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Zschäpe spielt auf Risiko

 

Beate Zschäpe will aussagen. Sagt sie. Tatsächlich kämpft sie mit ihren Verteidigern um die Hoheit auf der Anklagebank – sie ist dabei, ihre Chancen auf ein mildes Urteil zu schmälern.

Beate Zschäpe beherrscht das Spiel perfekt. Wenn sie ihre drei Verteidiger morgens nicht grüßt, dann ist das eine Eiszeit. Wenn sie kichert oder erstaunt die Augen aufreißt, dann steht am nächsten Tag in der Zeitung, sie habe eine Reaktion gezeigt. Und wenn sie nur dasitzt, auf der Anklagebank, und Gummibärchen isst und Kreuzworträtsel löst, dann wird auch das berichtet, denn sie ist Beate Zschäpe.

Deutschlands bekannteste Angeklagte schweigt sich seit zwei Jahren durch den NSU-Prozess in München. Um auf sich aufmerksam zu machen, muss sie überhaupt nichts sagen. Doch nun hat sie den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl in einem Schreiben wissen lassen, dass sie überlegt, eine Aussage zu machen.

Wieder brauchte sie nur ein knappes Signal, um größtmögliche Erwartungen zu schüren. Vor knapp zwei Wochen hatte sie ihrer Verteidigerin Anja Sturm das Misstrauen ausgesprochen und beantragt, ihr das Mandat zu entziehen. Am vergangenen Donnerstag schickte sie dem Gericht eine genauere Erläuterung, die ZEIT ONLINE vorliegt. Der spannendste Satz steht auf der letzten von vier handschriftlichen Seiten: „Da ich mich durchaus mit dem Gedanken beschäftige, etwas auszusagen, ist eine weitere Zusammenarbeit unmöglich.“ Schuld an der Krise tragen laut Zschäpe ausschließlich ihre drei Anwälte Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Von diesen fühle sie sich „geradezu erpresst“.

Was aber bedeutet es, wenn sich Zschäpe lediglich mit einem Gedanken beschäftigt, was, wenn sie „etwas“ aussagen will? Es ist weiter höchst unwahrscheinlich, dass die Hauptangeklagte nun reinen Tisch macht über 13 Jahre im Untergrund, ihr Wissen um die Morde, die ihre Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt verübt haben sollen und die ihr vorgeworfene Brandstiftung. Sie würde sich ja selbst belasten, während das Gericht bisher mühsam Indizien zusammenträgt.

Den Brief kann man vielmehr so deuten, dass die vage Ankündigung nur die Fortsetzung eines Machtspiels zwischen ihr und ihren Verteidigern ist. Ausgangspunkt waren Zschäpes Gespräche mit dem Gerichtspsychiater Norbert Nedopil, in dem sie sich beklagte, wie sehr ihr das Schweigen psychisch zusetze. Den Misstrauensantrag gegen Sturm beantworteten die drei Anwälte schließlich in einem gemeinsamen Brief an Zschäpe. Dessen Tenor lautete: Die Verteidigung ist unser Job. Sie warfen ihrer Mandantin vor, Zschäpe geriere sich als Befehlshaberin über das Anwaltstrio, die schulmeisterlich die Arbeit ihrer Untergebenen bewerten dürfe – etwa gegenüber Nedopil. Für Sturm, Stahl und Heer ein „anmaßendes und selbstüberschätzendes Verhalten“, wie sie schreiben.

Zschäpe sagt, dass die Verteidiger ihr angedroht hätten, beim Gericht um ihre eigene Entpflichtung zu bitten, falls sie aussage. Für beide Seiten geht es also darum, wer in Sachen Verteidigung die Oberhand behält, wer die Strategie gestaltet. In Erwiderungen auf Zschäpes Schreiben betonen die drei Rechtsbeistände unisono, eine solche Drohung habe es nicht gegeben.

Drohungen allerdings sind in Machtkämpfen ein übliches Mittel. Auch Zschäpe wird wissen, wie sie einzusetzen sind – dass sie nun davon ankündigt, die Situation vielleicht mit einer Aussage vor Gericht eskalieren zu lassen, kann ein reines Aufplustern sein. Nebenklagevertreter halten es für extrem unwahrscheinlich, dass Zschäpe per Antrag einen oder alle ihre Verteidiger aus dem Prozess befördern kann. Mit einem Misstrauensantrag gegen alle drei hatte sie es bereits im Juli vergangenen Jahres versucht – erfolglos.

Käme es nun zur Absetzung des Anwaltsteams, würden neue Anwälte wohl beantragen, den Prozess neu aufzurollen, mit einer Neuauflage sämtlicher Zeugenaussagen und dem Studium Tausender Aktenbände. Doch ein zweiter NSU-Prozess – für die Angehörigen der Opfer eine Horrorvorstellung – ist eher ein theoretisches Szenario.

Der aus Misstrauen und Wut geronnene Disput mit den Anwälten hat das Verhältnis auf der Anklagebank schwer erschüttert. Aber geht die schlechte Laune so weit, dass Zschäpe mit einer Aussage den letzten Rest Hoffnung auf ein mildes Urteil zerstören würde? Das Risiko ist extrem hoch.

Wer sich zur Aussage entschließt, der muss die Hose herunterlassen und sie nicht nur aufknöpfen. Diese Lektion könnte schmerzlich der Mitangeklagte Holger G. lernen, der den NSU-Terroristen mehrere Ausweispapiere von sich überlassen haben soll. G. beantwortete Fragen zu seinem Lebenslauf, zum Tatvorwurf verlas er hingegen nur eine knappe Erklärung, in der er sich als ahnungslosen Steigbügelhalter beschrieb. Fragen beantwortete er keine. Juristen nennen ein solches Verhalten ein Teilgeständnis.

Für einen Angeklagten ist es hochgefährlich. Denn er gerät damit in den Verdacht, etwas zu verheimlichen – anders als derjenige, der die ganze Zeit über schweigt. Das Schweigen darf der Richter ihm nicht strafverschärfend auslegen. Ein umfassendes Geständnis hingegen kann mit einem Strafrabatt belohnt werden. Götzl versuchte dementsprechend immer wieder, den Angeklagten zu einer umfassenden Aussage zu ermutigen. Er ließ durchblicken, dass er Zweifel an G.s Version des Tatgeschehens hegte.

Zschäpe müsste vom ersten Kuss mit ihrem damaligen Freund Uwe Mundlos in den neunziger Jahren bis zum brennenden Haus des NSU-Trios in Zwickau 2011 die gesamte Geschichte der Terrorzelle offenlegen – was nach 211 Verhandlungstagen nur noch begrenzten Neuigkeitswert hätte. Die Chance, als Kronzeugin schonend behandelt zu werden, ist lange verpasst.

Vielmehr klingt es, als habe die Panik von Zschäpe Besitz ergriffen. Doch viel kann die Angeklagte am Bild von sich selbst wohl nicht mehr korrigieren. Das Spiel, das sie so perfekt beherrscht, scheint ihr zu entgleiten.