Der frühere Chef des hessischen Verfassungsschutzes, Lutz Irrgang, hat im NSU-Prozess ausgesagt. Sein damaliger Untergebener Andreas T. hatte sich in dem Kasseler Internetcafé aufgehalten, in dem der Inhaber Halit Yozgat am 6. April 2006 erschossen wurde, will jedoch nichts bemerkt haben. Deswegen wurde er vorübergehend als Beschuldigter gehandelt. Nun untersuchte das Gericht: Wie viel wusste Irrgang von T.s Treiben in dem Café – und wollte er überhaupt etwas zur Aufklärung beitragen? Irrgangs Aussagen waren allerdings „mager und teilweise schwer nachzuvollziehen“, kommentiert Frank Jansen im Tagesspiegel. Der Behördenleiter habe nach T.s Festnahme wenig unternommen und behauptete, auch wenig mitbekommen zu haben.
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Als Grund für seinen Stillhalten nannte Ex-Landesverfassungsschutzchef Irrgang einen Anruf des Landespolizeipräsidenten, der sich eine Einmischung in die Ermittlungen verbeten habe. So erklärte er auch, wieso er T. suspendiert habe, obwohl er nie dessen Rolle im Mordfall geprüft haben will, wie Karin Truscheit in der FAZ berichtet. Auffällig war, wie oft Irrgang auf die Verantwortung von anderen hinwies: Etwa in der Frage, ob die Ermittler Informanten des Verfassungsschutzes befragen dürften. „Die Aufsichtsbehörde hat das entschieden“, sagte Irrgang demnach – also das hessische Innenministerium.
Irrgang habe vor allem gezeigt, dass ihm wenig an einer Zusammenarbeit mit der Polizei gelegen war, schreibt ZEIT ONLINE: Nach T.s Entlassung aus dem Polizeigewahrsam „war der Aufklärungswille bei Irrgang, sofern er jemals vorhanden war, offenbar erlahmt“. Mehrmals habe er in der Vernehmung gesagt, von den internen Ermittlungen nur wenig erfahren zu haben. Die Affäre um T. habe außer der dauerhaften Suspension für T. im Haus keine umfangreichen Konsequenzen gehabt.
„In seiner Aussage verteidigte Irrgang seine Behörde“, resümiert die Nachrichtenagentur dpa. Bei den Antworten auf kritische Fragen der Nebenklage sei er ausweichend geblieben. Stattdessen betonte er, wie er den Betrieb im Verfassungsschutzamt aufrecht erhielt: „Die größte Sorge des ‚Hauses‘ sei es offenbar gewesen, die ‚Quellen‘ des Amtes und die internen Abläufe in der Außenstelle Kassel neu zu organisieren“, schreibt Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen. Alle Versuche des Richters, sich nach hausinternen Konsequenzen zu erkundigen, „liefen ins Leere“.
Irrgang habe „ungewollt Einblicke in die unglaublichen Zustände bei einem deutschen Geheimdienst“ gegeben, analysiert Per Hinrichs in der Welt. Der Behördenleiter a. D. habe zeigen wollen, dass der Verfassungsschutz „ganz normal und hochprofessionell arbeiten würde“. Das sei ihm nicht gelungen: Das Amt, nicht bereit zur Kooperation, habe ein Beispiel der „empathiefreien Welt der Geheimdienste“ abgegeben. Stutzig machte auch eine Bemerkung Irrgangs zur Personalgewinnung: Neue Mitarbeiter habe die Behörde aus der Riege von „überzähligen Postbeamten“ gewonnen – zu denen auch T. gehörte.
Die Stimmung während der Befragung pendelte zwischen angespannt und aggressiv. Mehrmals kam es zu Wortgefechten zwischen Vertretern der Nebenklage und Richter Manfred Götzl, wie Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung berichtet. Einer der Anwälte stellte demnach „lauter Fragen, die offenbar zeigen sollen, wie borniert und unkooperativ sich das Amt verhielt“. Davon hielt ihn jedoch Richter Götzl ab: Der Jurist dürfe nicht „die Befragung eines Untersuchungsausschusses nachholen“. Erneut sei der schon mehrfach beobachtete Interessenkonflikt zwischen Nebenklage und Gericht sichtbar geworden. Die Angehörigen und Opfer wünschten sich eine umfassende Aufklärung, der Staatsschutzsenat wolle den Fall effizient abarbeiten.
Im Anschluss an Irrgang sagte Andreas T. selbst noch einmal aus. Es war seine vierte Vernehmung und wird nicht die letzte gewesen sein. Dazu wurde ihm ein Video gezeigt, in dem er seinen Weg durch das Internetcafé für die Ermittler noch einmal abgegangen war, wie in der FAZ zu lesen ist.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 14. März 2014.