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Ein schweigender Zeuge und ein vergesslicher Ermittler

 

Der Zeuge Max-Florian B. hatte das NSU-Trio bei sich wohnen lassen. Vor Gericht schweigt er. Helfen soll die Aussage eines Polizisten – doch der leidet unter Erinnerungslücken.

Der Beschuldigte will schnell wieder raus. Max-Florian B., ein Mann mit Wollpulli, zerzaustem Haar und Kinnbart, gibt sich Mühe, den Auftritt vor Gericht in aller Kürze abzuhandeln. Der Anwalt, den er mitgebracht hat, muss kein Wort sagen. B. schafft es allein, sich auf Paragraph 55 der Strafprozessordnung zu berufen, der ihm ein vollständiges Aussageverweigerungsrecht zugesteht.

Und so ist der 36-Jährige Steinmetz aus Dresden nach zwei Minuten wieder aus dem Saal verschwunden. Ein unangenehmer Moment für den Vater zweier Kinder – denn er hatte einem mutmaßlichen Terroristen seine Identität geliehen. Uwe Mundlos besaß einen Reisepass auf B.s Namen, seine Geburtsurkunde wurde in den Trümmern der letzten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau gefunden. Zudem hatte er Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt nach deren Untertauchen in seiner Wohnung leben lassen. Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen B., beinahe hätte er selbst auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Weil er sich nicht selbst belasten muss, darf er schweigen.

Das Gericht hatte mit B.s Schmallippigkeit gerechnet und zusätzlich zwei Polizisten geladen, die B. mehrere Male in Vernehmungen befragt hatten – dabei war der mutmaßliche Unterstützer wesentlich auskunftsfreudiger gewesen.

Eine flüchtige Begegnung mit dem NSU?

Am 4. November 2011 erschossen sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall in einem Wohnmobil in Eisenach. In dem Fahrzeug fanden Polizisten kurz darauf einen Reisepass auf B.s Namen. Er geriet ins Visier der Ermittlungen, noch bevor der NSU vollständig enttarnt war. Drei Tage darauf durchsuchten Fahnder auf den Befehl der Sonderkommission hin seine Wohnung in Dresden und nahmen ihn mit aufs Polizeirevier. Dort vernahm ihn ein Beamter der Kriminalpolizei Gotha.

Reinen Tisch machen wollte B. allerdings nicht – jedenfalls nicht sofort. Er behauptete, 1998 in seinem damaligen Wohnort Chemnitz auf einem Konzert oder in einer Kneipe eine Frau und einen Mann kennen gelernt zu haben. Beide seien angetrunken gewesen und hätten nicht heimfahren können – deswegen habe er sie bei sich übernachten lassen.

Tatsächlich war B.s Beziehung zu dem Trio weit mehr als eine flüchtige Begegnung, wie er bei der Vernehmung mit einem BKA-Ermittler am 24. November 2011 zugab: Demnach war er von einem rechten Konzert in Ungarn zurückgekehrt, als seine Freundin Mandy S. an ihn herantrat. Sie hatte drei Kameraden aus der rechten Szene in seiner Wohnung untergebracht, die „Mist gebaut“ hatten. Keine Fragen, keine Namen. B. stimmte zu und wohnte eine zeitlang bei seiner Freundin. Als sie ihn betrog, kehrte er zurück – für etwa einen Monat lang wohnte er mit den Untergetauchten zusammen.

Böhnhardt autoritär, Mundlos angenehm

Böhnhardt, sagte B. bei der Polizei, habe ihm manchmal Angst gemacht, weil er sehr autoritär auftrat. Gut verstanden habe er sich hingegen mit Mundlos. Der kam irgendwann mit einer ungewöhnlichen Bitte auf ihn zu: Ob er nicht seinen Personalausweis haben könne? Damit wollte er einen Reisepass mit seinem eigenen Foto beantragen, irgendwann vielleicht ins Ausland abhauen.

