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„Absurdes Theater“ vor Gericht – Das Medienlog vom Mittwoch, 29. April 2015

 

Der Zeuge André Kö. sagte wenig, erinnerte sich an fast nichts – und gab doch ein einschlägiges Bild der rechten Szene in Sachsen ab. Er provozierte Richter Manfred Götzl mit seinen einsilbigen Antworten, zudem verursachte er Aufruhr mit einer Tätowierung: Auf seiner Glatze trägt Kö. die NS-Losung „Blut und Ehre“. Im Laufe des Prozesstags deckte er sie mit einem Pflaster ab. Befragungen wie diese erinnerten „an Dialoge des absurden Theaters“, kommentiert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Gleichwohl sei die Befragung nicht wertlos gewesen. Kö. habe die Rolle des Mitangeklagten André E. in dessen selbstgegründeter Neonazi-Organisation bestätigt.

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E. hatte in den neunziger Jahren die Organisation Weiße Bruderschaft Erzgebirge gegründet, die sich für eine Vorherrschaft der „weißen Rasse“ einsetzte. Kö. soll Mitglied der Gruppe gewesen sein. „Die Aussagen helfen dabei, sich ein Bild von André E. zu machen“, merkt Ramelsberger an – auch, wenn Kö. versucht habe, die Ideologie der Organisation herunterzuspielen.

„Der Zeuge wollte mit seiner Aussage offensichtlich den Angeklagten André E., der hartnäckig schweigt, schützen“, folgert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Insofern trug Kö. nicht zur Aufklärung bei: „Die Frage, ob und wie die untergetauchten NSU-Terroristen Unterstützung aus der rechten Szene bekamen, blieb unbeantwortet“, analysiert Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk.

In Bezug auf André E. allerdings habe Kö. „das Gericht ein Stück weiter“ gebracht, schreibt Björn Hengst auf Spiegel Online. E. war demnach eine zentrale Figur in der Organisation, „in der offen über Gewalt gegen Ausländer und den Staat diskutiert wurde“.

Ein weiterer Zeuge war Stephan L., der bis zum Jahr 2000 Anführer der mittlerweile verbotenen Organisation Blood & Honour war. In seiner Vernehmung ging es auch um die Frage, ob Gewalt in der rechten Szene als legitimes Mittel angesehen wurde. Er habe diese als „ultima ratio“ betrachtet, sagte L. An der Befragung des Zeugen durch die Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens entzündete sich ein Konflikt mit dem Richter. Die Anwältin machte ein umfassendes Fragerecht geltend – entgegen der Linie des Senats. „Muss das Gericht herausfinden, ob die NSU-Terroristen ideologisch auf der Linie von ‚Blood & Honour‘ lagen“, formuliert BR-Reporter Bendixen den Streitpunkt.

Tagesspiegel-Reporter Jansen berichtet zudem, dass der Mitangeklagte Ralf Wohlleben einen dritten Pflichtverteidiger bekommen könnte. Der Anwalt Wolfram Nahrat, der bereits mehrmals seine Verteidigerin Nicole Schneiders vertreten hatte, nahm an diesem Tag neben Schneiders und dem weiteren Rechtsbeistand Olaf Klemke Platz. Nahrat ist eine bekannte Persönlichkeit der rechten Szene, er war auch letzter Vorsitzender der 1994 verbotenen Wiking-Jugend.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 30. April 2015.