Hetzerische Texte geben Einblick in die Gedankenwelt des jungen Uwe Mundlos – und deuten auf Verbindungen des NSU zur rechtsextremen Organisation Blood & Honour.
Es laufe etwas schief in der nationalen Bewegung, befindet der anonyme Autor. „Wie viele Kameraden kennst Du, die nicht das Geld für Spenden und den Kampf haben, aber für Konzerte und den Suff?“, fragt er. Da gebe es Gestalten, denen es genüge, „im szenetypischen Aussehen herumzulaufen“ und „mit Kameraden in der Kneipe zu saufen“. Schlägereien und Exzesse statt Demonstrationen und Parteiarbeit, das alles sei „gegen unser Volk und unser Land und unsere Bewegung“.
Es ist eine kritische Nabelschau der rechtsextremen Szene in Ostdeutschland, gedruckt auf Hochglanzpapier, verschickt an Gesinnungsgenossen – und verfasst von einem Neonazi mit elitärem Kampfgeist. Bei dem Autor, der seinen Kameraden die Leviten liest, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Uwe Mundlos – mutmaßliches, totes Mitglied des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Den Text mit dem Titel Gedanken zur Szene verfasste Mundlos 1998, kurz nachdem er mit seinen Komplizen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt in den Untergrund geflüchtet war. Er erschien in der Erstausgabe eines Heftchens mit dem Titel White Supremacy, auf Deutsch Weiße Vormacht, das ZEIT ONLINE vorliegt.
In dem Beitrag räsoniert der Autor außerdem über die Mittel der Bewegung. So solle „sich jeder im Klaren sein, dass mit Konzerten allein keine Schlacht zu gewinnen ist“, heißt es dort. Er fordert, „sich aktiv am Kampf und der Bewegung zu beteiligen“. Was meint Mundlos mit „Kampf“ und „Schlacht“? Er spricht von Demonstrationen und ruft dazu auf, die „nationalen Parteien“ zu unterstützen, als „Arschtritt für das rote Bonn“.
Drei Ausgaben der Zeitschrift erschienen zwischen 1998 und 2001. Zu lesen gab es vor allem Konzertberichte von Skinhead-Bands, Porträts rechter Gruppen und politische Essays. Mittlerweile lagern die Hefte in Beständen des Verfassungsschutzes. Mehrere Opferanwälte haben beantragt, sie als Beweismittel in den NSU-Prozess einzuführen. Denn sie geben einen Einblick in das Denken von Mundlos und seinen Mitstreitern, als sie sich von gewaltbereiten Neonazis zu mutmaßlichen Terroristen wandelten.
Magazine wie White Supremacy, Fanzines genannt, waren in den neunziger Jahren die wichtigsten Sprachrohre der rechten Kultur und kursierten tausendfach vervielfältigt in den entsprechenden Kreisen. Die Leserschaft des Hefts, dessen erste Ausgabe ein Propagandabild mit Männern in NSDAP-Uniform zeigt, war allerdings noch eine Spur spezieller: Herausgeber waren Kader der sächsischen Division der im Jahr 2000 verbotenen Organisation Blood & Honour.
So heißt es im Vorwort der ersten Ausgabe, White Supremacy sei eine Publikation, die „zu 100% die B&H Bewegung unterstützt“. Verantwortlich waren nacheinander Jan W., Thomas S. und Thomas R. – Mitglieder des militanten Skinhead-Netzwerks, nun alles Zeugen im NSU-Prozess. R. gewährte dem geflüchteten Trio 1998 sogar Unterschlupf in seiner Chemnitzer Wohnung.
Mindestens drei Artikel soll Mundlos dem Antrag der Nebenklage zufolge für zwei Ausgaben geschrieben haben. Außerdem soll er in weiten Teilen für das Layout zuständig gewesen sein – für den am Computer begabten Mundlos dürfte es sich um eine Herzensangelegenheit gehandelt haben. Ein Zeuge, der die NSU-Terroristen bei sich aufgenommen hatte, berichtete dem Bundeskriminalamt, er habe Mundlos bei der Arbeit an Layouts für Szenezeitschriften beobachtet. Ein V-Mann lieferte dem Verfassungsschutz die Information, dass Gedanken zur Szene aus seiner Feder stammte.
Ging es Mundlos in dem Text wirklich nur um demokratische Methoden? Die Nebenklagevertreter glauben, dass die martialischen Begriffe als Aufforderung zur Gewalt zu verstehen sind. „Das ist nicht anders zu werten“, sagt der Kieler Anwalt Alexander Hoffmann. Er sieht den Text als eine Art vorgelagertes Bekennerschreiben des NSU, von denen das Trio im Laufe der Mordserie keine verschickte: „Den Wunsch, sich zu erklären, haben sie später hintangestellt.“
Auch die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens interpretiert den Text als Gewaltaufruf: „Diese Begriffe sind nur wegen der Gefahr der Strafverfolgung auf Demonstrationen beschränkt. Für Mundlos ist das weitgehender.“
Im selben Lichte dürften auch die anderen zwei Texte zu sehen sein, die er verfasst haben soll. Erschienen sind sie in Ausgabe 3 von White Supremacy: Ein Beitrag mit dem Titel Die Farbe des Rassismus prangert Gewalttaten von Schwarzen gegen Weiße an, er ist unterschrieben mit dem Pseudonym Uwe Unwohl. Unter einem Solidaritätsaufruf in der dritten Ausgabe steht der Name Uwe UmerZOGen.
2001 erschien die letzte Ausgabe, bereits im Jahr 2000 hatte der NSU laut Anklage den Blumenhändler Enver Simsek in Nürnberg ermordet. Für Hoffmann steht außer Zweifel, dass in den Schriften aus der Zeit um die Jahrtausendwende bereits Pläne zu Anschlägen gegen vermeintlich Fremde durchschimmern, auch wenn die Ideologie „noch nicht passgenau herauszulesen“ sei. In jedem Fall handle es sich um „eine klare Absichtserklärung“.
Bemerkenswert ist auch die Verbindung zu einer weiteren Organisation, die sich damals für die Rassentrennung einsetzte: Die Weiße Bruderschaft Erzgebirge. Diese stellt sich in Ausgabe 2 aus dem Jahr 2000 auf einer halben Seite vor und wirbt dafür, „eine sichere Zukunft für unsere Kinder und unsere Kultur zu schaffen“. Gemeint sind mit „unsere“ die „weißen Völker der Erde“.
Die Bruderschaft hatten die Zwillinge André und Maik E. gegründet. In der Zeit machten sie sich einen Namen in der rechtsextremen Szene des Erzgebirges. E. sitzt heute als Mitangeklagter neben Beate Zschäpe. Er soll für das NSU-Trio unter anderem Wohnmobile auf seinen Namen gemietet haben.