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Der entkräftete Mythos vom Mord an Böhnhardt und Mundlos – Das Medienlog vom Donnerstag, 22. Mai 2014

 

Beate Zschäpe verzog keine Miene, als am Mittwoch im NSU-Prozess der 4. November 2011 rekonstruiert wurde – der Tag, an dem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Bank in Eisenach überfallen hatten. Was danach folgte, ist bis heute von Mythen umrankt. Fakt ist: Die beiden flüchteten sich in einen Wohnwagen. Vermutet, aber von Skeptikern immer wieder angezweifelt wird: Als Beamte den Wagen entdeckten, habe Mundlos Böhnhardt erschossen, Feuer gelegt und sich selbst gerichtet.

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13 Jahre soll Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund gelebt haben. Als am Mittwoch der Obduktionsbericht vorgetragen wurde, habe sie sich – wie seit dem ersten Prozesstag – aber nicht geregt, berichtet die taz. „Nicht als Reinhard Heiderstädt, der Gerichtsmediziner, schildert, wie er die Schädel von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ‚völlig zerstört‘ vorfand. Wie die Köpfe ‚große Aufreißungen‘ zeigten, die Knochen bei der Präparation zerfielen.“

Der Rechtsmediziner entkräftete an diesem Prozesstag die Spekulationen, Mundlos und Böhnhardt seien von einer dritten Person im Wohnwagen umgebracht worden. Die Obduktion habe dafür keine Anhaltspunkte geliefert. Der Theorie, jemand anderes hätte die Männer erschossen, weil keine Rußpartikel in ihrer Lunge gefunden wurden, widersprach der Gerichtsmediziner. Es sei möglich, dass Böhnhardt und Mundlos vor ihrem Tod Rauchgase ein- und dann wieder ausgeatmet hätten. Die Todesursache jedenfalls seien Kopfdurchschüsse mit den großkalibrigen Waffen gewesen, die im Wohnwagen gefunden wurden. Der Polizeibeamte Frank M. sagte, auch die ersten Polizeibeamten am Tatort hätten keine Hinweise auf eine dritte Person gefunden.

„Es bleibt nicht viel übrig von den Mythen im Saal A101“, konstatiert die taz. Zudem gebe es ein Motiv für den Selbstmord: Böhnhardt und Mundlos hätten bei ihren Überfällen stets den Polizeifunk abgehört. Sie wussten also, dass sie an jenem Tag umzingelt waren.

Geprägt wurde der Prozess am Vormittag durch die Diskussion über den Kapuzenpullover des Angeklagten André E., auf dem vorne eine vermummte Person mit zwei Sturmgewehren in den Händen abgedruckt war. E. ist angeklagt, weil er den NSU unterstützt haben soll. Die Nebenklage beantragte die Sicherstellung des Pullovers, weil das Motiv zeige, dass der ansonsten schweigende E. bewaffnete Aktionen verherrliche. Die Vertreter des Generalbundesanwalts sahen eine Sicherstellung des Kleidungsstücks jedoch nicht als nötig an.

„Dass sich E. in dieser Art im Prozess präsentiert, zeigt, dass er die Morde des NSU gutheißt und weiterhin Morde als Mittel des politischen Kampfes für richtig und legitim hält“, schreiben Björn Elberling und Alexander Hoffmann im Blog nsu-nebenklage. Das T-Shirt-Motiv stamme vom CD-Cover einer finnischen Black-Metal-Band, die mit ihren Texten nationalsozialistische Propaganda betreibt.

„Der Pulli ist eine Provokation für die Opfer des NSU, und nicht nur für sie“, urteilen Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. An den Seiten der Pulloverärmel stehe auf der einen Seite „Black Metal Kommando“, auf der anderen der Name der finnischen Black-Metal-Band „Satanic Warmaster“, die eine nationalsozialistische Gesinnung vertritt.

An diesem Verhandlungstag wurde zudem deutlich, dass sich die Nebenklagevertreter zerstreiten könnten. Holger Schmidt berichtet im Blog des SWR von erheblichen internen Diskussionen zwischen den Nebenklägeranwälten, die an Schärfe zunähmen. Soll das Verfahren politisiert werden, oder soll hier ein ganz normaler Strafprozess stattfinden – diese Frage teile die mehr als 60 Rechtsanwälte grob in zwei Lager. Erst am Vormittag hatten mehrere Anwälte in einem Beweisantrag die Anhörung des früheren V-Manns des brandenburgischen Verfassungsschutzes, „Piatto“, gefordert, um mögliche Versäumnisse und Bezüge zu Verfassungsschutzbehörden zu thematisieren. Am Mittwoch forderten fünf andere Nebenklägeranwälte eine Beschränkung des Prozesses auf die eigentlichen juristischen Fragen. Es sei vielmehr Aufgabe der Politik, zusätzliche Aufklärungsarbeit zu leisten.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 23. Mai 2014.