Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Neue Rätsel im Fall Andreas T. – Das Medienlog vom Mittwoch, 12. März 2014

 

Wie verhielt sich der Verfassungsschützer Andreas T. am Tatort des Kasseler NSU-Mordfalls – und was wussten seine Kollegen davon? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Gericht am 91. Prozesstag. T. war im April 2006 Kunde in dem Internetcafé von Halit Yozgat, als dieser erschossen wurde. Er behauptet jedoch, nichts davon mitbekommen zu haben. Weil ihm diese Aussage praktisch niemand glaubt, ließ Richter Manfred Götzl eine Tatortrekonstruktion vorspielen und befragte eine ehemalige Mitarbeiterin aus dem Verfassungsschutz. „Erst die Videoaufnahme zeigt, wie unglaubwürdig diese Aussage ist“, schreibt Per Hinrichs in der Welt.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

In der knapp anderthalbminütigen Aufnahme ist T. zu sehen, wie er seinen Weg vom Computer durch das Café zum Ausgang für die Beamten noch einmal abgeht. Auffällig sei dabei: „T. bemüht sich im Film, bloß nicht in Richtung des Schreibtisches zu blicken“, obwohl er den Ladenbesitzer gesucht haben will. Dieser lag nach der Tat erschossen hinter dem Tisch.

„Der kurze Film verstärkt die Zweifel, dass der 1,90 Meter große Mann den Sterbenden nicht hinter seinem Schreibtisch liegen sah“, schreibt auch ZEIT ONLINE. Ähnlich sieht es Karin Truscheit in der FAZ – demnach passe „der steife Gang durch das Café in der Video-Rekonstruktion zu seinen wenig nachvollziehbaren Äußerungen“.

Im Anschluss sagte die Zeugin Jutta E. aus, die damals mit T. im Landesamt für Verfassungsschutz in Kassel zusammenarbeitete. Die Prozessbeteiligten erkundigten sich, was T. in seiner Behörde über den Fall erzählt hatte. E. berichtete von einem Auftrag ihres Vorsitzenden, den sie T. erteilte: Der Kollege sollte sich beim Kasseler Polizeipräsidium nach dem Fall erkundigen. „Der Zeuge, der sich bis dahin nicht zu erkennen gegeben hatte, sollte also selbst Ermittlungen in dem Fall aufnehmen. Das war für ihn jedoch offenbar kein Anstoß, von seinem Aufenthalt am Tatort zu erzählen“, heißt es auf ZEIT ONLINE.

Nicht nur T.s damalige Entscheidung, sondern auch E.s Auftritt vor Gericht machte die Prozessbeteiligten stutzig: „Die 58-jährige Oberamtsrätin Jutta E. wirkte phasenweise erschreckend naiv“, kommentiert Björn Hengst auf Spiegel Online. Im Gespräch am Montag nach der Tat habe T. ihr gegenüber behauptet, das Internetcafé von seinem Heimweg zu kennen, jedoch nie dort gewesen zu sein – stimmen die Angaben der Beamten, dann hat T. gegenüber seinen Mitarbeitern gelogen. Zudem habe er in der Unterhaltung gesagt, der Mord gehöre zu einer Serie – bereits vier Tage nach der Tat. „Das Problem an der Information: Sie wurde erst am frühen Nachmittag von Polizei und Staatsanwaltschaft auf einer Pressekonferenz verkündet. Woher wusste Andreas T. also davon?“, fragt Hinrichs in der Welt.

Aufregung gab es nach der Vorführung des Videos im Saal, als Ismail Yozgat, Vater des Mordopfers, eine Erklärung verlesen wollte. Richter Götzl bremste den Nebenkläger, weil ihm dessen Stellungnahme zu allgemein erschien. „Der Ton ist energisch“, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Das galt vor allem, als Yozgats Anwalt Thomas Bliwier seinen Mandanten sekundierte. „Götzl steckt in einem Dilemma. Er will dem Vater das Wort nicht verbieten, muss aber auch auf eine korrekte Prozessführung achten“, beschreibt Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen die Situation. Beate Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer stellte sich daraufhin auf die Seite des Vorsitzenden und provozierte einen weiteren – letztlich erfolglosen – Protest von Bliwier: „Die Verteidigung von Zschäpe soll sich schämen“, weil sie die Stellungnahme des trauernden Vaters nicht hören wolle, polterte der Jurist.

Der Prozesstag endete mit einem Beweisantrag von Bliwier: Er forderte, zwei Beamte des hessischen Landespolizeipräsidiums als Zeugen zu laden. Diese hätten sich in abgehörten Gesprächen darüber unterhalten, dass T. von seinem Arbeitgeber empfohlen wurde, „sich anwaltlich vertreten zu lassen“, wie Hengst auf Spiegel Online zitiert. Der Leiter von T.s Dienststelle habe ihm zudem Inhalte von Zeugenvernehmungen mitgeteilt und die Behörde dem Beschuldigten geraten, nicht mit den Ermittlern zusammenzuarbeiten, wie dem Protokoll zu entnehmen sei. Im Fall des früheren Verfassungsschützers dürften also auch künftig noch viele Rätsel zu lösen sein.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 13. März 2014.