B. stimmte zu, weil er die drei loswerden wollte. Der Besuch war ihm unangenehm geworden: Als er ihnen erzählte, dass er einen Polizisten auf der Straße gesehen hatte, seien alle aufgesprungen – „als hätten sie einen Schalter umgelegt“, sagte B. bei der Vernehmung. Da wurde ihm mulmig.

Die Sache mit dem Ausweis war eine Entscheidung mit langfristigen Folgen: B. übereignete Mundlos seine Identität – die dieser bis zu seinem Tod am 4. November 2011 nutzte. Vor Nachbarn und Urlaubsbekanntschaften nannte sich Mundlos „Max“.

Polizisten können sich nicht mehr erinnern

So hatte sich B. vor der Polizei dargestellt – als gutgläubiges Opfer. Wie viel an seiner Version stimmt, ist jedoch noch lange nicht geklärt. Mandy S. etwa hatte die Vermittlung der Wohnung an die Untergetauchten ganz anders dargestellt – demnach hatte sie B. gefragt, bevor die drei einquartiert wurden.

Klarheit sollen eigentlich die Aussagen der Vernehmungsbeamten bringen. Doch schon nach wenigen Minuten wiederholt sich ein Problem, das bereits in der vorigen Sitzung zutage getreten war: das löchrige Gedächtnis von Polizisten. Am Mittwoch hatten sich zwei Beamte an zahlreiche Details der Befragung des Zeugen Frank L. nicht mehr erinnern können. Ähnlich der Gothaer Ermittler, der B. am 7. November 2011 befragt hatte: Er kann B.s ursprüngliche Aussage, nach der er 1998 eine Frau und einen Mann getroffen und zu sich eingeladen hatte, nicht mehr bestätigen.

B.s Angaben sprach der Kommissar damals im Beisein des Beschuldigten auf ein Diktiergerät, damit eine Schreibkraft sie später abtippen konnte. Auf Nachfrage eines Nebenklage-Anwalts räumt er ein, dass die Aufnahmen später gelöscht wurden: „Wir haben nicht genug Speicherkarten, um das aufzubewahren.“

Für den Beschuldigten wird es eng

Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl bemängelt zudem die Vorlage von Fotos, auf denen B. die Gesichter von Beate Zschäpe und Uwe Mundlos erkannte: Der Beschuldigte bekam lediglich einzelne Bilder vorgelegt statt einer sogenannten sequentiellen Wahllichtbildvorlage, bei der zusätzlich mehrere ähnlich aussehende Unschuldige abgebildet sind. Zum Beweiswert „wird man hier nicht viel sagen müssen“, poltert Stahl. Bei allen korrekt durchgeführten Bildervorlagen sei B. durch die erste Vernehmung beeinflusst gewesen.

B. wurde das Trio schließlich los. Nach weiteren Stationen bei Bekannten mieteten die drei selbst eine Wohnung – mit der frisch erlangten Identität. Um seine Bonität zu beweisen, legte Mundlos alias B. Gehaltsabrechnungen eines Steinmetzbetriebs vor, datiert auf Februar bis April 2000. Der Name darauf: Max-Florian B.

In seiner Vernehmung am 24. November 2011 gab sich B. überrascht: Die Abrechnungen stammten von ihm, ja, doch er habe sie „nicht wissentlich“ weitergegeben. Am Tag darauf hielten die Beamten ihm vor, dass die besagten Dokumente in seinem Büro auf der Arbeit nicht gefunden wurden, aber im Brandschutt in Zwickau. Da musste B. einräumen, der Vorhalt klinge plausibel.

Für den Beschuldigten und seine Glaubwürdigkeit wurde es eng. Am 2. Dezember gab er zu, die Gehaltszettel weitergegeben zu haben. Mundlos habe damals zu ihm gesagt, er könne ja behaupten, die Papiere seien ihm gestohlen worden.