Zwei Themenkomplexe beschäftigten den NSU-Prozess am 142. Prozesstag: erst die Brandstiftung in der letzten Wohnung des NSU-Trios in Zwickau, dann der Auftritt des Thüringer Neonazis Tino Brandt. Der Wohnungsbrand vom November 2011 wirft noch heute wichtige Fragen auf, weil er Beate Zschäpe zugeschrieben wird. Sie ist deshalb wegen versuchten Mordes angeklagt. Die Zeugenaussage eines Zwickauer Polizisten lieferte womöglich neue Erkenntnisse. „War das nun eine Wende im NSU-Prozess? Ist der Vorwurf des versuchten Mordes (…) nun entkräftet?“, fragt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
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Der Zeuge, der an diesem Tag gehört wurde, war ein Beamter der Zwickauer Polizei. Er hatte die gebrechliche Nachbarin befragt, die in der Wohnung nebenan gelebt hatte. Sie war laut Anklage durch die Brandstiftung in Lebensgefahr geraten. Nach Ansicht von Zschäpes Verteidigern klingelte die Hauptangeklagte an der Tür der damals 86-Jährigen, um sie zu warnen – was das Vorsatzdelikt des Mordes entkräften könnte. Doch konnte die Aussage des Polizisten dies nicht so deutlich belegen, wie die Anwälte sich das vorgestellt hatten: „Hat Zschäpe, wie ihre Verteidigung behauptet, die alte Dame warnen oder sich vergewissern wollen, dass sich nebenan niemand aufhalte?“ Hinweise darauf gibt es, sie würden den Mordvorwurf entkräften – doch sie sind nicht eindeutig.
Denn auch ein Handwerker klingelte, um die Frau zu warnen. Um die Geschehnisse des Tages rekonstruieren zu können, bräuchte es eine vollständige Chronologie – doch damit ist wegen der mittlerweile fortgeschrittenen Demenz der Zeugin nicht mehr zu rechnen. „Ob Zschäpe klingelte, der Handwerker oder womöglich beide, lässt sich nun vermutlich nicht mehr aufklären“, bilanziert Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.
Der Zwickauer Fall wird dadurch nicht einfacher, „die Richter stehen vor einer weiteren komplexen Deutungsfrage“, analysieren wir bei ZEIT ONLINE. Problematisch ist dabei, dass der Zwickauer Polizist die Rentnerin nicht fragte, ob sie ein zweites Klingeln hörte – aber dennoch glaubte, dass Zschäpe geschellt hatte. Wie er zu diesem Schluss kam, „kann er in der Verhandlung nicht mehr schlüssig erklären“.
Im Anschluss folgte die Vernehmung von Tino Brandt, dem in der heutigen Sitzung ein ganzer Tag eingeräumt wird. Vorrangiges Thema war die Fragepraxis des Thüringer Verfassungsschutzes, an den Brandt mehrere Jahre lang als Spitzel berichtete:
#Tino #Brandt bei #NSU: Straftaten haben den #Verfassungsschutz damals nicht interessiert. Ging denen nur um politische Veranstaltungen.
— Holger Schmidt (@terrorismus) 23. September 2014
„Der Neonazi tritt wie schon zu seiner ersten Befragung im Juli selbstbewusst auf“, resümiert Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen. Gleichwohl habe er immer wieder Erinnerungslücken geltend gemacht. „Überhaupt spielt Brandt seine früheren Spitzeldienste herunter.“
Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk geht anhand der Schilderungen von Brandt auf den Zynismus seiner Spitzeltätigkeit ein: Der Neonazi erhielt für Informationen Geld vom Verfassungsschutz – das er wiederum in den Aufbau seiner rechtsextremen Organisation steckte. „So hielt der Verfassungsschutz in Thüringen jahrelang eine Partei am Leben, die er eigentlich beobachten sollte.“
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 25. September 2014.