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Greise Zeugin muss aussagen – Das Medienlog vom Mittwoch, 30. April 2014

 

Für die Zwickauerin Charlotte E. dürfte es eine Tortur werden: Die 92-Jährige, die an Demenz leidet, soll für den NSU-Prozess in ihrem Altenheim befragt werden, wie das Münchner Oberlandesgericht nach einem Bericht vom Vortag bestätigte. Die Vernehmung werde allerdings nicht der Münchner Senat führen, sondern ein Richter des Amtsgerichts Zwickau. E. hielt sich in ihrer Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße auf, als Beate Zschäpe laut Anklage die Nachbarwohnung in Brand steckte. Im Dezember hatte Richter Manfred Götzl bereits versucht, die Zeugin per Videoschalte zu vernehmen – was in einer würdelosen Prozedur endete. Für die Befragung setzten sich Zschäpes Verteidiger ein. „Glauben die Anwälte wirklich, eine neuerliche Vernehmung der alten Frau werde für ihre Mandantin noch etwas Positives bringen?“, fragt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Angehörige der greisen Frau hatten darauf hingewiesen, wie sehr der Verlust ihrer Wohnung und die bereits strapaziöse Videovernehmung ihr zugesetzt hatten. Dass von ihr verwertbare Aussagen kommen, wäre vermutlich reine Glückssache. „Charlotte E. ist aber eine wichtige Zeugin“, gibt Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen zu bedenken. Die zentrale Frage ist, ob Zschäpe bei der Nachbarin geklingelt haben könnte, um sie vor dem Feuer zu warnen. Wegen der Brandstiftung wird der Angeklagten auch versuchter Mord vorgeworfen. „Auch wenn das so war, bekam es die schwerhörige Frau vermutlich nicht mit. Selbst die Explosion in Zschäpes Wohnung hatte Charlotte E. überhört“, merkt Frank Jansen im Tagesspiegel an.

Als unbestritten gilt, dass der Verlust ihrer Wohnung für E. eine Katastrophe war: „Das Schicksal der Rentnerin ist auch eines der Dramen im NSU-Komplex, obwohl es angesichts der zehn Morde der Terrorzelle meist weniger Beachtung findet“, schreibt Jansen. Dass sie nützliche Angaben machen kann, bezeichnet er als „fraglich“.

Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl sagte, es sei noch unklar, ob seine Mandantin an dem Termin teilnehmen werde. Die Befragung findet möglicherweise am 16. Mai statt.

Ein weiteres großes Thema des Tages sind die Fragen, die nach dem Tod des V-Manns Thomas R. alias Corelli bleiben. Der 39-Jährige war Ende März an einem unerkannten Diabetes verstorben. Nun beantragte die Nebenklage Einsicht in Akten, die Aufschluss über Corelli geben können – inklusive dem Obduktionsergebnis, wie Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk berichtet. Damit treten die Anwälte den Spekulationen entgegen, die nach dem Tod des früheren Szenemitglieds im Umlauf sind: „Und dieser Antrag, über den der Senat noch nicht entschieden hat, nährt natürlich wieder Gerüchte, hier sei ein wichtiger Zeuge möglicherweise beseitigt worden.“

Nebenklageanwalt Peer Stolle beantragte auch die Berücksichtigung einer CD mit Fotos und Videos, die mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ beschriftet ist, wie aus einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa hervorgeht. Der Datenträger soll bereits im Jahr 2006 hergestellt worden sein – also zu einer Zeit, als das Kürzel NSU allenfalls Insidern bekannt gewesen sein kann.

Das Geschehen vom 109. Prozesstag nimmt in den Medien eine untergeordnete Rolle ein. Im Zeugenstand standen zwei Beamte des Bundeskriminalamts, die aus Vernehmungen des Zeugen Thomas S. berichteten. Dieser soll dem NSU-Trio Sprengstoff beschafft haben. S. beschrieb Zschäpe den Ermittlern gegenüber als „verschlossen und unauffällig“. Sie habe nicht „prollig gewirkt“ und keine Laster gehabt. Somit sei die Angeklagte „nicht die typische Szenebraut gewesen“, hatte S. den Aussagen zufolge zu Protokoll gegeben, wie in der Thüringer Allgemeinen nachzulesen ist.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 2. Mai 2014.