Emotional, bewegend, erschütternd – so schilderten Medien die Zeugenaussage Ismail Yozgats, Vater des Ermordeten Halit Yozgat. So etwa Matthias Maus in der Münchner Abendzeitung, Andreas Gebert in der Thüringer Allgemeinen und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Vielen Autoren ist besonders eine Szene in Erinnerung geblieben.
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In der Süddeutschen Zeitung liest sie sich so: „Plötzlich springt Ismail Yozgat, der Vater, dessen Schmerz einfach nicht vergehen will, von seinem Zeugenstuhl auf. Er dreht sich herum, ruft in den Gerichtssaal, durchlebt erneut den Moment, an dem er seinen Sohn in seinen Armen hielt, sterbend. „Er hat nicht geantwortet!“, brüllt Ismail Yozgat. „Er hat nicht geantwortet!“ Für Tanjev Schultz ist die Szene „der bisher vielleicht aufwühlendste Moment im NSU-Prozess“.
Gisela Friedrichsen macht auf Spiegel Online die Dimension des Mordes klar: „Das Unfasslichste im Leben von Eltern ist der Tod des eigenen Kindes. Diese Wahrheit gilt für alle Menschen, gleich welcher Herkunft, welcher Hautfarbe und Nationalität und welchen Alters.“ Die Autorin beschreibt die Aussage Ismail Yozgats detailreich.
In der türkischen Tageszeitung Hürriyet gibt Ali Mercimek die Aussage Halit Yozgats kurz wieder und zitiert ihn mit den Worten: „Mein 21-Jähriger Sohn ist in meinem Schoß gestorben.“ Yozgats Wunsch sei Gerechtigkeit, schreibt Mercimek. Er wolle, dass die Straße, in der sein Sohn geboren, aufgewachsen und gestorben sei, nach ihm benannt werde. Das Nachrichtenportal Timeturk übernahm den Text aus der Hürriyet.
In einem weiteren Text konzentriert sich Tanjev Schultz von der SZ auf den Zeugen Andreas T. („Verfassungsschützer will NSU-Mord nicht bemerkt haben.“) Der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter war zur Tatzeit im Internetcafé, dem Tatort. „Bis heute schwelt, nicht nur in der Familie des Opfers Halit Yozgat, der Verdacht, Andreas T. könnte doch irgendetwas zu tun haben mit dem Mord oder zumindest mehr darüber wissen, als er preisgibt“, schreibt Schultz. Die Bundesanwaltschaft sehe dafür jedoch keine Anhaltspunkte.
Für Ismail Yozgat sei unverständlich, dass T., der zunächst als Verdächtiger festgenommen wurde, wieder freigelassen ist, schreibt Stefan Geiger in der Berliner Zeitung („Vater von NSU-Opfer empört sich über Polizei“, ähnlich in der Frankfurter Rundschau). Indirekt entlastet Yozgat den Mann jedoch etwas: „Denn er (Yozgat) bestätigte ungefragt, dass auf der Theke ein 50-Cent-Stück gelegen habe. Der Verfassungsschützer hatte vor der Polizei ausgesagt, das Café verlassen zu haben, ohne Halit Yozgat gesehen zu haben. Er habe deshalb 50 Cent auf den Tresen gelegt.“ Autor Geiger berichtet auch für die Frankfurter Rundschau aus dem Gerichtssaal: „Nichts gesehen und nichts bemerkt.“
Hannelore Crolly beschreibt T. in der Welt als „eine der mysteriösesten Figuren“ bei der Aufklärung der Morde. „Wie kann es sein, dass ein Mann mit zwei Schüssen in den Kopf getötet wird, während ein paar Meter weiter ein Verfassungsschützer und Sportschütze sitzt und das nicht mitbekommt?“, fragt die Autorin. Zumal mehrere Zeugen aussagten, Geräusche gehört zu haben.
T. hat vor Gericht verschiedene Gründe genannt, warum er sich nach der Tat nicht als Zeuge meldete. Unter anderem etwa, dass der dachte, er sei an einem anderen Tag im Internetcafé gewesen. „Doch alle Gründe, die T. für sein Sich-Wegducken angibt, überzeugen den Richter nicht“ schreibt Karin Truscheidt in der Frankfurter Allgemeinen („Der Mord, den niemand bemerkt haben will“).
Ähnlich nimmt das Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online wahr: „Götzl treibt den Zeugen, der noch immer keine Erklärung für seine Behauptung hat, er sei nicht am Tattag in dem Lokal gewesen, in die Enge. Er befragt ihn intensiv, wie noch keinen anderen Zeugen zuvor, lässt ihn nicht davonkommen mit Erklärungen, etwa sich selbst nicht zu verstehen.“ T. habe sich damals offenbar in einer chaotischen, ihn völlig überfordernden inneren Verfassung befunden, vermutet die Autorin. Die Vernehmung T.’s werde fortgesetzt, zu viele Fragen seien noch offen.
Tom Sundermann beobachtete für ZEIT ONLINE ebenfalls, dass Richter Manfred Götzl an den Aussagen von T. zweifelt. Götzl nehme T. nicht ab, dass er seine Handlungen innerhalb eines „sehr überschaubaren Zeitraums“ nicht mehr habe nachvollziehen können, schreibt Sundermann und zitiert den Richter: „Ich habe da, das gebe ich offen zu, Schwierigkeiten.“
Lena Kampf sieht das auf stern.de ähnlich. „So wenig wie Ismail Yozgat daran glaubt, dass der Zeuge Andreas T. seinen toten Sohn übersehen hat, so wenig scheint auch der Richter Manfred Götzl dem ehemaligen Verfassungsschützer zu glauben“, schreibt sie („Das Blut des Sohnes an den Händen“). Details über den V-Mann, den T. geführt hat, durfte T. aufgrund seiner Aussagegenehmigung nicht schildern. Kampf ergänzt daher: „Dass der V-Mann Benjamin G. in die gewaltbereite Kameradschaft Kassel verstrickt war und sein Halbbruder bei der Blood-and-Honour-Truppe Sturm 18 mitgemischt hat, das erzählt T. dem Richter nicht.“
Yücel Özdemir fasst für die türkische Tageszeitung Evrensel den 40. und 41. Verhandlungstag zusammen. Er beschreibt, wie auch die deutschsprachigen Tageszeitungen, dass sich die Zeugin A. sicher war, Zschäpe in Dortmund gesehen zu haben. (Vgl. Medienlog vom 1. Oktober) Auf den gestrigen Verhandlungstag geht Özdemir nur kurz ein. Yozgat hätte den Moment, als er seinen Sohn auffand, in der Verhandlung noch einmal durchlebt.
In dem Prozess können sich manche Zeugen nur vage erinnern oder sie machen widersprüchliche Angaben – im Vergleich zu früheren Aussagen. Tom Sundermann hat für ZEIT ONLINE nachgefragt, woran das liegen könnte und mit dem Rechtspsychologen Günter Köhnken gesprochen. Zeugenaussagen seien auch immer davon abhängig, wie die Fragen gestellt werden, erläutert Köhnken. Wie gut wir ein Ereignis im Gedächtnis behalten, hänge aber auch davon ab, welche Bedeutung es für uns hat.
Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 3. Oktober 2013.