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Falsches NSU-Opfer kassierte Entschädigung – Das Medienlog vom Mittwoch, 7. Oktober 2015

 

Neue Enthüllungen im Fall der erfundenen Nebenklägerin Meral Keskin: Für die nicht existente Frau wurde eine Entschädigung aus dem Opferhilfefonds der Bundesregierung in Höhe von 5.000 Euro gezahlt, wie das Justizministerium gegenüber Holger Schmidt vom SWR bestätigte. Zudem hätten für den Anwalt des falschen Opfers mindestens fünf Kollegen Vertretungen vor dem Münchner Gericht übernommen – aus naheliegenden Gründen: „Dabei zu sein. Geschichte zu erleben. Oder jedenfalls die Gebühr.“

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Schädlich sei der Betrug auch, „weil es nicht der einzige Missbrauchsfall ist“, wie Schmidt schreibt. Demnach hätten mehrere Nebenklageanwälte zugegeben, dass ihre Mandanten eigentlich gar nicht an dem Verfahren interessiert seien. Er folgert: „Es dürfte Folgen für die Strafprozessordnung haben.“

Der Anwalt der erfundenen Meral Keskin, Ralph Willms, sieht sich als Opfer einer üblen Täuschung – nun aber laufen auch Ermittlungen gegen ihn. Weil er Attila Ö. eine Provision gezahlt hatte, um das Phantom im Prozess vertreten zu dürfen, hat die Kölner Anwaltskammer berufsrechtliche Schritte gegen Willms eingeleitet, wie Frank Jansen vom Tagesspiegel berichtet. Dem Anwalt droht der Entzug seiner Zulassung. Er lässt sich mittlerweile von einem Berufskollegen rechtlich vertreten.

In der vergangenen Woche hatte sich herausgestellt, dass seine Mandantin nicht unter dem Namen existiert, mit dem sie bei Gericht angemeldet war. Daraufhin legte Willms das Mandat nieder und erstattete Anzeige gegen Ö.

Über die vergangenen zweieinhalb Jahre hatte Willms Sitzungsgelder aus dem Prozess kassiert, obwohl er eigentlich niemanden vertrat. Die Münchner Staatsanwaltschaft verzichtet aber offenbar auf ein Verfahren gegen ihn, weil sie davon ausgehe, dass der Anwalt selbst getäuscht wurde, heißt es im Tagesspiegel.

Als unstrittig gilt, dass der Fall das Ansehen der Nebenklage beschädigt hat. „Es handelt sich nicht etwa um eine juristische Posse – sondern um eine Schande“, kommentiert Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Die Ermittlungen müssten nun zeigen, ob Willms „nur unfassbar naiv und bequem war oder womöglich selbst kriminell“. Gleichzeitig dürfe nicht vergessen werden, dass etliche Anwälte von Opfern und Hinterbliebenen in dem Prozess großartige Leistungen brachten.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 8. Oktober 2015.