Mit Machtspielen gegen ihre eigenen Anwälte hat sich Beate Zschäpe selbst geschadet – hieß es bislang. Doch tatsächlich spielt das Recht der Angeklagten in die Hände.
Nach einem Monat Sommerpause geht es an diesem Mittwoch beim NSU-Prozess in München weiter. Nach zweieinhalb Jahren und 224 Verhandlungstagen könnte es die letzte planmäßige Unterbrechung vor dem Urteil gewesen sein. Opferangehörige und Verletzte von zehn Morden, zwei Bombenanschlägen und weiteren Taten werden dann erfahren, ob die Hauptangeklagte Beate Zschäpe in den Augen des Gerichts als Mittäterin an diesen Akten rechtsextremer Gewalt gilt – und dafür ins Gefängnis muss.
Dass es dazu kommt, das scheint seit diesem Sommer wahrscheinlicher als je zuvor. Denn Zschäpe schweigt zwar im Gerichtssaal, hatte durch Angriffe gegen ihre angestammten drei Verteidiger aber einiges von ihrer Persönlichkeit enthüllt.
Was sie tat, passte bestens in das Bild, das die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage von ihr zeichnet. Zweimal versuchte Zschäpe erfolglos, ihre Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm loszuwerden. Die beschwerten sich in einem empörten Brief an sie, Zschäpe solle aufhören, sich als ihre Chefin aufzuspielen. Doch Zschäpe machte weiter und setzte durch, sich den Münchner Strafverteidiger Mathias Grasel als vierten Anwalt nehmen zu dürfen. Seitdem spricht sie nur noch mit ihm. Das Finale bildete eine ebenfalls erfolglose Strafanzeige wegen Geheimnisverrats gegen die alten drei Verteidiger.
Die Angeklagte Beate Zschäpe: berechnend, führungsstark, manipulierend. Die Beate Zschäpe, die jahrelang mit ihren Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund gelebt hat: genauso. Ihre Maske sei gefallen, hieß es in Presseberichten. Sie habe sich selbst entlarvt, den Richtern endlich den Beweis geliefert, die Eiseskälte einer Terroristin zu besitzen. Die juristischen Volten: ein Bärendienst, der direkt in Richtung Schuldspruch weist.
Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl hat über Zschäpes Anträge entschieden. Ganz unerwartet hat er viel erfahren von der schweigenden Frau, die rund drei Meter von ihm entfernt sitzt. Doch mag das Verhalten Zschäpes noch so enthüllend gewesen sein: Einen ernsthaften Schaden hat sie wohl nicht davongetragen. Denn ihr Verteidiger-Kleinkrieg lässt sich nicht ohne Weiteres in die Urteilsfindung speisen.
„Beredtes Schweigen“ kennt die Rechtsprechung nicht
„Aus dem Verhalten des Angeklagten im Gerichtssaal darf keinesfalls direkt auf seine Schuld in einem konkreten Fall geschlossen werden“, sagt der ehemalige Bundesrichter Lutz Meyer-Goßner, Verfasser eines der wichtigsten Kommentarwerke zur Strafprozessordnung. Als Beweis dürfen ihre drastischen Angriffe somit nicht einfließen – bestenfalls als zusätzliches Indiz. Bei einem Gewalttäter etwa könne „ein besonders aggressives Auftreten“ auf seine Gewaltbereitschaft schließen lassen, ein Betrüger würde sich durch sehr eloquentes Gebaren schaden. Was aber würde auf eine Terroristin passen?
„Man darf den Angeklagten nicht wie unter einer Lupe bei anderen Konflikten betrachten“, sagt die Berliner Anwältin Anke Müller-Jacobsen, die im Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer sitzt. Denn wer vor dem Richter sitzt, der darf nicht als plumpes Anschauungsobjekt behandelt werden. Käme es so weit, wäre die Justiz zurück beim Inquisitionsprozess.
Hinzu kommt: Die deutsche Rechtsprechung kennt kein „beredtes Schweigen“. Das Gericht kann Zschäpes Machtkampf nicht umdeuten in eine Selbstbeschreibung. So lässt sich eine Entscheidung deuten, die der Bundesgerichtshof bereits 1993 fällte: Demnach gilt ein schweigender Angeklagter auch dann als stumm, wenn er während der Verhandlung eine „lebhafte Mimik und Gestik“ zeigt. Das heißt: Bloße Gefühlsregungen sind noch keine Äußerung und erst recht kein Signal für Schuld. Dasselbe dürfte für Zschäpes Traktate an das Gericht gelten.
Sie wären aller Wahrscheinlichkeit nach „der Beweiswürdigung zulasten des Angeklagten entzogen“, sagt der Heidelberger Strafrechtsprofessor Volker Haas, der für ZEIT ONLINE mehrere Kommentarquellen zum Thema ausgewertet hat. Er bezweifelt zudem, dass das Verhalten eines Angeklagten regelmäßig Rückschlüsse auf die Tat erlaubt. Die sprichwörtliche Maske des Schweigens ist also keineswegs von Zschäpes Gesicht gerissen. Mithilfe ihres neuen Anwalts hat sie das Prozessrecht genutzt, die Verteidigung nach ihrer Vorstellung umzustricken.
An der Grenze zwischen Jura und Psychologie
Rechtslehre und Rechtspraxis sind indes zwei ziemlich verschiedene Welten, wie so ziemlich jeder Jurist berichten kann. Verpufft Zschäpes Verhalten so, als hätte es nie stattgefunden? „Es kann sein, dass bestimmte Faktoren subkutan einfließen“, sagt Haas. An der Kreuzung zwischen Jura und Psychologie also ließen sich manche Richter mehr oder weniger unbewusst von ihren Vorurteilen beeinflussen: weil der Angeklagte schwarz ist, weil er die Schule geschmissen hat – oder weil er schlicht eine Nervensäge ist.
Der erfahrene und in diesem Prozess genau beobachtete Richter Götzl wird derlei Faktoren wohl ausblenden können – zumal die Faktenlage extrem umfangreich ist. In den kommenden Monaten soll die Indizienkette noch dichter werden. Dann geht es unter anderem um die Banküberfälle, mit denen sich der NSU finanzierte, und um Asservate wie Briefe und Festplatten. Sind diese Komplexe abgehandelt, ist es bis zum Urteil nicht mehr weit.