Heute geht der Prozess in den 100. Verhandlungstag. Diese Wegmarke nutzen insbesondere Regionalzeitungen, um das bisherige Verhandlungsgeschehen einzuordnen. Die Bilanz fällt durchwachsen aus: Knatsch zwischen Anklage und Opfervertretern, schweigende Zeugen und leidende Hinterbliebene prägen nach Ansicht der meisten Kommentatoren das Verfahren. Für die Nebenkläger sei es „fast unerträglich, Zschäpe lächelnd, aber stumm zu erleben“, schreibt Mirko Weber in der Stuttgarter Zeitung. Zudem werde der Prozess die Motivation der Täter nicht aufklären können – das könnte lediglich Beate Zschäpe.
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Trotz der oft drastischen Inhalte der Sitzungen habe sich während der langen Zeit eine gewisse Routine bei Prozessbeteiligten und Zuschauern eingeschlichen. Rasch sei in der Verhandlung klar geworden, dass der ursprünglich vom Gericht verfasste Sitzungsplan Makulatur war: „Wenn jemand 2.000 Puzzleteile zusammensetzen muss, würde er am hohen Mittag kaum darauf wetten, gegen acht Uhr abends fertig zu sein“, schreibt Weber. Opfer und Hinterbliebene hätten währenddessen lernen müssen, mit dem Schweigen der Hauptangeklagten umzugehen – „es liegt (…) etwas wie Verachtung in diesem Schweigen“.
Die Anwälte der Nebenklage hätten im Prozess kaum etwas erreicht, bilanziert ein Gerichtsreporter der Nachrichtenagentur dpa. Am Beispiel des Zeugen André K. schildert der Bericht die Hilflosigkeit von Gericht und Anwälten gegenüber dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer, der offensichtlich noch in der Szene verhaftet ist. „Man weiß, ein Zeuge hat bewusst gelogen, und es gelingt nicht, das aufzuzeigen“, äußert sich darin die Nebenklagevertreterin Doris Dierbach.
In der Chemnitzer Freien Presse bilanziert Jens Eumann: Das anfängliche Aufplustern von Zschäpes Verteidigern sei vorbei, seitdem gehe es sachlicher zu – doch längst nicht frei von Konflikten: „Zwischen verschiedenen Interessen zeigen sich immer wieder Klüfte.“ Das gelte insbesondere für die Nebenklage einerseits sowie Richter und Bundesanwaltschaft andererseits. Die Opferanwälte würden der Anklage vorwerfen, „kaum nach links und rechts zu gucken“. Auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl arbeite demnach lediglich die Vorwürfe aus der Anklageschrift ab. „Kein Wunder also, dass wenn von Morden Betroffene und ihre Anwälte der Zurückweisung ihrer Fragen an dubiose Zeugen aus der Helferszene mit großem Argwohn begegnen“, kommentiert Eumann.
Lob für Richter Götzl
In der Südwest Presse geht Patrick Guyton auf das Umfeld der mutmaßlichen Terroristen ein: Die Vernehmungen hätten gezeigt, dass „der spätere NSU in einer stattlichen Neonazi-Szene verankert war“. Guyton zitiert zudem den Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der den wichtigsten Tatvorwurf gegen Zschäpe bestätigt sieht. Demnach zeigten die bisherigen Zeugenaussagen, dass die Angeklagte „ein gleichwertiges Mitglied der Gruppe war“ – kommt das Gericht zu derselben Überzeugung, würde Zschäpe wegen der Mittäterschaft beim Mord verurteilt.
Rahmi Turan, Korrespondent der türkischen Zeitung Sabah bestärkt in der Münchner Abendzeitung Richter Manfred Götzl. Dieser habe „alle Eigenschaften, die sich die türkische Community in Deutschland wünscht“, denn er sei „ein Patriarch mit trockenem Humor und voller Emotionen“. Turan wirft Götzl allerdings vor, er gehe nicht hart genug gegen Zeugen aus der rechten Szene vor, die ihr Wissen hinter angeblichen Erinnerungslücken versteckten.
Zeitplan nicht zu halten
ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt hebt Götzls Akribie hervor: Er sei „akribisch an der Sache orientiert, kennt bei Anträgen die Akten häufig und die Strafprozessordnung immer besser als die meisten anderen Verfahrensbeteiligten“, schreibt Schmidt. Er wolle alle Fragen stellen, bevor die anderen Prozessbeteiligten Gelegenheit haben – dies sei einer der Gründe, weswegen der ursprüngliche Zeitplan des Prozesses nicht zu halten war.
Kai Mudra lobt in der Thüringer Allgemeinen den Staatsschutzsenat für seine Effizienz: „Das Gericht ist bemüht, kaum Leerlauf zuzulassen.“ Mittlerweile sind die zehn Mordfälle in die Beweisaufnahme eingeführt – für die Angehörigen ein schmerzhafter, aber notwendiger Vorgang. „Doch für den Prozess sind diese Schreckensszenarien notwendig“, schreibt der Autor.
Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 2. April 2014.