nazis war, sondern ein IT-Mitarbeiter bei irgendeinem Provider, der die Mails geleakt hat, dann nehmt Euch an dem ein Beispiel…