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Mandy S., die treue Helferin

 

Es muss Mitte Februar 1998 gewesen sein, als der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in das Leben von Mandy S. trat. An einem Abend stand Achim F. vor der Tür ihrer Chemnitzer Wohnung, wie sie ein Mitläufer in der rechten Szene. Wahrscheinlich hatte ihn einer der Anführer geschickt. Da seien drei Kameraden, die „Scheiße gebaut“ hätten und sich verstecken müssten, sagte F. Mandy S. wollte helfen, aber in ihrer Wohnung sollten die Flüchtigen doch bitte nicht unterkommen.

Sie fragte ihren Freund Max-Florian B. Der willigte ein, die drei bei sich einzuquartieren und fuhr mit F. zu sich nach Hause. Erst später lernte S. das Trio selbst kennen: Es handelte sich um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, wie Rekonstruktionen von Ermittlern ergaben.

Die 38-jährige S. wohnt mittlerweile in Schwarzenberg im Erzgebirge, nur wenige Kilometer entfernt von ihrem Geburtsort. Sie ist Leiterin eines Friseursalons, hat eine Tochter, mit der rechten Szene hat sie angeblich nichts mehr zu tun. Weil das einmal anders war, kamen im November 2011 Beamte der Kriminalpolizei in den Salon – und hatten einige unangenehme Fragen. Mehrmals gab S. daraufhin die Geschichte der Unterbringung zu Protokoll.

Am Mittwoch packte sie erneut aus: im NSU-Prozess in München, wo S. als Zeugin geladen war und an diesem Donnerstag erneut gehört wird. Auf die Angaben der Friseurin hatten Prozessbeobachter mit Spannung gewartet. Weil S. Beate Zschäpe später ihre Personalien zur Verfügung gestellt haben soll, ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen sie. Dass sie aussagt, ist eine Überraschung, denn S. hätte schweigen dürfen.

Mit Bomberjacke und Springerstiefel

Keine Überraschung ist hingegen das, was sie sagt: S. gibt nur zu, was garantiert verjährt ist. Und es ist nicht einmal sicher, ob das der Wahrheit entspricht.

Denn die Sache mit dem Quartier für das Trio erzählte Max-Florian B. bei der Polizei ein wenig anders: Er sei auf einem rechten Konzert in Ungarn gewesen. Als er nach Deutschland zurückkehrte, habe ihn seine Freundin zum Gespräch gebeten: Mit ihrem Zweitschlüssel habe sie drei Kameraden in seine Wohnung gebracht und dort schlafen lassen. B. habe sich schließlich einverstanden erklärt.

S. wehrt sich bis heute gegen diese Darstellung – Fremde in die Wohnung anderer Leuten zu lassen, das würde sie nie tun, sagte sie. Es ist ein eigentümliches Verständnis von Moral: Menschen zu verstecken, die vor der Justiz auf der Flucht waren, das war nach dem Wertekanon von S. anscheinend kein Problem.

In jedem Fall wollte Mandy S. immer loyal und angepasst sein, zumindest den Kameraden aus der Szene gegenüber. Ein Lebenspartner führt sie in das Milieu ein. Auf Demonstrationen machen sich die anderen lustig, weil sie normale Kleidung trägt. Sie geht in ein Geschäft und kauft sich Bomberjacke und Springerstiefel. Dazu rasiert sie sich den Kopf. Als Mitglied einer „Hilforganisation“ schreibt sie Rechten im Gefängnis, sie verteilt Flugblätter, nimmt an einem Marsch für Rudolf Heß teil.

Die wohl wichtigste Hilfe leistet sie allerdings dem NSU-Trio. Mehrmals trifft sie die Untergetauchten in der Wohnung von B., wo sie mindestens zwei Monate lang wohnen. Bei einem Besuch krümmt sich Beate Zschäpe vor Schmerzen. Sie müsse dringend zum Frauenarzt, habe aber keine Krankenversicherungskarte. Mandy S. hilft mit ihrer eigenen aus. Kurze Zeit darauf liegt das Dokument wieder in ihrem Briefkasten. Einmal holt sie einen Personalausweis vom Einwohnermeldeamt ab, der für einen der Männer gedacht ist – damit will das Trio offenbar einen Reisepass beantragen, um das Land verlassen zu können.

Das sei es dann gewesen, sagte S. den Ermittlern, mehr habe sie nicht getan. Seit Frühsommer 1998 habe sie keinen Kontakt mehr zu den dreien gehabt.

Zschäpes Adresse im Erzgebirge

Stutzig machen jedoch Beweisstücke, die Ermittler in dem niedergebrannten Haus in Zwickau sicherstellten, das der NSU zuletzt bewohnt hatte: auf ihren Namen lautende gefälschte Mitgliedsausweise zweier Tennisclubs im Umkreis von Nürnberg – dort hatte S. zeitweilig gelebt. Auf einem klebte das Foto von Zschäpe, daneben stand eine Adresse von S. Im Erzgebirge. Die Wohnung hatte sie erst im Jahr 2004 bezogen.

Ebenfalls im Brandschutt lagen zwei Notizzettel mit S.‘ Handynummer, unter der sie erst seit August 1999 zu erreichen war. „Das ist der Hammer“, antwortete S. verblüfft, als Polizisten ihr in einer Vernehmung die Zettel vorlegten. Für die Zeugin wurde es eng.

Der Bundesanwaltschaft genügten die Indizien, um ein Verfahren gegen S. einzuleiten. Die Sachlage begründe den Verdacht, dass S. noch sehr viel länger mit dem Trio in Kontakt stand und von den Zielen des NSU wusste. Beate Zschäpe nutzte offenbar bis zum Auffliegen der Terrorzelle S.‘ Identität – und zwar mit der Billigung der Zeugin. Damit wäre die Verjährungsfrist von zehn Jahren keineswegs abgelaufen.

Wohnungen und Ausweise sind nicht die einzige Verbindung zwischen S. und dem NSU: Zur Schule ging sie mit den Brüdern André und Maik E. André E. hielt über die Jahre engen Kontakt mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, heute sitzt er mit auf der Anklagebank.