Die Verteidigung nutzte den ersten Prozesstag nach den Enthüllungen um eine erfundene Nebenklägerin, um das Gericht wegen des Vorfalls zu attackieren. Beate Zschäpes Anwälte forderten eine Erklärung von Richter Manfred Götzl, weshalb das Gericht die Anmeldung der Frau akzeptiert habe. „Zu viel Großzügigkeit gegenüber Opfern (…) könnte für die Verteidigung Anlass sein, über eine mögliche Befangenheit des Gerichts nachzudenken“, kommentiert Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
An dieser Stelle zeigte sich allerdings erneut die Schwierigkeit, die sich durch die Verteidigung von Zschäpe zieht: Die Hauptangeklagte spricht nur noch mit ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel, der wie Zschäpe nichts von dem Antrag an Götzl wusste. Diesen hatten nur Zschäpes angestammte drei Anwälte unterschrieben. Einen Befangenheitsantrag können die Verteidiger aber nur auf Zschäpes Geheiß hin stellen. Im Gerichtssaal warfen die drei Anwälte Grasel vor, er habe sich nicht anständig auf den Prozess vorbereitet, was dieser bestritt.
„So versandete eine Verteidigeraktion wieder einmal im Hickhack gegenseitiger Animositäten“, schreibt Friedrichsen und fragt sich, wie das Gericht so mit der Aufklärung der angeklagten Taten vorankommen soll. Die Verteidiger hätten Grasel zuvor problemlos informieren können, meint Karin Truscheit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Sind die drei Anwälte vielleicht unzufrieden über eine ungleiche Arbeitsaufteilung?“, fragt sie. Möglicherweise spiele auch die Kränkung, Zschäpes Ablehnung ihrer angestammten Anwälte, eine Rolle.
Nerven scheinen blank zu liegen. #Götzl wirkt angespannt. Heer et al. fragen ihn, wann er falsches Attest von Meral K. bemerkt habe. #NSU
— PZ hautnah (@PZhautnah) 7. Oktober 2015
Der Antrag, demzufolge Götzl und andere Richter eine Erklärung zum falschen Attest von Meral K. abgeben sollen, hat so jedenfalls keine großen Erfolgschancen. Wir bei ZEIT ONLINE halten die Fragen der Anwälte allerdings für berechtigt. „Denn sie begründen das unangenehme Gefühl, dass dieser mit größter Akribie geführte Prozess mit einer Schlamperei begonnen hat.“ Sich dazu zu äußern, könnte dem Gericht nicht schaden – schließlich gilt gerade Richter Götzl als besonders streng und akribisch.
„Inzwischen ist unübersehbar, dass auch der Graben zwischen Zschäpes angestammtem Pflichtverteidiger-Trio und dem später hinzugestoßenen Grasel unüberbrückbar zu sein scheint“, beobachtet Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle. Das sorgt für Konflikte im Verfahren: „Einen Auftakt mit derartigem Schmackes – das hat es lange nicht gegeben im NSU-Prozess“, findet Konrad Litschko von der taz. Die Angeklagte Zschäpe selbst habe den Konflikt fast belustigt beobachtet.
Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, äußert sich im Interview mit der Süddeutschen zur Betrugsaffäre in der Nebenklage, mit der ein Anwalt unberechtigt Sitzungshonorare kassiert hat. Zudem ließ der Jurist sich die falsche Mandantin gegen eine Provision vermitteln. Schellenberg dazu: „Provisionszahlungen sind nicht akzeptabel.“
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Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 9. Oktober 2015.