Ein „feucht-fröhlicher“ Abend war es, als die Hannoveranerin Silvia S. ihrem Bekannten Holger G. ihre Krankenversicherungskarte überließ – so erinnerte sich am ersten Prozesstag nach der Weihnachtspause ihr Mann Alexander. Die Karte gab G. schließlich an Beate Zschäpe weiter, heute sitzt er unter anderem deswegen mit ihr auf der Anklagebank. Mithilfe von Alexander S. versuchte das Gericht, mehr über den Gefallen für das Nazi-Trio zu erfahren, „auch wenn seine Aussage kein allzu großes Gewicht im NSU-Komplex haben dürfte“, wie Frank Jansen im Tagesspiegel kommentiert. Die Vernehmung beschreibt er als Duell zwischen Richter Manfred Götzl und dem Zeugen.
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S. sei vor Gericht „cool und selbstgefällig“ aufgetreten und habe Erinnerungen nach seinem Gutdünken preisgegeben. Fraglich sei, ob Holger G. an dem launigen Abend im Jahr 2006 zurechnungsfähig war: Er habe „recht hohe Mengen“ an Amphetaminen genommen und kaum stillsitzen können. Wofür er schließlich die Krankenkassenkarte benötigte, für die er Silvia S. 300 Euro bezahlte, habe auch S. nicht erklären können, schreibt Jansen. Im Anschluss erkundigte sich Richter Götzl nach der politischen Einstellung des Zeugen – nach Aussage seiner Frau hat er das Wort „Skinhead“ auf den Bauch tätowiert. S. habe angegeben, bis etwa 2004 „eine nationalsozialistische Einstellung“ gehabt zu haben, Teil einer Neonazi-Kameradschaft gewesen zu sein und gegen ein angeblich falsches Bild von Rudolf Heß protestiert zu haben. Im Anschluss an seine Zeit in der Szene habe er gemeinsam mit G. lieber gefeiert und Drogen genommen.
Gisela Friedrichsen beschreibt den Prozesstag auf Spiegel Online als „Kampf gegen das Schweigen“: Zeuge S. „tritt offensichtlich bestens vorbereitet vor Gericht auf mit der Absicht, dort mehr zu verschweigen als preiszugeben. Doch Manfred Götzl hat mittlerweile Routine darin, die Daumenschrauben bei solchen Zeugen langsam aber spürbar anzuziehen.“ Wie seine Frau habe S. versucht, viele Fragen mit Erinnerungslücken zu parieren. Sowohl Silvia als auch Alexander S. hätten nicht ausgesagt, G. habe sie wegen der Karte „bequatschen“ müssen – in seiner Stellungnahme zu Prozessbeginn hatte der Angeklagte genau das jedoch gesagt. Aus Sicht der Verteidiger von Beate Zschäpe sei G. daher nicht mehr besonders glaubwürdig.
Ein „Dompteurs-Akt“ sei die Vernehmung gewesen, meint Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Mit viel Geduld hätten die Prozessbeteiligten versucht, herauszufinden, wen sie vor sich haben. Die Vernehmung sei mehr gewesen als eine bloße Befragung: „eine Kraftprobe mit dem Rechtsstaat“. Es sei gelungen, das Schweigen des eloquenten Zeugen zu brechen.
Auch Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen betont das Muskelspiel zwischen Richter und Zeuge: „Dass er in einem Terrorprozess vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in München aussagen muss, beeindruckt den früheren Rechtsextremisten wenig.“ S. habe auch ausgesagt, dass G. damals „nationalistisch“ gewesen sei.
Reichte die Mithilfe des ebenfalls Angeklagten Ralf Wohlleben weiter als bisher bekannt? Diese Frage wirft ein neuer Zeuge auf, für den sich die Bundesanwaltschaft interessiert, schreibt Lena Kampf auf stern.de. Dabei handle es sich um den Polen Krysztof S., der derzeit in seinem Heimatland inhaftiert ist, aber auch in Deutschland eine Strafe abgesessen hat. S. habe nach eigenen Angaben zwischen Ende 2003 und Anfang 2004 eine Pistole von Wohlleben erhalten – dafür zeigte er diesem, wie man ein Gerät zum Autoknacken richtig einsetzt. Nach dem Willen des Generalbundesanwalts soll S. zur Gegenüberstellung nach Deutschland kommen, denn „wenn Wohlleben tatsächlich mit Waffen gehandelt hat, stützt das den Vorwurf, er habe im Jahr 2000 die Tatwaffe Ceska 83 organisiert“, schreibt Kampf. Laut einem internen Schreiben der Strafverfolger identifizierte der Pole den NPD-Kader aus Jena bereits auf Fotos.
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Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 10. Januar 2014.