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Sind die Geheimdienst-Enthüllungen eine Luftnummer? – Das Medienlog vom Mittwoch, 25. Februar 2015

 

Während die Empörung um die enthüllte Geheimhaltungstaktik des hessischen Verfassungsschutzes weiter schwelt, setzt der NSU-Prozess nach einwöchiger Pause seine Arbeit fort – wenn auch nur für einen halben Tag: Weil die Hauptangeklagte Beate Zschäpe nach der Mittagspause erkrankte, wurden lediglich eine frühere Nachbarin des NSU-Trios aus Zwickau gehört. Verschoben wurde auch die Befragung des obersten sächsischen Verfassungsschützers Gordian Meyer-Plath.

Wie andere Zeugen beschrieb Gabriele S. die Angeklagte als harmlose „Hausfrau“. Doch „blitzt in ihrer Aussage das Bild einer anderen Beate Zschäpe auf“, nämlich „aggressiv, laut, unter Stress“, heißt es bei Gisela Friedrichsen von Spiegel Online.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Die Zeugin schilderte ein „bequemes Leben ohne Ärger“, das Zschäpe scheinbar lebte. Einmal sei sie allerdings aggressiv geworden – als sie einer Nachbarin im Supermarkt eine Standpauke wegen deren angeblich verschwenderischem Verhalten hielt. „Das Bild, das Nachbarn zeichnen, ist oft sehr holzschnittartig. Sie schnappen mal dieses auf, mal jenes“, beobachtet Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung.

Zudem berichtete die Zeugin von einem Besuch bei den Nachbarn kurz vor dem Auffliegen des NSU im November 2011. Dabei habe sie „sehr gestresst“ gewirkt und mehr Alkohol als üblich getrunken. Über diesen Teil der Aussage berichtet auch Kai Mudra in der Thüringer Allgemeinen.

Bouffier bestreitet Vorwürfe

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier steht durch die neuerlichen Enthüllungen um den Landesverfassungsschutz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Einem Medienbericht zufolge behinderte der Geheimdienst die polizeilichen Ermittlungen in den eigenen Reihen, weil der Verfassungsschützer Andreas T. beim Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 am Tatort war. Bouffier war damals Innenminister. Am Dienstag äußerte er sich zu den Vorwürfen gegen ihn: Er nannte sie eine „Unverschämtheit“ und sagte, der Verfassungsschutz sei nicht in den Mord eingeweiht gewesen. Diese Vermutung war auf der Grundlage verdächtiger Äußerungen eines Mitarbeiters aufgekommen.

Der Yozgat-Mord galt bereits zuvor als einer der mysteriösesten in der NSU-Serie. „Dabei spielt Hessen bei der Aufklärung der NSU-Mordserie ohnehin eine Schlüsselrolle“, merkt ZEIT-ONLINE-Autor Martin Steinhagen an. Denn: Auch das erste Mordopfer Enver Simsek lebte in Hessen. Yozgat war das letzte Opfer der Serie, die mit derselben Pistole begangen wurde.

Verfassungsschützer T. könnte ein Mitwisser des Mordes sein, womöglich sogar der Täter – solche Theorien kursierten nach der Medienveröffentlichung vom Sonntag in kürzester Zeit. Handelt es sich um eine Hysterie? Der Beamte bestreitet jede Beteiligung. „Auch wenn andere Details in [T.]s Aussagen in der Vergangenheit widersprüchlich gewesen sein mögen: Dieser Kernpunkt ist bis heute nicht widerlegt“, gibt das ARD-Magazin Panorama zu bedenken. „Gibt es nicht auch noch einen anderen Erklärungsansatz?“, fragt auch Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk. Entscheidender Punkt ist eine verdächtige Äußerung des damaligen Geheimschutzbeauftragten des Verfassungsschutzes. Doch hätten sich „schon häufiger vermeintliche Aufreger als Luftnummern entpuppt“ – die Klärung könnte die Vernehmung im Prozess bringen.

Trotzdem wirft der Fall einen Schatten auf Ministerpräsident Bouffier: „Wann hat er genau von der Verwicklung des damaligen Verfassungsschützers Andreas T. in den Mordfall erfahren? Und was wusste er über das Wissen des Landesamtes für Verfassungsschutz“, fragt Karin Truscheit von der FAZ. Die entsprechenden Fragen seien allerdings immer wieder im NSU-Prozess gestellt worden, durch den neuen Bericht hätten sie aber an politischer Bedeutung gewonnen.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 26. Februar 2015.