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Ein Angriff auf die Uniform – Das Medienlog vom Freitag, 17. Januar 2014

 

Das Münchner Oberlandesgericht hat mit der Aufklärung des Mords an der Polizistin Michèle Kiesewetter begonnen, die am 25. April 2007 auf einem Parkplatz in Heilbronn erschossen wurde. Neben ihr saß ihr Kollege Martin A., der den Schussangriff schwer verletzt überlebte und heute im Innendienst arbeitet – am 75. Prozesstag sagte er im Prozess aus. Kiesewetter und er waren die letzten Opfer der NSU-Serie. Sie traf es offenbar, weil sie den von den Extremisten gehassten Staat repräsentierten: „Es ging wohl nicht um die Personen, sondern um deren Funktion“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Der Anschlag war damit kein Angriff auf die Nationalität – sondern auf die Uniform.

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A. habe überraschend souverän gewirkt, notiert Friedrichsen: „Er beginnt mit seiner Aussage, spricht flüssig, fast ein wenig zu schnell. Kein Augenblick des Zögerns. Das soll jener Polizist sein, dem quer durch den Kopf geschossen worden war?“ Tatsächlich hat A. jahrelange Qualen hinter sich: Er war abgemagert, wusste nicht, ob er den Polizeidienst wieder aufnehmen und „ob ich wieder acht, neun Stunden arbeiten kann“. Sieben Jahre habe A. bislang um sein Leben gekämpft und darum, wieder draußen arbeiten zu können – letzteres gelang ihm nicht.

Der Mord „war ein Direktangriff auf den deutschen Staat„, schreibt Tom Sundermann auf ZEIT ONLINE. Dass A. sich in den Dienst dieses Staats stellte, bezahlte er beinahe mit dem Leben. Im Gericht habe er indes stark gewirkt: „Er kann schlüssig erzählen, hat seine Emotionen im Griff.“ In nüchternen Worten habe er den Prozessbeteiligten die Möglichkeit genommen, eine Aussage, die er unter Hypnose gemacht hatte, zu verwerten – weil er im Trancezustand Rückschlüsse aus Berichten gezogen hatte: „Da war ein riesengroßes schwarzes Loch in meinem Kopf, das musste ich irgendwie füllen“, sagte er.

Bis zum heutigen Tag plagten A. „bohrende Fragen zum Polizistenmord“, er „zermartert sich bis heute seinen Kopf, warum seine lebensfrohe Kollegin sterben musste“, schreibt Ralf Isermann von der Nachrichtenagentur AFP. Der 31-Jährige sei „ein bescheidener, etwas schüchterner Mann, der wenig Aufhebens um sich und sein Schicksal macht“, schreiben Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Wie sehr müssen ihn aber, wenn er allein ist, die Fragen quälen? „Das Motiv fehlt bis heute“, zitieren ihn die Autoren. Es gebe den Verdacht, dass die Täter es auf die aus Thüringen stammende Kiesewetter abgesehen hätten. Diese sei öfters bei Fußballspielen und bei rechten Demonstrationen eingesetzt worden.

Bei seiner Aussage übte A. zugleich Kritik an den Ermittlungen: Dass diese bislang kein Motiv zutage gefördert hätten, stimme ihn bis heute „unzufrieden“, berichtet Stefan Geiger in der Stuttgarter Zeitung. Der Antrieb für die Tat lässt sich wohl nur aus Tätersicht erklären: „für die Terroristen, die genug Waffen zur Verfügung gehabt hätten“, sei der Polizistenmord „eine zusätzliche Machtdemonstration“ gewesen, analysiert Karin Truscheit in der FAZ.

Für die Demonstration ihrer Macht gingen die Täter ein hohes Risiko ein, wie Frank Jansen im Tagesspiegel kommentiert: Da sich die Täter von beiden Seiten dem Polizeifahrzeug näherten, hätte einen von ihnen das Geschoss treffen können, das aus Kiesewetters Schädel austrat. Zudem hätten sich beide einer hohen Gefahr ausgesetzt, entdeckt zu werden. Dass die Tat der damals noch unaufgeklärten Mordserie zugerechnet wird, hätten sie offenbar nicht gewollt – aus Gründen, die bis heute rätselhaft sind: „Offen bleibt, warum Mundlos und Böhnhardt die Pistole Ceska 83, mit der sie bei allen Morden an neun türkisch- und griechischstämmigen Migranten schossen, in Heilbronn nicht einsetzten.“

Die Reaktion der Hauptangeklagten beschreibt Per Hinrichs in der Welt: „Beate Zschäpe sieht stur geradeaus und verzieht keine Miene. War sie einverstanden mit dem Vorgehen der beiden Uwes?“ Es sei nicht zu erkennen gewesen, ob sie dem Zeugen überhaupt zugehört habe.

Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 20. Januar 2014.