Ein neuer Brief von Beate Zschäpe sorgt für Aufsehen: Sie wolle möglicherweise „etwas aussagen“, schreibt sie in einer Begründung des Misstrauensantrags gegen ihre Anwältin Anja Sturm an das Gericht. Die Hauptangeklagte betont, im Falle einer Aussage hätten ihre drei Verteidiger mit einem Ende des Mandats gedroht. Bietet Zschäpe dem Gericht also Worte für die Köpfe ihrer missliebigen Anwälte an?
Sie „hält dem Gericht wie einem müden Pferd eine Mohrrübe vor die Nase“, kommentiert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Auf den Handel werde sich der Strafsenat jedoch nicht einlassen – denn für weitere Informationen werde Zschäpe wohl noch einen höheren Preis verlangen.
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Was würde passieren, parierten die Richter nach Zschäpes Willen? „Erklären sie das Vertrauensverhältnis zwischen der Hauptangeklagten und ihren Verteidigern für tief zerrüttet, ist der Prozess geplatzt“, analysiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online. Den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl wolle Zschäpe womöglich unter Druck setzen. Gibt er nicht nach, wäre wohl „mit weiteren Störaktionen Zschäpes zu rechnen“. Zudem sei ihr zuzutrauen, dass sie eine Aussage im Alleingang durchzieht.
Holger Schmidt vom Südwestrundfunk hält die Ankündigung Zschäpes eher für ein taktisches Manöver und fragt sich, was sie dazu bringt, „verbal derart Amok zu laufen“. Er analysiert Zschäpes Schreiben und die Erwiderung der drei Anwälte, die das Gericht am Montag an die Prozessbeteiligten verschickte. Für ihn wirke es, „als wolle Zschäpe einerseits im Kern schweigen und andererseits ihre Schäfchen ins Trockene bringen“. Dazu gehöre auch, mutmaßliche Unterstützer wie den Mitangeklagten André E. nicht zu belasten. Schmidt bringt als mögliche Helfer für Zschäpes Vorstoß auch die Verteidiger des weiteren Angeklagten Ralf Wohlleben ins Spiel.
Hier bei ZEIT ONLINE beziehen wir in die Analyse auch die Folgen mit ein, die eine eventuelle Aussage hätte. Demnach geht Zschäpe ein hohes Risiko ein, wenn sie nicht plant, sich umfassend und vollständig über ihre Rolle im NSU befragen zu lassen: „Wer sich zur Aussage entschließt, der muss die Hose herunterlassen und sie nicht nur aufknöpfen.“ Nun ist es wohl ein Machtspiel, das die Hauptangeklagte zu ihrer Mitteilung ans Gericht getrieben hat. Gleichwohl macht es den Eindruck, „als habe die Panik von Zschäpe Besitz ergriffen“ – mit dem Versuch, gegen anwaltlichen Rat einen Strategiewechsel herbeizuführen.
Auch Konrad Litschko von der taz sieht in Zschäpes Initiative „eine Art Deal“. Allerdings einen mit zweifelhaftem Nutzen: Dass die Verteidiger ausgetauscht werden, sei „unwahrscheinlich, denn mit gänzlich neuen Anwälten stünde die Beweisaufnahme vor einem Neustart“. Und diese leidet aus Sicht der Anwälte bereits im laufenden Verfahren darunter, dass die Mandantin ihren eigenen Rechtsbeiständen nur wenige Informationen hat zukommen lassen: „Offenbar wissen selbst die Verteidiger bis heute nicht, welche Rolle Zschäpe beim NSU spielte.“
Seit seiner Entdeckung 2011 hat der NSU immer neue Rätsel produziert, die Geheimdienste bloßgestellt und Fragen um das Mitwissen von Behörden aufgeworfen. Den „sieben Mysterien des NSU-Prozesses“ widmet sich Stefan Kreitewolf im Handelsblatt und greift dabei auch gängige Verschwörungstheorien auf.
Das nächste Medienlog erscheint am Mittwoch, 24. Juni 2015.