Beate Zschäpes ehemaliger Verteidiger Gerald Liebtrau aus Jena hat im NSU-Prozess ausgesagt. Prozessbeobachter rätseln nun, ob seine Aussage für die Hauptangeklagte von Vorteil war – oder ob sich ihre heutigen Verteidiger mit der von ihnen beantragten Vernehmung verspekuliert haben. Im Zentrum stand die Frage, ob Zschäpe am 4. November 2011 nach dem mutmaßlich von ihr gelegten Brand in ihrer Zwickauer Wohnung ihre gebrechliche Nachbarin vor dem Feuer warnte. Darüber hatte sie mit Liebtrau gesprochen. Die Aussage „gerät zur juristischen Turnstunde“, urteilt Jörg Diehl von Spiegel Online.
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Zschäpe hatte sich vier Tage nach dem Brand bei Liebtrau gemeldet und anschließend in seiner Begleitung der Polizei gestellt. Am 17. November übernahm ihr heutiger Anwalt Wolfgang Heer das Mandat. Für die Vernehmung entband die Angeklagte Liebtrau von seiner Schweigepflicht – doch nur zum Thema der Brandstiftung. Über die Grenzen vom Rederecht des Zeugen stritten die Prozessbeteiligten mehrere Stunden lang.
Die Verteidiger hätten versucht, den Vorwurf des versuchten Mordes an der Nachbarin zu entkräften und gleichzeitig keine Beweise für Zschäpes mögliche Schuld an der Brandstiftung zu liefern, schreibt Diehl. „Juristisch ist das ein geschickter Schachzug. Als Nachteil könnte sich indes erweisen, dass ein derartiges Vorgehen den Wert des Entlastungszeugen reduziert.“ Allerdings sei es den Anwälten durchaus gelungen, durch den Zeugen Zschäpes Schweigen ein Stück weit aufzubrechen.
„Indirekt stärkt seine Aussage den Vorwurf der Bundesanwaltschaft, die Angeklagte habe eine besonders schwere Brandstiftung begangen“, kommentiert Frank Jansen im Tagesspiegel. Schließlich habe sie offenbar gewusst, dass es bald brenne. Dafür, dass sie höchstselbst das Feuer gelegt hatte, sei der Sachverhalt jedoch „nicht der ultimative Beweis“.
Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm „gehen ein hohes Risiko ein“, analysieren wir bei ZEIT ONLINE. Denn mit dem Manöver haben die drei Juristen ihre Mandantin „als Brandstifterin praktisch anerkannt“ – ohne zu wissen, ob das Klingeln bei der Nachbarin sie vom Vorwurf des versuchten Mordes entlastet.
„Die Strategie ist riskant“, schreibt Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen. Doch sie habe sich gelohnt, urteilt Wiebke Ramm in der Badischen Zeitung: „Anwalt Liebtrau soll Zschäpe vom Vorwurf des versuchten Mordes an ihrer alten Nachbarin Charlotte E. entlasten. Er tut es.“ Geheimnisse habe er indes nicht preisgegeben.
V-Mann „Piatto“ sagt aus
Am 4. November soll der Berliner V-Mann Carsten Sz. alias „Piatto“ im Prozess vernommen werden, um mögliche Versäumnisse und Bezüge zu Verfassungsschutzbehörden zu thematisieren. Dagegen sträubt sich jedoch das Brandenburger Innenministerium, das ihm die Aussagegenehmigung erteilt: Sz. lebt mit seiner Familie im Zeugenschutzprogramm und soll nach dem Willen der Behörde nur per Videovernehmung befragt werden, in der er verfremdet wird. Zudem soll die Öffentlichkeit während der Befragung ausgeschlossen werden. Bundesanwalt Herbert Diemer forderte am Donnerstag, die Öffentlichkeit zur Aussage zuzulassen, wie unter anderem Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung berichtet.
„Piatto“ berichtete dem Verfassungsschutz, der mutmaßliche NSU-Unterstützer Jan W. habe den Auftrag gehabt, der Terrorzelle Waffen zu beschaffen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl habe im Prozess angedeutet, er wolle beim Ministerium intervenieren, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel. Er lud den Zeugen trotz der Forderung nicht ab.
Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 27. Oktober 2014.