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Bitter für die echten Opfer – Das Medienlog vom Mittwoch, 28. Oktober 2015

 

Im Fall der nicht existierenden Nebenklägerin Meral Keskin hat das Gericht Ermittlungen in Auftrag gegeben – ein BKA-Beamter berichtete am Dienstag von seinen Recherchen in Köln. Demnach hatte der Nebenkläger Attila Ö. zugegeben, die Frau erfunden zu haben – vermutlich, um daraus Profit zu schlagen. Ungereimtheiten bleiben. Die Frage, wieso das falsche Opfer „zweieinhalb Jahre lang als Nebenklägerin in einem ansonsten penibel geführten Strafprozess durchgehen konnte, bleibt weiter unbeantwortet“, sagte Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

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Interessante Erkenntnisse, die Kommissar Frank L. bei einem Hausbesuch bei dem mutmaßlichen Betrüger Attila Ö. gewann: Ö. hatte Ralph Willms, dem Anwalt der von ihm erfundenen Frau namens Meral Keskin, ein Foto vorgelegt. Es zeigt seine Mutter mit einem Verband über dem Auge – womöglich eigens für den Zweck gestellt. Zudem erzählte Ö. dem Ermittler, dass er über lange Zeit Post für Keskin empfangen hatte.

„Das lässt ahnen, mit welch krimineller Energie das Nebenklage-Phantom kreiert wurde“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Demnach ist es schon bemerkenswert, dass ein Zeuge im Prozess nicht zu den Vorwürfen der Anklage aussagt, sondern über Geschehnisse aus dem Verfahren selbst – der Strafsenat betrieb damit „Aufklärung in eigener Sache“. Die Ermittlungen förderten zumindest das Motiv des mutmaßlichen Betrugs zutage: Ö. beschwerte sich vor dem BKA-Beamten, dass der Anwalt eine Zahlung aus dem Opferentschädigungsfonds der Bundesregierung über 5.000 Euro eingesteckt habe. Ö. fühlte sich selbst betrogen.

Fraglich sei nun noch, „ob Ö. und Willms gemeinsame Sache machten“, stellt Frank Jansen vom Tagesspiegel fest. Nach Willms eigener Darstellung wurde er von Ö. getäuscht. Für den Anwalt sei die Situation allerdings noch unangenehmer – er hatte zugegeben, Ö. eine Provision für die Vermittlung des Mandats gezahlt zu haben. Für das Oberlandesgericht, das Keskin auf Grundlage eines womöglich gefälschten Attests als Nebenklägerin zugelassen hatte, sei der Fall peinlich.

„Für die echten Opfer des NSU ist das eine weitere bittere Facette in diesem schmerzhaften Verfahren“, schreibt Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung. Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer sagte in der Verhandlung, die Opfer sollten weiter „ihre Interessen selbstbewusst wahrnehmen“.

Der Prozesstag dauerte nicht besonders lang. Das Gericht nutzte die Zeit, um über mehrere Anträge der Prozessbeteiligten zu entscheiden – und zwar in allen Fällen negativ. So wurde ein Gesuch abgelehnt, den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier als Zeugen zum Mord an Halit Yozgat zu laden. Auch der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein muss nicht kommen. „Richter Götzl zieht merklich das Tempo an“ und wolle den Prozess rasch Richtung Ende bringen, schreibt Schultz in der Süddeutschen Zeitung.

Ähnlich heißt es in einer Analyse des Bayerischen Rundfunks: „Nun befinden wir uns also wieder auf der Zielgeraden des NSU-Prozesses, obwohl dieses Wort sehr dehnbar interpretiert werden muss.“

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 29. Oktober 2015.